Franz Mehring 19110218 Eine Tragikomödie

Franz Mehring: Eine Tragikomödie

18. Februar 1911

[Die Neue Zeit, 29. Jg. 1910/11, Erster Band, S. 760. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 337 f.]

Den peinigend-qualvollen Untergang von Gerhart Hauptmanns Talent im einzelnen zu verfolgen, hatten wir aufgegeben, aber wir sind doch noch einmal das Opfer der lärmenden Reklametrommel geworden, die für sein neuestes Stück „Ratten" gerührt wurde, eine „Berliner Tragikomödie", wie er es getauft hat. Die Verheißung, dass Hauptmann darin auf seine glücklichen Anfänge zurückgekommen sei und dass ihm noch einmal ein Wurf im Stile seines „Biberpelzes" gelungen sei, schien uns zwar nicht übermäßig wahrscheinlich, aber doch nicht ganz unmöglich zu sein, und so vertrauten wir uns noch einmal dem wracken Kahne an, um abermals zu stranden.

Ein bürgerlicher Kritiker meint, mit diesem „erbärmlichen Schauspiel" habe Hauptmann nun auch noch kompromittiert, was in seiner Vergangenheit achtungs- und selbst bewundernswert gewesen sei. Das ist reichlich schroff ausgedrückt, aus einer enttäuschten und verbitterten Stimmung heraus, die jeder nachempfinden wird, der diese „Tragikomödie" einige Stunden lang zu genießen verdammt war. Richtig ist jedoch so viel, dass, wenn die „Ratten" eine Wiederaufnahme des „Naturalismus" sein sollen, diese neue Probe aufs Exempel nicht eben günstig ausgefallen ist. Zum Teil liegt die Schuld an den nunmehr erzürnten Kritikern selbst, die vor zwei Jahrzehnten aus dem „Naturalismus" ein Wesen gemacht haben, das zu begreifen uns nie beschieden gewesen ist, zum Teil aber auch an Hauptmann, der sein immer etwas schwächliches Talent durch einen Raubbau langer Jahre gänzlich abgewirtschaftet hat.

Eine kritische Analyse seines neuesten Stückes hat keinen Zweck. Es besteht aus zwei lose zusammengekoppelten Handlungen: einem Theaterkulissenschwank, wie er in dem ungleich anspruchslosen „Raub der Sabinerinnen" viel lustiger gelungen ist, und einigen sentimentalen Schauerszenen voll Mord und Totschlag. Wollte man alle psychologischen Unwahrscheinlichkeiten oder Unmöglichkeiten der dramatischen Handlung aufzählen, so fände man kein Ende, und ebenso wenig, wenn man enträtseln wollte, was er mit dem Titel gemeint hat. Vielleicht weiß er es selbst nicht.

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