Der Flüchtling

II

Kampfesjahre

Der Flüchtling

Das nächste Ziel der Flüchtlinge war Mannheim, und Schiller hoffte sogar, in diesem „Paradiese der Musen", unter dem „griechischen Klima" der Pfalz eine dauernde Stätte zu finden.

Doch harrte seiner eine bittere Enttäuschung. Dalberg selbst befand sich unter den Gästen des Herzogs von Württemberg und war nicht zugegen; Schiller hatte ihn noch in Stuttgart gesprochen, aber ihm, entschlossen, unter allen Umständen zu fliehen, und aus Sorge um einen Einspruch Dalbergs, seine Absicht verschwiegen. So durfte er ein übles Vorzeichen darin sehen, dass ihn schon das leichte Völkchen der Schauspieler mit bedenklichem Kopfschütteln empfing, und vollends schlug es den Dichter nieder, als er in ihrem Kreise den zum großen Teil vollendeten „Fiesco" vorlas, ohne anderen Widerhall als ein betretenes Schweigen, so dass er vorzeitig den Vortrag abbrach.

Immerhin hatte er diesen Misserfolg durch seinen unverfälscht schwäbischen Dialekt und das übermäßige Pathos verschuldet, womit er vorzulesen pflegte. Sobald die Schauspieler das Manuskript selbst einsahen, gestaltete sich ihr Urteil ungleich günstiger, aber die Entscheidung über die Ausführung stand nicht bei ihnen, sondern bei Dalberg. Bis zu dessen Rückkehr entschloss sich Schiller, den Wanderstab weiter zu setzen, da Mannheim doch allzu nahe unter dem Griffe des Herzogs von Württemberg lag. Mit seinem treuen Streicher wanderte er über Darmstadt nach Frankfurt a. M. und schrieb von hier aus an Dalberg, mit gepresstem Gemüte, wie Streicher bekundet. Gestützt auf die Kundgebungen der Sympathie, die er bei dem Intendanten gefunden hatte oder doch gefunden zu haben glaubte, bat er auf den „Fiesco" und im Notfalle noch auf ein neues Stück hin um einen Vorschuss von 300 Gulden, teils um sich selbst in bessere Umstände zu setzen, teils auch um die Stuttgarter Schulden zu tilgen, die ihm aus dem Selbstverlage der „Räuber" entstanden waren.

Die Bitte war billig genug, auch wenn ihre Erfüllung für Dalberg nicht eine Bagatelle gewesen wäre. Er war ein sehr reicher Mann, der jedes Intendantengehalt verschmähte und kokett genug war, selbst seine Intendantenloge zu bezahlen, aber das Lakaienglück, sich im Glänze eines Herzogs von Württemberg zu sonnen, stand dem edlen Reichsfreiherrn hoch über der Pflicht gegen einen armen Deserteur von Dichter, der seine Bühne mit künstlerischem Glanze überschüttet hatte. Er sandte nicht einen Kreuzer auf Schillers Schreiben, sondern nur den trockenen Bescheid, der „Fiesco" sei unbrauchbar und müsse umgearbeitet werden, ehe überhaupt entschieden werden könne, ob er aufzuführen sei.

Damals hat Schiller „sehr düstere Augenblicke auf der Sachsenhäuser Brücke" zugebracht, wie er später einmal bekannte, aber den Mut ließ er doch nicht sinken, und Streicher hielt tapfer zu ihm. Er gab seine Hamburger Pläne auf und opferte seine kleine Barschaft zur Rückreise nach Mannheim, wo Schiller an Schwan und den Schauspielern doch einigen Halt zu finden hoffte, bis er nach Dalbergs Wunsche den „Fiesco" umgearbeitet hatte. In Oggersheim bei Mannheim siedelten sich die Freunde an, im Gasthause zum Viehhof, Schiller als Dr. Schmidt, wie er sich, abwechselnd mit Dr. Ritter, in dieser Flüchtlingszeit nannte, und hier haben sie etwa zwei Monate gehaust, von Anfang Oktober bis Anfang Dezember 1782. Sosehr die Not drängte, noch viel ungestümer drängten die Gestalten des neuen Dramas, das ihm in den Stuttgarter Arresttagen aufgegangen war, auf den Dichter ein, und wie schon auf dem Ausfluge nach Frankfurt, so heischten sie gebieterisch, vom Blute des Lebens zu trinken. Darüber wurde die Arbeit am „Fiesco" erst im Anfange des November fertig, und nun ließ Dalberg wieder einen Monat warten, bis er das Drama abermals ohne eine Angabe von Gründen zurückwies. Der eitle Hofmann war selbst filzig genug, die Gratifikation von acht Louisdor aus der Theaterkasse zu verweigern, die von den Schauspielern für Schiller beantragt worden war; in einem von Iffland begründeten Gutachten hatten sie den angeblichen Mäzen an die „ehrenvolle Verbindlichkeit" erinnert, dem Dichter der „Räuber" bei seinen nicht glücklichen häuslichen Umständen für sein neues Werk wenigstens den Preis zu gewähren, den man mittelmäßigen Originalien oder gewöhnlichen Umarbeitungen alltäglicher Stücke oft zuerkenne.

Nunmehr hatte Schillers Aufenthalt in der Pfalz seinen Zweck verloren, und er nahm das Asyl an, das ihm Frau von Wolzogen schon in Stuttgart auf ihrem thüringischen Gütchen Bauerbach angeboten hatte. Die gutherzige Frau, die in beschränkten Verhältnissen lebte und viel größere Rücksichten auf den Herzog von Württemberg zu nehmen hatte als Dalberg, war weit mutiger als dieser; noch jung, in der Mitte der Dreißiger, Mutter von vier Söhnen und einer lieblich aufblühenden Tochter, empfand sie mit der Jugend, und Schiller durfte von ihr singen:


Ihr Adelsbrief – ein schönes Leben!

(Den hass' ich, den sie mitgebracht.)


Das Reisegeld verschaffte sich Schiller, indem er den „Fiesco" an Schwan verkaufte, den Druckbogen zu einem Louisdor; darüber hinaus reichte das Honorar gerade hin, die Rechnung im Viehhofe für Schiller und Streicher zu tilgen. Der arme Musikus musste sich nun eine neue Existenz in Mannheim schaffen, denn seine Mittel waren aufgezehrt, und nach Hamburg ist er nicht mehr gekommen.

Schiller aber fuhr, nur leicht gekleidet, in bitterer Winterkälte nach Bauerbach. Das kleine Dorf liegt zwei Meilen südlich von Meiningen, in einem einsamen Waldtale, unter den Ruinen des Schlosses Henneberg, wo ein halbes Jahrtausend früher mächtigere Beschützer der Dichtkunst gewaltet hatten. Aber, klein wie ihr Reich war, so herrschte Frau von Wolzogen doch unumschränkt darin, und keine neugierige Polizei forderte peinliche Auskunft von diesem Doktor Ritter, der mit dem Weihnachtsschnee ins Dorf gewirbelt kam. Über ein halbes Jahr hat Schiller hier gewohnt, an seinem neuen Trauerspiele, der „Luise Millerin", schaffend und andere dramatische Stoffe im Geiste wälzend, so namentlich den „Don Carlos", dessen Geschichte er in Bauerbach eingehend studierte. Mit Büchern versah ihn der Bibliothekar Reinwald in Meiningen, dem ihn Frau von Wolzogen empfohlen hatte; an diesen um zwanzig Jahre älteren, hypochondrischen und pedantischen Mann schloss sich Schiller eng an, so despektierlich er sich später, als Reinwald sehr zu seinem Verdrusse seine ältere Schwester geheiratet hatte, über den „Klotz" und „Philister" von Schwager geäußert hat.

In seiner Bauerbacher Einsamkeit aber hungerte ihn nach „edlen Menschen", und in Reinwald legte er seine eigenen stürmischen Empfindungen hinein. Er wollte sich wieder mit dem menschlichen Geschlechte versöhnen, mit dem er sich beinahe überworfen hätte, und wehrte den „Menschenhass" ab, der sich ihm aufdrängen wollte, weil einige unwürdige Charaktere sein warmes Gefühl betrogen hätten. So bekannte er seiner Beschützerin brieflich am 4. Januar 1783 und fügte hinzu: „Ich hatte die halbe Welt mit der glühendsten Empfindung umfasst, und am Ende fand ich, dass ich einen kalten Eisklumpen in den Armen hatte." Aber in demselben Briefe hieß es auch schon: „Dem Wetter wird schlechterdings nicht nachgefragt. Es ist schon schlimm genug, dass die Geisterwelt so viele Pläne zernichtet; die Körperwelt soll mir keine Stunde meines Lebens verderben", und vier Tage später schrieb er: „In meinen Adern siedet etwas – ich möchte gern in dieser holperichten Welt einige Sprünge machen, von denen man erzählen soll." In seinem weltverlorenen Winkel, mitten im großen Schaffen, kümmerte er sich doch um die kleinen Dinge seiner Umgebung; er dichtete einer Pflegetochter der Frau von Wolzogen ein Hochzeitskarmen, machte ein derbes Spottgedicht auf den Herzog von Coburg, der vorzeitige Erbgelüste bei einer Erkrankung des Herzogs von Meiningen verraten hatte, ließ sich sogar bereit finden, den Prolog zu einer Geburtstagsfeier am Meiningenschen Hofe zu schreiben, wenn es ihm auch nicht anders vorkam, als wenn einer aus der Schlacht käme und Flöhe fangen müsse, und er hielt für wichtig genug, an Frau v. Wolzogen zu melden, dass „ein Konfirmand, den Tag vor der Einsegnung, dem Verwalter zum Spott, hinter die Orgel hofiert haben soll in Mitte des Gottesdienstes". Gegen solchen Frevel empfahl Schiller, diesmal ein Anwalt feudaler Autorität, seiner Gönnerin, öffentlich die Autorität ihres obrigkeitlichen Vertreters zu stärken und ihm nur heimlich den Kopf zu waschen, soweit es nötig sei.

Wahre Festtage aber brachen für Schiller an, wenn Frau v. Wolzogen und ihr Töchterlein zum Besuche nach Bauerbach kamen. Dann brachte er das ganze Dorf auf die Beine, ließ eine Allee von Maien durch den Ort pflanzen und am Hofe des sehr bescheidenen Herrenhauses eine Ehrenpforte aus Tannenzweigen errichten. Es konnte denn auch gar nicht fehlen, dass er sich regelrecht erst in die noch immer anziehende Mutter und dann in die eben aufbrechende Knospe von Tochter verliebte. Die junge Lotte, ein einfaches Mädchen, scheint gar nicht gemerkt zu haben, welches Feuer sie entzündet hatte, aber im Verkehr mit der Mutter, die nun aus der „zärtlichsten Freundin" die „beste Mama" wurde, schäumte und sprudelte der Feuerkopf über. Als ein Besuch aus Stuttgart angemeldet wurde, in dem er einen Freier um die Lotte vermutete, drohte er mit seiner Abreise von Bauerbach, angeblich weil der neue Gast sein Inkognito verraten könne, während er seine wirkliche Sorge in den naiven Worten verriet: „Ich will ihm durchaus nichts von seinem Werte benehmen, denn er hat wirklich einige schätzbare Seiten – aber mein Freund wird er nicht mehr, oder gewisse zwei Personen müssten mir gleichgültig werden, die mir teuer wie mein Leben sind." Eine Versorgung, die Lotte am Hofe in Meiningen haben konnte, sollte sie nicht annehmen; „sagen Sie die ganze Pension ab, so will ich alle Jahre eine Tragödie mehr schreiben und auf den Titel setzen: Trauerspiel für die Lotte." Wenn es eine Zeit gab, wo ihn die Hoffnung eines unsterblichen Namens so gut gekitzelt hat wie die Galanterie ein Frauenzimmer, so gilt ihm jetzt alles gleich, „und ich trete Ihnen meine tragische Muse zu einer Stallmagd ab, wenn Sie sich Vieh halten. Wie klein ist doch die höchste Größe eines Dichters gegen den Gedanken, glücklich zu leben!"

So hübsch sich heut all das närrische Zeug in Schillers Briefen liest, und so nachsichtig es von dem Mutterherzen aufgenommen worden sein mag, vor dem es ausgekramt wurde, so scheint doch der guten Frau v. Wolzogen und auch wohl dem Dichter selbst allmählich die Erkenntnis aufgedämmert zu sein, dass sich ein vorläufiges Scheiden empfehle. Im Juli 1783 waren beide darüber einig. Es sollte kein Abschied für immer sein; Schiller ließ all seinen kleinen Kram in Bauerbach zurück und gedachte wiederzukehren; nur für eine gemessene Zeit wollte er nach Mannheim zurückgehen, um seine dramatischen Werke zu fördern.

Er konnte es mit Ehren tun, denn schon im Februar hatte Dalberg, der sich inzwischen überzeugt haben mochte, dass der Herzog von Württemberg auf eine Verfolgung verzichte, an ihn in einlenkendem Sinne geschrieben und den Wunsch nach einer neuen Verbindung ausgesprochen. Schiller hatte nun doch schon den Überschwang seiner Gefühle bändigen gelernt und antwortete mit würdiger Zurückhaltung, allein als Dalberg mit verbindlichen Komplimenten fortfuhr, überwand seine Sehnsucht nach dem Theater alle Bedenken.

Eine letzte Schwierigkeit schuf noch der leidige Mammon, aber auch sie wusste die freundliche Beschützerin zu beseitigen, indem sie sich bei einem sichern Israel für Schiller verbürgte. Am 24. Juli reiste er nach Mannheim ab.

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