Franz Mehring 19030115 Schmock

Franz Mehring: Schmock

15. Januar 1903

[Leipziger Volkszeitung Nr. 11, 15. Januar 1903. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 78-80]

Es ist im Grunde eine klare Sache, aber sie ist ein klassisches Zeugnis für das Heldentum der deutschen Bourgeoisie. Wir finden sie in der „Frankfurter Zeitung", wo sie in aller biedermännischen Gemütlichkeit erzählt wird, als verstände sie sich von selbst. Nicht ein Wort der Kritik fügt das sogenannte demokratische Blatt hinzu.

Entnommen ist die erbauliche Historie den Briefen Gustav Freytags an seinen Verleger, die kürzlich von der Verlagshandlung zur Feier ihres fünfzigjährigen Bestehens „als Handschrift für Freunde" gedruckt worden sind. Bekanntlich war Freytag der klassische Dichter der Bourgeoisie für die beiden Jahrzehnte von 1850 bis 1870; kein anderer hat sie so gut zu schildern gewusst, wie sie in diesem Stadium ihrer Entwicklung war. Sie ist auch nicht undankbar gegen ihren Sänger gewesen; Freytag, von Haus aus ein armer Teufel, starb als Millionär; auch war er zum preußischen Wirklichen Geheimrat mit dem Exzellenztitel aus seinem „verfehlten Beruf" empor gediehen.

Neben der bewundernden Anhänglichkeit der Bourgeoisie fehlte ihm nämlich auch nicht die Gunst der Höfe. Insbesondere der preußisch-deutsche Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich, liebte ihn und war ihm ein „gütiger Herr", um in Freytags Sprache zu reden. Das hatte auch seinen begreiflichen Zusammenhang, da Freytag immer ein beredter Apostel der „preußischen Spitze" gewesen war und in seinen Leipziger „Grenzboten" der deutschen Bourgeoisie unermüdlich gepredigt hatte, es sei für sie kein Heil als im Hause Hohenzollern. So wurde Freytag intimer Freund im Hause des Kronprinzen, der ihn 1870 auch mit in den Krieg nahm.

Danach war es natürlich, dass die Kaiserin Friedrich nach dem unglücklichen Ende ihres Gemahls, als die offiziösen Kloaken Gift und Galle gegen den Toten spien, auf den literarischen Beistand Freytags hoffte. Freytag war damals ein Greis von 76 Jahren, ein in der ganzen bürgerlichen Welt gefeierter Mann, pekuniär völlig unabhängig, dem Kaiser Friedrich, den er bei dessen Lebzeiten nicht genug hatte verherrlichen können, zu tiefem Danke verpflichtet, somit durch jedes Gebot der Ehre und Pflicht zum Schutze des von dem bismärckischen Pressgesindel geschmähten Toten berufen. Aber Freytag lehnte den Wunsch der Kaiserin Friedrich ab, aus dem Grunde, weil er bereits eine Schrift über den Kaiser Friedrich unter der Feder habe.

Dem war nun auch wirklich so, aber diese Schrift hatte nicht die Tendenz, den Kaiser Friedrich zu rechtfertigen, sondern ihn im Gegenteil nach Noten herunterzureißen. Namentlich in den beiden Punkten, in denen eine gewisse Volkstümlichkeit des toten Kaisers wurzelte, in seinem nationalen Idealismus und seinem, trotz aller Siege, humanen Grauen vor den Kriegsmetzeleien, zauste Freytag ihn wie eine Krähe, der die Pfauenfedern ausgerissen werden müssen; er schildert den Kaiser als einen eitlen Fant, der für die deutsche Einheit nicht aus nationaler Empfindung geschwärmt hatte, sondern nur, um sich mit dem nichtigen Trödel kaiserlichen Zeremoniells zu behängen, der im Kriege bloß den Theatergeneral gespielt habe und zu allem Überfluss ein Pantoffelheld erster Klasse gewesen sei. Alles das natürlich nicht mit dürren Worten, sondern mit schleichenden Andeutungen von hintenherum und unter sanft fließenden Krokodilstränen über den „geliebten Toten", dem Freytag die letzte Ehre nicht erwies, sondern nahm.

Nun aber machte die Verlagshandlung allzu frühe und allzu heftige Reklame für die Schrift, und der gegenwärtige Kaiser erfuhr davon. Er ließ seinen Wunsch an Freytag gelangen, das Manuskript vor der Veröffentlichung zu lesen, was sicherlich das Recht des Kaisers war, ebenso wie es das Recht des Schriftstellers gewesen wäre, den Wunsch des Kaisers abzuschlagen. Für Freytag war dies Recht aber sogar eine Pflicht, denn wenn der Kaiser zweifellos nur von dem Wunsche geleitet war, eine Schrift über seinen Vater, die von dessen Hausfreund und Verehrer verfasst worden war, möglichst schnell kennenzulernen, so nahm Freytag an, dass der Kaiser die Schrift zensieren wolle. Trotz dieser gewiss irrigen, aber von ihm fest geglaubten Annahme, hatte Freytag nicht den Mut zu tun, was ihm nunmehr die einfachste Selbstachtung gebot, und den Wunsch des Kaisers abzulehnen. Er bekam es vielmehr mit der fürchterlichsten Angst. Zwar hatte er sein Pamphlet den damals herrschenden Strömungen angepasst, aber, so schreibt er bebend an seinen Verleger, „der junge Herr ist unberechenbar und jäh, und auch Bismarck, falls dieser befragt würde, wird keine Hilfe sein, eher das Gegenteil". Bismarck nämlich konnte den ehemaligen Vertrauten des kronprinzlichen Hauses nicht ausstehen, und Freytag erwiderte diesen Hass, was ihn natürlich nicht hinderte, öffentlich auch vor Bismarck das Weihrauchfass zu schwingen.

Es ist wirklich ein jämmerlicher Anblick, die Angstseele des Poeten in den Briefen an seinen Verleger schlottern zu sehen. Wird der Kaiser fordern, dass die ganze Schrift unterdrückt werde? Oder wird er die Änderung einzelner Stellen verlangen? Oder wird er, „was ja auch noch möglich ist", sich in die Publikation fügen? In der Tat drückte der Kaiser nur den Wunsch aus, dass zwei Beilagen der Schrift weggelassen werden. Nun jauchzt der von allen Ängsten befreite Lakai: „dass die Gefahr, zu stranden, in der wir waren, durch die Hochherzigkeit des Kaisers vermieden worden ist, wollen wir ihm gutschreiben". Wenn der Kaiser ein Recht, das er gar nicht besaß, auch nicht usurpierte, so muss man es in der Kriecherei vor Fürsten schon weit gebracht haben, um darin „Hochherzigkeit" zu finden. Soweit aber der Kaiser auf jeden Wunsch verzichtete, das hässliche, gegen seinen Vater gerichtete Pasquill unterdrückt zu sehen, geschah es sicherlich nur aus einem Gefühl der Verachtung gegen den Pasquillanten, der ihm zu niedrig stand, um das Andenken seines Vaters gegen ihn zu schützen.

Freytag hat die ja ganz amüsante Figur des Schmock geschaffen, der, für fünf Pfennige die Zeile, bald rechts und bald links schreibt, und nur die Faust in der Tasche zu ballen weiß, wenn ihm die Brillanten gestrichen werden. Nun, diese Fünfpfennig-Schmocks sind wenig gefährlich, aber die wahren Schmocks, die historischen Schmocks, die Schmocks, die in der Tat die Literatur einer Nation besudeln und vergiften können, das sind jene literarischen Leuchten der Bourgeoisie, die über Freiheit, über bürgerliches Selbstbewusstsein, über nationale Würde und so weiter das Blaue vom Himmel herunter schwatzen und, wenn sie einmal die geringste Mannhaftigkeit zeigen sollen, die schmähliche Rolle spielen, die wir eben an Freytag gesehen haben.

Überflüssigerweise hebt die „Frankfurter Zeitung" noch hervor, dass Freytag sich in den Briefen an seinen Verleger als grimmigen Sozialistenfresser offenbare. Das verstand sich nach alledem von selbst.

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