Franz Mehring 19050503 Schiller und die Frauen

Franz Mehring: Schiller und die Frauen

3. Mai 1905

[gez.: Franz Mehring, Die Gleichheit, 15. Jg., Nr. 9, 3. Mai 1905. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 284-289]

In den landläufigen Literaturgeschichten pflegt man zu lesen, dass Schiller der Liebling der Frauen sei. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die Phrase auf ihren wirklichen Gehalt zu untersuchen; wäre dem so, so müsste man hinzufügen, dass die Frauen einen tieferen Blick für Schillers Größe gehabt haben, als er für die Größe der Frauenwelt hatte.

In Wahrheit hat Schiller von dem glühenden Freiheitspathos, das in seinen dichterischen Werken lebt, nur einmal den Frauen gespendet, und zwar in seiner Bearbeitung der italienischen Maskenkomödie „Turandot". Er lässt die Märchenprinzessin Turandot die Grausamkeit, womit sie ihre Freier mordet, also begründen:


Ich bin nicht grausam. Frei nur will ich leben,

Bloß keines andern will ich sein; dies Recht,

Das auch dem allerniedrigsten der Menschen

Im Leib der Mutter anerschaffen ist,

Will ich behaupten, eine Kaiserstochter.

Ich sehe durch ganz Asien das Weib

Erniedrigt und zum Sklavenjoch verdammt,

Und rächen will ich mein beleidigtes Geschlecht

An diesem stolzen Männervolke, dem

Kein andrer Vorzug vor dem zartern Weibe

Als rohe Stärke ward. Zur Waffe gab

Natur mir den erfindenden Verstand

Und Scharfsinn, meine Freiheit zu beschützen.

- Ich will nun einmal von dem Mann nichts wissen;

Ich hass' ihn, ich verachte seinen Stolz

Und Übermut. – Nach allem Köstlichen

Streckt er begehrlich seine Hände aus;

Was seinem Sinn gefällt, will er besitzen.

Hat die Natur mit Reizen mich geschmückt,

Mit Geist begabt – warum ist's denn das Los

Des Edeln in der Welt, dass es allein

Des Jägers wilde Jagd nur reizt, wenn das Gemeine

In seinem Unwert ruhig sich verbirgt?

Muss denn die Schönheit eine Beute sein

Für einen? Sie ist frei, so wie die Sonne,

Die allbeglückend herrliche, am Himmel,

Der Quell des Lichtes, die Freude aller Augen,

Doch keines Sklavin und Leibeigentum.


Aber es sind nur schöne Worte, die Schiller an dieser Stelle macht; sie dienen als dramatischer Notbehelf, um einen märchenhaften Charakter dem menschlichen Herzen näherzubringen. Seine eigene Meinung enthalten sie nicht, und auch Turandot bescheidet sich, als der Märchenprinz kommt, der ihre Rätselproben besteht.

An seine Braut und spätere Frau schrieb Schiller, dass sie „sein Geschöpf" sein solle, und in einem Brief an einen Jugendfreund schilderte er die Ehe zwar als wahre Wonne des Lebens, jedoch in dem Sinne, dass die Frau „unseren Gefühlen entgegenkommt und sich so innig und biegsam an unsere Launen schmiegt". So geißelte er auch in einem Spottgedicht die „berühmte Frau", die aus eigener Kraft tätig sein will:


Ein Zwitter zwischen Mann und Weib,

Gleich ungeschickt zum Herrschen und zum Lieben:

Ein Kind mit eines Riesen Waffen,

Ein Mittelding von Weisen und von Affen,

Um kümmerlich dem Stärkern nach zu kriechen,

Dem schöneren Geschlecht entflohn.

Ein starker Geist in einem zarten Leib.


Eine Fürstenmätresse suchte Schiller moralisch zu heben, indem er ihr die Worte in den Mund legte, dass „Gewalt nur ein elender Behelf ist, wenn den Frauen die größere Wonne versagt wird, Sklavinnen des Mannes zu sein, den sie lieben", und es liegt eine tiefe Wahrheit darin, wenn die Frau, die er vielleicht am leidenschaftlichsten geliebt hat, wenn Charlotte v. Kalb ihn zu ihr sagen lässt: „Du bist so selbstbestimmt – so dachte ich mir das Weib nicht!" Schillers Frauenideal war das junge, hingebende, willenlose Mädchen, dem „ersten Silberton auf unberührtem Klavier" gleichend; wo er die Frau gefeiert hat, da feiert er sie als „züchtige Hausfrau", als „treue Tochter der frommen Natur", die „in der Mutter bescheidener Hülle" bleiben soll, als „fühlende Seele", die dem schaffenden und wirkenden Leben gegenübersteht: „zärtlich geängstigt vom Bilde der Qualen", im Gegensatz zum Manne, den Schiller also schildert:


Streng und stolz, sich selbst genügend,

Kennt des Mannes kalte Brust,

Herzlich an ein Herz sich schmiegend,

Nicht der Liebe Götterlust.

Kennet nicht den Tausch der Seelen,

Nicht in Tränen schmilzt er hin.

Selbst des Lebens Kämpfe stählen

Härter seinen harten Sinn.


In diesen Worten liegt ein Selbstbekenntnis des Dichters: in des Lebens harten Kämpfen hat er der Liebe Götterlust nicht kennengelernt. Bis in sein zwanzigstes Lebensjahr war ihm die Welt der Frauen vollkommen fremd; eingepfercht in die dumpfen Mauern der Karlsschule, zu deren Zögling ihn eine ruchlose Despotenlaune des Herzogs von Württemberg gepresst hatte, durfte er nicht einmal seine Schwester sehen und konnte seine Mutter nur in Gegenwart von Aufsehern sprechen. Sobald er aber dieser Sklaverei entronnen war, packte ihn die Not des Lebens, die ihn lange Jahre wirbelnd umher warf und ihn eher nach einer „Mariage" im praktisch-nüchternen Sinne des Wortes als rettenden Hafen ausschauen als am holden Spiele der Herzen seliges Genügen finden ließ.

Auch seinem Leben fehlt nicht die rettende Frauenhand; in der schlimmsten Not seiner Jugend gewährte ihm Frau Henriette v. Wolzogen, die Witwe eines thüringischen Adligen, ein verschwiegenes Asyl auf ihrem Gute Bauerbach. Sie war eine grundgütige Frau, der Schiller immer aufrichtige Dankbarkeit gezollt hat, aber diese hilfreiche Hand zog ihn auch in die Kreise des thüringischen Hof- und Kleinadels, in denen sich, von einzelnen flüchtigeren Neigungen abgesehen, sein Liebesleben abgespielt hat, nicht zu seinem Heile. Drei Lotten sind es, denen nacheinander sein Herz gehört hat. Lotte v. Wolzogen, die Tochter seiner Wohltäterin, Lotte v. Kalb, das unglückliche Opfer einer Zwangsehe, und Lotte v. Lengefeld, seine Gattin. Die erste und die dritte kamen dem Frauenideal Schillers sehr nahe; bedeutender war die mittlere, oder vielleicht auch nur weniger unbedeutend. Denn wenn Charlotte v. Kalb zu viel Charakter und Geist besaß, um ganz das willenlose Geschöpf zu sein, das Schiller in der Frau am liebsten sah, so besaß sie nicht Charakter und Geist genug, um ihm eine ebenbürtige Gefährtin zu werden. Sie hat sein Leben mehr verängstigt und verstört als erhellt und erwärmt, und man mag es selbst als glückliche Fügung betrachten, dass seine Leidenschaft für sie am Ende auch nicht sehr tief ging und ihm mitten in den Krisen, die sie ihm schuf, doch die Muße zu mancherlei Erwägungen praktischer Heiratszwecke ließ. Wie sollten in diesen adeligen Sippen, deren Denken und Sein sich schließlich doch um den törichten Schnickschnack der kleinen thüringischen Höfe drehte, auch kernige und tüchtige Frauengestalten gedeihen!

So fehlte es den Dramen Schillers denn auch gar sehr an Frauengestalten aus einem Guss, die in der Dichtung Leben werden. Die Amalia in den „Räubern" wie die Leonore und die Julia im „Fiesco" sind ohne jede Kenntnis des Frauenlebens hingestellt, blutleere Schatten, die der Dichter selbst schon frühe preisgegeben hat. Erst in „Kabale und Liebe" beginnt er nach dem Leben zu gestalten; seine erste Liebe zu Lotte v. Wolzogen hat ihm die Hand geführt, als er die Luise Millerin schuf, und zur Lady Milford hat ihm die Mätresse des Herzogs von Württemberg gesessen, die Gräfin Hohenheim, die er einst als Karlsschüler auf Befehl ihres Buhlen in überschwänglicher Weise hat anhimmeln müssen. Leider ist die Lady durch einen sentimentalen Zug entstellt, der dieser Fürstendirne ganz fremd war, aber in der Luise stimmte das Frauenideal des Dichters gut zu der kleinbürgerlichen Heldin, die daran untergeht, dass sie die Pflicht gegen den Vater über die Pflicht gegen den Geliebten stellt.

Zu den gelungensten Frauengestalten Schillers gehört dann die Königin im „Don Carlos", bei der ihm Charlotte v. Kalb vorgeschwebt hat. Nicht sowohl als Vor-, denn als Gegenbild; der Königin in ihrer sicheren Hoheit und fraulichen Würde fehlt ganz, was Frau v. Kalb von einer Kokette und was sie von einer Sibylle besaß. Auch in der Prinzessin Eboli bringt Schiller den berechnend-buhlerischen Charakter trefflicher heraus als in der Lady Milford. Sein fortschreitendes Studium des Frauencharakters war unverkennbar und ließ reifere Früchte erwarten, aber der Allerweltsschwätzer Posa, der unter der allzu achtlosen Hand des Dichters zum Helden des Dramas emporgewachsen war, verdarb ihm die Lust am dramatischen Schaffen auf mehr als ein Jahrzehnt. Als er zur Bühne zurückkehrte, lebte er längst in einer, wie unsere Altvordern sagten, „friedsamen und gemächlichen" Ehe, ein patriarchalischer Hausherr, dem „sein Geschöpf", eben weil es „sein Geschöpf" war, dann freilich gar manches Mal die revolutionären Locken zu beschneiden wusste.

Im „Wallenstein" traten die Frauen schon durch den Stoff zurück, und es sind vielleicht nicht immer die besten Menschen, aber sicherlich nicht die schlechtesten Musikanten gewesen, die gern auch auf Thekla nebst Mutter und Tante verzichtet hätten; am wahrsten ist noch die Tante herausgekommen, die Gräfin Tertzky, die nicht unwürdig neben dem Helden steht. In „Maria Stuart" hat Schiller dann seinem Herzen volles Genügen getan, allen Glanz auf das büßende und leidende Weib ausgeschüttet und die willensstarke Herrscherin in alle Schatten arglistiger Heimtücke getaucht; nicht gerade im Widerspruch mit der Geschichte, die vielmehr, je helleres Licht sie über die Geschichte Maria Stuarts gebreitet, um so eifriger im Sinne des Dichters gearbeitet hat, aber doch mit einem leidenschaftlichen Akzente, der ein persönliches Empfinden stark anklingen lässt. In der „Jungfrau von Orleans" wagte sich Schiller an ein psychologisches Problem, dessen Lösung ganz außerhalb seiner Gaben lag: er machte aus der naiven Heldin des ausgehenden Mittelalters halb eine Megäre und halb eine Somnambule. Doch im „Wilhelm Tell" fand sich der Dichter noch einmal zurecht und schuf in Gertrud Stauffacher die prächtigste seiner Frauengestalten, die einsichtigste und tapferste Heldin des schweizerischen Freiheitskampfes, die den Plan zum Rütli ersinnt und ihren zögernden Gatten vorantreibt:


Gertrud: Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt

Zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!

Stauffacher: O Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist

Der Krieg; die Herde schlägt er und die Hirten.

Gertrud: Ertragen muss man, was der Himmel sendet;

Unbilliges erträgt kein edles Herz.

Stauffacher: Dies Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.

Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.

Gertrud: Wüsst' ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,

Den Brand würf' ich hinein mit eigner Hand.

Stauffacher: Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg

Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.

Gertrud: Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!

- Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich!

Stauffacher: Wir Männer können tapfer fechtend sterben,

Welch Schicksal aber wird das eure sein?

Gertrud: Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,

Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.


Schiller und die Frauen – es gibt glänzendere Kapitel als dieses in dem Leben des Dichters wie des Menschen Schiller. Aber sollen wir deshalb den Blick von ihm wenden oder ihn umzufälschen suchen, wie es die Bourgeoisie mit „ihrem" Schiller allzu lange und allzu wirksam getan hat? Man ehrt diesen großen Dichter am ehesten, wenn man ihn aus seinem Leben und aus seiner Zeit heraus zu verstehen sucht, wenn man ihm folgt, wo er neue Wege weist, und ehrlich über ihn urteilt, wo er selbst nur stille gestanden ist, getreu seinem eigenen Worte:


Nicht was lebendig, kraftvoll sich verkündigt,

Ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz

Gemeine ist's, das ewig Gestrige,

Was immer war und immer wiederkehrt

Und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.


Und über dies „ewig Gestrige" ist Schiller gegenüber den Frauen nicht hinausgekommen.

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