Franz Mehring 18931206 Literarische Rundschau (Emanuel Hans Sax, „Gedichte" und „Im Volkston")

Franz Mehring: Literarische Rundschau

Emanuel Hans Sax „Gedichte" und „Im Volkston"

6. Dezember 1893

[Die Neue Zeit, 12. Jg. 1893/94, Erster Band, S. 346/347. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 406 f.]

Emanuel Hans Sax, Gedichte. Meran, F. W. Ellmenreich's Verlag, 1892. In demselben Verlag erschien gleichzeitig:

Emanuel Hans Sax, Im Volkston. Allerhand Verse und G'stanzeln.

Wie kommt Saul unter die Propheten? möchte man verwundert fragen, wenn man den verdienstvollen Verfasser der „Thüringer Hausindustrie"1 mit zwei schmucken Bändchen Liebeslieder erscheinen sieht. Er selbst sagt darüber:


Komisch find' ich die Leutchen: Weil ich Gelehrtes geschrieben,

Soll verschlossen mir sein ewig der heitre Parnass?


Aber es lässt sich wohl noch eine gründlichere Antwort auf jene Frage finden. In jedem echten Historiker steckt ein Stück Poet, und das ist auch in der „Thüringer Hausindustrie" sehr zu spüren. Sie ist unter den neueren Schriften der deskriptiven Nationalökonomie nicht die konsequenteste, aber wohl die genialste, die mit einem Blick oft mehr aus Land und Leuten schöpft, als sich aus einem Dutzend statistischer Ziffern enträtseln lässt. Wie aber solch Stück Poet in einem gelehrten Leibe lärmen und rumoren kann, um sich auf die eigenen Beine zu stellen, die es am Ende doch nicht hat, das hat niemand hübscher geschildert als David Strauß in seinen „Literarischen Denkwürdigkeiten".

In Sax ist das Teufelchen rebellisch geworden, als er, leider als Kranker, im südlichen Tirol lebte. Und es rennt wirklich ohne Füße dahin; die Berliner Banausenkritik könnte in ihrer silbenstechenden Manier der Metrik der beiden Büchelchen arge Dinge nachsagen. Das geht über Stock und Stein und manchmal über Knüppeldämme, von denen jede Rippe ihren besonderen Puff bekommt. Aber wenn der Dichter singt:


Zwar bin ich nicht ein Dichtgenie,

Das weiß ich jetzt und immer,

Doch leiht warmblütige Poesie

Meinen Sachen Duft und Schimmer,


so malt dieser Vers nicht nur treffend die Form, sondern kennzeichnet auch treffend den Inhalt „seiner Sachen". Man wird in der Tat warm bei diesem derben Humor, dieser frohen Sinnlichkeit, dieser heiteren und tapferen Philosophie, die wehmütig-dreist dem Tode ins dräuende Antlitz schaut. Mögen die Verse manchmal wie zerrissene Fetzen flattern: umso praller blickt der kernige Leib des Gedankens hervor. Nicht in ihrer Fassung, aber in ihrem Geiste ist diese Liebeslyrik mit einem echten Blutstropfen Gottfried August Bürgers gefärbt, des allzu Vergessenen, und ein höheres Lob lässt sich ihr nicht leicht spenden.

Inzwischen wollen wir doch auch nicht darüber trauern, dass es nur eine poetische Fiktion ist, wenn der Dichter seine „modrigen Quartanten" ins Feuer wirft, um fortan dem Liede und der Liebe zu leben.

1 Siehe auch Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, Zweiter Teil, S. 577 und 578.

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