Franz Mehring 19080313 Bücherschau Magister F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale

Franz Mehring: Bücherschau

Magister F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale

13. März 1908

[Die Neue Zeit, 26. Jg. 1907/08, Erster Band, S. 864/865. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 47-49]

Magister F. Ch. Laukhards Leben und Schicksale. Von ihm selbst beschrieben. Deutsche und französische Kultur- und Sittenbilder aus dem achtzehnten Jahrhundert. Bearbeitet von Viktor Petersen. Einleitung von Paul Holzhausen. Band I 316 Seiten, Band II 342 Seiten. Preis gebunden 13 Mark, ungebunden 11 Mark. Stuttgart 1908, Verlag von Robert Lutz.

Laukhard war ein Wildling der bürgerlichen Aufklärungsperiode, zu deren Erkenntnis seine Autobiographie einen sehr bemerkenswerten Beitrag liefert. Man hat von dieser Periode einen recht verschiedenen, ja einen ganz entgegengesetzten Eindruck, je nachdem man unsere Klassiker oder etwa die Allgemeine deutsche Bibliothek Ehrennicolais liest. In jenen sieht man nach dem Bilde Lassalles die Kraniche durch die Luft segeln, in dieser aber nach dem Bilde Lessings eine armselige Blindschleiche daher gerutscht kommen.

Die Lebensbeschreibung des Magisters Laukhard füllt diese Kluft in gewissem Sinne und bis zu einem gewissen Grade aus. Das Rauf- und Saufleben, wie er es auf den Universitäten Gießen, Jena, Göttingen und Halle mitgemacht hat und in seiner abschreckenden Hässlichkeit schildert, zeigt allerdings, dass unsere klassische Literatur und Philosophie in einer dünnen Kulturschicht wurzelte. Aber auf der anderen Seite ist Laukhard doch ein Rassekerl, der die fürchterlichsten Knüffe und Püffe aushält, immer mit dem Kopfe oben, mit einem tüchtigen Kern gesunden und unveräußerlichen Menschenverstandes, der denn doch bekundet, dass die Masse der deutschen Aufklärer kein übler Menschenschlag gewesen ist.

Ebenso wertvoll wie die Schilderungen des Studententums sind in Laukhards Denkwürdigkeiten die Schilderungen des Soldatenlebens. In einer gräulichen Katerstimmung, in den Weihnachtstagen des Jahres 1783, als der letzte Rock versetzt war und das Geldschiff von Hause nicht eintreffen wollte, ließ sich Laukhard als friderizianischer Soldat für 8 Louisdor Handgeld anwerben. Es war ein Sprung in den Abgrund, für den es in der modernen bürgerlichen Gesellschaft, bei all ihren sonstigen Schönheiten, kaum noch einen zutreffenden Vergleich gibt. Freilich hat Laukhard dies Soldatenleben im Frieden nicht in seiner ganzen Gräulichkeit kennengelernt; der Kapitän v. Müffling, an den er sich verkauft hatte, war habsüchtig genug, wie alle preußischen Offiziere, um seine Rekruten für seine privaten Bedürfnisse auszubeuten, aber im Gegensatz zu den meisten seinesgleichen gebildet genug, um zu begreifen, dass er den Magister Laukhard nicht besser ausbeuten könne, als dass er seine Kinder in fremden Sprachen von ihm unterrichten ließ.

Umso gründlicher hat Laukhard dann das Soldatenleben im Kriege kennengelernt, und seine Schilderung der Kanonade von Valmy und des Rückzugs aus der Champagne ist ein sehr wertvoller Beitrag zur Geschichte der Französischen Revolution. Das preußische Heer ist damals durch das preußische Junkertum schon ebenso verlottert gewesen, wie sich später bei Jena herausgestellt hat; man muss diese Schilderungen Laukhards lesen, um die ganze Albernheit des Geschwätzes zu würdigen, wodurch heute „hochverdiente" Generale beweisen wollen, dass die Niederlage von Jena nur zerstörend in die gründliche Reform des preußischen Heeres eingegriffen habe, die längst eingeleitet gewesen sei. Es ist auch sehr nützlich, Laukhards Schilderung mit der Darstellung zu vergleichen, die Goethe als Teilnehmer derselben Kampagne gegeben hat. Die Dinge sehen von oben ganz anders aus als von unten, womit nicht gesagt ist, dass sie von oben richtiger aussehen als von unten. Ganz im Gegenteil!

Laukhard hat dann die Revolution nicht nur von der deutschen, sondern auch von der französischen Seite gesehen; als Spion in die belagerte Festung Landau gesandt, wurde er, nach dem Entsatz der Festung durch französische Truppen, als angeblicher Deserteur ins Innere Frankreichs geschickt und hat das Jahr des roten Schreckens dort verlebt. Er trat in ein Sansculottenbataillon ein, geriet dann wegen der Landauer Affäre in Verdacht, entging jedoch der Guillotine. Nach der Gerichtspraxis gesitteter Länder kam der Zweifel an seiner Schuld dem Schuldigen zugute; Laukhard wurde freigesprochen und erhielt auch eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft; man kann daraus sehen, wie vorteilhaft sich die französische Rechtsprechung zur Zeit Robespierres von der heutigen deutschen Rechtsprechung unterscheidet. Laukhard war kein Jakobiner, aber seine Schilderungen der französischen Zustände zur Zeit der Jakobinerherrschaft zeichnen sich durch eine Unbefangenheit aus, die der deutschen Aufklärung doch ein ungleich ehrenvolleres Zeugnis ausstellt, als der heutige Liberalismus beanspruchen kann.

Nach dem Sturze der roten Schreckensherrschaft kehrte Laukhard nach Deutschland zurück und hat noch ziemlich dreißig Jahre lang das Leben eines „literarischen Vagabunden" geführt. Es gelang ihm nicht mehr, sich emporzuarbeiten, sei es nun durch fremde, sei es durch eigene Schuld. Das meiste, was er geschrieben hat, ist für immer vergessen, aber diejenigen Partien seiner Lebensbeschreibung, die in dieser neuen Ausgabe erschienen sind, verdienen durchaus, wieder erweckt zu werden.

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