Franz Mehring 19080711 Bücherschau (Heinrich Michalski: Der Sieg der Stärkeren)

Franz Mehring: Bücherschau

Heinrich Michalski: Der Sieg der Stärkeren

11.Juli 1908

[Die Neue Zeit, 26. Jg. 1907/08, Zweiter Band, S. 581/582. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 427 f.]

Heinrich Michalski. Der Sieg der Stärkeren. Roman. Mit einer Einleitung von Julius Hart. Berlin, Verlag von Wedekind & Komp. 360 Seiten. Preis 5 Mark, gebunden 6 Mark.

Der Sieg der Stärkeren – das ist der Sieg der Philister über das Genie. Das Genie kommt um durch einen Pistolenschuss, während sich die Philister vergnügt an die Tafel des Lebens setzen, darunter auch die Geliebte des Genies, die sich getröstet, mit einem halbkomischen Spießer durchs Leben zu wallen.

Als Dichtung ist dieser Roman noch recht unreif, aber er enthält manche Kapitel, die von einem unverkennbaren Talent zeugen. Sein schlimmster Fehler ist sein Held, der nicht nur alle Beweise dafür schuldig bleibt, dass er ein Genie ist, sondern es nicht einmal zu zeigen weiß, wodurch er sich den Philistern lästig macht. So erscheint er durchaus als Schwächling, um nicht zu sagen als Schwachkopf, und man empfindet es schließlich als eine ganz vernünftige Einrichtung der Gesellschaft, dass solchen Leuten gegenüber die Philister immerhin noch die „Stärkeren" sind.

Diesen schweren Mangel bemerkt auch Julius Hart, der dem Roman ein empfehlendes Vorwort mitgegeben hat. Er sagt: „Wir erfahren gar nicht, was sich denn eigentlich der Hertwig Martins zuschulden kommen ließ und wodurch er zum verlorenen Sohn wurde. Dem Diaboliker, Künstler, der ganz und gar kein Hehl aus sich macht, der die Höllenabgründe und Satanismen seiner Natur aller Welt preisgibt und seiner Sünden und Perversitäten hohnlachend sich rühmt, legt ein Moralist und Vernunftmensch die Hand auf den Mund, dass er nicht so ohne Umschweife reden soll." So meint Julius Hart denn, dass dieser dichterischen Gestalt bewusst und unbewusst das Gepräge des Dekadenten aufgeprägt sei.

Darüber ließe sich schon eher reden, wenn nur Julius Hart nicht fortführe wie folgt: „Ein tieferes kritisches Gefühl wird dieses Buch mit der lebhaftesten Anteilnahme als eine Selbstbekenntnisschrift der modernen Dichtung lesen, als eine ästhetische Merk- und Denkwürdigkeit, und was zwischen den Zeilen zu lesen ist, fesselt zuletzt noch mehr, als was in den Zeilen steht. Auch aus diesem Buche tönt ein Verzweiflungsschrei hervor, der Klageruf des leidenden Menschen unserer Zeit; und wenn seine Dichtung heute noch mit dem rein Künstlerischen nicht völlig fertig geworden ist, so ist gerade diese unruhige, unfertige Kunst der eigentliche Ausdruck der zeitgenössischen Kunst und eines Zeitmenschen, der das Leben von sich wirft, weil er sieht, dass er nicht mit ihm fertig werden und es nicht meistern kann." Wäre dem so, dann könnte einem die „moderne Dichtung" aufrichtig leid tun.

Gar so arg ist es nun aber doch nicht. Der Verfasser des Romans hat offenbar allerlei Konflikte mit seiner kleinbürgerlich-philiströsen Umgebung gehabt, die sich seiner jugendlichen Phantasie ins Nebelhafte und Wesenlose vergrößern. Diese Umgebung selbst bringt er aber mit einem recht achtbaren Talent heraus, so dass man sehr wohl sein Verlangen begreift, sich von ihr zu emanzipieren. Allein wenn er mit einem Pistolenschuss davon nicht loskommt – denn wir dürfen annehmen, dass er noch seelenvergnügt unter den Lebenden wandelt –, so auch nicht mit dem sentimentalen Trödel des Herrn Julius Hart, dem gegenüber die Philister allerdings nicht nur den „Sieg", sondern auch das „Recht der Stärkeren" besitzen. Denn wer sein Auge scheu abwendet von den großen Kämpfen der Zeit, denen gegenüber der „Verzweiflungsschrei des leidenden Menschen" nur ein kümmerlicher Seufzer ist, gerät in jene unruhige und unfertige Schwäche, der sogar die robuste Beschränktheit des Spießers noch überlegen ist.

Kommentare