Goethe und Schiller

III

Meisterjahre

Goethe und Schiller

Sechs Jahre hatten Goethe und Schiller nebeneinander gelebt, ohne je in eine andere als eine amtliche oder gelegentliche Berührung zu kommen. Es ist kein Zweifel, dass Goethe der ablehnende und zurückhaltende Teil gewesen ist, und er selbst hat darüber auch nie einen Zweifel gelassen.

Nicht so klar, wie die Tatsache selbst, sind ihre Gründe. Was Goethe an solchen Gründen angeführt hat, läuft darauf hinaus, dass er nach seiner Zurückkunft aus Italien, wo er sich zu größerer Bestimmtheit und Reinheit in allen Kunstsachen ausgebildet hätte, Kunstwerke, die ihn äußerst anwiderten, in großem Ansehen gefunden habe, so Heinses „Ardinghello" und Schillers „Räuber". Schiller sei ihm verhasst gewesen, weil ein kraftvolles, aber unreifes Talent gerade die ethischen und ästhetischen Paradoxen, von denen er sich zu reinigen bestrebt habe, recht im vollen hinreißenden Strom über das Vaterland ausgegossen hätte. Wie hätte er jene Produktion von genialem Wert und wilder Form überbieten können? So habe er alle Versuche abgelehnt, ihn mit Schiller zusammenzubringen.

Diese Darstellung Goethes ist Hunderte von Malen unbesehen nachgedruckt worden, und sie wird unfehlbar immer wieder angezogen, wo man von Goethes und Schillers Freundschaft spricht. Und doch genügt es, ein paar allbekannte Zahlen hinzuschreiben, um sofort zu erkennen, dass sie hinfällig ist. 1781 erschienen „Die Räuber", 1783 „Fiesco", 1784 „Kabale und Liebe". Dagegen reiste Goethe 1786 nach Italien und kehrte 1788 nach Weimar zurück. Er fand, soweit es sich um Schiller handelte, gar keine andere Lage vor, als schon jahrelang vor seiner italienischen Reise bestanden hatte, oder soweit eine Änderung bestand, war sie eine Besserung in seinem Sinne, denn die Kraftdramatik war 1788 verschollener als 1786. Das erste Gedicht Schillers, das er nach seiner Rückkehr las und lobte – nur dass er es zu lang fand –, waren „Die Götter Griechenlands".

Damit soll selbstverständlich Goethe keiner Unwahrhaftigkeit geziehen werden. In seinen alten Tagen sind ihm beim Rückblick auf frühere Zeiten oft Irrtümer untergelaufen; man denke nur an die „berühmte Stelle", wo er die Söldner des alten Fritz zu Geburtshelfern unserer klassischen Literatur ernannte. Aber um auch nur bei Schiller zu bleiben, so hat Goethe später gerade die fruchtbarste Zeit ihres Zusammenwirkens mit den verächtlichen Worten abgetan: „Was habe ich mit Schiller an den Horen und Musenalmanachen nicht für Zeit verschwendet! Gerade in diesen Tagen, bei Durchsicht unserer Briefe, ist mir alles recht lebendig geworden, und ich kann nicht ohne Verdruss an jene Unternehmungen zurückdenken, wobei die Welt uns missbrauchte und die für uns selbst ganz ohne Folgen waren." Das ist sicherlich in gutem Glauben gesagt, aber ebenso sicher hinfällig, obgleich Goethe frisch von der Durchsicht des urkundlichen Materials kam.

Von ganz entgegengesetzten Richtungen her waren die Lebenswege beider Männer gelaufen, bis sie sich endlich trafen. Goethe gehörte als Frankfurter Ratsherrnkind und als Minister in Weimar zu den herrschenden Klassen seiner Zeit; seine Rebellion gegen die Misere der deutschen Zustände war die Rebellion eines genialen Künstlers gegen ein dumpfes und kläglich gebundenes Philisterleben; an den sozialen Zuständen rüttelte er auch dann nicht, wenn er rebellierte. Gerade aber im Kampfe mit diesen Zuständen war Schiller als Dichter emporgewachsen, und als er das unwürdige Joch nicht mehr spürte, gegen das er sich wieder und wieder aufgebäumt hatte, hatten ihn qualvolle Zweifel an seinem dichterischen Beruf ergriffen, Zweifel, wie sie Goethe nie gekannt hat. Goethe war immer der große Künstler, der nicht anders als in der Atmosphäre der Kunst leben und weben konnte, bei dem das „Angeschaute und Empfundene und Erfahrene zu dem verstandensten Ausdruck drängte, ohne durch die Erkenntniskraft durchgedrungen zu sein"; Schiller gehörte im letzten Grunde zu den bürgerlichen Aufklärern, in die Reihe der Diderot und Rousseau und Voltaire, der Lessing und Herder, die auf dem Gebiet der Ästhetik, der Historie, der Philosophie, der Poesie nach vernichtenden Waffen gegen die feudale Weltanschauung suchten.

Freilich stärker als in ihnen allen überwog in ihm die dichterische Gabe, und erst in ihrem Elemente wurde ihm das Ästhetische, Historische und Philosophische lebendig. Aber mit souveräner Machtvollkommenheit schaltete sein künstlerisches Vermögen nicht. Einer seiner Biographen sagt treffend: Goethe findet seine Stoffe, Schiller sucht sie, und noch treffender meinte Hebbels Künstlernatur, die gründliche Analyse von Schillers Arbeiten zeige, dass der Schöpfungsakt bei ihm nicht rein gewesen, dass Zeugen und Machen bei ihm nicht unmittelbar zusammengegangen, sondern weit auseinandergefallen sei. Die Tatsache trete nicht immer gleich schneidend hervor, aber sie verleugne sich fast nirgends und gebe Schillers Dichtungen, den dramatischen sowohl wie den lyrischen, etwas Zwitterhaftes, das ihnen, wie den Dichtungen Rousseaus, zwischen glühenden Phantasiegeburten und kalten Verstandeshervorbringungen einen Platz in der Mitte anweise.

Der innere Gegensatz zwischen beiden Dichtern war niemals zu überwinden, auch durch die Kantische Philosophie nicht und durch sie am allerwenigsten. Schiller selbst nennt Goethes Geistesart einmal intuitiv, die seinige aber spekulativ; Goethe steige vom Individuum zur Idee, während ihm zuerst die Idee gegeben sei, von wo er zum Individuum herabsteige. In der Tat meinte Goethe selbst, dass er für Philosophie im eigentlichen Sinne des Wortes keine Begabung habe; er liebte nicht das „Hinpfahlen allgemeiner Begriffe", wie er einmal mit einem bezeichnenden Ausdrucke sagte. Nur für Spinoza hatte er ein tieferes Verständnis und auch nur für die großen Grundgedanken dieses Philosophen: für die Einheit alles Seienden, die Gesetzmäßigkeit alles Geschehens, die Einerleiheit von Geist und Natur. Die Schriften Spinozas wollte Goethe doch nicht unterschreiben, von Spinozas „mathematischer und rabbinischer Kultur" nichts wissen. An Kants Philosophie konnten ihn nicht einmal die Grundgedanken anziehen; er lehnte sie im günstigsten Falle höflich ausweichend ab, manchmal aber auch sehr derbe; nur an Kants Ästhetik hatte er seine Freude, da er hier in klare Gesetze gefasst fand, was er selbst im genialen Schöpferdrange unbewusst gewirkt hatte.

Die grundverschiedene Art beider Dichter, eben als Dichter, erklärt leicht, weshalb sich Schiller von Goethe ungleich mehr angezogen fühlen musste als Goethe von Schiller. Mit jener so ehrlichen wie scharfen Selbstkritik, die ihm eigen war, sah Schiller in Goethe ein Muster und Vorbild, dessen fördernde Teilnahme ihm von entscheidendem Werte sein musste, so wenig er sich darüber täuschte, dass er es niemals erreichen könne. Nicht etwa nur zur Zeit, wo beide befreundet waren, nannte er sich einen „poetischen Lumpen" im Vergleiche mit Goethe, sonderte er in seinem Aufsatze „Über naive und sentimentalische Dichtung" scharf, was sie trennte, gab er in den Gedichten vom „Genius" und vom „Glück" wundervolle Bilder von Goethes Eigenart. Auch schon als er noch hoffnungslos um Goethes Freundschaft warb, wies er bescheiden das Lob ab, das ihm Körner auf Goethes Kosten spenden wollte, und wenn die bürgerlichen Literarhistoriker sich über die „niedrigen und widrigen" Äußerungen aufregen, die Schiller in dieser Zeit des Harrens über Goethe getan haben soll, so suchen sie das Niedrige und Widrige jedenfalls am falschen Orte, wenn sie die unwirschen Worte aufstechen, die Schiller jeweilen im Zorne verschmähter Liebe über „diesen Menschen" geäußert hat, der ihm nun einmal im Wege sei. Das sind kleine Menschlichkeiten, durch die Schiller nur dann verlieren könnte, wenn er wirklich der sentimentale Schmachtlappen gewesen wäre, zu dem er leider allzu oft gemacht worden ist.

Gesunde Naturen werden vielmehr nur höhere Sympathie für Schiller empfinden, wenn er über den ihm unnahbar gegenüberstehenden Goethe räsoniert: „Ich betrachte ihn wie eine stolze Prüde, der man ein Kind machen muss, um sie vor der Welt zu demütigen. Eine ganz sonderbare Mischung von Hass und Liebe ist es, die er in mir erweckt hat, eine Empfindung, die derjenigen nicht ganz unähnlich ist, die Brutus und Cassius gegen Cäsar gehabt haben müssen; ich könnte seinen Geist umbringen und ihn wieder von Herzen lieben. Goethe hat auch viel Einfluss darauf, dass ich mein Gedicht (die Künstler) gern recht vollendet wünsche. An seinem Urteile liegt mir überaus viel… Weil mir nun überhaupt nur daran liegt, Wahres von ihm zu hören, so ist dies gerade der Mensch unter allen, die ich kenne, der mir diesen Dienst tun kann. Ich will ihn auch mit Lauschern umgeben, denn ich selbst werde ihn nie über mich befragen." Man hat in diesen Worten den Menschen Schiller viel echter als in allen feierlichen Sentenzen, die aus seinen Werken zitiert werden.

Goethe konnte sich nicht ebenso zu Schiller hingezogen fühlen, aber da er sehr gut wusste, dass Schiller nicht mehr der Dichter der „Räuber" war, so schien auch für ihn kein Grund vorzuliegen, sich einem so beharrlichen Werben zu entziehen. Dennoch gab es einen solchen Grund, der sofort in die Augen springt, wenn man einige trockene Tatsachen nebeneinander stellt. Im Sommer 1786 war Goethe als der Geliebte der Frau v. Stein nach Italien gereist, aber nicht als ihr Geliebter war er im Juni 1788 zurückgekehrt. Im Juli schloss er seine Gewissensehe mit Christiane Vulpius, im September traf er zum ersten mal mit Schiller zusammen, im intimen Kreise der Frau v. Stein, demselben Kreise, der von nun an einen gräulichen Klatschkrieg gegen die arme Christiane eröffnete, deren einzige Schuld darin bestand, von Goethe geliebt zu werden und dennoch nur eine kleine Arbeiterin aus einer Blumenfabrik zu sein.

Einer Rettung Christianes vor all dem giftigen Klatsche, den die Weiber des Hofadels gegen sie losgelassen haben, bedarf es heute nicht mehr. Sie hat zwei Ehrendenkmale, die unzerstörbar sind: die Briefe von Goethes Mutter und den Kranz unsterblicher Lieder, womit Goethe sie geschmückt hat. Noch als er, nahezu achtzig Jahre alt, einmal von seinem Gartenhäuschen in den Park blickte, wo sie ihm zuerst begegnet war, brach es, wie ein frischer und warmer Quell, mitten durch die schnörkelhaften Reime seiner Chinesisch-deutschen Lieder:


War schöner als der schönste Tag,

Drum muss man mir verzeihen,

Dass ich sie nicht vergessen mag,

Am wenigsten im Freien.

Im Garten wars, sie kam heran,

Mir ihre Gunst zu zeigen;

Das fühl' ich noch und denke dran

Und bleib' ihr ganz zu eigen.


Als Goethe und Christiane ihren Bund schlossen, waren beide frei und verletzten die Rechte keines dritten; so waren gerade die edlen Hofdamen zu Sittenrichterinnen über sie berufen, die, wie Frau v. Stein, Frau v. Kalb, Frau v. Beulwitz-Wolzogen, als Gattinnen und Mütter ganz andere Dinge auf dem Kerbholze hatten, auch dann, wenn sie, wie die Kalb in ihrem Verhältnis zu Schiller, ihre anatomische Unschuld klüglich und kläglich bewahrt und damit selbst auf das Recht der Leidenschaft verzichtet hatten. Vermutlich die einzige von der ganzen Gesellschaft, die wenigstens vom beschränkt-philiströsen Standpunkte aus über Christiane schmälen durfte, ohne sich selbst verächtlich zu machen, war Lotte Schiller, und sie hat, als Schildträgerin der Frau v. Stein, von diesem erhabenen Vorrechte den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Am schlimmsten allerdings erst nach Schillers Tode, wo sie, als Christiane mit Goethe auch kirchlich verbunden war, vor der „Frau Geheimrätin" ihre Kratzfüße machte, um hinter ihrem Rücken desto schnödere Witzchen über die „dicke Hälfte" zu reißen. Aber auch Schiller selbst hat sich von diesen trüben Dingen nicht ferngehalten; er hat den Herzensbund, den Goethe mit Christiane geschlossen hatte, nicht mit so freimenschlichem Auge betrachtet wie der Generalsuperintendent Herder und selbst der Herzog Karl August. Dem dramatischen Schmarren, worin sich Frau v. Stein an Goethe als verlassene Dido rächte, rühmte er einen schönen, stillen, sanften Geist nach, und in seinen Briefen an Körner trat er den Klatsch der höfischen Frauenzimmer nicht ohne Behagen breit. Zum ersten mal schrieb er darüber im November 1790, worauf Körner als verständiger Mann abwehrend antwortete, aber allmählich höhlte der Tropfen auch diesen Stein, und gerade zehn Jahre später, als Schiller wieder über die „elenden häuslichen Verhältnisse" Goethes jammerte, fing nun auch Körner im echtesten Biedermeierston an zu klagen, dass Goethe selbst nicht ein Geschöpf achten könne, das sich ihm unbedingt hingegeben habe. Aus Goethes Briefwechsel mit seiner Mutter ist nunmehr hinlänglich bekannt, dass die „elenden häuslichen Verhältnisse", über die sich diese teilnehmenden Seelen die Haare ausrauften, nie bestanden haben. Unzweifelhaft schrieb Christiane noch um einige Grade unorthographischer als die adligen Klatschbasen, aber dafür hatte sie das Herz auf dem rechten Flecke, und wenn sie sich nicht auf höfischen Trödel verstand, so hatte sie arbeiten gelernt und hielt das große Hauswesen Goethes bei verhältnismäßig beschränkten Mitteln trefflich zusammen. Gestört wurde ihr Herzensbund allein durch die aufdringliche Einmischung einer missgünstigen Außenwelt, und es gehört zu den unerfreulichsten Seiten in Schillers Leben, dass auch er, als Mann einer beinahe zur Hofdame gediehenen Frau, die Nase über den Olympier gerümpft hat, der sein eheliches Lager mit einem proletarischen Dirnchen teilte und auf dem blühenden Nacken des lieblichen Kindes mit leise fingernder Hand das Maß seiner unsterblichen Lieder zählte.

Bei der unglaublichen Enge der Verhältnisse, wie sie damals in Weimar und Jena bestanden, konnte es für Goethe kein Geheimnis bleiben, wie man im Hause Schillers über sein häusliches Leben dachte. So erklärt sich die kühle Reserve, die Goethe gegen Schiller beobachtete, und ganz sind diese Schatten zwischen ihnen auch dann nicht gewichen, als sie Freunde geworden waren. Die Aufforderung Schillers zur Mitarbeit an den „Horen" beantwortete Goethe noch mit gemessener Höflichkeit, und erst als sie einige Wochen darauf bei einer zufälligen Begegnung in Jena ein längeres Gespräch hatten, kamen sie sich näher. Auf diese Unterhaltung hin, die seine „ganze Ideenmasse" in Bewegung gebracht hatte, schrieb Schiller am 23. August 1794 an Goethe und warb lebhaft um dessen Freundschaft, indem er durch lichtvolle Bemerkungen über Goethes dichterischen Genius sich als fähig erwies, ihn zu verstehen, und als würdig, mit ihm zu schaffen. Und nun fand er freundliches Gehör.

Aber eine Freundschaft, wie sie Schiller mit Körner verband oder wie sie Goethe nicht nur in jüngeren Jahren mit Herder, sondern auch noch in späteren Tagen mit Zelter geschlossen hat, ist ihnen nicht erwachsen. Als Goethe nicht lange vor seinem Tode noch ihren Briefwechsel herausgab, kritisierte Börne die Stellung der beiden Freunde mit den Worten: „Goethe vergisst nie seine Lehnsherrlichkeit über Schiller, man sieht ihn oft lächeln über dessen Zimperlichkeit und ihn als einen blöden Buchdichter gnädig und herablassend behandeln." Das ist in dieser Form übertrieben und selbst unrichtig; wenn Schiller in dem Briefwechsel durchaus als der Werbende erscheint, so ergibt sich dies aus dem Unterschied der Begabung und der Jahre, und Goethe dachte in der Tat zu groß, um deshalb den Ton gnädiger Herablassung anzuschlagen. Aber einen Ton bestimmter Zurückhaltung spürt jeder unbefangene Leser in den Briefen Goethes an Schiller. Es ist auch bezeichnend, dass, während Schillers Frau in den 999 Nummern des Briefwechsels viele Male erscheint, Christiane von jedem der Briefschreiber nur je einmal erwähnt wird: von Goethe in der würdigen, mit seiner späteren Äußerung, wonach Christiane immer seine Frau gewesen sei, durchaus übereinstimmenden Form: „Heute (am 13. Juli 1796) erlebe ich auch eine eigene Epoche, mein Ehestand ist eben acht Jahre und die Französische Revolution sieben Jahre alt"; von Schiller in der ungeschickten und verletzenden Art, dass er drei Monate später beiläufig an Goethe meldet, er habe an „Mademoiselle Vulpius" geschrieben, ihm, wenn sie dazu kommen könne, in Goethes Abwesenheit etwas aus dessen Bibliothek zu besorgen. Goethe meldet Geburt und Tod seiner Kinder, Schiller gratuliert und kondoliert, die Söhne beider Dichter verkehren miteinander, aber die Mutter von Goethes Kindern wird nie erwähnt. Wie sich dieser seltsame Verkehr bei den tage- und wochenlangen Besuchen Schillers im Hause Goethes gestaltet haben mag, ist nicht mehr zu ersehen.

An diesen unerfreulichen Dingen sachte vorbei zu schleichen, wie es die bürgerlichen Literarhistoriker tun, ist ebenso verkehrt, wie es verkehrt sein würde, darüber zu vergessen, dass Goethes und Schillers zehnjähriges Zusammenwirken der Gipfel unserer klassischen Literatur war, von dem unzählige befruchtende Strome in das geistige Leben der Nation geflossen sind. Sich über die dumpfen und engen Verhältnisse hoch erhoben zu haben, in denen zu leben sie verurteilt waren, macht ihren Ruhm aus, aber wie sie in ihrer dünnen Höhenluft atmen konnten, begreift man erst, wenn man die widrige Wirtschaft des Winkels kennt, in der ihrer sonst der geistige Tod geharrt hätte.

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