Balladen

Balladen

Dem Xenienalmanach folgte der Balladenalmanach. Goethe schrieb im November 1796 an Schiller, nach dem tollen Wagstück mit den „Xenien" müssten sie sich bloß großer und würdiger Kunstwerke befleißigen und ihre proteische Natur, zur Beschämung aller Gegner, in die Gestalten des Edlen und Guten umwandeln. Er selbst arbeitete jetzt an einem herrlichen Epos, an „Hermann und Dorothea", und das angenehmste, was ihm Schiller melden konnte, war dessen Beharrlichkeit am „Wallenstein".

Zwischenein stählten sie ihre Kräfte auf episch-dramatischem Gebiete: im Musenalmanach für 1798 erschien von Goethe „Der Gott und die Bajadere", „Der Schatzgräber", „Der Zauberlehrling" und „Die Braut von Korinth", von Schiller „Der Ring des Polykrates", „Die Kraniche des Ibykus", „Der Handschuh", „Der Taucher", „Ritter Toggenburg" und „Der Gang nach dem Eisenhammer". Nichts hat den Namen Schiller so bekannt oder doch so volkstümlich gemacht wie diese Gedichte und die anderen Balladen, die ihnen folgten, im nächsten Jahre „Die Bürgschaft" und „Der Kampf mit dem Drachen", dann in den Jahren 1801 und 1803 noch „Hero und Leander" und „Der Graf von Habsburg". Aber wenn seine Balladen an genialem Wurfe nicht die Balladen Goethes und Bürgers erreichen, so stehen sie auch nicht am höchsten unter seinen eigenen Gedichten. Weder mit den philosophischen Dichtungen noch mit den reichen Epigrammenkränzen Schillers können sie sich an künstlerischem Werte messen. Unter ihnen selbst bleiben diejenigen, die einen mittelalterlichen Stoff behandeln, im allgemeinen hinter denen zurück, die aus antiken Überlieferungen geschöpft haben. Im allgemeinen, denn es gilt nicht gerade vom „Handschuh" und vom „Taucher", den allerersten der Reihe; „Der Handschuh" ist mehr nur ein Gemälde, halb Tierstück, halb Ritterstück, wie Körner ihn nannte, und im „Taucher" wiegen die Naturschilderungen vor; Humboldt bewunderte, wie Schiller das verwirrende Wassergewühl zu malen verstanden habe, ohne je den Rheinfall gesehen zu haben. Aber „Der Ritter Toggenburg", „Der Gang nach dem Eisenhammer", „Der Kampf mit dem Drachen", sie haben alle etwas Gekünsteltes; die naive Frömmigkeit des Mittelalters lag dem Genius Schillers nicht.

Dagegen war Schiller unter dem Einfluss von Kants Ästhetik und im Verkehre mit Goethe nun doch dem antiken Geiste nähergekommen, als da er sich seiner mit Hilfe von allerlei Übersetzungen zu bemächtigen gesucht hatte. „Der Ring des Polykrates" ist echt herodotisch empfunden, und „Die Kraniche des Ibykus" werden von der gewaltigen Wucht eines äschyleischen Chorgesanges durchschüttert. Die „Kraniche", an denen Goethe eifrig mitgeholfen hat, sind unstreitig die Krone unter den Balladen Schillers. Seiner strengen Selbstkritik taten auch sie nicht genug; er antwortete auf eine kritische Bemerkung Körners, Trockenheit möge vom „Ibykus" und auch vom „Polykrates" wohl kaum zu trennen sein, „weil die Personen darin nur um der Idee willen da sind und sich als Individuen derselben subordinieren". Es frage sich also bloß, ob es erlaubt sei, aus dergleichen Stoffen Balladen zu machen, denn ein größeres Interesse möchten sie schwerlich vertragen, wenn die Wirkung des Übersinnlichen nicht verlieren solle.

Die Bemerkung ist sehr bezeichnend für Schiller. Die Ballade heißt eine episch-dramatische Dichtungsart, und so folgert man, dass sich der Dramatiker Schiller zu ihr hingezogen gefühlt habe. Allein er war vielmehr der Gedankenlyriker, der auch in der Ballade nicht die übersinnliche Wirkung der Idee vermissen wollte. In den „Kranichen des Ibykus" wie im „Grafen von Habsburg" feierte Schiller die Gewalt der künstlerischen Darstellung über die menschliche Brust; die schönste seiner antiken und die trefflichste seiner mittelalterlichen Balladen sind, um die Sache mit einem grob-prosaischen Ausdrucke zu bezeichnen, gewissermaßen historische Beispiele für die Macht des Gesanges, die Schiller in einem philosophischen Gedichte verherrlicht hatte. Von hier aus gewinnt man auch den richtigen Standpunkt zu einigen seiner lyrischen Schöpfungen, die man nicht eigentlich Balladen, aber auch nicht eigentlich philosophische Gedichte nennen kann: zur „Klage der Ceres", zur „Kassandra", zum „Eleusischen Feste" und zum „Siegesfeste".

Die Phantasie Schillers verweilte gern bei den Anfängen der Zivilisation, dem Übergange vom Nomadenleben zum Ackerbau, dem Bunde, den die Menschen mit der frommen mütterlichen Erde stifteten. Aus der antiken Götterlehre war ihm keine Gestalt so vertraut wie die Göttin des Ackerbaues; in ihrer Klage um die in die Unterwelt entraffte Tochter grüßt Ceres die jungen Sprossen des Frühlings, die sich aus der Erde kaltem Schoß in das heitere Reich der Farben ringen, als teure Boten der ewig Entschwundenen, und wie sich in ihrer Brust göttliche Gefühle mit menschlichen gatten, so tritt die Herrscherin in die Kreise der Wilden, die am blutigen Siegesmahle schwelgen, und lehrt sie, die Götter durch die frommen Gaben des Feldes ehren. „Das Eleusische Fest" ist aus dem lange gehegten Plane Schillers entstanden, die erste Gesittung Attikas durch fremde Einwanderungen episch zu behandeln. In der „Kassandra" offenbart sich der antike Geist als düster erschütternde Prophetie, und von seiner heiter-menschlichen Seite zeigt er sich dann wieder im „Siegesfeste", das Schiller als Gesellschaftslied gedichtet hat.

Er schrieb darüber an Goethe, alle gesellschaftlichen Lieder, die nicht einen poetischen Stoff behandeln, verfielen in den platten Ton der Freimaurerlieder, und so sei er gleich ins volle Saatenfeld der Ilias gefallen und habe da geholt, was er nur schleppen konnte. Humboldt bestätigt, dass Schiller im „Siegesfeste" den antiken Geist so rein erfasst habe wie sonst nur in den „Kranichen des Ibykus", doch habe er aus der Fülle seines Busens hinzugefügt, was nicht im Gedanken- und Gefühlskreise des Altertums gelegen habe. Und sicherlich hat sich antiker Geist nie so innig mit Schillers Eigenstem verschmolzen als in den Versen:


Von des Lebens Gütern allen

Ist der Ruhm das höchste doch;

Wenn der Leib in Staub zerfallen,

Lebt der große Name noch.

Tapfrer, deines Ruhmes Schimmer

Wird unsterblich sein im Lied;

Denn das irdische Leben flieht

Und die Toten dauern immer.

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