Franz Mehring 19010925 Berliner Theater (Björnsons „Laboremus“ – Halbes „Haus Rosenhagen“)

Franz Mehring: Berliner Theater

Björnsons „Laboremus“ – Halbes „Haus Rosenhagen“

25. September 1901

[Die Neue Zeit, 19. Jg. 1900/01, Zweiter Band, S. 826/828.Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 367 f. und Band 12, S. 111 f.]

Die winterliche Theaterzeit hat in diesem Jahre verhältnismäßig früh eingesetzt; während sonst im September nur allerlei leichte Ware vorgeschickt zu werden pflegt, an deren kritischer Niedermetzelung den Theaterdirektionen nicht eben viel gelegen ist, sind sie in den letzten Wochen hier und da schon mit schwererem Geschütz aufgefahren, so namentlich das Berliner Theater mit Björnsons „Laboremus" und das Lessing-Theater mit Halbes „Haus Rosenhagen".

Björnsons Drama ist bereits in diesen Spalten besprochen worden, und ich beschränke mich deshalb auf die Bemerkung, dass es im günstigsten Falle nicht mehr davongetragen hat, als was man im kümmerlichen Sinne des Wortes einen Achtungserfolg zu nennen pflegt. Und das auch nur, weil Björnson der Verfasser war; wäre es Schulze oder Müller gewesen, so wäre das Drama vermutlich ausgepfiffen worden, vorausgesetzt, dass es dann überhaupt die weltbedeutenden Bretter erobert hätte, woran billig zu zweifeln ist. Neuerdings wird so viel Wesen von dem Dramatiker Björnson gemacht, er wird so unbefangen neben oder gar über Ibsen gestellt, dass es wohl einmal an der Zeit ist, dagegen energischen Protest zu erheben.

Indessen wird sich das gelegentlich tun lassen, ohne dass ein so missglücktes Drama, wie „Laboremus" ist, zum zweiten Male in den Spalten der „Neuen Zeit" besprochen zu werden braucht. Es sei nur erwähnt, dass sich kürzlich schon ein solcher Protest, wie er gegen die geflissentlich betriebene Überschätzung Björnsons notwendig sein mag, namentlich soweit sie auf Kosten Ibsens erfolgt, bereits in der „Gesellschaft" hörbar gemacht hat. J. Hofmiller schreibt daselbst über „Laboremus": „Wenn man das Werk zum ersten Male durchliest, glaubt man einen schlechten Ibsen vor sich zu haben. Oder vielmehr einen unglücklichen und undramatischen Versuch in der Art des letzten Ibsen. Die Fabel ist im allerhöchsten Grade schrullenhaft und innerlich unmöglich ... Das Werk enthält sehr zarte und innige Details, als Drama ist es unglaublich verfehlt. Ich könnte mir vorstellen, dass Ibsen diesen mehr als bizarren Stoff durch seinen enormen Kunstverstand, seine gleichmäßig energische Durchdringung einer Fabel bis in die feinsten Poren, seine gewaltig zusammenpressende Technik, seinen mit Anspielungen, Untergründen, Beziehungen, Symbolen durchtränkten Dialog, künstlerisch bewältigte, aber bei Björnson fehlt das alles. Ihm fehlt vor allem der Geist - so hart es klingt, es muss gesagt werden. Nicht als ob er geistlos wäre, aber es ist l'esprit de monsieur tout le monde1. Er hat die Fähigkeit einer eindringlichen und festen Charakteristik vollständig verloren. Lediglich die Unbehilflichkeit des Dichters, seines Stoffes Herr zu werden, bringt den Eindruck des Weihevoll-Geheimnisvoll-Tiefen hervor. Prüft man diese Welt von Personen und Gedanken näher, ach, wie uninteressant, schemenhaft, unlebendig sind die Personen, wie allerweltsmäßig, moralisch krank, wie flach und schal die Gedanken!" Diese auf „Laboremus" durchaus zutreffende Kritik gilt teilweise auch für Björnsons immerhin bedeutendstes Drama „Über unsere Kraft"; es sei nur daran erinnert, wie im letzten Akte des zweiten Teils zwei allegorische Puppen die trivialsten Trivialitäten aus Schulzes, des Mannes aus Delitzsch, Arbeiterkatechismus als der irdischen Weisheit letzten Schluss herbeten.

Unter den Ursachen des überschwänglichen und innerlich haltlosen Björnson-Kultus führt J. Hofmiller unter anderem den künstlerischen Bankerott des deutschen Naturalismus vor. Er schreibt: „In der letzten Zeit klappte nichts mehr. Hauptmann entwickelte eine Fülle von Gedankenarmut, die die kühnsten Befürchtungen seiner Gegner hinter sich ließ. Sudermanns ,Johannisfeuer' wurde durch keinen noch so lückenlos organisierten Reklameapparat als wohlgeratenes Werk gerettet, Halbe blieb immer mehr in einer durchaus äußerlichen Zustandsmalerei stecken." Im allgemeinen ist auch das richtig, doch ist das Urteil über Halbe zu hart, weil er stets das Bestreben gehabt hat, sich über das Niveau „der durchaus äußerlichen Zustandsmalerei", das heißt über das Niveau jenes bornierten Naturalismus, zu erheben, der vor zehn Jahren als eine neue Epoche der Kunst überschwänglich gepriesen wurde und heute, fast noch über seinen wirklich verdienten Lohn hinaus, als abgetane Mode von gestern traktiert wird.

Von den dramatischen Vertretern dieses Naturalismus ist Halbe der erfolgloseste gewesen, eben weil er wenn nicht der begabteste, worüber sich vielleicht streiten lässt, aber wohl der künstlerisch gewissenhafteste ist. Es ist ihm immer um mehr zu tun gewesen als um das kahle Abklatschen irgendeiner zufälligen Wirklichkeit, und wenn er doch in „einer durchaus äußerlichen Zustandsmalerei stecken" geblieben ist, so ist das sehr wider seinen Willen geschehen. Er hat, umgekehrt wie Hofmiller meint oder doch zu meinen scheint, je länger je kräftiger sich aus der dumpfen Niederung herauszuarbeiten gesucht, und es ist nicht seine Schuld, sondern sein Verhängnis, wenn es ihm nicht gelungen ist, ja wenn auch das, was er kann, schließlich empfindlichen Schaden leidet unter seinem hoffnungslosen Streben nach dem, was er nicht kann. Halbe hat nur einmal einen großen Theatererfolg, mit seiner „Jugend"; danach kamen Misserfolge, einer nach dem anderen, und ein paarmal selbst große Theaterskandale, aber sie wurden nicht dadurch verursacht, dass Halbe am bornierten Naturalismus sein Genüge fand, sondern umgekehrt, weil er sich daraus emporarbeiten wollte, ohne dass ihm doch ein freier und kräftiger Flug über die Regionen hinaus gelungen wäre, in denen er als Künstler geboren und aufgewachsen ist. Der moderne Naturalismus hatte sein gutes Recht gegen die romantisch verwaschene und zerfahrene Art, die auf der bürgerlichen Bühne in den sechziger und siebziger Jahren die Konflikte der bürgerlichen Welt verfaselte. Es war ein unbedingter künstlerischer Fortschritt, wenn er das Leben der modernen bürgerlichen Gesellschaft wenigstens mit peinlicher und sei es daneben auch kleinlicher Treue zu konterfeien verstand. Allein auf die Höhe einer klassischen Kunst konnte sich diese Richtung nur erheben, wenn sie auch die großen Konflikte und Probleme der modernen bürgerlichen Gesellschaft zu ergreifen und künstlerisch zu bewältigen verstand. Das kann sie aber nicht, eben weil sie bürgerliche Kunst ist, weil es bei der heutigen Entwicklung des Kapitalismus nur eine bürgerliche Bühne geben kann, weil diese bürgerliche Bühne den Konflikten und Problemen der modernen bürgerlichen Gesellschaft so ratlos gegenübersteht wie diese selbst. Mit seinen Jahren musste dem deutschen Naturalismus diese Erkenntnis aufdämmern; während aber Hauptmann sich rechtzeitig aufs Kompromisseln legte, hat Halbe immer wieder versucht, den Naturalismus über sich selbst hinauszutreiben, was seinem künstlerischen Ringen ebenso zur Ehre gereicht, wie es seine künstlerischen Misserfolge erklärt. Wobei freilich auch nicht übersehen werden darf, dass die mitunter geradezu gehässige Ablehnung, die seine Dramen durch das hiesige Publikum erfuhren, weniger ihren wirklichen Schwächen galt, als dem, was ihres Dichters Ehre war, nämlich sein Bestreben, den Konflikten der kapitalistischen Gesellschaft wirklich auf den Leib zu rücken.

Mit diesen allgemeinen Ausführungen ist auch schon das Nötige über Halbes „Haus Rosenhagen" gesagt. Der Dichter versucht sich hier an einem schwierigen und wichtigen Problem der kapitalistischen Gesellschaft, dem Verschlingen des kleinen durch den großen Grundbesitz; er hat vieles aus dem Milieu, worin sich dieser historische Prozess vollzieht, ganz prächtig beobachtet, aber die Schürzung und Lösung des dramatischen Konfliktes weiß er nur durch fade und selbst ein wenig abgeschmackte Intrigen herbeizuführen. In dieser Beziehung ist Halbes neuestes Drama ein entschiedener Rückschritt gegen sein „Tausendjähriges Reich"; ja, es ist selbst ein Rückfall in die vornaturalistische Dekadenzzeit der bürgerlichen Bühne. Aus diesem Grunde fand „Haus Rosenhagen" auch wohl den lebhaften Beifall des Publikums, ein Erfolg, der dem Dichter nach so vielen Enttäuschungen gern gegönnt sein mag, wenn er auch nicht in sein künstlerisches Kredit geschrieben werden darf.

1 l'esprit de monsieur tout le monde - der Geist des Publikums.

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