Die letzten Lebensjahre

Die letzten Lebensjahre

Mit dem „Wallenstein" hatte Schiller die Höhe seines dichterischen Schaffens erreicht, im vierzigsten Jahre seines Lebens. Immer von schweren Leiden bedrängt, durfte er auf keine lange Frist mehr hoffen, und so warf er sich, nachdem er die dramatische Produktion als seinen eigensten Beruf erkannt hatte, um so rastloser auf sie.

Dadurch wurde ihm eine nähere Berührung mit dem Theater erwünscht, und er entschloss sich, Ende 1799 nach Weimar überzusiedeln. Seine Vorlesungen an der Universität hatte er schon seit 1793 eingestellt, und der Abschied von Jena wurde ihm durch manche Einbußen seines persönlichen Verkehrs erleichtert. Auch die nähere Verbindung mit Goethe zog ihn nach Weimar. Sogar der Herzog wollte ihn gern in Weimar sehen, nicht aus Bewunderung für Schillers Dichtungen, sondern aus dem geraden Gegenteil. Dieser desertierte Regimentsmedikus war dem braven Karl August, dem nach dem Zeugnis sogar einer Weimarer Hofdame sein preußisches Kürassierregiment mehr galt als alle Genies, die an seinem sogenannten Musenhofe lebten, eine fragwürdige Gestalt, und bei all seiner Soldatenspielerei vermochte er selbst dem waffenklirrenden „Wallenstein" keinen Geschmack abzugewinnen. Er scheint sich eingebildet zu haben, dass er Schillers Arbeiten besser beaufsichtigen könne, wenn ihr Urheber in Weimar lebe, und erhöhte auf Schillers Gesuch dessen Jahresgehalt von zwei- auf vierhundert Taler, um ihm das Leben in dem kostspieligeren Weimar zu ermöglichen.

Jedoch trotz der Hoffnungen, die Schiller auf seine Übersiedelung nach Weimar setzte, hat er durch sie mehr verloren als gewonnen. Allerdings hat er sich in sein dichterisches Schaffen nicht durch den Herzog dreinreden lassen, auch dann nicht, wenn die Kritik des Herzogs ausnahmsweise nicht ganz uneben war. Goethe und Schiller machten dem herzoglichen Geschmacke nur das Zugeständnis, dass sie gelegentlich ein französisches Drama auf die Weimarer Bühne brachten; für diesen Zweck übersetzte Goethe den „Mahomet" Voltaires und Schiller die „Phädra" Racines. Um dabei ihr künstlerisches Gewissen zu salvieren, schrieb Schiller die bekannten Stanzen „an Goethe, als er den Mahomet von Voltaire auf die Bühne brachte", wurde darin aber wieder nach seiner „verfluchten Gewohnheit" so „satirisch und scharf", dass der Geschmack des Herzogs eher verhöhnt als beschönigt wurde, so dass die vortrefflichen Strophen für ihren loyalen Zweck völlig unbrauchbar wurden. Aber wenn sich das Verhältnis zum Herzoge selbst leidlich gestaltete, so kam Schiller in Weimar, namentlich da nunmehr sein Schwager Wolzogen die erste Stelle unter dem Hofgesinde bekleidete, tiefer in den höfischen Klatsch und Tratsch hinein, als in Jena notwendig oder auch nur möglich gewesen wäre.

Das hätte sich ertragen lassen, wenn dafür Schillers Verhältnis zu den beiden Bewohnern Weimars, die ihm geistig ebenbürtig waren, um so inniger geworden wäre. Aber das gerade Gegenteil fand statt. Schillers Beziehungen zu Goethe wurden nunmehr, da beide fast Tür an Tür wohnten, viel lockerer, als sie bisher gewesen waren. Dass sich ihr Briefwechsel in einen ziemlich unbedeutenden Zettelverkehr verlor, würde an sich natürlich nichts beweisen, da sie nun desto häufiger sich persönlich sahen; auch blieb ihr persönlicher Umgang durchaus freundschaftlich und würdig, ohne jede Reibung; endlich hatten sie in dem praktischen Interesse am Weimarer Theater noch eine gemeinsame Tätigkeit. Aber sonst schlief ihre gemeinsame Arbeit in dem Maße ein, wie sich der alte Gegensatz wieder schärfte zwischen dem geborenen Künstler, der seine dichterischen Gebilde nach der Gunst der Stunde langsam reifen ließ, und dem poetischen Aufklärer, der die Poesie zum Sturme kommandierte, nachdem ihm die glänzende Waffenprobe des „Wallenstein" das Bewusstsein seiner Feldherrngabe erweckt hatte; Schiller murrte gegen Humboldt und Körner über Goethes „Hinschlendern", während Goethe die Bühnendichtung Schillers mit einem bedachtsamen Lobe beurteilte, das empfindlicher war als ein gelegentliches Scheltwort.

Als Schiller ihm im Januar 1804 den ersten Aufzug des „Tell" schickte, antwortete Goethe: „Das ist denn freilich kein erster Akt, sondern ein ganzes Stück, und zwar ein fürtreffliches, wozu ich von Herzen Glück wünsche und bald mehr zu sehen hoffe. Meinem ersten Anblick nach ist alles so recht, und darauf kommt es denn wohl bei Arbeiten, die auf gewisse Effekte berechnet sind, hauptsächlich an." Darauf schickte Schiller den zweiten Aufzug mit der großen Rütliszene, worauf Goethe erst gar nicht und dann, als Schiller ihn mahnte, so antwortete: „Hier kommt auch das Rütli zurück, alles Lobes und Preises wert. Der Gedanke, gleich eine Landesgemeinde zu konstituieren, ist fürtrefflich, sowohl der Würde wegen als der Breite, die es gewährt. Ich verlange sehr, das übrige zu sehen. Alles Gute zur Vollendung." Und als er das übrige erhalten hatte, schrieb er trocken: „Das Werk ist fürtrefflich geraten und hat mir einen schönen Abend verschafft." Es ist klar, dass dies dreimalige Betonen der „Fürtrefflichkeit", zusamt dem Seitenblick auf die „gewissen Effekte" etwas ganz anderes ist als die eingehende und fördernde Teilnahme, die Goethe vormals dem „Wallenstein" Schillers oder auch Schiller dem „Wilhelm Meister" Goethes gespendet hatte.

Ganz unerträglich gestaltete sich dann Schillers Verhältnis zu Herder. Schon bei seinem ersten Aufenthalte in Weimar hatte Schiller unbillig viel Klatsch über Herder an Körner gemeldet, obgleich dieser Getreue, der fast immer einen richtigen Instinkt für Schillers wahre Interessen hatte, ihn wiederholt drängte, sich an Herder so nahe wie möglich anzuschließen. Gerade in seinen jüngeren Jahren hätte Schiller von dem universalen Geiste Herders sehr fruchtbare Anregungen erhalten können. Möglich freilich, dass ihn gerade diese Universalität abstieß in jenen bedrängten Tagen, wo er darauf sehen musste, dass sich ihm auch „Lernen als Lernen rentiere", wo er sich in die für ihre Zeit großartige Geschichtsauffassung Herders nicht vertiefen konnte, ohne auf seine historische Brot- und Notarbeit zu verzichten. Dann stellte sich aber ein leidliches Verhältnis zwischen beiden Männern her, und an den „Horen" hat Herder fleißig mitgearbeitet.

Jedoch schon im Jahre 1797 schrieb Schiller an Körner: „Herder ist eine ganz pathologische Natur, und was er schreibt, kommt mir bloß vor wie ein Krankheitsstoff, den diese auswirft, ohne dadurch gesund zu werden. Er hat einen giftigen Neid auf alles Gute und Energische und affektiert, das Mittelmäßige zu protegieren. Goethen hat er über seinen Meister die kränkendsten Dinge gesagt. Gegen Kant und die meisten Philosophen hat er den größten Gift auf dem Herzen… Es muss einen indignieren, dass eine so große außerordentliche Kraft für die gute Sache so ganz verloren geht." Dies Urteil Schillers ist denn auch, kaum gemildert, in die bürgerliche Literargeschichte übergegangen; sie spricht von Herders „grämlicher Verbissenheit" und stellt ihn als „rechten Griesgram und Neidhart" den größeren Geistern Kant, Goethe, Schiller gegenüber; selbst Herders eigene Biographen nähern sich mehr oder weniger dieser Auffassung.

Gleichwohl ist sie durch und durch schief. Herders wirkliches Verfehlen fällt zusammen mit seinem wirklichen Verdienst. Er vertrat das Prinzip der historischen Entwicklung in einer Zeit, deren Aufgabe darin bestand, die historischen Trümmer einer überlebten Vergangenheit niederzureißen. Er gehörte zur bürgerlichen Aufklärung, aber wie ihr böses Gewissen; er besaß gerade die Fähigkeiten, die sie nicht hatte und nicht haben konnte, aber die sie hätte haben müssen, um zu siegen. Mehr ein ahnender als ein erkennender Geist, konnte sich Herder in der Beherrschung der formalen Denkmethode nicht mit Kant messen, und insoweit mag er sich in seiner Polemik gegen Kant arge Blößen gegeben haben, aber in der Sache hatte er vollkommen recht, wenn er sich vom Standpunkt des Spinozismus aus, den er mit Goethe und Lessing teilte, energisch gegen Kants Versuch erhob, den christlichen Dualismus in philosophischer Verkleidung wiederherzustellen. Ebenso war Herder auf dem Holzwege, wenn er gegenüber Goethe und Schiller sich auf die Lieblingsdichter seiner Jugend zurückzog, die Hagedorn und Haller und Kleist und den alten Gleim, mit dem gemeinsam er über das Verschwinden der „guten alten Zeit" klagte. Aber diese Torheiten entsprangen doch nicht, wie Schiller meinte, einem „giftigen Neid auf alles Gute und Energische", sondern dem sehr berechtigten Anstoß, den Herders universaler Geist an der einseitig ästhetischen Kultur nahm, die Goethe und Schiller pflegten.

Gerade der widerwärtige Skandal, der Herders letzte Tage verbitterte, zeigt ihn in einem günstigeren Lichte, als worin Goethe und Schiller standen. Anders als diese beiden, hatte er eine lebhafte Sympathie für die Französische Revolution bekundet, dadurch aber den Groll des Herzogs erweckt, der gewaltiglich ergrimmte, als in den Predigten seines Generalsuperintendenten ein Widerhall der mächtigen Bewegung jenseits des Rheines laut wurde. Nach Art solcher Winkeltyrannen rächte sich Karl August dadurch, dass er die von ihm feierlich übernommene Verpflichtung vergaß, für Herders Kinder zu sorgen. Als darauf Herders Gattin, eine cholerische Dame, an Goethe etwa in dem Sinne schrieb: Der Herzog soll sein Wort halten oder ihn soll der Teufel holen, antwortete nicht der Freund und auch nicht der Dichter, sondern der Hofmann: „Es ist bequemer, in extremen Augenblicken auf Schuldigkeit zu pochen, als durch eine Reihe von Leben und Betragen das zu erhalten, wofür wir doch einmal erkenntlich sein müssen." Immerhin erinnerte Goethe den Herzog an dessen Versprechen, und in seiner Weise löste es Karl August ein. So wollte er einem Sohne Herders eine Pachtung im Weimarischen überlassen, jedoch nur unter der Bedingung, dass der junge Herder die Witwe des bisherigen Pächters heirate. Auf diese Entwürdigung ließen sich Herders nicht ein; der junge Herder verließ Weimar und kaufte sich in Bayern an. Allein nach dem Kaufe erfuhr er, dass es ein Privilegium bayrischer Edelleute gebe, wonach sie jedem Bürgerlichen, der adlige Güter in Bayern ankaufe, während des ersten Jahres das erkaufte Gut für denselben Preis abnehmen dürften. Da ein bayrischer Junker sich sofort daran machte, mit diesem famosen Privilegium den jungen Herder zu vertreiben, so entschloss sich Herder, um den bayrischen Adel einzukommen. Er tat den für einen alten Adelsfeind peinlichen Schritt mit aller unter solchen Umständen nur möglichen Würde und ließ sich in dem Diplom ausdrücklich bescheinigen, dass er nur wegen jenes junkerlichen Privilegiums den Adel nachgesucht habe. Darüber bekam der Duodezdespot in Karl August wieder einen verrückten Anfall; er wollte zeigen, dass er „Herr in seinem Lande" sei, weigerte sich, Herders Adel anzuerkennen, ließ dafür auf eigene allerhöchste Kosten einen Adelsbrief vom Kaiser in Wien für Schiller verschreiben und diese Tatsache, zur Beschämung für Herder, mit Pauken und Trompeten in dem Weltreiche Weimar bekanntmachen.

Die schnöde Komödie zeigt, wie in einem Mikrokosmos, in welcher unendlichen Misere die „Weimarischen Riesen" leben mussten. Schiller persönlich spielte dabei zunächst zwar eine passive Rolle, aber es ist verständlich genug, dass sogar seine Frau sich bemüßigt fand, an einen Freund zu schreiben: „Aus dem Diplom kann jeder sehen, dass Schiller ganz unschuldig daran ist, und das ist es, was mich beruhigt." Leider kann man das aus dem Diplom nun aber nicht sehen. Denn da der Herzog die dichterische Tätigkeit Schillers nicht liebte, so durfte sie natürlich auch nicht als Ursache seiner „Standeserhöhung" angegeben werden, sondern neben Verdiensten um die Sprache brachte das Diplom in empfehlende Erinnerung, dass Schillers Vater unter den Reichstruppen gegen den rebellischen König von Preußen gefochten habe, worauf alle Kurfürsten, Fürsten, geistliche und weltliche Herren, Grafen und Freiherren „bei einer Pön von 50 Mark lötigen Goldes" gewiesen und verpflichtet wurden, „genannten Johann Christoph Friedrich von Schiller als Unseren und des heiligen römischen Reiches rechtgeborenen Lehens- und Turniergenossen zu erkennen, zu ehren und zu würdigen". Es ist nun sehr unwahrscheinlich, dass die Kriegstaten des ehemaligen herzoglichen Leutnants Schiller nach vierzig Jahren im Weimarischen noch lebendig gewesen sind; der Geheimrat Voigt, der das Diplom zu entwerfen hatte, kann nicht anders als durch den Dichter Schiller davon erfahren haben. Selbstverständlich sprach sich Schiller in seinen Briefen an Männer wie Körner und Humboldt achselzuckend über die „kahle Ehre" aus, die ihm widerfahren sei, aber schön war es auch nicht, dass er auf eine genauere Frage Körners die Beteiligung Herders an der hässlichen Sache verspottete.

Es ist eben unmöglich, dass auch die größten Geister Jahre- und jahrzehntelang in der verdummenden und verdumpfenden Atmosphäre eines solchen Fürstenhofes leben, ohne Schaden an ihrer Seele zu nehmen. Und darüber zu schweigen geziemt sich um so weniger, als gerade die Reflexe, die aus diesem trüben und trübseligen Milieu in die Werke Herders, Goethes und Schillers gefallen sind, oft genug als die eigentlichen Lichtpunkte in dem Geistesleben dieser Männer gefeiert werden. Von hier aus erklärt sich zum guten Teil auch, dass Schiller, sobald er nach Weimar übergesiedelt, allmählich von der Höhe herabzusteigen begann, die seine dramatische Tätigkeit im „Wallenstein" erreicht hatte.

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