„Fiesco"

Fiesco"

Während Schiller in Bauerbach lebte, war sein „republikanisches Trauerspiel" von Schwan herausgegeben worden. Weder als Buchdrama noch als Bühnenstück hat „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" entfernt so tief gewirkt wie die „Räuber", obgleich sie unmittelbar in eine politische Revolution hineinführte.

Eben hier jedoch lag der entscheidende Punkt; der Dichter war Karl Moors Busenfreund, aber nur der Maler des Fiesco. Der Vergleich stammt insoweit von Schiller selbst her, als er zur Bauerbacher Zeit an Reinwald schrieb: „Jede Dichtung ist nichts anderes als eine enthusiastische Freundschaft oder platonische Liebe zu einem Geschöpf unseres Kopfes … Gleichwie aus einem einfachen weißen Strahl, je nachdem er auf Flächen fällt, tausend und wieder tausend Farben entstehen, so bin ich zu glauben geneigt, dass in unserer Seele alle Charaktere nach ihren Urstoffen schlafen und durch Wirklichkeit und Natur oder künstliche Täuschung ein dauerndes oder nur illusorisches und augenblickliches Dasein gewinnen. Alle Geburten unserer Phantasie wären also zuletzt nur wir selbst… Der Dichter muss weniger der Maler seines Helden – er muss mehr dessen Mädchen, dessen Busenfreund sein." Aus seinem eigensten Schaffen hat der junge Schiller diese ästhetische Betrachtung geschöpft, und Fiesco ist mehr gemalt als erlebt.

Weder ist dies Drama aus so quälender Bedrängnis entstanden wie die „Räuber" und „Luise Millerin", noch war sein historischer und deshalb spröderer Stoff so leicht im Feuer der Geniezeit zu schmelzen. Von seinem Helden weiß Schiller zumeist zu rühmen, dass ihn Rousseau im Herzen getragen habe. Und wenn man gemeint hat, es sei ein Missgriff, in das Genua des sechzehnten Jahrhunderts die Tendenzen eines Rousseau oder Schiller zu tragen, so schlägt dieser Einwand an sich noch nicht durch. Denn der Dichter ist nach dem bekannten Worte Hebbels kein Auferstehungsengel der Geschichte und darf den historischen Stoff als Vehikel für die Probleme seiner Zeit benutzen. Aber wie immer er mit dem historischen Stoffe schalten mag, so müssen ihm nach Lessings noch bekannterem Worte die historischen Charaktere heilig sein, und zwischen diesen Grenzmarken dramatischer Poesie versteht der Dichter des „Fiesco" noch nicht mit der Meisterschaft und Sicherheit zu segeln wie später der Dichter des „Wallenstein" und des „Tell".

Der Fiesco Schillers ist nicht einmal eine einheitliche Gestalt. Die Absicht des Dichters war, „die kalte unfruchtbare Staatsaktion aus dem menschlichen Herzen heraus zu spinnen und eben dadurch an das menschliche Herz wieder anzuknüpfen, den Mann durch den staatsklugen Kopf zu verwickeln"; indem Fiesco seine politischen Ziele verfolgt und dabei rücksichtslos seine menschlichen Pflichten zertritt, gerät er in einen tragischen Konflikt, worin er untergeht. Ursprünglich ist es diese un-, um nicht zu sagen antipolitische Wendung, auf die Schiller lossteuert; sie lag auch ganz im Geiste der Geniezeit, die in allen staatlichen Wesen nur eine Fessel des natürlichen Menschen sah. Aber Schiller hätte doch nicht Schiller, nicht die tatkräftige Natur sein müssen, von der Scharffenstein zu sagen pflegte, dass Kraftäußerung sie vor allem begeistere, wenn er sich daran hätte genügen lassen. Wie er in seinem Karl Moor das Zeug entweder zu einem Catilina oder zu einem Brutus gesehen hatte, so stellte er nun dem Catilina-Fiesco den Brutus-Verrina gegenüber, und in ihrem Zusammenstoß sah er den tragischen Schwerpunkt seines „republikanischen" Trauerspiels. Allein weder das eine noch das andere Motiv kommt zu klarer und reiner Wirkung: Fiesco schreitet über die Leiche der Gattin, die unter seinem Dolche gefallen ist, auf seinem schwindelnden Pfade weiter, und Verrina stürzt ihn nur in den Hafenschlamm, um sich gleichmütig wieder unter das alte Tyrannenjoch zu beugen.

Erlebt ist dieser Fiesco von seinem Dichter nicht, und auch nicht einmal von einer Hand gemalt, die schon historische Farben zu mischen verstand. Manche krassen Effekte und die überladene Sprache, die allzu oft an die Grenzen geschmacklosen Schwulstes streift oder sie gar überschreitet – nicht zuletzt deshalb, weil ihr der belebende Odem fehlt, der selbst die gewagtesten Kraftquellen der „Räuber" noch ästhetisch abtönt –, fallen um so empfindlicher auf, als sich das Drama mannigfach, so namentlich in der Episode mit Verrinas Tochter, an Lessings „Emilia" anlehnt. Gleichwohl überflügelt der „Fiesco" das geschmackvollere Muster durch die dramatischen Massenwirkungen, die doch schon den Dichter des „Wallenstein" und „Tell" ankündigen, und in Muley Hassan, dem „konfiszierten Mohrenkopfe", schuf Schiller eine Gestalt, deren geniale Ursprünglichkeit den Ruf des deutschen Shakespeare bestätigte, den ihm schon die „Räuber" erworben hatten.

Er selbst bewährte sich auch an diesem Drama als strenger Kritiker. Er fand die blühende Sprache auffallend, ja lächerlich, die langen Monologe ermüdend, und wie die Amalia der „Räuber", so gab er auch die „Frauenzimmercharaktere" des „Fiesco" preis.

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