Franz Mehring 18930906 Herzog Ernst von Coburg (Auszug)

Franz Mehring: Herzog Ernst von Coburg

(Auszug)

6. September 1893

[Die Neue Zeit, 11. Jg. 1892/93, Zweiter Band, S. 737-740. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 92-95]

Glück muss der Mensch haben, und wer all sein Lebtag von der Reklame gelebt hat, der kann sich nichts Besseres wünschen, als in der Hochsommerzeit zu sterben, in den dürren Tagen der sauren Gurke, wo die stoffhungrigen Zeitungen jede mühsam erhaschte Fliege in ihren Spalten zu einem Elefanten aufzublähen suchen. Dies Glück hat dem Herzoge Ernst von Coburg und Gotha noch zu guter Letzt geblüht, und wenn er hätte vorhersehen können, wie die bürgerliche Presse nun schon wochenlang von den Resten seines Leichenschmauses zehrt, so hätte es ihm dieser ungewöhnliche Genuss leichter oder je nachdem auch schwerer gemacht, von der freundlichen Gewohnheit des Daseins zu scheiden.

Wer den Herzog Ernst im Spiegel seiner Reklame sehen will, der muss sich wohl oder übel durch seine sogenannten Denkwürdigkeiten zu würgen suchen. Der Humbug beginnt gleich bei dem Titelblatte, denn nicht Herzog Ernst ist der Verfasser des ungenießbaren Schmökers, sondern einer jener literarischen Lakaien, welche die bürgerliche Literatur und Wissenschaft dem thüringischen Kleinfürsten mit heißer Begier stellte: nämlich der Geschichtsprofessor Lorenz in Jena. Bei alledem raten wir niemandem zu der sauren Arbeit, die drei dicken Bände auch nur flüchtig durchzumustern; man kann dabei vor gähnender Langeweile umkommen. […]

Jede Befriedigung seiner Eitelkeit weckte um so heftiger den Durst nach neuen Eitelkeiten, denn immer fiel gerade in seine süßeste Selbstberauschung als ein bitterer Tropfen der Gedanke, dass auch der beschränkteste Untertanenverstand sich die vereinigte Macht der Herzogtume Coburg und Gotha nicht als eine weltbewegende Kraft werde aufreden lassen. Auch hatte er in dieser Beziehung manche schlimme Erfahrung zu machen. Im Zenit seiner Erfolge, als er auf allen Sänger-, Schützen- und Turnfesten mit dem rebellischen Philister fraternisierte, ließ er durch seinen literarischen Lakaien Tempeltey den Führern der preußischen Fortschrittspartei, die gerade mit Bismarck im heftigsten Verfassungskonflikte lag, wörtlich schreiben:


Bedürft ihr seiner zu bestimmter Tat,

Dann ruft den Teil, es wird an ihm nicht fehlen.


Aber so weit reichte selbst damals die üppige Einbildungskraft der Berliner Fortschrittler nicht. Sie antworteten achselzuckend: was kannst du armer Teufel geben? und sie taten auch sehr klug daran. Denn wenn sie zur „bestimmten Tat" gekommen wären, so hätte sich dieser „Teil", der nach echter Bourgeoisart mit plumper Großsprecherei einen feinen Geschäftssinn zu verbinden wusste, schon rechtzeitig auf die Seite der Geßler zu schlängeln gewusst. In der preußischen Konfliktszeit gingen die giftigsten Kalembourgs auf den König Wilhelm vom Coburger Hofe aus, und auf dem Frankfurter Fürstentage munkelte der Herzog Ernst mit Österreich gegen Preußen, aber als die „bestimmte Tat" herannahte, da fiel er rechtzeitig auf die rechte Seite, und er trug die Schmalkaldener Forsten als einen Millionenpreis für den glücklichen Wandel seiner Gesinnung davon. […]

Die Schmalkaldener Forsten waren ein trefflicher Bissen für den Herzog und ein verdienter Erfolg seiner genialen Diplomatie; weniger glücklich fuhren bei der Umwälzung von 1866 die Länder, die den Vorzug hatten, diesen ausgezeichneten Herrscher zu besitzen. Fritz Reuter, der dazumal, um dem „politischen Elend Mecklenburgs" zu entgehen, in die thüringische Kleinstaaterei übergesiedelt war, fiel aus den Wolken, als er hier so ziemlich dasselbe politische Elend und nur noch materielles dazu vorfand. Er war damals längst nicht mehr der alte Demagoge, aber er war doch ehrlich genug, um in dem gepriesenen Eldorado der politischen Freiheit nichts als „die Misere der Kleinstaaterei und die jammervollste Kopflosigkeit ihrer Lenker" zu entdecken, um zu sehen, dass die deutschen Kleinstaaten durch die bismärckische Sorte von deutscher Einheit aus dem Regen in die Traufe gekommen seien. Ländchen, die „bequem von ein paar preußischen Landräten in Schlafrock und Pantoffeln regiert werden konnten", behielten ihren „Hofstaat und Regierungsapparat, der, mit Sparsamkeit und Tätigkeit gehandhabt, für einen Großstaat ausreichen" würde, und dazu kamen nun noch die Lasten des feudal-militärisch-polizeilichen Großstaats, als deren unvermeidliche Folgen Reuter dann beklagt: „unerschwingliche Steuern, Einschränkung der Schulen und unverantwortlicher Beschnitt der kümmerlichen Gehälter von Subalternbeamten". Dass die ganz überflüssige Drohnenmasse der Hof- und Ministerialbeamten nichts von ihren Einkünften auf dem Altare des Vaterlandes opferten, verstand sich am Rande.

Am meisten empörte den alten Burschenschafter aber, dass die thüringischen Kleinfürsten, und in erster Reihe der eben mit den Schmalkaldener Forsten gesegnete Herzog von Gotha, im Jahre 1867 die Universität Jena zur höheren Ehre Molochs abzuschlachten gedachten. „Denke Dir", schrieb Fritz Reuter an einen Freund, „die Universität Jena soll wegen Geldmangels, der infolge der höheren Militärausgaben eingetreten ist, aufgehoben werden. Altenburg und Gotha sind dafür; auch die Minister Meiningens schämen sich nicht, diesen Mord geistiger Kultur zu befürworten, der Herzog soll noch dagegen sein; nur Weimar ist entschieden für die Erhaltung." Man ist schließlich doch vor dem Vandalismus zurückgeschreckt, aber dass ein solcher Plan überhaupt ernsthaft erörtert werden konnte, kennzeichnet zur Genüge das Mäzenatentum des Herzogs Ernst. Er war darin freilich nicht viel schlechter als andere seinesgleichen auch; im Grunde hat nur der alte Karl August von Weimar verstanden, mit einigem Anstand den fürstlichen Mäzen zu spielen, und selbst der entschied sich angesichts der Frage, ob Goethe oder ein französischer Köter – in dem köterhaftesten Sinne des Wortes – auf der Weimarer Bühne herrschen sollte, für den Köter und gegen Goethe. Aber arg genug hat es der Herzog Ernst auch auf diesem Gebiete getrieben. Sein Bedürfnis nach Reklame fand einen sehr fruchtbaren Boden in der Gesinnungslosigkeit des bürgerlichen Literatentums; nicht nur die Lorenz und Tempeltey küssten ihm den Staub von den Stiefeln, sondern auch Gustav Freytag lauschte andächtig den „goldenen Worten" seines „ritterlichen Herrn", und Rudolf Gottschall, der revolutionäre Poet von Anno dazumal, feierte in prunkendem Wortschwalle die „fürstlichen Beschützer von Kunst und Wissenschaft". Spielhagen freilich, der einmal an dem herzoglichen Hofe von Freytag geschnitten worden war, entwarf in seinem Roman „Was will das werden?" ein Bild des Herzogs, das gar nicht übel, aber deshalb auch durchaus nicht schmeichelhaft war. Indessen, wenn er nur ein wenig Reklame für sich machen konnte, wusste der Herzog die christliche Tugend des Verzeihens gar wohl zu üben. Zu Spielhagens sechzigstem Geburtstage richtete er ein huldigendes Glückwunschschreiben an den Dichter, der ihm so wehe getan hatte. Nein, übelnehmerisch war dieser tugendhafte Fürst durchaus nicht, es sei denn, dass arme Teufel von sozialistischen Zeitungsschreibern die reaktionäre Misswirtschaft in seinem Ländchen beim richtigen Namen nannten. Dann allerdings entbrannte er in gerechtem Zorn, und die Behandlung der politischen Gefangenen in seinen Gefängnissen konnte den Ruhm der russischen Knute erbleichen machen. Besonders stark war er in Anklagen wegen Majestätsbeleidigung, vielleicht von dem literarischen Ehrgeize gequält, den Tiberius in Duodez, den sein Hofpoet Freytag in der „Verlorenen Handschrift" geschildert hatte, als eine glaubhafte Figur erscheinen zu lassen. […]

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