Leipzig und Dresden

Leipzig und Dresden

Wie viele Enttäuschungen der junge Schiller in seinem Leben schon erlitten hatte, der Empfang, den er bei den Freunden in Leipzig fand, durfte ihn für vieles entschädigen. So friedliche und glückliche Tage, wie er nun in Leipzig und Gohlis und dann vom Herbste 1785 ab in Dresden und Loschwitz verlebte, hatte er noch nie gesehen.

Seine damalige Stimmung spiegelt sich in dem „Lied an die Freude" wider, das als eine Art Bundeslied für den Kreis der „heiligen Fünf" entstand. Später hat Schiller vom ästhetischen Standpunkt aus sehr schroff über das Gedicht geurteilt und es sogar von der Sammlung seiner Gedichte ausgeschlossen; er meinte, nur weil es einem fehlerhaften Geschmacke der Zeit entgegengekommen sei, habe es die Ehre erhalten, gewissermaßen ein Volksgedicht zu werden. Aber so altfränkisch dieser Geschmack mehr und mehr geworden ist, der hinreißende Schwung des Gedichtes hat sich an jedem neuen Geschlechte siegreich erprobt, das seitdem gekommen ist, und über Schillers Leben leuchteten freundlichere Sterne, seitdem er den freudetrunkenen Ruf anstimmen durfte:


Wem der große Wurf gelungen,

Eines Freundes Freund zu sein -


Die Anziehungskraft Schillers, die Goethe später gerühmt hat, ist ihm von jeher eigen gewesen, und es hat ihm nie an Freunden gefehlt, die treu zu ihm hielten. Aber einen Freund, wie Körner war, hatte er noch nie gefunden; weder mit den Karlsschülern in Stuttgart noch mit den Schauspielern in Mannheim ließ sich dieser Sohn eines Leipziger Professors vergleichen, der, nur um drei Jahre älter als Schiller, ihm als gefesteter Mann gegenübertrat. Körner besaß eine gründliche und solide Bildung; er hatte sich in mehr als einem Fache der Wissenschaft umgesehen und war auf ausgedehnten Reisen mit der Welt bekannt geworden.

In seiner Jurisprudenz sah er nur ein „Brotstudium" und eine „angebliche Beschäftigung"; ihn ekelte „vor dem buntscheckigen Gewebe willkürlicher Sätze, die trotz ihrer Widersinnigkeit dem Gedächtnis eingeprägt werden mussten". Seine tiefste Teilnahme gehörte wohl den philosophischen Studien, und er zählte zu den ersten Anhängern Kants, aber auch ästhetischen Fragen war er zugewandt, und mit merkwürdiger Sicherheit schrieb er gleich in seinem zweiten Briefe an Schiller: „Alles, was die Geschichte in Charakteren und Situationen Großes liefert und Shakespeare noch nicht erschöpft hat, wartet auf Ihren Pinsel. Dies ist gleichsam bestellte Arbeit." Eine eigentlich produktive Natur war Körner nicht und außerhalb seiner amtlichen Berufspflichten schwerfällig in allem Schaffen, aber als er in dunklem Bewusstsein dieses Mangels, ebenfalls in einem seiner ersten Briefe an Schiller, sich darüber beklagte, nicht etwas zu tun, wodurch man seine Schulden dem Glück abtrage, antwortete ihm der Freund auch an seinem Teil mit den überaus treffenden Worten: „Danken Sie dem Himmel für das beste Geschenk, das er Ihnen verleihen konnte, für dies glückliche Talent zur Begeisterung."

Aus diesem Talent hat Schiller reichen Gewinn gezogen, jetzt und fortan. Es war nur schlichte Wahrheit, als er ein Dutzend Jahre nach ihrer ersten Bekanntschaft an Körner schrieb, ihr gegenseitiges Verhältnis sei durch seine innere Wahrheit, Reinheit und ununterbrochene Dauer ein Teil ihrer Existenz geworden. Immer und immer in den nächsten Jahren, wenn Schiller an seinem dichterischen Berufe zweifelte, drängte ihn Körner mit unbeirrbarer Sicherheit darauf zurück, und oft genug vertrat der praktische Geschäftsmann die Rechte des Genius gegen die nüchternen und prosaischen Einwendungen des Dichters selbst. Nicht reich, aber vermögend, hat Körner manchen Stein von Schillers Lebenswege zu räumen gewusst, und er hat es mit unvergleichlichem Takte getan. So auch hatte er seine Lebensgefährtin in der armen, aber anmutigen und liebenswürdigen Waise Minna Stock gewählt, und nach dreijährigen schweren Kämpfen stand er jetzt mit ihr an der Pforte der Ehe.

Als Erbin des väterlichen Talents war Dora Stock bedeutender als die jüngere Schwester Minna, aber sie war minder anmutig und minder liebenswürdig, und auch ihr Verlobter Ludwig Huber, der um fünf Jahre jünger war als sie, konnte sich mit Körner nicht messen. Als er nach langjährigem Brautstande die Verbindung mit Dora löste, hat ihn Schiller „einen räsonierenden Weichling und einen gutmütigen Egoisten" gescholten, vielleicht doch zu schroff, denn auch Dora war ein schwieriger Charakter. Sie blieb unvermählt, und in ihrem Alter hat Heinrich v. Kleist die Frau, die Goethe und Schiller ihre Freundin genannt hatten, in der abschreckenden Kunigunde seines „Käthchens von Heilbronn" freilich wohl mehr karikiert als porträtiert.

Als Schiller nach Leipzig kam, fand er nur die Schwestern Stock und Huber vor, da Körner durch sein Amt in Dresden gefesselt wurde, und mit ihnen nahm er bald einen ländlichen Aufenthalt in Gohlis. Er teilte sein Stübchen, das bis heute erhalten ist, mit seinem neuen Verleger Göschen, der sich dieser herrlichen Zeit noch in der Stunde des Todes mit Freuden erinnern wollte. „Es ist mir sein sanftes Betragen und die sanfte Stimmung seiner Seele im geselligen Zirkel, verglichen mit den Produkten seines Geistes, ein großes Rätsel. Ich kann nicht sagen, wie dankbar und nachgebend er gegen jede Kritik ist, wie sehr er an seiner moralischen Vollkommenheit arbeitet." Eine Probe davon gab Schiller durch den friedlichen Verkehr mit Moritz, der ihn in der „Vossischen Zeitung" um alle literarische Ehre rezensiert hatte; als Moritz nach Gohlis kam, empfing Schiller ihn freundlich und las ihm sogar Szenen aus seinem „Carlos" vor.

Als dann Körner im August seine Minna heimgeholt hatte und Dora mit ihnen gezogen war, ertrug es Schiller in dem einsamen Gohlis nicht mehr lange, und schon im September folgte er den Freunden nach Dresden. Hier begann nun erst recht ein frohes Leben, von dem außer dem „Lied an die Freude" auch einige Gelegenheitsscherze Schillers noch heute ein so ergötzliches wie lebendiges Zeugnis ablegen: am Kohlenmarkt in der Neustadt, wo Schiller und Huber in einer gemeinsamen Wohnung gegenüber Körners hausten, und draußen auf dem großen Weinberge in Loschwitz, den Körner sich gekauft hatte. Keiner der „heiligen Fünf" hat diese Tage je vergessen, und als Huber, der einzige Abtrünnige, gestorben war, fand Schiller, nun schon selbst im Ende seiner Tage, das milde Wort: „Denn ob wir gleich außer Verbindung mit ihm waren, so lebte er doch nur für uns und war an eine zu schöne Zeit unseres Lebens gebunden, um uns je gleichgültig zu sein."

Aber vielleicht gedachte Schiller dieser Zeit auch, als er später sagte, dass des Lebens ungemischte Freude keinem Irdischen zuteil werde. Seiner literarischen Produktion waren die beiden Jahre nicht günstig. Er brachte den „Carlos" nur mühselig fertig, ruck- und stoßweise; was er neu begann, blieb meist Bruchstück, so „Der Menschenfeind", ein dramatischer Anlauf, „Der Geisterseher", das erste Buch eines Romans, die „Philosophischen Briefe", die allmählich versandeten; nur „Der Verbrecher aus verlorener Ehre", eine kleine und in ihrer Art musterhafte Novelle, wurde vollendet. Den Stoff zu dieser Novelle gab die Geschichte eines schwäbischen Räubers her, so wie auch „Der Geisterseher" die Bekehrung des Herzogs Karl Alexander von Württemberg zum katholischen Glauben dichterisch behandeln sollte und das Hauptstück der „Philosophischen Briefe" sogar ein Manuskript noch aus den Stuttgarter Tagen war. Und von mancher dieser Arbeiten mag es noch fraglich sein, ob sie je das Licht des Tages erblickt haben würde, wenn die Spalten der „Thalia" nicht nach Stoff geschrien hätten.

Kein Zweifel, dass Schiller in jenen Tagen eine innere Revolution durchgemacht hat. Was an männlicher Energie und Tatkraft in ihm lebte, war durch den Druck seiner schwäbischen und pfälzischen Zeit zu revolutionärer Energie geläutert worden; nun dieser Druck von ihm genommen war, trat jene nachdenkliche und spekulative Seite hervor, die nicht minder tief in seiner Individualität wurzelte, „der Trieb" wie Wilhelm v. Humboldt sagte, „alles Endliche in ein großes Bild zu fassen und es an das Unendliche anzuknüpfen". Dieser Trieb regte sich um so mächtiger, als die sächsische Kultur damals hoch über der schwäbischen und pfälzischen Kultur stand. Im Verkehr mit dem Kantianer Körner verflüchtigten sich die biblischen Vorstellungen, die Schillers Jugenddramen noch völlig beherrscht hatten. In den „Philosophischen Briefen" schrieb Julius-Schiller an Raphael-Körner: „Was hast du aus mir gemacht, Raphael? Was ist seit kurzem aus mir geworden? Selige, paradiesische Zeit, da mich nur eine politische Zeitung an die Welt, nur die Leichenglocke an die Ewigkeit, nur Gespenstermärchen an eine Rechenschaft nach dem Tode erinnerten, da ich noch vor einem Teufel bebte und desto herzlicher an der Gottheit hing. Ich empfand und war glücklich. Raphael hat mich denken gelehrt, und ich bin auf dem Wege, meine Erschaffung zu beweinen … Du hast mir den Glauben gestohlen, der mir Frieden gab. Du hast mich verachten gelehrt, wo ich anbetete." In diesen Sätzen ist viel Rhetorik erhalten, denn sonst fehlt jedes Zeugnis dafür, dass Schiller durch seinen Bruch mit dem christlichen Glauben tief erschüttert worden sei, aber was er schmerzlich empfand, war von nun an der Mangel an der philosophischen Bildung, die ihm klar und sicher in den – von Körner selbst geschriebenen – Briefen Raphaels entgegentrat.

Und nicht minder empfindlich machte sich ihm der Mangel an historischer Bildung geltend, seitdem er von dem Glauben an die Vergeltung des Jüngsten Gerichts zu dem Bekenntnis gelangt war, das eben diesen Dresdner Tagen angehört: die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Am 15. April 1786 schrieb er an Körner: „Ich muss ganz andere Anstalten treffen mit dem Lesen. Ich fühle es schmerzlich, dass ich noch so erstaunlich viel lernen muss, säen muss, um zu ernten. Im besten Erdreich wird der Dornstrauch keine Pfirsiche tragen, aber ebenso wenig kann der Pfirsichbaum in einer leeren, Erde gedeihen. Unsere Seelen sind nur Destillationsgefäße, aber Elemente müssen ihnen Stoff zutragen, um in vollen saftigen Blättern ihn auszuschwellen. Täglich wird mir die Geschichte teurer. Ich wollte, dass ich zehn Jahre hintereinander nichts als Geschichte studiert hätte. Ich glaube, ich würde ein ganz anderer Kerl sein. Meinst Du, dass ich es noch werde nachholen können?" Es war eine tiefe Notwendigkeit seines innersten Wesens, die zu Schillers historischen Studien führte; die Arbeit am „Carlos", die gewöhnlich dafür angezogen wird, gab ihnen nur die äußere Richtung.

Diese inneren Kämpfe Schillers drängten ihm die Frage nach seiner Zukunft um so gebieterischer auf. Er konnte auf die Dauer nicht von der Freundeshilfe Körners leben; Körner sogar, so gern er gab, hätte eine solche Zumutung als seines Freundes unwürdig weit von sich gewiesen, geschweige denn, dass Schiller je daran denken durfte. Dresden selbst bot ihm aber sonst nichts, denn dank dem bigotten Hofe hatte die sächsische Hauptstadt wenig gemein mit der sächsischen Kultur. Eine „Wüste der Geister" nannte Schiller die Stadt, und ihre Bewohner, denen höfische Untertänigkeit seit Jahrhunderten in Fleisch und Blut übergegangen war, schalt er gar ein „seichtes, zusammengeschrumpftes, unleidliches Volk"; auch am Theater hatte er keinen Anhalt, da es unter einer wahrhaft kindischen Zensur stand und von einem Italiener geleitet wurde, dem jedes Verständnis für deutsche Dichtung fehlte. So war Schiller nur auf den Umstand an Dresden gefesselt, dass Körner zufällig hier eine amtliche Anstellung hatte, und dies ungesunde Verhältnis mag auch ihr schönes Freundschaftsverhältnis getrübt haben. Zwei Jahre nach ihrer Trennung schrieb Schiller an Körner: „Warum müssen wir getrennt voneinander leben? Hätte ich nicht die Degradation meines Geistes so tief gefühlt, ehe ich von Euch ging, ich hätte Euch nie verlassen oder hätte mich bald wieder zu Euch gefunden. Aber es ist traurig, dass die Glückseligkeit, die unser ruhiges Zusammenleben mir verschaffte, mit der einzigen Angelegenheit, die ich der Freundschaft nicht zum Opfer bringen kann, mit dem inneren Leben meines Geistes, unverträglich war. Dieser Schritt wird mich nie gereuen, weil er gut und notwendig war, aber es ist doch eine harte Beraubung, ein hartes Opfer für ein ungewisses Gut." So schroff, wie diese rückblickenden Worte die Notwendigkeit schildern, mag sie sich im Augenblicke der Trennung noch nicht dargestellt haben, denn Schiller hat den Entschluss lange erwogen und ihn endlich nur ausgeführt unter dem offenbar aufrichtigen Versprechen einer baldigen Wiederkehr.

Wohin er aber seinen Stab zu setzen habe, wenn er ging, ist ihm im Grunde nicht zweifelhaft gewesen. Vorübergehend dachte er an Meiningen, wo nun seine ältere Schwester mit Reinwald verheiratet war, oder an Wien, wo sein „Fiesco" so großes Glück gemacht hatte, oder an Hamburg, wo Schröder durch die Fragmente des „Carlos" für ihn gewonnen war. Aber sein eigentliches Augenmerk blieb doch immer auf Weimar gerichtet, wohin er ja schon von Mannheim aus – mit einem nur vorübergehenden Aufenthalt bei den Leipziger Freunden – getrachtet hatte. Nun lockte ihn noch ein neuer Magnet nach Weimar in der Gestalt Charlottens v. Kalb, die dahin übergesiedelt war und brieflich längst wieder mit ihm angeknüpft hatte. So bewegt war er dadurch freilich nicht, um sich nicht in eine Dresdner Schönheit zu verlieben, die ihm im Januar 1787 auf einem Maskenball begegnet war. Sie hieß Henriette v. Arnim und war dem Dichter nicht unhold, aber durch ihre kupplerische Mutter wurde sie ihm entleidet. Wie diese Enttäuschung dem Entschlüsse Schillers, aus Dresden zu scheiden, den letzten Anstoß gab, so mag sie ihm Charlottens Bild auch wieder näher gerückt haben.

Nachdem er den Freunden, im Walde gelagert, die letzten Akte des nun endlich vollendeten „Carlos" vorgelesen hatte, an einem Abend, der ihnen allen immer in der Erinnerung geblieben ist, reiste Schiller am 20. Juli 1787 nach Weimar ab.

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