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Franz Mehring 19050215 Zum Tode Menzels

Franz Mehring: Zum Tode Menzels

15. Februar 1905

[Die Neue Zeit, 23. Jg. 1904/05, Erster Band, S. 665-669. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 163-168]

Vor einigen Tagen ist Adolph Menzel, den ein sanfter und schneller Tod in seinem neunzigsten Lebensjahr abberufen hat, mit einem Gepränge zur letzten Ruhe bestattet worden, wie es in dem preußischen Militärstaat sonst nur etwa Generalfeldmarschällen erwiesen zu werden pflegt. Den Grund dieses außergewöhnlichen Pomps konnte man der Schleife des Kranzes ablesen, den der Kaiser dem berühmten Maler auf den Sarg gelegt hatte; diese Widmung lautete: „Dem Ruhmesverkünder Friedrichs des Großen und seiner Armee in unvergänglicher Dankbarkeit Wilhelm II. und sein Heer." Sieht man von den drei letzten Worten ab, die in ihrer staatsrechtlichen Unrichtigkeit immerhin eine nicht unberechtigte Kritik des viel missbrauchten Schlagwortes vom „Volk in Waffen" enthalten, so fordert die Inschrift des kaiserlichen Kranzes auch sonst zum Widerspruch heraus. Allein dieser Widerspruch geht zu weit, wenn nun gesagt wird, Menzel sei mehr durch einen geschäftlichen Zufall als durch künstlerische Neigung zur bildnerischen Darstellung des friderizianischen Zeitalters geführt worden.

Einzig zu dieser Frage seien hier einige kritische Bemerkungen gestattet. Um das ganze reiche Lebenswerk Menzels zu würdigen, namentlich auch in seinem Zusammenhang mit der Entwicklung der deutschen Malerei, wäre an dieser Stelle der „Neuen Zeit" nicht der richtige Ort, wie der Schreiber dieser Zeilen dazu auch nicht berufen ist. Es mag nur im Allgemeinen darauf hingewiesen werden, dass es nicht entfernt Menzels künstlerische Bedeutung erschöpfen heißt, wenn man ihn als Maler einer preußischen Geschichtsperiode auffasst und alles andere, was er geschaffen hat, als ein Nebenwerk betrachtet, das keine besondere Beachtung verdiene. Jedoch wenn er ein großer Künstler war, so muss er sich auch in diesem einzelnen Gebiet seiner Arbeit als solcher bewährt haben. Hat er das nun aber getan? Oder hat er sich dieses Stoffgebiets nur bemächtigt, sei es, um den „Ruhm " des alten Fritz zu „verkünden", sei es, weil ein „geschäftlicher Zufall" ihn bestimmte? Unseres Erachtens sind beide Fragen zu verneinen; Menzel hat diesen Stoff aus künstlerischer Neigung ergriffen und ihn mit künstlerischen Mitteln behandelt, in dem alleinigen Drange künstlerischen Schaffens.

Mit der „Ruhmverkündung" des alten Fritz hat es im Preußischen immer seine Haken gehabt, wenn es auch nicht immer derselbe Haken war. Schon an seinem Todestage schrieb Mirabeau: „Alles ist düster, nichts traurig; alles ist beschäftigt, nichts bekümmert. Kein Gesicht, das nicht Erleichterung und Hoffnung ankündigt; nicht ein Bedauern, nicht ein Seufzer, nicht ein Lob. Dahinaus also laufen soviel gewonnene Schlachten, soviel Ruhm, eine Regierung von fast einem halben Jahrhundert voll so vieler Großtaten. Alle Welt wünschte ihr Ende, alle Welt beglückwünschte sich dazu." Und drei Jahre später schrieb die Zarin Katharina II.: „Es ist ohne Frage seltsam, mit welcher Subtilität man dem Ruhm und dem Namen Friedrichs II. zu schaden sucht, und das druckt und veröffentlicht sich in Berlin." Es waren auch keineswegs nur die Kreaturen seines unfähigen Nachfolgers, die Friedrichs Andenken zu verdunkeln bestrebt waren; aus besseren Gründen ließen sich auch die Stein und Arndt in der härtesten Weise gegen den undeutschen König, den Franzenaffen, den Feind und Zerstörer der deutschen Verfassung aus, dessen Größe Deutschland zum Verderben und dessen Gedächtnis Deutschland zum Fluche geworden sei.

Wieder aus einer anderen Richtung blies der Wind gegen König Friedrich, als die feudale Reaktion in Napoleon den Erben der bürgerlichen Revolution gestürzt hatte. In seiner mittelalterlich-ständischen Restauration der Staatswissenschaften erklärte Haller das Landrecht Friedrichs als den auffallendsten Beweis von dem unglücklichen Einfluss, den die unphilosophischen Irrtümer auch auf die Fürsten und ihre Umgebungen gehabt hätten. In dasselbe Horn stießen die historisch-politischen Reaktionäre vom Schlage der Leo und Savigny. Aber auf der anderen Seite wollte auch die beschränkte Teutschtümelei der Burschenschaft nichts vom alten Fritz wissen, und ebenso wenig die landläufige Hegelei, die mit dem Aufkläricht, den ihr Meister mit Recht verspottet hatte, nun auch gleich die Aufklärung verschüttete. So erscholl in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine „gräuliche Katzenmusik" gegen Friedrich: „Alt- und neutestamentliche Trompeten, moralische Maultrommeln, erbauliche Dudelsäcke, historische Sackpfeifen und andere Schnurrpfeifereien, dazwischen Freiheitshymnen, gebrüllt im urteutonischen Bierbass", wie sich der radikale Junghegelianer Koppen ausdrückte.

Von den Schriften des Königs gab es noch immer keine bessere Ausgabe als das schludrige Machwerk, das der berüchtigte Wöllner aus pekuniärem Interesse gleich nach dem Tode Friedrichs veranstaltet und der berühmte Historiker Gibbon als eine Schmach für die deutsche Nation gebrandmarkt hatte. Eine Biographie des Königs, von Preuß, begann allerdings im Jahre 1832 zu erscheinen, aber sie blieb am Äußerlichen haften und war kaum mehr als eine unordentlich zusammengetragene Materialiensammlung. Ein ungleich treueres Bild des friderizianischen Zeitalters enthielt der Roman „Cabanis" von Willibald Alexis, der in demselben Jahre erschien und heute noch sehr lesenswert ist. Er war gleichsam der einzige Lichtschimmer in dem Dunkel, das damals auf Friedrichs Andenken lag, allein es ist bekannt, dass Willibald Alexis weder für diesen Roman noch für die nicht minder trefflichen Romane aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte, die er ihm folgen ließ, irgendeine offizielle Anerkennung erhalten hat. Im Gegenteil erhielt er bei der ersten besten Gelegenheit einen königlichen Rüffel für seine schriftstellerische Tätigkeit, worin Treitschke den hohenzollernschen Erbfehler der Undankbarkeit erblickt und sich so an seinem Teile um den kaiserlichen Kranz auf seinem Sarge gebracht hat. Doch dies nebenbei! Im großen und ganzen stand Friedrichs Andenken am Ende der dreißiger Jahre unendlich tief im preußischen Kurse, so dass die einzige revolutionäre Richtung, die es damals gab – von Parteien konnte noch nicht gesprochen werden –, ihn als ihren Mann auf den Schild erhob: nicht nur der Girondist Ruge in Halle, sondern auch der Montagnard Koppen in Berlin in der kecken Kampfschrift, die er im Frühjahr 1840 zum hundertsten Gedenktag der Thronbesteigung Friedrichs veröffentlichte und seinem Freunde Karl Heinrich Marx aus Trier widmete.

In eben dieser Zeit begann Menzel, ein junger Künstler von 24 Jahren, sich in das friderizianische Zeitalter zu vertiefen. Sicherlich nicht, weil er Junghegelianer war, sondern weil ein spekulativer Buchhändler, angereizt durch den Erfolg, den eine französische Lebensgeschichte Napoleons mit Illustrationen von Horace Vernet gehabt hatte, dasselbe Geschäft in Deutschland machen wollte und an Menzel den Auftrag erteilte, eine Geschichte Friedrichs zu illustrieren, deren Abfassung dem Kunsthistoriker Kugler übertragen wurde. Das war allerdings ein Zufall, aber wohin käme es mit aller Kunst, wenn jedes Kunstwerk durch den Zufall herabgesetzt werden sollte, der zu seiner Entstehung beigetragen haben mag. Schiller hat seinen „Don Carlos" geschrieben, weil ihn ein Theaterintendant damit beauftragte, und seinen „Wilhelm Tell", weil irgendein unberufener Schwätzer das Gerücht ausgebracht hatte, Schiller wolle den sagenhaften Helden der Urkantone dramatisch behandeln. Nicht der Zufall als solcher entscheidet, sondern es kann sich nur darum handeln, ob sich der Künstler vom Zufall beherrschen lässt oder ob er den Zufall abzudenken weiß, sobald dieser die künstlerische Neigung erweckt hat.

Eben dies war der Fall Menzels. Sobald der Zufall seinen künstlerischen Blick auf das friderizianische Zeitalter gelenkt hatte, hat Menzel diesen historischen Stoff mit künstlerischer Leidenschaft erfasst. Die vierhundert Holzschnitte, die er zu Kuglers Geschichte lieferte, brachen auch der künstlerischen Technik neue Wege; man sagte von ihm mit Recht, dass diese schwarz-weißen Zeichnungen farbiger seien als alle Gemälde jener Zeit. Nicht minder legten sie glänzendes Zeugnis ab von dem ungeheuren Fleiß, womit Menzel das friderizianische Zeitalter durchforscht, von dem kongenialen Verständnis, womit er es durchdrungen hatte. Immer aber ist dies Verständnis auf den Ton der Zeit gestimmt, worin es erwacht war; nicht der Held des verwüstenden Krieges, sondern der Held des aufklärenden Lichtes ist es, den Menzel in Friedrich sieht.

Man darf sich darüber nicht täuschen lassen durch den Erfolg, den seine Illustrationen zu Kuglers Geschichte auch bei dem frömmelnden und reaktionären Friedrich Wilhelm IV. fanden, der inzwischen, als sie öffentlich erschienen, den Thron bestiegen hatte. Die bildenden Künste haben es unter dem Despotismus immer leichter als die redenden, besonders wenn der Despot selbst in ihnen dilettiert, wie Friedrich Wilhelm IV. in der Architektur und der Malerei; so gönnte er auch der Karikaturenfreiheit einen längeren Atem als der Pressfreiheit. Ferner war er ein in seiner Art geistreicher Mann, dem die stupide Vermöbelung des alten Fritz, wie sie unter seinem Vorgänger herkömmlich geworden war, doch widerstand, zumal da er seinerseits einen zweiten Friedrich, nur von der mittelalterlichen Seite her, spielen wollte. Er sorgte dafür, dass die Akademie eine anständige Ausgabe der Werke Friedrichs veranstaltete, die Menzel zu illustrieren beauftragt wurde. Dann wurde Menzel auch mit einem großen Bilderwerk beschäftigt, das in sechshundert kolorierten Lithographien die Armee Friedrichs in ihren Uniformen reproduzierte. Auf dies Werk, das doch nicht eigentlich künstlerisch genannt werden kann und übrigens bei seinem Preise von 530 Talern nur in dreißig Exemplaren abgezogen wurde, kann sich allein das Wort des Kaisers beziehen, dass Menzel ein „Ruhmesverkünder" der friderizianischen Armee gewesen sei, denn in jedem anderen Sinne würde es irreführen.

Wo Menzel als freischaffender Künstler mit der friderizianischen Geschichte geschaltet hat, da stand ihm der Friedensheld immer über dem Kriegshelden. Er hat nur eine Schlacht Friedrichs gemalt, ebenso wie Willibald Alexis in seinem Roman nur eine Schlacht des Königs geschildert hat. Es ist dieselbe Schlacht, der Überfall bei Hochkirch, eine preußische Niederlage, die, durch Friedrichs vermessene Torheit verschuldet und durch seine schnelle Entschlossenheit halb wieder ausgeglichen, als nächtliches, wie ein plötzliches Unwetter hereinbrechendes Gefecht, der künstlerischen Darstellung ganz andere Möglichkeiten bot als die langweiligen Linearschlachten des achtzehnten Jahrhunderts im allgemeinen. Sonst aber fassen die großen Gemälde, in denen Menzel seinen preußischen Helden wieder aufleben lässt, diesen ganz überwiegend in seinen friedlichen Beschäftigungen auf, als Freigeist, als Künstler, als sorgenden Landesvater, in aller künstlerischen Unbefangenheit, ganz unbekümmert um die Dankbarkeit oder Undankbarkeit der Gegenwart.

Gleich das erste dieser großen Gemälde ist dafür charakteristisch, die „Tafelrunde" in Sanssouci, die auf der Kunstausstellung des Jahres 1850 erschien, zur Zeit, wo sich die Konterrevolution eben fest in den Sattel gesetzt hatte und die frömmelnde Heuchelei des Treubundes unter dem gnädigen Protektorat des Hofes und der Regierung stand. Da wollte es schon etwas bedeuten, einen preußischen König in aller blendenden Fülle einer unvergleichlichen Kunst dargestellt zu sehen, wie er französische Freigeister des ruchlosesten Rufes an seinem gastlichen Tische begrüßt. Noch heute wagt kein preußischer Historiker, selbst wenn er sonst leidlich unbefangen ist, über den Verkehr Voltaires und namentlich Lamettries in Sanssouci anders als mit einer komischen Mischung von geistiger Überlegenheit und sittlicher Entrüstung zu sprechen, und nun erst vor fünfzig Jahren! Man vermerkte denn auch in offiziellen Kreisen dies Bild Menzels sehr übel und ebenso die ihm folgenden aus dem friderizianischen Kreise, das „Flötenkonzert" in Sanssouci, der „König auf Reisen" und so weiter – mit Ausnahme der Schlacht bei Hochkirch, die der König ankaufte –, obgleich sie an ketzerischer Dreistigkeit das erste nicht erreichten, aber an malerischer Vollendung zum Teil noch übertrafen. Wenn gleichwohl ein paar von ihnen, und darunter auch die „Tafelrunde", in die Nationalgalerie gelangt sind, so nur durch die testamentarische Verfügung eines Privatmanns, der sie erworben hatte, und nicht durch die dankbare Regierung.

Merkwürdig ist auch, dass Carlyle, der sich 1852 längere Zeit in Berlin aufhielt, um Studien für seine Biographie Friedrichs zu machen, und von den offiziellen Kreisen sehr protegiert wurde, von Menzels künstlerischer Tätigkeit nichts erfahren zu haben scheint. Wenigstens erhebt er noch im Jahre 1854 ein gewaltiges Lamento darüber, dass die Berliner Galerie der sogenannten „hohen Kunst" zwar „aus bocksfüßigen Pans, Europas Ochs, und den Corregiositäten des Corregio zusammengesetzt" sei, aber kein Bild Friedrichs enthielte. Für sein Buch über Friedrich, dem man noch am ehesten gerecht wird, wenn man es unter künstlerischem Gesichtspunkt betrachtet, hätte Carlyle von dem Künstler Menzel viel lernen können. Menzel hat auch immer bedauert, dass sie sich nicht getroffen hätten. Er meinte: „Schade, sehr schade! Ich hätte ihm manches sagen können, was ihm entgangen ist. Carlyle als Poet hat viel gesehen, visionenhaft, was nicht da war. Er hat den König verwunderlicht, ihn, der ein Kind seiner Zeit war." Es ist das denkbar treffendste Urteil über Carlyles Buch, und niemand hatte ein besseres Recht, dies Urteil zu fällen, als Menzel.

Für Carlyle war Friedrich doch nur die Probe aufs Exempel seiner Geschichtsphilosophie, und er half sich mit Visionen, wo die raue Wirklichkeit nicht in seiner Rechnung aufging. Menzel aber hatte sich ins friderizianische Zeitalter eingelebt wie keiner vor und keiner nach ihm, was er aus eigenem dazu gab, war nur der künstlerische Odem, ohne den sich eine untergegangene Welt nicht neu beleben lässt. Wenn wir gleichwohl heute den König Friedrich mit andern Augen ansehen, als ihn Menzel vor fünfzig Jahren angesehen hat, so aus dem Grunde, dass auch der Künstler wie der König, das „Kind seiner Zeit" ist. Dem künstlerischen Werte von Menzels Werken geschieht dadurch kein Abbruch, sowenig wie ein mittelalterliches Heiligenbild, wenn es sonst von Meisterhand gemalt ist, künstlerisch entwertet wird, weil wir nicht mehr, wie der Maler, an Heilige glauben.

Seitdem Menzel alt geworden war, ergoss sich über ihn der Sonnenschein irdischer Gunst, und er selbst scheint, wie andere große Künstler auch, wie Goethe, Hebbel, Ibsen, an dem Ordens- und Titelsegen eine naive Freude gehabt zu haben. Aber nach seinem Tode gehört sein Erbe der ganzen gesitteten Welt, und wir wollen es uns, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, nicht „verwunderlichen" lassen, sei es nun in Glimpf oder in Schimpf, durch unkünstlerische Tendenzen, denen er immer so fremd geblieben ist wie sie ihm.

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