Franz Mehring 19120920 Bücherschau (Alfred Schirokauer: Ferdinand Lassalle)

Franz Mehring: Bücherschau

Alfred Schirokauer: Ferdinand Lassalle

20. September 1912

[Die Neue Zeit, 30. Jg. 1911/12, Zweiter Band, S. 1000. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 429 f.]

Alfred Schirokauer, Ferdinand Lassalle. Ein Leben für Freiheit und Liebe. Geschichtlicher Roman. Mit 49 historischen Illustrationen, Dokumenten usw. Berlin 1912, Verlag von Rich. Bong. Preis geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark.

Dieser sogenannte Roman würde keiner literarischen Erwähnung wert sein, wenn sein Held nicht unser berühmter Vorkämpfer wäre und der Verlag sich nicht – namentlich wegen seiner Goldenen Klassikerbibliothek – auch in Arbeiterkreisen eines guten Rufes erfreute. Beide Umstände könnten die Aufmerksamkeit von Arbeiterbibliotheken auf ihn lenken, und so ist ein Wort der Warnung nicht überflüssig.

Das einzig Erfreuliche an dem Buche ist die Schamhaftigkeit, womit sich sein Autor hinter einem Pseudonym verbirgt. Sonst gehört es zur Hintertreppenliteratur im schlimmsten Sinne des Wortes. Im schlimmsten Sinne, weil es seinen wirklichen Charakter hinter einer pompösen Aufmachung zu verbergen sucht. Die Hintertreppenliteratur, die auf schludrigem Papier von irgendeinem obskuren Tintenkuli zusammengeschmiert wird, gibt sich wenigstens, wie sie ist, und man braucht ihr nicht erst einen Steckbrief zu schreiben. Wenn aber ein offenbar gebildeter Mann und eine angesehene Verlagsbuchhandlung dergleichen Machwerke in äußerlich „vornehmer" Form produzieren, so ist dieser Zweig der Hintertreppenliteratur der gemeinschädlichste von allen.

Selbstverständlich verlangen wir nicht, dass der Versuch, die Gestalt Lassalles im Spiegel der Dichtung aufzufangen, eine Verherrlichung des Helden sein soll. Aber wenn man einen „geschichtlichen" Roman schreiben will, so muss man doch – gleichviel, wie man sie auffasst – irgend etwas von der „Geschichte" wissen. Nach diesem glorreichen „Dichter" aber war Lassalle ein ehrgeiziger Don Juan, der von einem Fabrikanten, dem späteren Gatten einer von ihm abgelegten Liebsten, das kapitalistische Lohngesetz erfährt, sich darüber empört und seine Agitation beginnt, nachdem er sich für dies Werk durch die Verführung eines Arbeitermädchens gestärkt hat. Die eigentliche Würze des schalen Gerichts ist der sexuelle Pfeffer, und wenn es sich dabei nur um erfundene Frauengestalten handelte! Aber auch die angeblichen Schäferstündchen Lassalles mit der Gräfin Hatzfeldt werden mit widerlicher Lüsternheit geschildert, und ebenso wird jenes sehr platonische Verhältnis, das Lassalle mit einer Russin hatte, nach Möglichkeit ins Gebiet gemeiner Sinnlichkeit herab gezerrt.

Die Unterredungen Lassalles mit Karl Marx, Lothar Bucher und Bismarck sind schließlich zu albern, um widerlich zu sein.

Nicht besser steht es um die „Illustrationen": es sind bekannte Photographien Varnhagens, Humboldts, Buchers, auch Vahlteichs, Fritzsches und des jungen Bebel, Karl Marx nicht zu vergessen. Dazu allerlei Zeug, das nicht den entferntesten Zusammenhang mit Lassalle hat: so eine zweiseitige Illustration des Einzugs, den im Jahre 1858 das kronprinzliche Ehepaar in Berlin hielt, oder eine einseitige Illustration, wie der alte Wilhelm in den Wagen steigt, um seine Schwiegertochter zur Geburt ihres ersten Kindes, des gegenwärtigen Kaisers, zu beglückwünschen.

Kurzum die reine Kolportageliteratur!

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