Franz Mehring 19110616 Bücherschau (Herbert Eulenberg, Schiller)

Franz Mehring: Bücherschau

Herbert Eulenberg, Schiller

16. Juni 1911

[Die Neue Zeit, 29. Jg. 1910/11, Zweiter Band, S. 390/391. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 300 f.]

Herbert Eulenberg, Schiller. Eine Rede zu seinen Ehren. Zweites bis drittes Tausend. Leipzig 1911, Ernst Rowohlt Verlag. 28 Seiten.

Die kleine Schrift ist der Abdruck einer Rede, die der Verfasser am 10. November 1910 „zur Freude der intellektuellen Minorität" im Leipziger Schillerverein gehalten hat.

Sie beginnt mit folgender Skizzierung von Schillers Lebensgang: „Auf das kränkliche, zarte, launische Kind Schiller folgte der Jüngling und Karlsschüler, der sich die Tyrannei seiner militärischen Erziehung in der Stadt Stuttgart durch den Verkehr in üblen Quartieren und mit den wüstesten Burschen und Weibsbildern paralysierte, der die brünstigsten erotischen Lieder dichtete, der seinen Herzog und fürstlichen Wohltäter an ihm und seiner Familie schlau wie ein geriebener Diplomat behandelte und einseifte, der seit seiner ersten Berührung mit dem Theater dem Publikum wie den Darstellern wie den Bühnenleitern Zugeständnisse machte. Und diesem Jüngling folgte der Mann, der Monde lang zwischen zwei Schwestern mit seinem Herzen hin und her schwankte, der Frau v. Kalb, die große Freundin seiner Jugend, kalt verleugnete um Lottchens willen. Folgte der literarische Stänker, der sich in jeden ihm feindseligen oder widerwärtigen Quark einließ, der sich mit Kreaturen und Dichterlingen wie Manso, Fulda und Garve herum raufte. Folgte der falsche Richter, der Matthisson über alle Maßen als Jünger der wahren Schönheit pries, der Jean Paul nicht verstand, Hölderlin verachtete, Bürger mit seiner sinnlosen Gehässigkeit in den Tod trieb … Kein anderer hat, wie der Volksmund sagt, solche kompletten Schufte geschaffen wie Schiller. Beweises genug für den trüben bösen Bodensatz in der Seele des rothaarigen Erfinders dieser radikalen Bösewichter."

Den Schluss der Rede aber bildet ein Hymnus auf Schiller als ein „kosmisches Ereignis", das der Unsterblichkeit sicher sei, solange Menschen existieren. Aus diesem Hymnus, der nach der Vorhersage des Herrn Eulenberg am hunderttausendsten Gedenktag von Schillers Tode gesprochen werden wird, geben wir diese Proben:


Du großer Genius, der für uns gestorben,

Wir greifen durch die Zeiten deine Hand,

Dein Wort ist nicht wie schlechte Saat verdorben,

Die ganze Welt ist jetzt dein Heimatland.

Denn alle Herzen hast du dir geworben,

Und jeder ist dir heut im Geist verwandt.

Von Pol zu Pol begrüßen ohne Grenzen

Die Völker dich mit immergrünen Kränzen.


Wie einst in ausgeglühten toten Tagen

Der Mensch den Göttern, die er sich gemacht,

Das erste, was die Fluren ihm getragen

Und was die Tiere ihm zur Welt gebracht,

Zum Opfer trug, voll Hoffen und voll Zagen

Vor ihrer großen unbekannten Kraft,

So weihn wir dir die Seelen unsrer Knaben

Als Erstlinge zum Dank für deine Gaben.


Und so geht es noch einige Strophen weiter.

Was aber zwischen diesem Anfang und diesem Ende steht, ist ein ästhetisches Gewäsche der verwaschensten Art, das der „intellektuellen Minderheit", die ihm zugejauchzt haben soll, das traurigste Zeugnis ausstellt. Nun würde es sicherlich nicht der Mühe wert sein, von diesem dekadenten Jammer irgendwelche Notiz zu nehmen, aber Herr Herbert Eulenberg wird in den Feuilletons einzelner Parteiblätter als großes Lumen gepriesen, und hiergegen möchten wir beizeiten den entschiedensten Protest einlegen. Der Mann ist eine Mischung – etwa zu je einem Drittel – von Anmaßung, Konfusion und Unwissenheit. Was uns anbetrifft, so empfehlen wir ihn gern „fürstlichen Wohltätern", die von ihm irgendeinen „Undank" sicher nicht zu befürchten haben.

Wäre es nicht die Sorge, dass dergleichen Zeug in Arbeiterkreise dringen könnte, so würden wir uns nicht mit dem, um mit Herrn Eulenberg selbst zu sprechen, „widerwärtigen Quark" eingelassen haben, auf die Gefahr hin, von ihm als „literarischer Stänker" denunziert zu werden.

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