Kinderzeiten

Kinderzeiten

In den tragikomischen Feldzügen des Herzogs war auch Schillers Vater mit marschiert. Er half, wie die bürgerliche Literarhistorie rühmend meldet, „in treuer Hingabe" die meuternden Truppen bändigen. So rückte er schnell zum Fähnrich auf, und dann auch zum Leutnant, nachdem er, ein frommer Mann, in den böhmischen Winterquartieren nach der Schlacht bei Leuthen seine Leute „in einiger Religionsverfassung" gehalten und auch seine alten Feldscherkünste wieder hervorgesucht hatte, als eine bösartige Seuche im Lager ausbrach.

In der langen Zeit, die Rieger brauchte, um im Jahre 1759 die neuen zwölftausend Mann als französisches Kanonenfutter zu pressen, lag der Leutnant Schiller in einer Garnison unweit Marbachs und kam häufig mit seiner Gattin zusammen. Sie trug ein Kind unterm Herzen, als Ende Oktober endlich der Ausmarsch erfolgte, und es heißt, dass die Vorzeichen der Geburt sie überrascht hätten, als sie im Lager von Ludwigsburg erschienen sei, um sich von ihrem Manne zu verabschieden. Allein wenn gesagt worden ist, dass der Ungeborene schon den kriegerischen Hall der Waffen vernommen habe, so war die herzoglich württembergische Sorte „kriegerischen Halls" wenig dazu angetan, den Dichter des „Wallenstein" zu erwecken. Ungleich nüchterner und trauriger klingt es, ist aber leider ebenso viel wahrscheinlicher, dass die Angst und Sorge der Mutter um das unruhige Kriegsleben des Vaters die Schwächlichkeit des Knaben verursacht habe, der am 10. November 1759 geboren wurde. So bezeugt seine ältere Schwester, die ihn um mehr als vierzig Jahre überlebt hat, wie denn auch die Eltern ein hohes Alter erreichten.

Seine ersten Lebensjahre verlebte der kleine Friedrich unter der alleinigen Obhut der Mutter, die in ärmlichen Verhältnissen hauste; als Wächter des Niklastores in Marbach fristete der verarmte Gastwirt Kodweiß ein kümmerliches Dasein. Auch blieb Schmalhans noch Küchenmeister, als sich Ende 1763 die Gatten wieder vereinigten und ihren Wohnsitz in dem Dorfe Lorch an der württembergischen Grenze nahmen.

Der nunmehrige Hauptmann Schiller war hierher als Werbeoffizier kommandiert worden. Man hat ihn deshalb zu entschuldigen gesucht und namentlich gesagt, er habe anfangs nicht gewusst, dass die geworbenen Truppen an Holland zum Dienst in überseeischen Kolonien verkauft werden sollten, und sich, sobald es bekannt wurde, mit Unlust zu dem traufigen Geschäft hergegeben. Jedoch ist dies Gerede nur charakteristisch für den blinden Eifer der bürgerlichen Literarhistoriker, die gleich mit dem Beschönigungspinsel losfahren, weil sie einmal von Schubarts Kapliede und Schillers „Kabale und Liebe" gehört haben.

Der Menschenschacher, den der Herzog mit Holland trieb, fiel erst zwanzig Jahre nach dem Werbedienste des Hauptmanns Schiller in Lorch, und an diesem Dienst als solchem nahm damals kein Offizier irgendwelchen Anstoß. Auch der zarte Frühlingssänger v. Kleist hat als preußischer Offizier den Menschenfang in der Schweiz ohne alle Gewissensbisse betrieben und deshalb selbst Lessings Freundschaft nicht eingebüßt. Im Übrigen ist mit einiger Sicherheit anzunehmen, dass der Werbeoffizier Schiller kein großes Unheil angerichtet hat, denn zum Werben gehörte Geld, und er hat in dieser Lorcher Zeit bei den ewigen Geldnöten des Herzogs selbst sein bisschen Gehalt nur saumselig oder auch gar nicht erhalten.

Eher fällt ein Schatten auf ihn durch die „treue Hingabe", die er im Siebenjährigen Kriege dem herzoglichen Dienste geleistet hat, und durch die Gnade, die er bei Rieger genoss, den er zum Taufpaten seines Sohnes wählen durfte. Doch der tüchtige Kern seines Wesens arbeitete sich durch alle Wirrnis einer elenden Zeit hindurch, und obgleich er sogar noch dem herzoglichen Dienste eine gedeihliche und gemeinnützige Tätigkeit abgewinnen sollte, so ist er von Anfang an für seinen Stammhalter auf ein besseres Los bedacht gewesen. In Lorch entwickelten sich die ersten Charakterzüge des Knaben in einer Weise, die auch wir noch erkennen können. Die Plage der Eltern minderte nicht die Lust der Kinder, die sich, wie die Schwester den Bruder noch kurz vor seinem Tode erinnerte, in Lorch „vorzüglich wohl" befanden. Landschaftliche Reize verknüpften sich hier mit historischen Erinnerungen. Lorch ist eine altrömische Niederlassung, in seiner unmittelbaren Nähe erhob sich die Stammburg der Hohenstaufen, und in seiner Umgebung trat dem Knaben zuerst die katholische Welt leibhaftig entgegen. Hier empfing er von einem würdigen Pfarrer den ersten Unterricht, und hier verkündete sich seine erste Neigung, den geistlichen Beruf zu ergreifen. Nicht als ob er ein Duckmäuser und Kopfhänger gewesen wäre, aber aufgeweckt, gutherzig, munter, lustig unter lustigen Gespielen, wie er war, hatte er seine nachdenklichen und träumerischen Stunden, und früh prägte sich ein lehrhafter Zug in ihm aus, indem er von einem Stuhle wie von einer Kanzel herab seine Bibelsprüche und Gesangbuchverse predigte.

Diese Neigung des siebenjährigen Knaben haben die Eltern durchaus gehegt und gepflegt, die Mutter wie der Vater, dem neben aller Frömmigkeit die Erwägung nahe getreten sein mag, dass ein württembergischer Prälat auch in weltlichen Landessachen mehr bedeute als ein halbverhungerter Werbeoffizier. Als er Ende 1766 in ein Ludwigsburger Regiment versetzt wurde, brachen freundlichere Tage für die Familie herein, aber das Leben in der Fürstenresidenz änderte für Friedrich nichts an dem, was in dem idyllischen Lorch herangereift war. Ludwigsburg gehörte zu jenen künstlichen Stadtgründungen, in denen sich im 18. Jahrhundert die Launen der kleinen Despoten gefielen. Der Herzog Eberhardt Ludwig hatte die Stadt wenige Jahrzehnte vorher erbaut, um die Stuttgarter zu strafen, weil sie seiner Dirne Grävenitz nicht die gebührende Reverenz erwiesen; nach seinem Tode halb schon wieder verfallen, wurde sie von Karl Eugen von neuem aufgebaut, ebenfalls um das unbotmäßige Stuttgart zu züchtigen. Gerade in den sechziger Jahren sah Ludwigsburg all die zuchtlose Verschwendung des schwäbischen Sultans, seinen Hofstaat von zweitausend Personen, darunter zweihundert Edelleute, zwanzig Prinzen und Reichsfürsten, seinen Marstall von achthundert Pferden, seine italienischen Sänger und Tänzer, seine Bälle, Konzerte, Redouten, Schlittenfahrten, Illuminationen, Feuerwerke und Jagden. Dabei gab die dürftig zusammengeflickte Stadt, in der manches Gebäude schon zusammenbrach, ehe es noch unter Dach gebracht worden war, den passenden Hintergrund ab für die trügerische Herrlichkeit.

Alles das hat der Knabe Schiller sechs Jahre lang mit angesehen, und es blieb seinem Gedächtnis unverloren. Doch hat, wenn der Bericht seiner Schwester nicht irrt, die italienische Oper auch zuerst sein lebhaftes Interesse für das Theater erweckt; den Offizieren war der freie Eintritt gestattet, und zur Belohnung seines Fleißes durfte der kleine Fritz den Vater mitunter begleiten. An dem geistlichen Berufe machte ihn sein kindliches Theaterspielen aber nicht irre, so wenig wie die strenge Orthodoxie, die ihm auf der Lateinschule in Ludwigsburg eingebläut wurde. Er machte diese Schule mit gutem Erfolge durch, als ein Zögling, der vortreffliche Hoffnungen erwecke, und war eben reif, in eine Klosterschule aufzurücken, als ihn ein Schlag traf, der ihn in ein neues Geleise warf.

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