„Maria Stuart"

Maria Stuart"

Gleich nach Abschluss des „Wallenstein" beschäftigte sich Schiller mit einer Tragödie, deren Stoff ihn schon in seiner Bauerbacher Zeit angeregt hatte. Er begann sie noch in Jena, vollendete sie aber erst im Sommer 1800, als er inzwischen um die Jahreswende nach Weimar übergesiedelt war.

Maria Stuart" entfaltet kein so reiches Weltbild wie „Wallenstein". Das Drama entbehrt selbst des tragischen Konflikts; es ist sozusagen nur ein fünfter Akt. Es beginnt mit der Verurteilung der schottischen Königin; von ihrer Schuld erfahren wir nur durch ihre Buße; wir sehen ihr Leiden, aber nicht ihren Kampf. Abgespannt von der anstrengenden Arbeit am „Wallenstein,", da er die Helden herzlich satt hatte, wie er selbst sagte, ließ Schiller in seinen Ansprüchen an die künstlerische Objektivität bedeutend nach; so fein abgetönt in ihrem Gegensatze, wie Wallenstein und Octavio Piccolomini, sind in „Maria Stuart" die beiden Königinnen nicht. Auf die Büßerin fällt alles Licht, auf die Siegerin aller Schatten; an Elisabeth von England strafte der Dichter, was ihm selbst am Weibe unerträglich war: den starken unbeugsamen Willen und die Sucht nicht nur, sondern auch die Fähigkeit zu herrschen.

Innerhalb der engeren Grenzen, die sich der Dichter selbst gesteckt hat, ist „Maria Stuart" aber reich an Vorzügen. Körner kennzeichnete das Drama gleich bei seinem Erscheinen dahin, dass es nach der Weise der Alten nicht auf dem Helden, sondern auf der Handlung beruhe, und in der Handlung liegt der größte Vorzug dieses Trauerspiels. Obgleich das Schicksal der Heldin schon entschieden ist, ehe sich der Vorhang zum ersten mal hebt, weiß der Dichter mit meisterhaftem Geschicke eine bewegte Handlung zu fügen, die bis zur letzten Szene die dramatische Spannung erhält. Schiller schaltet jetzt als der geborene Herrscher auf der Bühne und macht ästhetisch möglich, was er selbst moralisch unmöglich nannte, wie den Streit der beiden Königinnen, den Höhepunkt des Dramas. Auch die Kommunionszene des fünften Aktes war ein starkes, aber doch gelungenes Wagnis; Schiller ließ sich nicht beirren, als Goethe ihm noch vor der Vollendung des Dramas schrieb: „Der kühne Gedanke, eine Kommunion aufs Theater zu bringen, ist schon ruchbar geworden, und ich werde veranlasst, Sie zu ersuchen, die Funktion zu umgehen. Ich darf jetzt bekennen, dass es mir selbst dabei nicht wohl zumute war, nun da man schon im voraus dagegen protestiert, ist es in doppelter Betrachtung nicht rätlich." Natürlich wusste Schiller, wer dieser „man" war.

Und wenn die Handlung in „Maria Stuart" auch nicht den großen historischen Zug hat wie im „Wallenstein", so spielt sie sich doch auf einem großen historischen Hintergrunde ab. Wieder versteht es Schiller, in einen historischen Stoff zu legen, was die Herzen der Zeitgenossen unmittelbar ergreifen musste, ohne dass er doch wohlfeilen Tagestendenzen irgendwie nachgab. Gerade vom Standpunkte solcher Tendenzen ist „Maria Stuart" viel angefochten worden; verliebt in seine büßende Heldin, soll Schiller dem Katholizismus zu viel und dem Protestantismus zu wenig gegeben, den Kampf großer geschichtlicher Gegensätze in ein bloßes Weibergezänk verkrüppelt haben; Katholikenriecher, sowohl von der konservativen wie von der liberalen Seite, haben an Schiller immer einen bedenklichen Mangel an Rechtgläubigkeit heraus geschnüffelt. Es ist aber nichts an dem, denn persönliche Sympathie hat Schiller für den Katholizismus so wenig gehabt wie für den Protestantismus. Er stand über diesen Gegensätzen, und ebendeshalb vermochte er, ihnen ihr historisches Recht zu wahren.

Wie beim „Wallenstein", so hat auch bei der „Maria Stuart" die historische Forschung bestätigt, dass der Dichter ein Seher gewesen ist. Sie hat das Götzenbild der „jungfräulichen Queen Beß" zertrümmert, das vom englischen Nationalvorurteil errichtet worden war, und das Schuldbuch der Maria noch weit mehr entlastet, als es Schiller schon getan hatte. Sie sieht aber auch die historischen Gegensätze des sechzehnten Jahrhunderts, wie sie Schiller sah: auf der Seite der englischen Reformation die grausame, harte, nüchterne Geschäftspolitik eines Burleigh, auf der Seite der europäischen Gegenreformation allen zauberischen Glanz der Künste und Wissenschaften, der auch viel kältere und klügere Köpfe als den Schwärmer Mortimer in den Schoß der katholischen Kirche zurücktrieb.

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