Franz Mehring 19020000 Lassalles Trauerspiel „Franz von Sickingen"

Franz Mehring: Lassalles Trauerspiel „Franz von Sickingen"

1902

[Aus dem literarischen Nachlass von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle. Herausgegeben von Franz Mehring, Vierter Band, Stuttgart 1902, S. 199-206. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S.12-20]

In diesem und dem folgenden Jahre haben Lassalle und Marx am eifrigsten miteinander korrespondiert. Je mehr das politische Leben in Europa wieder erwachte, umso lebhafter beteiligten sie sich daran, aber umso schärfer trat nun auch hervor, was sie bei aller Einheit der Grundanschauungen trennte. Das lässt sich nirgends so eingehend und namentlich so unbefangen studieren wie zu dieser Zeit, die bewegt genug war, um die schlummernden Gegensätze zu entfalten, aber noch nicht bewegt genug, um sie schon aufeinanderstoßen zu lassen.

Im Jahre 1859 entbrennt der Streit besonders an zwei Schriften Lassalles, an seinem Trauerspiel und der Broschüre über den italienischen Krieg. Es bezeichnet Lassalles innerstes Wesen, dass er gerade diese Schriften so lebhaft diskutiert und verteidigt, während er seine ungleich hervorragenderen wissenschaftlichen Werke in den Briefen an Marx fast nur im Vorbeigehen streift. Das Trauerspiel und die Broschüre suchten in die praktischen Tageskämpfe einzugreifen, und das war ihm immer die Hauptsache. Sosehr diese beiden Schriften für den heutigen Leser fast allen anderen Schriften Lassalles nachstehen, so sehr sind sie geeignet, seine historische Stellung zu Marx und Engels zu beleuchten, und es rechtfertigt sich deshalb wohl, zunächst die wesentlichen Gesichtspunkte zusammenzufassen, um die es sich dabei handelt, ehe ich dazu übergehe, die einzelnen Briefe zu kommentieren.

1. Sickingen und der deutsche Bauernkrieg

Die Abhandlung über die formelle tragische Idee des Trauerspiels ist bereits ein- oder selbst zweimal gedruckt worden: in Bernsteins Ausgabe" der Reden und Schriften Lassalles sowie in der „Neuen Zeit" IX, 1,588. Bei ihrem verhältnismäßig geringen Umfange habe ich sie aber nicht fortlassen zu sollen geglaubt, da sie unerlässlich ist, um den Brief 46 zu verstehen.

Seine Verse verteidigt Lassalle etwa wie Lessing seine Jamben im „Nathan": sie wären viel schlechter, wenn sie viel besser wären. In gleichem Sinne scheint sie auch Marx gelobt zu haben. Auf keinen Fall brauchte sich Lassalle leid sein zu lassen, diese „verachtende Nachlässigkeit" bekundet zu haben gegenüber dem übertriebenen Wert, der in den fünfziger Jahren auf die geleckte Versdrechslerei gelegt wurde. Lassalle hat seine Tragödie nicht geschrieben, um gegen die literarische Entwicklung der Reaktionszeit zu protestieren, aber da er sie einmal schrieb, so protestierte er nebenbei auch gegen diese Richtung, gegen jene „schlechte Partikularistik", die sich damals in der deutschen Literatur breitzumachen begann und unter wechselnden Formen bis auf den heutigen Tag breitmacht. Sowenig Lassalles Drama ein Muster seiner Art ist, so hoch steht es in seinen groß gedachten und kräftig durchgeführten Grundzügen innerhalb einer Zeit, deren einziger großer Dramatiker, Friedrich Hebbel, ziemlich gleichzeitig einen mittelalterlichen Stoff misshandelte, um das reaktionäre Junkerregiment in Berlin und in Wien zu verherrlichen. Mit dem Schlagworte der Tendenz mögen sich Kinder erschrecken lassen. Alle lebendige Dichtung wurzelt im Boden ihrer Zeit, und die naserümpfenden Bemerkungen der modischen Literaturhistoriker über Tendenzpoesie sind um so hinfälliger, als diese Leute Kamele verschlucken, wenn die Tendenz, wie bei Hebbel, der Reaktion, und Mücken seihen, wenn sie, wie bei Lassalle, der Revolution entgegenkommt.

Es versteht sich, dass Marx und Engels sich bei dergleichen Trödeleien nicht aufhielten, und Lassalle konnte wohl zufrieden sein mit ihrem Lobe der, wie er sich ausdrückte, „schweißtreibenden Kraft" seiner Tragödie. Aber nichts ist auch verständlicher, als dass Marx sofort den Finger auf die wundeste Stelle des Dramas legte, als dass er fragte, ob das behandelte Thema zu der tragischen Idee passe, die Lassalle entwickeln wolle. Die bürgerliche Revolution von 48 und 49 war in Deutschland daran gescheitert, dass sie nicht den Mut gehabt hatte, ihre Konsequenzen zu ziehen und im Bunde mit der Arbeiterklasse den Absolutismus und Feudalismus zu stürzen, dass sie vielmehr, gerade um die Arbeiterklasse übers Ohr zu hauen, mit dem absolutistisch-feudalen Regiment diplomatisiert hatte, um dann von diesem desto gründlicher übers Ohr gehauen zu werden. So lag aber nicht der historische Fall Sickingens, wie Marx sofort hervorhob, dessen Meinung aus den immerhin nur fragmentarischen Sätzen, die Lassalle zitiert, doch deutlich genug hervorgeht.

Sickingen ist nie in den Fehler verfallen, seine Mittel nicht von seinen Zwecken durchdringen zu lassen. Er wollte die Herrschaft der Ritterklasse und begann den Kampf für sie ganz konsequent mit einer ritterlichen Fehde. Unterlag er dennoch, so jedenfalls nicht in dem tragischen Widerspruche, worin Lassalle ihn unterliegen lässt. Nun sagt Lassalle zwar, es sei sein Dichterrecht, seinen Helden zu idealisieren und ihm nur gerade das Maß ritterlicher Beschränktheit zu lassen, das die Ursache seines Unterganges gewesen sei. Allein die ritterliche Beschränktheit tritt in dem Drama niemals als solche auf, sondern immer als jenes „Listen mit der Idee", dessen sich auch die bürgerlichen Revolutionäre von 48 und 49 schuldig gemacht hatten, und mit dem Idealisierungsrecht des Dramatikers macht es sich Lassalle allzu bequem. Er vertritt so ziemlich das Gegenteil der Auffassung, die Lessing in den Sätzen vertrat: mit den historischen Tatsachen möge der dramatische Dichter umspringen, wie er wolle, dagegen müsse er die historischen Charaktere als etwas Eigentümliches und Wesentliches achten. Er dürfe sie wohl ins Licht stellen, aber nicht verändern, und lieber solle er auf historische Namen verzichten als ihren Trägern andere oder gar entgegengesetzte Charaktere unterschieben.

Sickingen ist als historischer Charakter der mittelalterliche Ritter, der noch einmal alle Kraft seiner Klasse zusammenfassen will, um ihren historisch unvermeidlichen Untergang abzuwenden. Soll dieser eigentümliche und wesentliche Charakter ins Licht gestellt, aber nicht verändert werden, so liegt seine Idealisierung in der von Engels angedeuteten Richtung, dass Sickingens Pläne, gerade je größer sie gedacht sind, um so unvermeidlicher an der Borniertheit seiner eigenen Klasse scheitern. Wie Lassalle dies einen „schrecklichen und eigentlich ganz untragischen Anblick" nennen kann, wäre schwer verständlich, wenn es sich nicht daraus erklären würde, dass er von seiner besonderen tragischen Idee voreingenommen war. Der tragische Konflikt, auf den Engels hindeutet, ist der Konflikt Wallensteins, dessen große Pläne für das nationale Kaisertum an der Borniertheit dieses Kaisertums scheitern. Wenn Lassalle sich darauf beruft, Schillers Wallenstein sei doch auch nicht der historische Wallenstein, so ist der Unterschied eben der: Schiller hat seinen Helden bei aller Idealisierung doch historisch zu fassen gewusst, ja viel historischer als die gleichzeitige Geschichtschreibung schon vermochte, während der historische Sickingen bei Lassalles Idealisierung ganz in die Brüche geht. Gewiss konnte Lassalle seine tragische Idee wählen, wie er wollte, aber Marx und Engels machten ihm auch nicht den Vorwurf, diese und nicht eine andere Tragödie gedichtet zu haben, sondern sie sagten ihm nur: um deine tragische Idee zu entwickeln, hast du ein ganz falsches historisches Beispiel gewählt.

Dagegen beruft sich Lassalle aber nicht nur auf sein ästhetisches, sondern auch auf sein historisches Recht. Obgleich dies für den Dichter der Nebenpunkt sein musste, so ist es doch für den Politiker der Hauptpunkt, und für uns, die wir an dem Dichter ein ungleich geringeres Interesse nehmen als an dem Politiker, das, was uns heute noch an dem Streit interessiert. Sooft Lassalle historisch-materialistisch zu deduzieren verstanden hat, so steht er dem historischen Materialismus doch noch befangen gegenüber, wenn er ihn mit der Hegelschen konstruktiven Geschichtsanschauung zusammenwirft. Von dieser mag es gelten, dass sie keinen Boden biete, weder für das praktische revolutionäre Handeln noch für die vorgestellte dramatische Aktion, aber es gilt nicht für den historischen Materialismus, der nicht behauptet, dass vorherbestimmte Ideen die Geschichte machen, sondern der vielmehr die Menschen ihre Geschichte machen lässt, wenn auch nicht aus freier Faust oder unter selbstgewählten, sondern vielmehr unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Lassalle hing, wie er ja auch selbst sagt, noch wesentlich der Hegelschen Geschichtskonstruktion an, und sie verwickelt ihn denn auch gleich in den eigentümlichen und sich höchstens in ganz mystischen Vorstellungen ausgleichenden Widerspruch, dass ihm im Briefe 46 ein dramatisch zündendes Interesse unmöglich erscheint ohne die umgestaltende und entscheidende Wirksamkeit individuellen Entschlusses und Handelns, während er in der gedruckten Vorrede der Tragödie den Fortschritt des deutschen Dramas gerade dahinein setzt, die Individuen nur als Träger und Verkörperungen der kämpfenden Gegensätze des allgemeinen Geistes gelten zu lassen.

Dabei übersieht Lassalle die wirkliche Schranke, die dem individuellen Entschließen und Handeln gesetzt ist. Gewiss geht seine Beweisführung, dass Sickingen sich sehr wohl mit den Städten und den Bauern hätte vertragen können, von dem an sich richtigen Satz aus, dass einzelne Individuen sich über die Schranken ihrer Klasse zu erheben vermögen. Allein den Fällen Žižka, St. Just, St. Simon, die er anzieht und denen sich in unserem Jahrhundert die Fälle Marx, Engels, Lassalle anreihen, entsprach in der deutschen Reformationszeit der Fall Florian Geyer, nicht jedoch der Fall Sickingen. Sickingens historische Stellung beruht ganz und gar darin, der klassische Vertreter des niedern Adels im Beginn des 16. Jahrhunderts zu sein. Wollte man als möglich annehmen, dass er für seine Person noch bei längerem Leben sich an die Spitze der aufständischen Bauern gestellt hätte, so hätte er aufgehört, das Haupt der Ritter zu sein, so wäre er ein ganz anderer Sickingen geworden, als den wir historisch kennen. Der historische Sickingen konnte unter den gegebenen historischen Bedingungen nur dann daran denken, die ganze Nation zu revolutionärem Kampfe aufzurufen, wenn sich die Klasseninteressen der Städte und der Bauern mit den Klasseninteressen der Ritterschaft hätten vereinigen lassen.

Lassalle war ein zu guter Logiker, um sich nicht auf diesen Gesichtspunkt hingedrängt zu fühlen, allein was er darüber ausführt, ist nicht stichhaltig. Es war so, wie Marx sagte, dass hinter Huttens und Sickingens Schlagworten von deutscher Einheit und Freiheit der Traum des alten Faustrechtes lauerte, und nichts kann eine irrigere Vorstellung sein als der weitblickende Staatsmann Sickingen, der den Städten die Hand zum Bunde gereicht habe, aber von ihnen im Stiche gelassen worden sei. Sickingens Staatsideal, die auf Leibeigenschaft beruhende Adelsdemokratie mit monarchischer Spitze, war schon deshalb unmöglich, weil es damals bereits bedeutende und mächtige Städte in Deutschland gab, und wie Sickingen in seiner „ersten Periode" die Städte bis aufs Blut zwackte, wo immer er konnte, so verhöhnte sie Hutten nicht minder in seinen Schriften. Beide setzten ihre Hoffnungen, solange es dafür irgendeine Aussicht gab, auf den Kaiser, und erst als diese Aussicht erlosch, begann ihre „zweite Periode", die kein Produkt staatsmännischer Einsicht, sondern bitterer Not war.

An Huttens Schriften lässt sich der Entwicklungsprozess sehr genau verfolgen. Noch in der ersten Sammlung seiner Dialoge, die im April 1520 erschien, schildert er die Städte als Erzeugnisse der Verweichlichung, als Schutzwehren für die Feigen und Trägen, die sich nicht mehr im freien Felde wehren möchten. Solche Verderbnis, solchen Abfall von altdeutscher Sitte zu bekämpfen hätten die Ritter als Vertreter vaterländischer Art alles Recht; da sie aber jenen Entarteten hinter den Wällen und Mauern nicht beikommen könnten, so bliebe ihnen nichts anderes übrig, als, wenn einer ausreise, ihn unterwegs niederzuwerfen und auszuplündern. Dafür müssten die Städte den Rittern noch dankbar sein, denn nur so würden sie vor völligem Versinken in träge Üppigkeit bewahrt. Da diese offenherzigen Bekenntnisse ihre unangenehmen Folgen haben konnten, so lenkt Hutten schließlich etwas ein: er tadelt sogar den „mannhaften Frevel" des ritterlichen Raubwesens, weil die Stegreifritter zu gewaltsam und rau verführen, aber er fordert gesetzliche Mittel, um die fremden Waren auszuschließen und die städtischen Schwelger zur Wahl einer anderen Lebensart oder zur Auswanderung zu zwingen.

In der zweiten Sammlung seiner Dialoge, die im Anfange des Jahres 1521 erschien, als die Hoffnung auf die Hilfe des Kaisers sehr herab gestimmt war, schlägt Hutten einen milderen Ton an. Ein Kommis der Fugger unterhält sich mit ihm und Sickingen, wobei dieser durch allerlei Sophismen den Kaufmann zwingt, das ritterliche Fehderecht anzuerkennen, das natürlich allen städtischen Interessen ins Gesicht schlug. Auch muss sich der Kommis belehren lassen, die ritterlichen Wegelagerer seien die unschädlichsten Räuber in Deutschland, viel schädlicher seien die Kaufleute, aber noch schädlicher als diese seien die Schreiber und Juristen und endlich am allergemeingefährlichsten die Pfaffen. Auf einen lustigen Krieg gegen die Pfaffen einigen sich schließlich die drei Unterredner; Sickingen erklärt, er habe sich längst vorgenommen, sich mit den Städten auszusöhnen; der Kaufmann behauptet, dass die Städte nichts eifriger wünschten als ein Bündnis mit dem Adel, während Hutten wieder sehr offenherzig die eigentliche Triebkraft des Handelns mit den Worten aufdeckt: „Die Städte haben Kräfte und Geld im Überfluss, so dass, wenn es zum Kriege kommt, wozu es meines Erachtens kommen muss, sie den Nerv dazu liefern können." Sehr ermunternd war das schließlich auch nicht für die Städte, und so behielten sie auch taube Ohren, als Hutten wieder ein Jahr darauf in der wachsenden Bedrängnis nur noch die pathetische Note anschlug: Ihr frommen Stadt', nun habt in Acht Des gmeinen deutschen Adels Macht, Zieht den zu euch, vertraut ihm wohl: Ich sterb', wos euch gereuen soll … Dann durch ein solch Vereinigung mag Uns werden gholfen, wie ich sag, Und ist kein ander Arzenei, die uns mach' unser Krankheit frei etc.

Was im letzten Grunde eine Verständigung zwischen Rittern und Städten verhinderte, hatte Engels schon im Jahre 50 ausgeführt, indem er schrieb: „Auf der andern Seite war aber auch jene Allianz des niedern Adels und der Städte unmöglich, die in England die Verwandlung der feudal-ständischen Monarchie in die bürgerlich-konstitutionelle zustande brachte. In Deutschland hatte sich der alte Adel erhalten, in England war er durch die Rosenkriege bis auf 28 Familien ausgerottet und wurde durch einen neuen Adel bürgerlichen Ursprungs und mit bürgerlichen Tendenzen ersetzt; in Deutschland bestand die Leibeigenschaft fort, und der Adel hatte feudale Einkommensquellen, in England war sie fast ganz beseitigt, und der Adel war einfacher bürgerlicher Grundbesitzer mit der bürgerlichen Einkommensquelle: der Grundrente."1 Damit sind denn auch die gelegentlichen Hinweise Lassalles auf die englische Entwicklung erledigt, und zugleich ergibt sich aus der feudalen Einkommensquelle des Adels, dass er dem Kampfe der Bauern um eine wesentliche Einschränkung dieser Quellen feindlich gegenüberstehen musste, und zwar um so feindlicher, als das Schinden und Schaben der Bauern ihm allein noch den „Nerv" liefern konnte, von dem Hutten spricht.

Wie nun konstruiert dennoch Lassalle die Möglichkeit eines Bündnisses zwischen Adel und Bauern heraus? Er spricht von tausend Dingen, die sich dafür anführen ließen, dass Sickingen hätte mit den Bauern gehen können, aber wenn man nach den drei Dingen urteilen soll, die Lassalle wirklich anführt, dann steht es mit den tausend Dingen sehr schwach. Wenn sich Sickingen einen Žižka zu nennen liebte, so dachte er dabei gar nicht an Žižkas sozialpolitische Stellung, wie immer es sonst um diese bestellt gewesen sein mag, sondern an Žižkas rücksichtslosen Krieg gegen die Pfaffen, wie er denn bei seinem Rückzuge von Trier in grundsätzlicher Nachahmung Žižkas Kirchen und Klöster zerstörte. Ferner die Befürchtung der Fürsten, dass Sickingen einen Bundschuh mit dem gemeinen Manne errichten könne, war weiter nichts als eine verdächtigende Finte von Sickingens Feinden, wie Hutten auch ganz richtig herausfühlte; es war etwa ebenso, als wenn heute die feudale Reaktion den vulgären Liberalismus beschuldigt, die Vorfrucht der Sozialdemokratie zu sein, und ganz wie heute der vulgäre Liberalismus, so verteidigt sich Hutten damit, dass er nicht einen losen, leichtfertigen Haufen, sondern ehrbare, redliche Leute an sich gehängt habe. Was endlich den Neu Karsthans anbetrifft, so steht durchaus nicht fest, dass Hutten diesen Dialog verfasst hat; der sorgfältigste Herausgeber von Huttens Schriften vermutet in Ökolampadius den Verfasser, und in der Tat spricht manches dafür, dass der Neu Karsthans die verlorene Stilübung eines Geistlichen aus dem Hutten-Sickingschen Kreise ist. Aber gleichviel, was steht denn darin? Die Aufforderung des Bauern Karsthans, ihm und seinen Genossen ein Hauptmann, wohlgemerkt gegen die Pfaffen, zu werden, nimmt Sickingen keineswegs an; er sagt, das wisse er noch nicht und habe es bisher unserem Herrn Gott befohlen. Sonst stellt sich Sickingen zur Bauernbewegung so, dass er den Aufruhr des gemeinen Mannes kommen sieht, aber ihn fürchtet und abzuwenden sucht, weil der große Haufe mit Unvernunft dreinzuschlagen und gegen den Unschuldigen wie gegen den Schuldigen zu wüten pflege. Und so ermahnt dieser Ritter, der aus den eigennützigsten Gründen und unter den frivolsten Vorwänden so viele Städte gezwackt und so viele Dörfer ausgepocht hatte, den ungebärdig nach Karst und Flegel rufenden Bauern, er möge doch nur geduldig warten, und wenn es ja zum Dreinschlagen komme, nicht aus Eigennutz, Neid oder Rachbegier, sondern in christlicher Meinung, um Gottes und der Gerechtigkeit willen handeln. Was alles denn wieder recht ergötzlich an moderne Beispiele erinnert.

Nun will Lassalle noch aus der Sache selbst beweisen, dass Adel- und Bauernbewegung sehr wohl hätten zusammengehen können, weil sie dasselbe reaktionäre Grundprinzip gehabt hätten. Unzweifelhaft ist manches Wahres an dem, was er über den Bauernkrieg sagt, namentlich auch über die partikularistische Beschränktheit der einzelnen Bauernhaufen, die Engels in seinem Aufsatze über den Bauernkrieg ebenso hervorgehoben hatte. Sie ist ein schwer zu überwindendes und jedenfalls bisher noch nicht überwundenes Hindernis für die dramatische Behandlung des Bauernkrieges, und ästhetisch weiß sich Lassalle in einer vielleicht nicht völlig durchschlagenden, aber sehr geschickten Weise gegen den Vorwurf zu verteidigen, die Bauernbewegung zu tief in den Hintergrund geschoben zu haben; nicht ohne Grund pocht er darauf, dass er für sie ästhetisch getan habe, was sich irgend für sie tun ließ. Allein seine historische Auffassung geht gleichwohl völlig irre, wenn sie Adel- und Bauernbewegung über denselben reaktionären Kamm scheren will. Lassalle zeigt sich hier ganz und gar in der Geschichtskonstruktion Hegels befangen, die den historischen Verlauf der Dinge nach ideologischen Prinzipien abwandelt. Vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet, waren die Ritter eine für die nationale Produktion gänzlich überflüssig gewordene und nur noch an ihrem Marke parasitisch saugende Klasse, während die Bauern die eigentlich produktive Klasse der Nation waren und als solche in ihren zwölf Artikeln Forderungen aufstellten, deren Erfüllung die nationale Produktivkraft gestärkt haben würde. Diese Forderungen waren also nicht reaktionär, sondern allerdings revolutionär, wenn auch nicht revolutionär im Sinne Lassalles, der die Revolution bekanntlich als die Ersetzung eines alten durch ein neues Prinzip definierte. Gegen das ritterliche Programm, das eine historisch überwundene Kulturstufe wiederherstellen wollte, war selbst der deutsche Fürstendespotismus des 16. Jahrhunderts ein historischer Fortschritt, aber er war es keineswegs gegenüber dem bäuerlichen Programm, das sich sehr wohl mit dem Programm der Städte vereinigen ließ und in dieser Vereinigung die Errichtung einer nationalen Zentralgewalt ermöglichte, die den ganzen von Deutschland mit so viel Blut und Tränen bezahlten Notbehelf der partikularistischen Fürstenwirtschaft überflüssig gemacht hätte. Was Lassalle von den Rittern mit Unrecht sagt, das ließe sich von den Bauern mit Recht sagen, nämlich dass sie von den Städten im Stiche gelassen worden seien. Aber freilich im letzten Grunde erklärt sich der Sieg der Fürsten durch die verhältnismäßig tiefe Stufe der ökonomischen Entwicklung, worauf Deutschland in diesem entscheidenden Wendepunkt der europäischen Geschicke stand; sie verschuldete jene partikularistische Beschränktheit, von der sich die Städte sowenig wie die Bauern befreien konnten.

In dem Trauerspiele Lassalles und seinen Kommentaren dazu machte sich ein Rest ideologischer Auffassung geltend, der in manchen Punkten vorbedeutend für seine spätere Arbeiteragitation war. Wie den Junker Sickingen, so hielt er den Junker Bismarck für fähig, als typischer Vertreter einer Klasse sich gleichwohl bis zu einem gewissen Grade über deren Vorurteile zu erheben, und von den Gewerkschaften, die nur auch erst den Missbrauch, aber noch nicht den Gebrauch bekämpfen, die das Privateigentum noch nicht als Prinzip verneinen, mochte er nicht viel wissen. Nach anderen Richtungen kündigten sich kommende Ereignisse in seiner Broschüre über den italienischen Krieg an und in den Kommentaren, die Lassalle dazu an Marx und Engels richtete.

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