Geschichte

Geschichte

Sobald sich Schiller entschlossen hatte, durch unermüdliche Arbeit seinen Lebensweg zu bahnen, führte er seinen Entschluss mit eiserner Energie aus. Zwölf und mehr Stunden währte sein Arbeitstag, und abends um acht Uhr stand sein Mittagessen oft noch unberührt auf seinem Tische.

Außer an der „Thalia", die er immer noch in unregelmäßiger Folge herausgab, ohne dass sie jedoch über ein kümmerliches Dasein hinausgelangte, arbeitete er an der „Jenaer Literaturzeitung" und an Wielands „Deutschem Merkur" mit, worin er die „Briefe über Don Carlos" und „Das Spiel des Schicksals" veröffentlichte, den letzten literarischen Zoll, den er seiner schwäbischen Vergangenheit widmete. Die kleine Arbeit, die an künstlerischer Vollendung noch den „Verbrecher aus verlorener Ehre" übertraf, erzählte die wechselvollen Schicksale seines Paten Rieger.

Hauptsächlich aber stürzte sich Schiller in die Historie; mit angestrengtestem Bemühen arbeitete er an der Geschichte der niederländischen Rebellion, die ihm durch den „Carlos" nahegelegt worden war. Er vertiefte sich so darin, dass er von seinem dichterischen Berufe gering zu denken begann, zum großen Verdrusse Körners, der spottend schrieb, Schiller schäme sich wohl, zur Kurzweil anderer Menschen zu existieren, und wage kaum, einem Brotbäcker unter die Augen zu treten. Als echter Kantianer hatte Körner keinen historischen Sinn; er meinte, durch seine historischen Arbeiten würdige sich Schiller zum Handlanger für die niedrigen Bedürfnisse gemeiner Menschen herab, während er berufen sei, über Geister zu herrschen.

Man kann nun nicht sagen, dass Schiller die Kritik seines Freundes glücklich abgewehrt habe. Er antwortete darauf wie Talleyrands Schneider: il faut vivre, man muss leben; Historienschreiben sei einträglicher als Tragödiendichten. Mit der Hälfte des Wertes, den er in einer historischen Arbeit zu geben wisse, erreiche er größere Anerkennung in der sogenannten gelehrten und in der bürgerlichen Welt als mit dem größten Aufwände seines Geistes für die Frivolität einer Tragödie. Für seinen „Carlos", das Werk dreijähriger Anstrengung, sei er mit Unlust belohnt worden; seine niederländische Geschichte, das Werk von fünf, höchstens sechs Monaten, werde ihn vielleicht zum angesehenen Mann machen. Erst in zweiter Reihe hob er hervor, bei einem großen Kopfe sei jeder Gegenstand der Größe fähig; sei er ein großer Kopf, so werde er in sein historisches Fach auch Größe legen.

Danach wären die historischen Arbeiten für Schiller im Wesentlichen doch nur Brot- und Notarbeit gewesen, und Niebuhrs wegwerfendes Urteil, wonach sie unbedingt nichtig seien, träfe das Richtige. Allein als Schiller so mit Körner stritt, war seine Auffassung durch den so berechtigten wie dringenden Wunsch beeinflusst, endlich einmal aus der Schuldenmisere herauszukommen, die ihm aus Stuttgart, Mannheim und auch noch aus Leipzig nachschleppte. Sieht man auch von früheren oder späteren Äußerungen Schillers ab, so bewies gerade ein Satz aus dieser Zeit, dass ihm eine tiefere Auffassung historischer Zusammenhänge nicht fremd war: „Eigentlich sollten Kirchengeschichte, Geschichte der Philosophie, Geschichte der Kunst, der Sitten und Geschichte des Handels mit der politischen in eins zusammengefasst werden, und dieses erst kann Universalhistorie sein." Aber freilich darf man nun auch wieder nicht so weit wie manche Biographen Schillers gehen und seinen geschichtlichen Arbeiten eine eigentümliche Stellung in der Entwicklung der historischen Wissenschaften einräumen.

Er kannte Montesquieu und Voltaire, und mit Herder lebte er sogar in einer Stadt, aber was die Geschichtsforschung diesen Männern an neuen Methoden zu danken hatte, das hat er nicht bemerkt oder nicht verstanden. Einige Sätze von ihm aus dieser Zeit, die oft zitiert werden, um den Weltbürger Schiller zu ehren, verkleinern in demselben Maße den Historiker Schiller. Sie lauten: „Wir Neueren haben ein Interesse in unserer Gewalt, das kein Grieche und kein Römer gekannt hat und dem das vaterländische Interesse bei weitem nicht beikommt. Das letzte ist überhaupt nur für unreife Nationen wichtig, für die Jugend der Welt. Ein ganz anderes Interesse ist es, jede merkwürdige Begebenheit, die mit Menschen vorging, dem Menschen wichtig darzustellen. Es ist ein armseliges kleinliches Ideal, für eine Nation zu schreiben; einem philosophischen Geiste ist diese Grenze durchaus unerträglich. Dieser kann bei einer so wandelbaren, zufälligen und willkürlichen Form der Menschheit, bei einem Fragment (und was ist die wichtigste Nation anders?) nicht stille stehen. Er kann sich nicht weiter dafür erwärmen, als soweit ihm diese Nation oder Nationalbegebenheit als Bedingung für den Fortschritt der Gattung wichtig ist." Wie kann der Geschichtsschreiber der niederländischen Rebellion und des Dreißigjährigen Krieges von der Nation als einer wandelbaren nicht nur, sondern willkürlichen und zufälligen Form der Menschheit sprechen, es sei denn, dass er die historischen Bewegungen, die er schildert, in ihren Triebfedern gar nicht erkannt hat? Und in der Tat geht Schiller in der „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges" so in die Irre, dass er den Widerstand der Einzelstaaten gegen die kaiserliche Gewalt als einen Kampf für die „deutsche Freiheit" auffasst.

Am treffendsten hat vielleicht Hebbel über den Historiker Schiller geurteilt, und als großer Dramatiker war er auch wohl am berufensten dazu. Er spricht über die Kontroverse zwischen Schiller und Körner und meint, es sei einer der besten Beweise für Schillers wahren Beruf zum Dichter, dass er ihn zeitweise ganz verkannt habe. „Wer immer vor der Muse auf den Knien liegt, den hat sie nie erhört." Dann aber sagt er, Körner habe doch Unrecht gehabt, sowenig Schillers Gegengründe besagen wollten. „Der Dichter, wenn er anders als solcher nicht bloß in Kommersbüchern und Vergissmeinnicht-Almanachen prangen will, hat gar nichts Wichtigeres zu tun, als sich des ganzen Gehaltes der Welt und der Zeit nach Kräften zu bemächtigen, denn dieser ist es ja, dem er eine neue Form aufdrücken soll. Er wagt weit weniger, wenn er das, was vor ihm gedichtet wurde, auf sich beruhen lässt, als wenn er sich träge an einer der großen Schatzkammern vorbeischleicht, in denen die Menschheit ihre Schätze aufbewahrt, und zu diesen gehört ja wohl auch die Geschichte." Von hier aus gewinnt man das richtige Urteil, das dem Historiker Schiller weder zu viel noch zu wenig tut.

Als Dichter brauchte er den historischen Stoff, und als Dichter hat er ihn zu beherrschen gewusst. War es der vielleicht ärgste Missgriff des Historikers, die partikularistische Zersplitterung Deutschlands als Bollwerk der „deutschen Freiheit" zu betrachten, so hat der Dramatiker nicht Gustav Adolf oder Bernhard von Weimar zu seinen Helden gemacht, sondern den kaiserlichen Generalissimus, der sich vermaß und daran unterging, die kaiserliche Gewalt wiederherzustellen, wie es zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges dem historischen Fortschritte entsprach. Als Dramatiker war Schiller auch ein großer Historiker, während seine historischen Schriften nur die Abfälle des Marmors sind, aus dem er die Gestalten seiner historischen Dramen meißelte.

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