Franz Mehring 18920224 Peucker II.

Franz Mehring: Peucker II.1

24. Februar 1892

[Die Neue Zeit, 10. Jg. 1891/92, Erster Band, S. 705-709. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 108-113]

In dem geschichtlichen Unterrichte der preußischen Schulen ist seit einigen Jahren eine große Revolution eingetreten, wenn es anders erlaubt ist, eine sehr fromme Sache mit einem so gottlosen Worte zu nennen. Es wird ausschließlich oder hauptsächlich vaterländische Geschichte getrieben, diese Geschichte aber wird am Faden der Fürstenbiographien aufgezogen, und diese Fürstenbiographien wieder werden nicht von vorn nach hinten, sondern von hinten nach vorn, nicht vom Vorgänger zum Nachfolger, sondern vom Nachfolger zum Vorgänger vorgetragen, so dass der Schüler immer schon die Wirkung verdaut hat, ehe er überhaupt etwas von ihrer Ursache erfährt. Namentlich diese letzte Neuerung ist epochemachend; wenn in dem heranwachsenden Geschlechte mit so genialer Gründlichkeit der Begriff des kausalen Zusammenhanges zerstört wird, welcher in der geschichtlichen Entwicklung waltet, so ist alle Aussicht vorhanden, dass der beschränkte Untertanenverstand in seiner preußischen Heimat bis an das Ende aller Dinge dauern wird.

Ob es mit dem literargeschichtlichen Unterrichte in den preußischen Schulen, soweit er in denselben überhaupt stattfindet, ähnlich gehalten wird, darüber sind wir nicht näher unterrichtet. Bejahendenfalls würde dieser Unterricht seit einigen Tagen mit der Einführung der Schüler in Herrn v. Wildenbruchs Märchenschwank „Das heilige Lachen" beginnen, und das wäre für die Pflege patriotischen Sinns am Ende auch viel ratsamer, als wenn die Jugend mit den gar nicht im Stechschritt einher marschierenden und nach polizeilich gar nicht kontrollierbaren Gegenden ausschwärmenden Gedichten des desertierten Regimentsmedikus Schiller behelligt wird. Seit Dantes „Göttlicher Komödie" ist ein so großer Anlauf wie jener Märchenschwank noch nicht wieder unternommen worden; selbst ein Vergleich mit Goethes „Faust" wäre schon eine Beleidigung für Herrn v. Wildenbruch. Was ist das für eine Kunst, der Tragödie ersten Teil mit dem Prolog im Himmel zu beginnen, den Herrn, die himmlischen Heerscharen, den Teufel auftreten und ihre Sprüchel sagen zu lassen, dann aber den zweiten Teil mit dem Gesänge eines Chorus mysticus und den höchst bedenklichen Worten zu schließen: „Das ewig Weibliche zieht uns hinan!" Wie viel tiefer erfasst Herr v. Wildenbruch die menschheitliche Entwicklung in ihrem innersten Zusammenhange! Er wandert zwar auch „mit bedächt'ger Schnelle vom Himmel durch die Welt", aber nun keineswegs „zur Hölle", sondern auf den preußischen Paradeplatz. Er beginnt zwar auch in überirdischen Regionen, aber er lässt es in einer, den Hörer oder Leser angenehm spannenden Ungewissheit, ob der „große Prinzipal", der da waltet, der liebe Herrgott oder ein seliger preußischer König ist, und er endet zwar auch mit einem Chor, aber gar nicht mit einem mystischen. Im letzten Auftritte erscheint der „große Prinzipal"; „alle Anwesenden, die Augen auf ihn gerichtet, sinken in die Knie", und dann heißt es:


Der große Prinzipal

Guten Morgen allzumal.

Alle

Guten Morgen, guten Morgen,

Lieber, großer Prinzipal!

(Vorhang fällt.)


Wie man sieht, eine ansprechende, poetische Umschreibung des alten preußischen Paradegrußes: „Guten Morgen, Grenadiere" und „Guten Morgen, Ew. Majestät!"

Was ist nun aber „Das heilige Lachen"? Nichts anderes als die Auflösung eines dicken, spanischen Rohres in klingende und leuchtende Poesie. Jenes Rohres nämlich, mit dem König Friedrich Wilhelm I. durch die Straßen Berlins spazierte. Sobald er einen Bürgersmann vor seinem Erscheinen die Flucht ergreifen sah, ließ er ihn durch seine Läufer fangen, und wenn der Unglückliche gestand, aus Angst geflohen zu sein, fuhr er ihn an: „Angst, Schurke? Ihr sollt mich nicht fürchten, sondern lieben", und walkte ihn mit besagtem Rohre durch. So wird das „Heilige Lachen" vom „großen Prinzipal" auf die irdische Welt geschickt, damit alles lachen und lieben soll. Worüber? Über die „heilige Schönheit der Welt", namentlich im Preußischen. Und die Sache ist verteufelt ernst gemeint. Als einige verkommene Menschen bei der ersten Aufführung des Märchenschwanks im Schauspielhause über das „Heilige Lachen" selbst nicht lachten, sondern zischten, erschien sofort ein Ukas der Verwaltung, welcher das Zischen verbot. Es darf nur gelacht werden, „wenn Lachegott kommt mit Ha ha ha ha!" Dieser „Lachegott" weiß auch recht gut, dass er nur die sinnige Allegorie eines Bambusrohrs ist, denn er singt:


Jetzt werd' ich zum Schalke

Und klopfe und walke

Die Jacken, die Röcke,

Bis dass die Motten

Ausfahren in Rotten

Aus staub'gem Verstecke!


Ja, das „Heilige Lachen" ist die preußische Weltdichtung, das Hohelied des beschränkten Untertanenverstandes, die aristophanische Komödie des Korporalstocks. In keuscher Strenge hält es sich von allem fern, was auch nur auf Meilenweite an Goethe, Schiller, Shakespeare oder ähnliche schließlich doch verbummelte Genies erinnern könnte. Dagegen erachtet Herr von Wildenbruch es mit Recht nicht für einen Raub, sich von seinen Vorläufern in der preußischen Hofpoesie mannigfach anregen zu lassen. Der Jüngste in dieser Reihe, lehnt er sich besonders gern an den Ältesten, an Nikolaus Peucker, an, der von 1610 bis 1675 lebte. Seine Gedichte erschienen gesammelt erst nach seinem Tode, im Jahre 1702, mit dem ellenlangen Titel: „Nikolai Peucker's, des berühmten Cöllnischen Poeten und weyland Churf. Brandenb. Kammer-Gerichts-Advokati, wie auch Stadtrichters und Rathskämmerers in Cölln an der Spree, wohlklingende lustige Paucke von 100 Sinnreichen Schertz-Gedichten, Theils der Hohen Herrschaft in tiefster Unterthänigkeit, Theils vielen Hoch-Adelichen und vielen anderen vornehmen hiesigen Familien zu besonderen Ehren geschrieben, Nunmehr aber nach dessen Autoris Tode in dieser Ordnung verfasset, mit Fleiß übersehen und zum Druck befodert von Otto Christian Pfeffern, Buchhändler in Berlin." Aus dieser raren Scharteke hat Herr von Wildenbruch manches geschöpft, selbstverständlich mit allen Ehren, aber doch nicht, ohne dass er bei der Verwertung der entlehnten Motive, so namentlich des Storch- und des Schweinemotivs, die bekannten Schwächen des Epigonentums verrät.

Als im Jahre 1650 der Kurfürst Friedrich Wilhelm und seine Gemahlin Luise von Oranien, die seit mehreren Jahren verheiratet waren und in Wesel schon ein Söhnchen verloren hatten, zum ersten Male in Berlin einzogen, empfing sie Hofrat Peucker mit einem Huldigungsgedichte, von dem die erste und die letzte Strophe lauteten:


Mein Paukenschlag, das bom di bi di bom,

Spricht: „Friedrich Wilhelm komm'

Mit der, die dir gegeben

Das Haus Uranien,

In einer Seel' zu leben!"

Die ganze Mark schreit: „Wenn -

Wenn – hat mans nicht vernommen? -

Wird unser Vater kommen?"

Bom bom di bi di bom!


Mein Paukenschlag, das bum di bi di bum,

Spricht endlich in der Summ':

Komm, Churfürst mit Loysen,

Weil Storch und Schwalbe kömpt,

Vom Frühling angewiesen.

Vielleicht, was Wesel nimmt,

Das bringt der Storch!"

Darum: Kling bum di bi di bum!


Dieses Storchmotiv hat Herr von Wildenbruch nun auch benutzt; das „Heilige Lachen" wird durch den Storch Adebar auf die Erde gebracht, und dazu singen die Heinzelleute, die himmlischen Heerscharen des „großen Prinzipals", folgendes:


Herr Adebar, Herr Adebar!

Was bringst du uns in diesem Jahr?

Wird's zappeln?

Wird's krappeln?

Und mit dem Mäulchen pappeln? (Adebar klappert)

Haha, haha -

Herr Adebar sagt ja!


Das ist ja recht niedlich, aber es ist doch nur epigonenhafte Detailmalerei, verglichen mit Peuckers breitem und großem Wurfe:


Das bringt der Storch! Darum:

Kling bum di bi di bum!


Noch schlimmer steht es mit der Benutzung des Schweinemotivs. Nach einer Hofjagd im Grunewald hatte Peucker den Kurfürsten in einem Gedichte um eine der erlegten Sauen gebeten und das Wildbret auch durch den Ober Jägermeister von Oppen erhalten. Er dankt dafür poetisch:


Der große Nimrod gibt Befehl,

Aktäon, das ist der von Oppen,

Soll Niklas Peuckern seine Kehl'

Mit einem wilden Schweine stoppen etc.


Das ist kräftige, männerstärkende Poesie; man sieht den wackern Hofpoeten förmlich eine saftige Rippe des Bratens abschälen. Nach Epigonenart will Herr von Wildenbruch aber auch hier sein Muster überbieten und verfällt auf den unglücklichen, ihm vielleicht von einem verzimperten Hoffräulein eingegebenen Gedanken, dass Schweine sich – kämmen und waschen sollen. Seine Heinzelleute singen:


Herr Pessimus, Herr Pessimus,

Ihr seid ja voller Ofenruß,

Seht aus fast wie ein Schwein:

Ihr wisset ja Mixturen

Zu machen und Tinkturen,

So macht auch einmal einen Kamm

Und dazu einen Wasserschwamm

Und auch ein Stückchen Seife

Und kämmt euch und wascht euch

Und werdet einmal rein.


Das ist wirklich nichts, und mit Recht findet selbst die „Kölnische Zeitung" diese Verse läppisch.

Wer ist nun aber Herr Pessimus? Optimus und Pessimus sind die Gehilfen des „großen Prinzipals". Der letztere überträgt bei einer Reise in andere Welten dem Optimus die Aufsicht über die Erde; Pessimus aber betäubt den Optimus mit Hilfe der Lüge, des Neides, des Hasses und der Hässlichkeit und begibt sich dann als Ole Pessimoff – geistreiche Anspielung auf Ibsen und Tolstoi! – auf die Erde, um hier, wiederum mit jenen vier Gehilfen, das Oberste zuunterst zu kehren, die Ehe und Familie abzuschaffen und was dieses breitgetretenen Quarkes mehr ist. Das „Heilige Lachen", der „Lachegott" stürzt aber wieder den Pessimus, und das Spektakelstück endet mit jenem allseitigen „Guten Morgen" auf dem preußischen Paradeplatze.

Äußerlich richtet sich die sogenannte Satire des Herrn v. Wildenbruch gegen die naturalistisch-pessimistische Richtung in der schönen Literatur, über deren etwaige Schwächen er übrigens auch nicht einmal zu einem halbwegs leidlichen Witze gelangt. Tatsächlich „lacht" aber dieser „Heilige" des Korporalstocks über alles, was die Grenzen des beschränkten Untertanenverstandes zu überschreiten wagt. Es ist wohl kaum nötig zu sagen, wen Pessimus mit folgender famosen Reimerei meint:


Alle Gewalten, welche da galten,

Werft sie herum!

Hände zum Halten, nicht mehr zum Falten!

Augen zum Stechen und Greifen,

Nicht mehr zu trunkenem Schweifen!

Nerven sei alles und Sinn,

Brüllend Genuss und Gewinn!

Fluch, wer von Liebe spricht!


Es gibt nun wohl einzelne Leute, welche es doch gar zu unverschämt finden, wenn so ein Hofdichterling die „heilige Schönheit" einer vor Jammer und Not aufstöhnenden Welt mit „heiligem Lachen" feiern und jeden ehrlichen Kampf gegen eine grauenvolle Verseuchung aus Hass, Lüge und Neid herleiten will. Aber diese Leute sind unseres Erachtens auf dem Holzwege. Das „Heilige Lachen" verdient wirklich die allgemeine Heiterkeit, welche es verlangt, und Herrn v. Wildenbruch ernsthaft nehmen, hieße sich selbst komisch machen. Solange der deutsche Byzantinismus einmal besteht, darf dieser hervorragende Bannerträger ihm nicht fehlen, er nicht und auch nicht


Sein Paukenschlag, das bom di bi di bom.


Aber freilich: die Unsterblichkeit, welche Herr v. Wildenbruch erstrebt, können wir ihm deshalb doch nicht verbürgen. Einmal doch wird die deutsche Nation von der widerlichen Knechtseligkeit genesen, und diese Genesung kommt mit denselben Schritten, mit denen die Arbeiterklasse voranschreitet. Dann wird von der ganzen preußischen Hofpoesie und nebenbei auch – Hofhistoriographie nichts übrigbleiben als nur Peucker aber Peucker I. –, und dieser auch nur in zwei Zeilen. In einer glücklicheren Zukunft wird man als klassische Probe dieser entehrenden und entnervenden Literatur und zugleich als gerechtes Urteil über sie nur noch zitieren:


Denn dieses war die Summ':

Kling bum di bi di bum!

1 Mehrings Parallele zwischen Ernst v. Wildenbruch und Peucker wurde durch R. M. Meyer in der „Nation" vom 12. März 1892 aufgenommen und weitergeführt. Der Artikel Mehrings in der „Neuen Zeit" wurde dabei nicht erwähnt.

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