In der Heimat

In der Heimat

Im Februar 1793 fragte Schiller beim Erbprinzen von Augustenburg an, ob er die „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen" an ihn richten dürfe, aber erst zwei Jahre später begannen sie öffentlich zu erscheinen. In die Zwischenzeit fällt eine tiefgreifende Umwandlung von Schillers Leben.

Im August 1793 trat er eine längere Besuchsreise in die alte Heimat an, in erster Reihe, um seinen siebzigjährigen Vater wiederzusehen, nachdem ihn die Mutter und die jüngste Schwester schon ein Jahr früher in Jena aufgesucht hatten. Auch sonst wohl trieb es ihn, die alten Stätten wiederzusehen; „die Liebe zum Vaterlande ist sehr lebhaft in mir geworden", sagte er, „und der Schwabe, den ich ganz abgelegt zu haben glaubte, regt sich mächtig". Im Grunde ist er bei aller weltbürgerlichen Gesinnung immer ein echter Schwabe geblieben, auch darin, dass ihm der schwäbische Kanton stets das „Vaterland" war.

Eine frohe Hoffnung begleitete ihn auf die Reise; im September gebar ihm seine Lotte das erste Kind, einen Sohn. Es war ihm, als ob er die auslöschende Fackel seines Lebens an einer anderen angezündet sähe, und er fühlte sich ausgesöhnt mit dem Schicksal. Denn auch die Krankheit war seine Begleiterin auf der Reise geblieben und die nagende Sorge um die Zukunft und der Zweifel an seinem eigenen Genius, der, wie er klagte, durch gar keine wohltätige Berührung von außen gestärkt und erneuert werde. Es war in dieser schwäbischen Zeit, wo sich einmal der schmerzliche Seufzer von seinen Lippen rang: „Gebe der Himmel, dass meine Geduld nicht reiße, und ein Leben, das so oft von einem wahren Tode unterbrochen wird, noch einigen Wert bei mir behalte."

Aber dennoch schlossen seine Kampfesjahre mit dieser Rückkehr in die Heimat ab, wie sie einst mit der Flucht aus ihr begonnen hatten. Das Wiedersehen mit den alten Kameraden von der Karlsschule zeigte ihm, wie weit er über sie hinausgewachsen war; er fand sie „verbauert", während er ihnen als „vollendeter Mann" imponierte. „Er war ein ganz anderer Mann geworden", schreibt einer von ihm, „sein jugendliches Feuer war gemildert, er hatte weit mehr Anstand in seinem Betragen, an die Stelle der vormaligen Nachlässigkeit in seinem Anzuge war eine anständige Eleganz getreten, und seine hagere Gestalt, sein blasses kränkliches Aussehen vollendeten das Interessante seines Anblicks. Leider war der Genuss seines Umgangs häufig, fast täglich, durch seine Krankheitsanfälle gestört, aber in den Stunden des Besserbefindens – in welcher Fülle ergoss sich da der Reichtum seines Geistes." Dannecker, ebenfalls ein Zögling der Karlsschule, meißelte dazumal die berühmte Büste Schillers, denn „der Schwabe muss dem Schwaben ein Monument machen", und auch auf der Karlsschule selbst konnte Schiller sich unter großem Jubel zeigen, da sein alter Widersacher Karl Eugen bald nach seiner Ankunft gestorben war.

So verlebte Schiller im Schwabenlande glückliche Tage. Von Heilbronn, wo er zuerst gelandet war, siedelte er nach Ludwigsburg und Stuttgart über, immer in regem Verkehr mit den Seinen auf der Solitüde. Der Vater, der lange Jahre „mit mehr Furcht als Hoffnung" die „Umwege" des „lieben Fritz" verfolgt hatte, war nun voll Stolzes auf den berühmten Sohn. Eine Verstimmung in das glückliche Familienleben brachte nur Karoline v. Beulwitz, die auch nach Schwaben gekommen war und hier endlich ihren Wilhelm v. Wolzogen erhörte. Sie ging mit ihm nach der Schweiz, noch ehe die Scheidung von ihrem Manne ausgesprochen worden war; weniger wohl dieser Verstoß gegen die heilige Ordnung erkältete die einst so feurigen Beziehungen Schillers zur Schwester seiner Frau, als weil er meinte, dass „diese zwei Leute" gar nicht zusammen passten. Sie haben sich dann geheiratet und gingen nach Weimar, wo Wolzogen Kammerherr und Oberhofmeister, Geheimrat und Minister wurde, durch den großen Mäzen Karl August, über dessen Kräfte es ging, für den bürgerlichen Schwager, und mochte er auch Friedrich Schiller heißen, mehr als ein Almosen von jährlich zweihundert Talern aufzubringen.

Zum Glück gewann jetzt Schiller in Schwaben einen unternehmenden Verleger, der ihn fortan aller Sorgen um die gemeine Notdurft des Lebens überhob. Noch immer unermüdlich im Pläneschmieden, hatte er längst den Plan einer großen Monatsschrift erwogen, um die sich die ersten literarischen Kräfte Deutschlands scharen sollten, aber bei seinem alten Verleger Göschen dafür kein Interesse gefunden. Dagegen ging der Buchhändler Johann Friedrich Cotta in Tübingen gern darauf ein, und er ist für Schiller mehr als ein geschickter und wohlwollender Verleger, er ist ihm ein Freund geworden, auf dessen Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit steter Verlass war. Der Briefwechsel, den sie geführt haben, stellt beiden Männern ein gleich günstiges Zeugnis aus; in allen Geldsachen sind sie immer als anständige Leute miteinander ausgekommen, und es war nicht zu Schillers Schaden, dass manche seiner kühnen Projekte bei Cotta nur die theoretische Anerkennung fanden, dass sie „Großes und Originelles" enthielten. Cotta dachte deshalb nicht kleinlich und bewies es gleich bei Beginn ihrer Freundschaft. Er wallte den Dichter erst für die Redaktion eines großen Tageblattes gewinnen, das er zu gründen beabsichtigte und als „Allgemeine Zeitung" auch gründete, aber sobald Schiller ablehnte, ging er gern auf dessen Plan ein, der von vornherein zu ideal angelegt war, um geschäftlich große Aussichten zu bieten. Als Schiller in der Mitte des Mai nach Jena zurückkehrte, war es beschlossene Sache, dass die neue Zeitschrift unter dem Titel der „Horen" vom Januar 1795 ab erscheinen sollte, unter dem Namen der drei schwesterlichen Göttinnen, in denen der Grieche die welterhaltende Ordnung, den gleichmäßigen Rhythmus des Sonnenlaufs verehrte. Einen Monat später richtete Schiller an Goethe die Aufforderung zur Mitarbeit an den „Horen", und von nun an begann die Freundschaft der beiden Männer, mit der sich Schillers Meisterjahre eröffnen.

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