„Die Braut von Messina"

Die Braut von Messina"

Maria Stuart" und „Die Jungfrau von Orleans" standen unter dem Zeichen des „Wallenstein". Schillers nächstes Drama, „Die Braut von Messina" oder „Die feindlichen Brüder", ein „Trauerspiel mit Chören", das im März 1802 begonnen und im Januar 1803 vollendet wurde, schlug einen neuen Weg ein.

Was den Dichter auf diesen Weg trieb, sprach er wohl am treffendsten in einem Briefe an Goethe aus: „Es ist ein Ganzes, das ich leichter übersehe und auch leichter regiere; auch ist es eine dankbarere und erfreulichere Aufgabe, einen einfachen Stoff reich und gehaltvoll zu machen, als einen zu reichen und breiten Gegenstand einzuschränken." Die gewaltige Arbeit, in seinem großen Stil historische Stoffe zu bewältigen, hatte ihn ermüdet, und vielleicht mag er auch empfunden haben, dass er sich vom „Wallenstein" bis zur „Jungfrau" auf einer absteigenden Linie bewegt hatte. Er sehnte sich nach einer anderen Methode der Arbeit, wie er es in den Zeilen an Goethe aussprach.

Im stillen hat vielleicht auch der Wunsch eines künstlerischen Wettkampfs mit Goethe mitgespielt. Da Goethes „Iphigenie" auf die Weimarer Bühne gebracht werden sollte, so hatte Schiller sie von neuem aufmerksam gelesen und schrieb darüber an Körner: „Ich habe mich sehr gewundert, dass sie auf mich den günstigen Eindruck nicht mehr gemacht hat wie sonst, ob es gleich immer ein seelenvolles Produkt bleibt. Sie ist aber so erstaunlich modern und ungriechisch, dass man nicht begreift, wie es möglich war, sie jemals einem griechischen Stück zu vergleichen. Sie ist ganz nur sittlich, aber die sinnliche Kraft, das Leben, die Bewegung und alles, was ein Werk zu einem echten dramatischen spezifiziert, geht ihr sehr ab. Goethe selbst hat mir schon längst zweideutig davon gesprochen – aber ich hielt es nur für eine Grille, wo nicht gar für Ziererei, bei näherem Zusehen aber hat es sich mir auch so bewährt."

Ob nun Goethe von Schiller missverstanden worden ist oder sich selbst missverstanden hat, ist nicht zu sagen, aber Schiller bewies nur, dass ihm der griechische Geist am letzten Ende doch ungreifbar blieb, wenn er Goethes „Iphigenie" „erstaunlich modern und ungriechisch" fand, von seiner „Braut von Messina" aber meinte, sie lasse sich „wirklich zu einer äschyleischen Tragödie" an. Goethe hat in der „Iphigenie" den griechischen Geist schöpferisch umzubilden verstanden, Schiller ihn in der „Braut von Messina" nur äußerlich gegriffen.

Um das „Ideenkostüm" seines Dramas zu rechtfertigen, verlegte Schiller seine Handlung nach Messina, in eine Zeit, wo sich Christentum, griechische Mythologie und Mahomedanismus auf der Insel Sizilien wirklich begegnet sind und vermischt haben. „Das Christentum war zwar die Basis und die herrschende Religion, aber das griechische Fabelwesen wirkte noch in der Sprache, in den alten Denkmälern, in dem Anblick der Städte selbst, welche von Griechen gegründet waren, lebendig fort, und der Märchenglaube sowie das Zauberwesen schloss sich an die maurische Religion an." Die Wahl dieses Schauplatzes war klug überlegt, aber daraus, dass auf diesem Schauplatze einmal ein dumpfer Schicksalsglaube geherrscht hatte, folgte keineswegs, dass der abergläubische Fatalismus, der das Drama Schillers beherrscht, griechisch oder überhaupt nur tragisch war.

Ein ganzes herrliches, in Kraft, Tugend, Schönheit prangendes Geschlecht geht ohne eigene Schuld unter, weil – doch mag der Dichter selbst sprechen:


Auch ein Raub wars, wie wir alle wissen,

Der des alten Fürsten ehliches Gemahl

In ein frevelnd Ehebett gerissen,

Denn sie war des Vaters Wahl.

Und der Ahnherr schüttete im Zorne

Grauenvoller Flüche schrecklichen Samen

Auf das sündige Ehebett aus.

Gräueltaten ohne Namen,

Schwarze Verbrechen verbirgt dies Haus.


Ja, es hat nicht gut begonnen,

Glaubt mir, und es endet nicht gut,

Denn gebüßt wird unter der Sonnen

Jede Tat der verblendeten Wut.

Es ist kein Zufall und blindes Los,

Dass die Brüder sich wütend selbst zerstören,

Denn verflucht ward der Mutter Schoß,

Sie sollte den Hass und den Streit gebären.


In der Tat ist es aber nichts als „Zufall und blindes Los", was in Schillers Drama herrscht. Ob der Ahnherr berechtigt war, seiner „grauenvollen Flüche schrecklichen Samen" auszuschütten, bleibt unklar; dass auch des „Vaters Wahl" ein Frevel sein konnte, war dem Dichter des „Don Carlos" nicht unbekannt. Allein wenn der Sohn den alleinigen Frevel beging, so musste er auch dafür büßen, während er in Schillers Drama bis an sein seliges Ende mächtig in Messina herrscht, und nur seine schuldlosen Söhne, die Enkel des fluchenden Ahnherrn, sich in unnatürlichem Hass gegeneinander verzehren und in unnatürlicher Liebe zu ihrer einzigen Schwester entbrennen, kraft des Fluchs, der an dem Ehebette hängt, worin sie erzeugt worden sind. Das ist aber nichts als eine arge Verzerrung der antiken Schicksalsidee. Mit Recht hat Hebbel dagegen eingewandt, Ödipus verfluche seine Söhne, aber sein Fluch werde ihm durch ihre Taten abgezwungen; wenn er sie treffe, so treffe er sie nur, weil sie es verdienten und die Nemesis sie ohnehin getroffen haben würde; auch treffe er sie selbst und nicht ihre schuldlosen Kinder.

Auch die Wiederbelebung des Chors, die Schiller in der „Braut von Messina" versuchte, zeigt nur, dass ihm das innerste Wesen des Griechentums doch verschlossen blieb. So gern Humboldt das Bemühen Schillers um die Antike sah und sein Vergreifen dabei übersah, so konnte er doch nicht umhin, den Chor Schillers in noch so milder Form als ganz verfehlt zu verwerfen. „Ich glaube nicht", schrieb er an Schiller, „dass Sie hätten den Ihrigen zu Begleitern der beiden Brüder machen sollen. Da sie dem Zwiespalte der Feindlichgesinnten folgen, sind sie nicht mehr reine Bürger von Messina, und da ihr eigener Ehrgeiz ins Spiel kommt, ist ihr Urteil nicht das unparteiische des Schicksals, so wie es sich im Menschen ausspricht … Der Chor ist wie der Himmel in einer Landschaft. Es versteht sich von selbst, dass er da sei, denn jede Handlung geht durchs Gerücht mehr oder minder schneller oder langsamer ins Volk aus, und prosaisch ausgedrückt, ist der Chor nur immer das urteilende Volk, es sind die Achiver, die immer leiden, wenn die Könige rasen." Wirklich rasen die beiden Hälften des Chors mit den feindlichen Brüdern, und so sehr dadurch der griechische Chor verleugnet wird, so liegt hier doch wohl der eigentliche Grund, der den Dichter zu dem Versuche getrieben hat, eine dramatische Form, die längst abgestorben war, wiederzubeleben.

Der Chor in der „Braut von Messina" ist für Schiller sozusagen das Sammelbecken für die lyrische Flut gewesen, die sonst das ganze Drama überschwemmt hätte. In dem Maße, wie die scharfe Charakterzeichnung in Schillers Dramen nachgelassen hatte, war in ihnen das lyrische Element angeschwollen. Die Monologe der Maria griffen weiter aus als die Monologe der Thekla, und wieder die Monologe der Maria verschwanden vor den Monologen der Johanna. In der „Braut von Messina" aber, wo ein rätselhaftes Los die Handlung lenkt, war die scharfe Zeichnung der Charaktere unnötig oder selbst bis zu einem gewissen Grade unmöglich, dagegen öffneten sich alle Schleusen für die lyrisch-philosophische Erwägung eines geheimnisvollen Schicksals.

So misslungen deshalb der Chor in der „Braut von Messina" dramatisch ist, so reich an poetischer Schönheit sind die Chorgesänge. Denn hier war Schiller auf seinem eigensten Gebiete und berührte sich auch mit dem antiken Geiste, soweit es seiner Begabung und seiner Erkenntnis möglich war.

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