Mannheim

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Am 27. Juli 1783 traf Schiller in Mannheim wieder ein, nicht zur gelegensten Stunde. „Dalberg war abwesend, einige Schauspieler in Urlaub, die mehrsten Familien aufs Land ausgeflogen, und eine unerträgliche Hitze verdarb mir beinahe alle Lust des Lebens", meldete er nach Bauerbach.

Den Freunden gegenüber, die er noch vorfand, spielte er den Gleichgültigen und Spröden; er ließ sie „sehr klar merken", dass er nur sein Vergnügen bei seinem „hiesigen Aufenthalte" suche.

Aber am 10. August kam Dalberg zurück und tat nun selbst den ersten Schritt zu einem Engagement. Vergessen hatte Schiller frühere Erfahrungen nicht: „Der Mann ist ganz Feuer", meinte er, „aber leider nur Pulverfeuer, das plötzlich losgeht und ebenso schnell wieder verpufft." Jedoch was Dalberg ihm bot, schien ihm ausreichend, sich aus dem Wirrwarr seiner Schulden zu reißen und der ehrliche Mann zu bleiben; so schlug er denn ein, und im Geheimen doch wohl nicht ohne inneres Behagen. Er wurde vom 1. September ab auf ein Jahr als Theaterdichter mit 300 Gulden angestellt; dazu wurden ihm von drei Stücken, die er innerhalb dieser Zeit zu liefern hatte, die Einnahmen von je einer beliebigen Vorstellung zugesichert. So glaubte er die „unfehlbare Aussicht" auf eine Jahreseinnahme von 12-1400 Gulden zu haben, wovon er reichlich den dritten Teil auf Tilgung seiner Schulden verwenden wollte.

Glückliche Sterne leuchteten aber von Anbeginn seiner neuen Tätigkeit nicht. Eine gallige Seuche brach in der Stadt aus, und sie griff so verheerend um sich, dass von 20.000 Menschen 6000 krank niederlagen. Unter ihnen auch Schiller, den „die böse Rhein- und Sumpfluft der Gegend" bis in den Winter hinein zu keiner Besserung kommen ließ. Dann brachte ihm die erste Vorstellung des „Fiesco", die am 11. Januar 1784 stattfand, doch nur einen halben Erfolg. Freilich hatte sich der Dichter zu einer argen Verunstaltung des Dramas bestimmen lassen; Fiesco wirft, wie Schiller in einer „Erinnerung" auf dem Theaterzettel sagt, „zuletzt den verführerischen, schimmernden Preis seiner Arbeit, die Krone von Genua, mit göttlicher Selbstüberwindung hinweg und findet eine höhere Wollust darin, der glücklichste Bürger als der Fürst seines Volkes zu sein". Nur einzelne Szenen wirkten stark, und Schiller berichtete an Reinwald: „Den Fiesco verstand das Publikum nicht. Republikanische Freiheit ist hierzulande ein Schall ohne Bedeutung, ein leerer Name – in den Adern der Pfälzer fließt kein römisches Blut. Aber in Berlin wurde es vierzehnmal innerhalb drei Wochen gefordert und gespielt." Ganz so groß war die Zahl der Berliner Aufführungen nicht, aber größeren Beifall fand „Fiesco" dort als in Mannheim, wozu denn auch beigetragen haben mag, dass sogar Plümicke den tragischen Schluss des Dramas bestehen ließ und ihn nur insoweit verbesserte, als er – nicht ohne ein gewisses Verständnis für einen Hauptmangel des Dramas – den Helden aus Verzweiflung über den Tod seiner Gemahlin sich selbst in dem Augenblick töten ließ, wo Verrina ihn töten wollte. Bald kam denn auch der „Fiesco" an das Hofburgtheater in Wien, wo Kaiser Joseph II. ihn für die Aufführung „brauchbar" machte, was für das „republikanische Trauerspiel" eine sehr zweideutige Huldigung war. Denn sowohl die „Räuber" als auch „Kabale und Liebe" blieben noch für lange Jahre von dem kaiserlichen Theater ausgesperrt.

Über diesen leichten Misserfolg konnte sich Schiller nun freilich durch den glänzenden Erfolg trösten, den „Kabale und Liebe" bei der ersten Aufführung am 15. April hatte. Diesmal durfte er an Reinwald melden: „Mit aller Vollkommenheit, deren die Schauspieler fähig waren, wurde das Stück in Mannheim gegeben, unter lautem Beifall und den heftigsten Bewegungen der Zuschauer." Das Drama machte einen ähnlichen Triumphzug durch Deutschland wie die „Räuber", rief aber auch heftigen Widerspruch hervor, den heftigsten wohl in Berlin, wo es Karl Philipp Moritz, ein angesehener Kunstkritiker, in der „Vossischen Zeitung" mit den stärksten Worten herunterriss und schließlich erklärte, er wasche seine Hände von diesem Schillerschen Schmutze und werde sich wohl hüten, sich je wieder damit zu befassen.

An diesem Widerspruche brauchte Schiller nicht zu verzagen, und er hat schon ein Jahr darauf mit Moritz freundlich verkehrt. Wenn er sich nur sonst auf der Höhe hätte behaupten können, die er mit der ersten Aufführung von „Kabale und Liebe" in Mannheim erreicht hatte! Aber es ging nun unaufhaltsam bergab. An die kleine Handwerksarbeit, die ihm oblag, konnte er sich schwer gewöhnen; er hat nur ein einziges Stück in etwa zwölf Zeilen begutachtet, und als er einen Prolog zu dem Namenstage der Kurfürstin dichten sollte, schrieb er ihn, wie einst die Grabgedichte in Stuttgart, „nach seiner verfluchten Gewohnheit satirisch und scharf", so dass seine Arbeit nicht zu gebrauchen war und die „ganze Lumpenfete" unterbleiben musste. Eine Dramaturgie des Mannheimer Nationaltheaters, die er schreiben wollte, nach dem Muster von Lessings Hamburgischer Dramaturgie, lehnte Dalberg ab. Sie sollte dann im Jahrbuche der Deutschen Gesellschaft erscheinen, in die Schiller als Mitglied aufgenommen worden war, unter kurfürstlicher Bestätigung, die ihm einen leichten Anfall von pfälzischem Lokalpatriotismus zuzog. Allein auch dieser Plan scheiterte, und die Deutsche Gesellschaft druckte nicht einmal die Antrittsrede, mit der sich Schiller am 26. Juli in sie eingeführt hatte. Diese Rede behandelte die Frage: „Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?"; nach dem Titel, den ihr Schiller später gab, betrachtete sie die „Schaubühne als moralische Anstalt", gemäß einer Tendenz, die der bürgerlichen Aufklärung so eigen war, dass auch ihre feinsten Kunstkenner, wie Diderot und Lessing, sich nur eben davon befreien konnten, aber die von Schiller nicht ohne den praktischen Nebenzweck scharf unterstrichen wurde, den Bann zu brechen, den die „Fakultäten" über die „freie Kunst" verhängten. Lehnte nun aber Dalberg die Dramaturgie ab, die Schiller schreiben wollte, so vollendete Schiller das dritte Stück nicht, das Dalberg nach ihrem Kontrakte binnen Jahresfrist beanspruchen konnte.

Doch diese Saumseligkeit missfiel dem Intendanten schwerlich in erster Reihe an seinem Theaterdichter. Der schwache Mann war überhaupt wieder an Schiller irre geworden, gerade wohl auch durch den rauschenden Erfolg von „Kabale und Liebe". Die Kraftdramatik verursachte gar so großen Lärm, und der Dilettant wie der Höfling Dalberg gerieten in gleiches Missbehagen, wenn der erste Fachmann der Zeit, der große Schauspieler Schröder, aus Wien nach Mannheim meldete: „Der Kaiser will keine Sturm-und-Drang-Stücke, und mit Recht… Ich hasse Schillern, dass er wieder eine Bahn eröffnet, die der Wind schon verweht hatte." Es kam hinzu, dass Iffland sein sogenanntes Dichtertalent entdeckte und mit der pünktlichen Lieferung seiner hausbacken-moralischen Bühnenware, die immer ganz frei von aller revolutionären Kontrebande war, das Ideal des Theaterdichters verwirklichte, das in Dalbergs Geiste leben mochte. Iffland, der früher und auch in späteren Jahren das Drama Schillers wirksam gefördert hat, ließ sich in dieser Mannheimer Zeit zu hässlichen Intrigen herab; er widerriet die Aufführung von Schillers Bühnenwerken und karikierte den Dichter sogar auf offener Szene, um dann sein heuchlerisches Bedauern darüber auszusprechen, dass man „gierig Schiller zu dem Gemälde habe sitzen lassen", obgleich er „ängstlich jede Analogie vermieden" habe.

In seiner diplomatischen Art wollte Dalberg nicht schroff mit Schiller brechen; er ließ durch den Theaterarzt bei ihm anfragen, ob er nicht zur Medizin zurückkehren möchte. Und Schiller begriff in seinen noch immer hochfliegenden Träumen so schwer, dass er dem edlen Gönner überschwänglich dankte und ihn um die Mittel für ein Jahr medizinischen Studiums bat. Um so schmerzlicher war die Enttäuschung, die ihn nach einem kurzen Jahre wieder zum Vogel auf dem Dache machte.

Er war im Herbste 1784 fast schlimmer dran als zwei Jahre früher, da er aus Stuttgart floh. Die Jahreseinnahme von 12-1400 Gulden, auf die er gerechnet hatte, war kaum zur Hälfte erreicht worden; Schiller hatte als Theaterdichter etwa so viel erworben, wie er zur Abstoßung seiner Schulden ausgeworfen hatte. Im Etatmachen war er immer groß, und ebenso in der „Planschmiederei", die er schon gegen Dalbergs Misstrauen verteidigen musste; auch besaß er Weltklugheit genug, sogar viel mehr, als man nach der landläufigen Vorstellung eines idealen Dichters voraussetzen mochte. Aber woran es ihm in jungen Jahren sehr gebrach, war die Weitläufigkeit; in dieser wie in anderer Beziehung musste er bittere Nachwehen von der achtjährigen Haft in der Karlsschule spüren. Seine paar hundert Gulden Gehalt hatte er bald für eine weitläufige Wirtschaft vertan, die ihm doch kein behagliches Heim schuf; in der Stube des Theaterdichters sah es nicht weniger wüst aus als einst in der Bude des Regimentsmedikus, und er selbst gestand bald: „Es kostet mich weniger Mühe, eine ganze Verschwörung und Staatsaktion durchzuführen, als meine Wirtschaft; ich stürze aus meinen idealischen Welten, sobald mich ein zerrissener Strumpf an die wirkliche mahnt."

So geriet er in neue Schulden, während der Glanz des „Theatral-Poeten" bis nach Stuttgart strahlte und die alten Gläubiger in ihrer Art aufregte. Mit dem Vater auf der Solitüde gab es peinliche Auseinandersetzungen; er sollte helfen, aber er konnte nicht, da er selbst nicht auf Geldsäcken saß und seine Töchter nicht vergessen durfte über einen Sohn, „der mir von dem so vielen, was er versprochen, noch das wenigste hat halten können". Nicht minder peinlich oder noch weit peinlicher musste es für Schiller sein, dass Israel in Meiningen die Frau v. Wolzogen drängte, die sich bei ihm für Schiller verbürgt hatte. Seine Verlegenheit stieg bis zur „Desperation", doch konnte er endlich mit Hilfe seiner Wirtsleute, eines braven Maurermeisters und Frau, die ärgste Not kehren. Als sie später selbst verarmten, ist es dem nunmehr berühmten Dichter vergönnt gewesen, die Guttat zu vergelten.

An Schulden fehlte es diesem Ritter so wenig wie an Widersachern, und auch die Weiber hatten ihren reichlichen Anteil an seinem Leben in Mannheim. Als er dort landete, lebte noch die Lotte in seinem Herzen, und im ersten Brief an die Mutter lässt er sie küssen, „wenn's erlaubt ist", aber in dem „Tumult von Zerstreuungen", worin er lebte, verschwand ihm Bauerbach in den Schatten der Vergangenheit, und die feierlich und freiwillig gespendeten Eide, dahin zurückzukehren, drückten bald sein Gewissen. Allein gütig wie immer gab ihn Frau v. Wolzogen frei: „Seien Sie meinetwegen ohne Sorge, Ihre Versprechen, bei mir zu leben, konnten in Ihren Jahren ohnmöglich erfüllt werden … Ich sah solche, wie sie geschahen, ohne Vertrauen an; es sind mir aber auch oft Träume angenehm, und da ließ ich Sie so fort schwatzen!" Und so ließ sie ihn auch fortschwatzen, ohne Antwort, aber auch ohne Groll, als er am 7. Juni 1784 noch einmal mit halben Worten um die Lotte warb, in demselben Briefe, wo er ihr „die herrlichste Überraschung von der Welt" meldete, Pakete aus Leipzig und von vier ganz fremden Personen Briefe voll Wärme und Leidenschaft für ihn und seine Schriften.

Vorher hatte er seiner Freundin schon gemeldet, er verkehre bei Dalberg und Schwan, zwei Häusern, wo ausgesuchte Gesellschaft sei, und bei Dalberg gehe es fürstlich zu. Außer diesen vermenge er sich mit niemand genau, mit den Schauspielern lebe er höflich und aufgemuntert, aber äußerst zurückgezogen. Sonst besuchten ihn viele Gelehrte und Künstler, aber er attachiere sich sehr delikat. „Von Frauenzimmern kann ich das Nämliche sagen – sie bedeuten hier sehr wenig, und die Schwanin ist beinahe die einzige, eine Schauspielerin ausgenommen, die eine vortreffliche Person ist. Diese und einige andere machen mir zuweilen eine angenehme Stunde, denn ich bekenne gern, dass mir das schöne Geschlecht von Seiten des Umgangs gar nicht zuwider ist." Man wird in diesen Worten eine gewisse Zurückhaltung spüren, die der Mutter der Lotte gegenüber auch erklärlich war; in einem Briefe an Goethe spricht Schiller später einmal davon, dass er mit dem Gemälde einer theatralischen Wirtschaft und Liebschaft besser bekannt sei, als er zu wünschen Ursache habe, und auch seiner künftigen Gattin schreibt er ein andermal, dass er in Mannheim als ein armer Tor, mit einer miserablen Leidenschaft im Busen, herum gewandelt sei.

Auf keinen Fall galt diese „miserable Leidenschaft" der „vortrefflichen Person", die er unter den Schauspielerinnen nennt. Er meinte Karoline Beck, die Gattin seines Duzfreundes Beck, in deren gastlichem Hause er gern verkehrte. Von ihr wird die bekannte Anekdote erzählt, dass sie an Schiller gelegentlich die Frage gerichtet habe, ob ihm nicht die Gedanken ausgingen, wenn er die ganze Nacht dichte, worauf er in seinem schwäbischen Dialekt antwortete: „Das ischt nit anders, aber wann die Gedanken ausgehn, da mal' ich Rössel." Karoline Beck starb noch während seines Aufenthaltes in Mannheim. Um eine andere Bühnenschönheit soll Schiller ohne Erhörung geworben haben, doch diese und noch eine flatterhafte Beziehung traten zurück hinter die Neigungen, die ihn mit Margarete Schwan und Charlotte von Kalb verbanden.

Als ein ehrwürdiges Erbstück seiner ersten Biographien erben sich in den Büchern über Schiller die Sätze fort: „Immer war ihm die Liebe etwas Ernstes – eine Gottheit – der Jüngling, der mit Psyche sich vermählt, nicht der leichtsinnig flatternde Knabe." Daran ist so viel richtig, dass Schiller kein Schürzenjäger und Wüstling war, aber eine Gottheit war ihm die Liebe dennoch nicht. „Alle das Neigen von Herzen zu Herzen" hat er nie gekannt, und sterblich verliebt sein war auch für ihn kein Begriff. Eher dachte er schon an eine „Mariage" im Sinne seines praktischen Vaters, und er hat diese delikate Frage brieflich mit einer ziffernmäßigen Nüchternheit behandelt, die an dem zarten Sänger der Frauen manchmal erschreckt.

Eine tiefe Liebesleidenschaft fehlt seinem Leben; was ihn an dem Weibe anzog, war das einfache, hingebende und, um es mit einem scharfen, aber erschöpfenden Worte zu sagen, geistig unbedeutende Geschöpf, das sich so innig, so biegsam an unsere Launen schmiegt und keine größere Wonne kennt, als die Sklavin des geliebten Mannes zu sein.

Diesem Ideal entsprachen weder Margarete Schwan noch Charlotte v. Kalb. Margarete war eine glänzende und heitere Schönheit, die bei ihren zwanzig Jahren ihrem frühe verwitweten Vater einen stattlichen Haushalt führte, die um einige Jahre ältere Charlotte eine melancholische Erscheinung, deren große kluge Augen nach einem Worte Herders die Wirklichkeit doch immer nur in schwankenden Bildern sahen. Früh verwaist, war sie durch eine freudlose Jugend vereinsamt; „als Kind habe ich mich ausgeweint", pflegte sie zu sagen. Sie war eine geborene Ostheim, und ihren Mädchennamen hat Schiller in „Kabale und Liebe" verewigt, in jener Friederike von Ostheim, die der Präsident, um das Herz seines Sohnes zu prüfen, ihm als die „untadeligste Partie im Lande" vorschlägt. Charlotte wurde das Opfer einer Zwangsehe; ihr Gatte war ein Offizier in französischem Dienste und stand in der Festung Landau, während sie in Mannheim lebte, nicht schon in absichtlicher Trennung, sondern weil die französische Sitte den Offiziersfrauen den Aufenthalt in den Garnisonen ihrer Männer verbot. Die Kalbs und die Ostheims gehörten zum thüringischen Hofadel, und aus dem Verkehrskreise der Frau v. Wolzogen war diese neue Freundin für Schiller entstanden; ein Brief Reinwalds hatte sie ihm, als sie zuerst mit ihrem Gatten nach Mannheim kam, als seiner Geistesprodukte „große Bewunderin" empfohlen.

Mit ihr wie auch mit der „Schwanin" verkehrte Schiller in freundschaftlichen Formen, und beide haben ihn, dessen saloppe Erscheinung noch für die Mannheimer Zeit bezeugt wird, auch gesellschaftlich ein wenig gestutzt. So konnte Charlotte ihn zu Weihnachten 1784 mit einem Empfehlungsschreiben an eine befreundete Hofdame nach Darmstadt senden, wo er beim Erbprinzen den ersten Aufzug seines „Don Carlos" vorlesen durfte. Unter den Hörern befand sich der Herzog Karl August von Weimar, der eine darmstädtische Prinzessin geheiratet hatte; er belohnte die Vorlesung mit dem Titel eines Weimarischen Rates. Der neue „Charakter" machte nicht nur auf der Solitüde große Freude, sondern auch Schiller selbst fühlte sich gehoben, da seine soziale Position dadurch gestärkt wurde; Dalberg bekam es sofort zu spüren in einem energischen Schreiben, worin ihn Schiller wegen einer misslungenen Vorstellung von „Kabale und Liebe" abkanzelte.

Leben konnte Schiller freilich nicht von dem Ratstitel, und so suchte er sich in einer Zeitschrift, die er „Rheinische Thalia" taufte, die Grundlage seiner materiellen Existenz zu machen. Ihren Prospekt datierte er von dem Tage, wo er 25 Jahre alt wurde; er war sozusagen seine geistige Mündigkeitserklärung und begann gleich mit der Erklärung: „Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient." Er warf einen Rückblick auf sein junges Leben, mit scharfer Kritik der Karlsschule, wenn auch mit schonenden Worten für den Herzog von Württemberg, von dem sein Vater abhängig war. „Mein Beispiel wird kein Blatt aus dem Lorbeerkranze dieses Fürsten reißen, den die Ewigkeit nennen wird. Seine Bildungsschule hat das Glück vieler Hunderte gemacht, wenn sie auch gerade das meinige verfehlt halten sollte." Nun aber erklärte Schiller alle seine Verbindungen für aufgelöst. „Das Publikum ist mir jetzt alles, mein Studium, mein Souverän, mein Vertrauter. Ihm allein gehör' ich jetzt an. Vor diesem und keinem andern Tribunal werd' ich mich stellen. Dieses nur fürchte ich und verehre ich. Etwas Großes wandelt mich an bei der Vorstellung, keine andere Fessel zu tragen als den Ausspruch der Welt – an keinen anderen Thron mehr zu appellieren als an die menschliche Seele." Er verlangt nur nach solchen Subskribenten, die ihm ein persönliches Mitgefühl entgegenbringen. „Den Schriftsteller überhüpfe die Nachwelt, der nicht mehr wert war als seine Werke, und gern gestehe ich, dass bei Herausgabe dieser Thalia meine vorzügliche Absicht war, zwischen dem Publikum und mir ein Band der Freundschaft zu knüpfen." Es waren überhitzte Worte, und sie waren auch nicht ganz ehrlich gemeint, denn auf den Tamtam bei publizistischen Unternehmungen hat sich Schiller trotz alles idealen Schwunges immer recht gut verstanden.

Nüchtern genug äußerte er sich ein paar Wochen später in dem Dankbriefe an die Leipziger Verehrer, die ihn im Sommer durch eine huldigende Sendung überrascht hatten: „Auffallen mag es Ihnen immer, dass ich diese Rolle in der Welt spielen will, aber vielleicht söhnt die Sache selbst Sie wieder mit Ihrer Vorstellung aus. Überdem zwingt ja das deutsche Publikum seine Schriftsteller, nicht nach dem Zuge des Genius, sondern nach Spekulationen des Handels zu wählen. Ich werde dieser Thalia alle meine Kräfte hingeben, aber das leugne ich nicht, dass ich sie (wenn meine Verfassung mich über Kaufmannsrücksichten hinwegsetzte) in einer anderen Sphäre würde beschäftigt haben." Zwingende Not hatte die „Thalia" geboren, aber es war ihr nicht gegeben, diese Not zu bannen. Uneingedenk aller üblen Erfahrungen, hatte Schiller sie wieder in Selbstverlag genommen und musste nun bald erkennen, dass er für den „äußerst lästigen Brief- und Krämerkommerce" nicht geschaffen war und sich zum Kaufmann überhaupt so wenig schicke wie zum Kapuziner.

Groß und weit genug war der Plan des neuen Unternehmens gezogen; was die „Thalia" bringen sollte, verkündete der Prospekt in ausmalender Breite: Gemälde merkwürdiger Menschen und Handlungen, Philosophie für das handelnde Leben, schöne Natur und schöne Kunst in der Pfalz, deutsches Theater, Gedichte und Rhapsodien, Fragmente von dramatischen Stücken, Beurteilungen wichtiger Männer und Schriften, Geständnisse von mir selbst, Korrespondenzen, Anzeigen, Miszellaneen. Allein es fehlte jede genügende Vorbereitung, und als das erste Heft im März 1785 erschien, enthielt es nur Beiträge vom Herausgeber selbst. Der bedeutendste darunter war der erste Aufzug des „Don Carlos", der dem Herzoge von Weimar in demselben überschwänglichen Tone gewidmet wurde, worin Schiller eben erklärt hatte, als Weltbürger zu schreiben, der keinem Fürsten diene. „Mit unbegrenzter Verehrung" versicherte der „untertänigst gehorsamste" Dichter: „Wie teuer ist mir der jetzige Augenblick, wo ich es laut und öffentlich sagen darf, dass Karl August, der edelste von Deutschlands Fürsten und der gefühlvolle Freund der Musen, jetzt auch der meinige sein will, dass Er mir erlaubt hat, Ihm anzugehören, dass ich denjenigen, den ich lange schon als den edelsten Menschen schätzte, als meinen Fürsten jetzt auch lieben darf." Doch bei den bürgerlichen Aufklärern darf man dergleichen Dinge nie auf die Goldwaage legen.

Sonst enthielt das erste Heft der „Thalia" die Rede über die Schaubühne, die das Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft verschmäht hatte, eine Übersetzung aus Diderot und eine Plauderei über den Antikensaal in Mannheim, die zum ersten mal ein lebhaftes Interesse Schillers für die Antike bekundete. Dazu kam ein Repertorium des Mannheimer Nationaltheaters, eine flüchtige Arbeit, die mit Lessings Dramaturgie nur die eine Ähnlichkeit hatte, dass sie ihren Verfasser mit der „äußerst reizbaren Menschenklasse" der Schauspieler überwarf.

Inzwischen war Schiller schon entschlossen, Mannheim zu verlassen. Die Möglichkeit dazu bot ihm die „freundliche Überraschung", die ihm aus Leipzig beschert worden war. Sie rührte von zwei Brautpaaren her: den jungen Mädchen Dora und Minna Stock, den Töchtern eines Kupferstechers, bei dem Goethe in seiner Leipziger Zeit verkehrt hatte, dem Konsistorialrat Christian Gottfried Körner, der mit Minna, und dem angehenden Schriftsteller Ludwig Huber, der mit Dora verlobt war. Dora, eine nicht unbedeutende Künstlerin, hatte die Schattenrisse der vier gespendet, Minna eine kostbar gestickte Brieftasche und Körner eine Komposition zu dem Liede Amaliens in den „Räubern". Mit einem kurzen Begleitschreiben hatte Körner in ihrer aller Namen den „großen Mann" begrüßt, der in einer Zeit, da die Kunst sich immer mehr zur feilen Sklavin reicher und mächtiger Wollüstlinge herabwürdige, gezeigt habe, was der Mensch jetzt noch vermöge. „Wenn ich, obwohl in einem anderen Fache als das Ihrige ist, werde gezeigt haben, dass auch ich zum Salze der Erde gehöre, dann sollen Sie meinen Namen wissen. Jetzt kann es zu nichts helfen."

Durch Schwan, dessen Buchhandlung die Sendung vermittelt hatte, erfuhr Schiller die Namen zeitig genug, doch bedankte er sich erst am 7. Dezember; „traurigste Stimmungen" und auch „unglückselige Zerstreuungen, deren Andenken ihm in diesem Augenblicke noch Wunden schlage", müssen herhalten, sein Säumnis zu entschuldigen. Es sah auch mehr nach einer verlegenen Ausrede als nach einer festen Absicht aus, wenn Schiller hinzufügte, er habe nicht ohne Grund gehofft, auf einer Reise nach Berlin die Geschenkgeber persönlich zu begrüßen, doch sei es möglich, dass er zur Jubilatemesse nach Leipzig käme. Erst die freundliche Antwort Körners vom 11. Januar 1785 scheint den Gedanken einer Übersiedelung nach Leipzig in Schiller ernsthaft gereift zu haben. „Wir wissen genug von Ihnen, um Ihnen nach Ihrem Briefe unsere ganze Freundschaft anzubieten", schrieb Körner, „aber Sie kennen uns noch nicht genug. Also kommen Sie selbst so bald als möglich. Dann wird sich manches sagen lassen, was sich jetzt noch nicht schreiben lässt." Darauf antwortete Schiller in einem „kolossalischen" Briefe, von dem Hebbel sagt, überall zeige er die hohle Geschraubtheit des Jahrhunderts, die dadurch poetisch zu werden glaube, dass sie für triviale Gedanken unerhörte Ausdrücke erfinde, aber zwischendurch blitze, gerade zur rechten Zeit, wenn eben der Widerwille aufsteigen wolle, die große Schillersche Individualität auf.

Jedoch gilt dies Urteil mehr von dem ersten Teil des Briefes, der vom 10., als vom zweiten, der vom 22. Februar datiert ist. Im ersten Teile nimmt Schiller die Einladung nach Leipzig mit überstiegenen, aber doch auch wieder lässigen Worten an, dagegen beginnt der zweite Teil: „Hier bin ich neulich durch einen unvermuteten Besuch unterbrochen worden, und diese zwölf Tage ist eine Revolution mit mir und in mir vorgegangen, die dem gegenwärtigen Briefe mehr Wichtigkeit gibt, als ich mir habe träumen lassen – die Epoche in meinem Leben macht. Ich kann nicht mehr in Mannheim bleiben. In einer unnennbaren Bedrängnis meines Herzens schreibe ich Ihnen, meine Besten. Ich kann nicht mehr hier bleiben. Zwölf Tage habe ich's in meinem Herzen herumgetragen, wie den Entschluss, aus der Welt zu gehen. Menschen, Verhältnisse, Erdreich und Heimat sind mir zuwider. Ich habe keine Seele hier, keine einzige, die die Leere meines Herzens füllte, keine Freundin, keinen Freund; und was mir vielleicht noch teuer sein könnte, davon scheiden mich Konvenienz und Situationen … Sehen Sie, ich muss es Ihnen gerade heraussagen, ich habe zu Mannheim schon feierlich aufgekündigt und auch unwiderruflich erklärt, dass ich in drei bis vier Wochen abreise, nach Leipzig zu gehen. Etwas Großes, etwas unaussprechlich Angenehmes muss mir da aufgehoben sein, denn der Gedanke an meine Abreise macht mir Mannheim zu einem Kerker, und der hiesige Horizont liegt schwer und drückend auf mir, wie das Bewusstsein eines Mords." Diese Sprache ist nicht gekünstelt; ein Erlebnis, das den Schreiber tief ergriffen hat, muss in die Mitte des Februar fallen.

Es ist nicht urkundlich zu erweisen, aber nach diesem Briefe, den mystisch dunklen Denkwürdigkeiten, die Charlotte v. Kalb in hohem Alter diktiert hat, und zwei Gedichten Schillers aus dieser Zeit: der „Freigeisterei der Leidenschaft" und „Resignation", ist es wahrscheinlich, dass es damals zwischen ihm und der Freundin zu einer Katastrophe gekommen ist. Es scheint, dass seine Absicht, Mannheim zu verlassen, die schlummernde Leidenschaft in ihr zu einem heftigen Ausbruche gereizt hat. Aber es scheint auch, dass sie dann wieder seinem stürmisch erweckten Begehren die Resignation auferlegt hat. Sie hatte den Mut zu nehmen, aber nicht den Mut zu geben. Wie der Brief an Körner, deutet auch die „Freigeisterei der Leidenschaft" auf wirklich Erlebtes hin:


Jetzt schlug sie laut, die heißerflehte Schäferstunde,

Jetzt dämmerte mein Glück -

Erhörung zitterte auf deinem brennenden Munde,

Erhörung schwamm in deinem feuchten Blick.

Mir schauerte vor dem so nahen Glücke,

Und ich errang es nicht.

Vor deiner Gottheit taumelte mein Mut zurücke,

Ich Rasender! und ich errang es nicht!


Und so färbt auch bittere Erinnerung noch die Strophen der später entstandenen „Resignation", die von Hoffnung und Genuss sprechen:


Wer dieser Blumen eine brach, begehre

Die andre Schwester nicht.

Genieße, wer nicht glauben kann. Die Lehre

Ist ewig wie die Welt. Wer glauben kann, entbehre!

Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.

Du hast gehofft, dein Lohn ist abgetragen,

Dein Glaube war dein zugemessnes Glück.

Du konntest deine Weisen fragen:

Was man von der Minute ausgeschlagen,

Gibt keine Ewigkeit zurück.


Es sind die einzigen Liebesgedichte, die Schiller je gedichtet hat, denn seine Oden an Laura zählen überhaupt nicht, und was er später seiner Frau oder auch wohl einer anderen Geliebten ins Stammbuch geschrieben hat, geht über die Grenzen freundschaftlicher Neigung nicht hinaus. Und es ist charakteristisch für seine Lyrik, dass diese Liebesgedichte heute nur noch um ihres philosophischen Gehalts wegen interessieren. Sie sind nicht ohne Grund dafür angesprochen worden, dass der Dichter in ihnen sich schon als Kantianer offenbare, ohne noch eine Ahnung von Kant zu haben. In beiden Gedichten kämpft eine verzehrende Sinnlichkeit mit dem Gedanken der Pflicht; in der „Freigeisterei" bäumt sich die Sinnenwelt gegen die grausame Härte des Sittengesetzes auf, in der „Resignation" aber siegt das moralische Reich, wenn auch nur so, dass der Verzicht auf die Vergeltung der Tugend im Jenseits fast als Hohn erscheint auf alle, die sich durch die Hoffnung auf eine solche Vergeltung um den Sinnengenuss prellen lassen.

Wie nun aber immer die Katastrophe zwischen Schiller und Charlotte v. Kalb sich abgespielt haben mag, sie hat mehr einen betäubenden als erschütternden Eindruck auf den Dichter gemacht. Hätte ihn wirklich eine tiefe Liebesleidenschaft an Charlotte gefesselt, so hätte er nicht wenige Wochen darauf, als er eben in Leipzig angelangt war, bei Vater Schwan brieflich um die Hand Margaretens angehalten. Der gewiegte Geschäftsmann lehnte den Antrag unter einer höflichen Wendung ab und teilte ihn zur größeren Sicherheit nicht einmal der Tochter mit. Noch bezeichnender ist, dass sich Schiller schon in dem „kolossalischen Briefe" an Körner beruhigt, je länger er schreibt, und mit der trockenen Bemerkung schließt: „Auf einige andere Artikel schreibe ich morgen ganz gewiss an Huber." Und in diesem Briefe an Huber werden dann die „Geschäfte" schon wieder ganz in der Art des jungen Schiller erledigt, die man unmöglich tragisch nehmen kann.

Neben der leidenschaftlichen Begierde, die neuen Freunde zu sehen, will Schiller nach Leipzig gehen, teils um sich mit dem Herzoge von Weimar auf einen gewissen Fuß zu arrangieren, teils um seine Arbeiten möglichst gut zu verwerten und namentlich auch einen Verleger für die „Thalia" zu gewinnen. Außerdem will er „vorzüglich durch seines guten Herzogs Mitwirkung förmlich Doktor" werden. So schnell er nun auch seine Sache in Weimar persönlich durchsetzen könne, so müsse er doch dahin reisen und sich vorher in Mannheim loseisen. So soll Huber ihm 300 Taler Vorschuss von Buchhändlern oder „von anderen Juden" verschaffen. Zur Sicherheit fügte Schiller gleich einen Tilgungsplan dieser Schuld dabei, der nur an dem kleinen Fehler litt, vorauszusetzen, dass ihm die „Thalia", von der noch kein Heft erschienen war, eine jährliche Reineinnahme von 8-900 Reichstalern abwerfen würde.

Zum Glück war Schiller diesmal an den richtigen Mann gekommen. Körner hatte sich mit einem Teil seines Vermögens an dem Geschäft des Leipziger Buchhändlers Göschen beteiligt. Er ließ den gewünschten Vorschuss sogleich aus seinem Guthaben auszahlen und veranlasste auch, dass Göschen den Verlag der „Thalia" übernahm. Diese diskrete Regelung der pekuniären Schwierigkeiten ließ nun selbst den Alten auf der Solitüde an die Zukunft seines Fritz glauben; er sprach seine höchste Billigung über das erste Heft der „Thalia" aus und fügte hinzu. „Ich wundere mich nicht, wenn der Buchhändler in Leipzig so viel Honorarium bietet, denn die Purschen haben ihre Leute an sich, welche so etwas zu beurteilen wissen."

In der zweiten Aprilwoche etwa brach Schiller nach Leipzig auf. Die letzte Nacht in Mannheim verbrachte er mit Streicher, der in allen Fährnissen und Nöten, wie immer, treu zu ihm gehalten hatte. Von trüben Erfahrungen war die Laufbahn des Bühnendichters begleitet gewesen, und Schiller ergab sich der „Planschmiederei" für die Zukunft: er wollte Rechtswissenschaft studieren, und an einem der kleinen sächsischen Höfe gedachte er eine schnelle Laufbahn zu machen. Die Freunde schieden unter dem Versprechen, sich nicht eher zu schreiben, als bis der eine Minister, der andere Kapellmeister geworden sein würde. Sie haben sich nicht wiedergesehen.

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