„Demetrius"

Demetrius"

Wilhelm Tell" sollte Schillers letztes Drama bleiben. Er selbst dachte noch nicht ans Feiern; seine Leiden hatten seit seiner Übersiedelung nach Weimar zwar nicht aufgehört, aber eine gewisse Linderung war eingetreten. Sein rastloser Tätigkeitstrieb hatte sich nicht in seinen großen Dramen erschöpft; daneben lief noch eine Reihe von Übersetzungen aus dem Englischen, Italienischen und Französischen, darunter Shakespeares „Macbeth" und Gozzis „Turandot". Bis zum fünfzigsten Lebensjahre hoffte Schiller noch schaffen zu können, und er stand jetzt in der Mitte der Vierziger.

Aber die Zustände in Weimar begannen ihn zu drücken; er meinte, es sei ein Wunder, wenn er in so engen und kleinen Verhältnissen etwas leiste, was für die größere Welt tauge. Auch bedrängte ihn die Sorge um die Zukunft seiner unmündigen Kinder. So versuchte er im Frühjahr 1804 in Berlin Anker zu werfen, wo Iffland seine Dramen mit großem Eifer und Geschick zu inszenieren pflegte. Allein der Versuch scheiterte; man speiste ihn während eines mehrwöchigen Aufenthaltes in Berlin mit allgemeinen Redewendungen ab, die nur den einen Erfolg hatten, dass den Herzog von Weimar ein Gefühl der Scham überkam, so dass er das Jahresgehalt Schillers auf die erdrückende Summe von achthundert Talern steigerte.

Im Sommer 1804 packte den Dichter von neuem die Krankheit, und nun ließ sie ihn nicht mehr los. In dieser qualvollen Zeit, in der unabwendbar das Ende heranrückte, hat Schiller sich noch mit einem großen Drama beschäftigt, dem „Demetrius", demselben Stoffe, dem auch Hebbel seine letzte Kraft widmen sollte. Demetrius war ein russischer Kronprätendent, der am Anfange des siebzehnten Jahrhunderts von polnisch-jesuitischer Seite siegreich bis in den Kreml geführt wurde, wo er, bald als Betrüger entlarvt, eines gewaltsamen Todes starb. Hebbel meinte, dass Schiller nie mit seinem „Demetrius" vorwärts gekommen wäre, da ein Betrüger im Drama die hohe tragische Wirkung unmöglich gemacht hätte; er selbst suchte diese Schwierigkeit zu umgehen, indem er aus seinem Helden den natürlichen Sohn des Zaren machte, als dessen legitimer Sohn der historische Demetrius auftrat. Als Hebbel so über Schiller absprach, wusste er wohl nicht, dass Schiller die gleiche Lösung beabsichtigt hatte für einen gleichen Stoff, der ihn bis ins Todesjahr hinein beschäftigte, für den englischen Prätendenten Warbeck: aus dem gleichen Grunde wie Hebbel, um „im Moralischen auch nicht den geringsten Knoten zu lassen", aber mit dem Unterschiede, dass Warbeck kein Trauer-, sondern ein Schauspiel werden sollte. Die verschiedene Art der beiden großen Dramatiker ist damit so fein wie scharf gekennzeichnet; Hebbel sucht seinen tragischen Stoff in einem psychologischen Problem und sei es auch recht verzwickter Art, Schiller in dem Aufeinanderstoßen großer geschichtlicher Gegensätze, wie gleich der erste Akt seines „Demetrius" zeigt, der einzige, den er im wesentlichen vollendet hat, in den prachtvollen Verhandlungen des polnischen Reichstags.

Aus einem anderen Grunde als Hebbel mag man daran zweifeln, ob Schiller mit seinem „Demetrius" fertig geworden wäre. Er hatte sich mit dem englischen Prätendenten viel eingehender und länger beschäftigt als mit dem russischen, und wenn er sich schließlich für diesen entschied, so gab den rein äußerlichen Anstoß dazu, dass der Erbprinz von Weimar eine russische Großfürstin heiraten sollte. Wolzogen, der Schwager Schillers, war als Brautwerber in Petersburg, und von ihm erbat sich der Dichter historisches Material für sein neues Drama. Aus dem prosaischen Entwürfe, den er sich dazu gemacht hat, geht hervor, dass er eine Apotheose des Hauses Romanow einzuflechten gedachte, und damit wäre er, wie zu hoffen steht, doch nicht fertig geworden.

Es würde einen bleibenden Schatten auf sein Andenken geworfen haben, wenn er eine Dynastie verherrlicht hätte, die, wie keine andere in der Geschichte, von Blut und Schmutz trieft, und eben jetzt, da Schillers Todestag zum hundertsten Male wiederkehrt, endlich der tausendfach verdienten Vergeltung anheimfällt.

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