Franz Mehring 18990321 Berliner Theater (Hofmannsthals „Die Hochzeit der Sobeide" und „Der Abenteurer")

Franz Mehring: Berliner Theater

Hofmannsthals „Die Hochzeit der Sobeide" und „Der Abenteurer"

21. März 1899

[Die Neue Zeit, 17. Jg. 1898/99, Zweiter Band, S. 22-24. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 519-522]

In Immermanns „Münchhausen" treten drei unbefriedigte Jünglinge in grünem Sammet auf, die Söhne eines reichen Bankiers, von denen der eine ein großer Dichter, der andere ein großer Philosoph und der dritte ein großer Staatsmann werden will. Keiner erreicht sein Ziel, aber in ihrer tiefsten Not lernen sie einen wunderbaren Mann kennen, der ihnen zu helfen verspricht, den größten Mann seiner Zeit, oder keinen Mann eigentlich mehr, sondern den Begriff des Mannes, oder den männlichen Begriff, oder, wie sich der werdende Philosoph ausdrückt, den Begriff, griff, riff, iff, ff. Es ist, wie man sieht, eine Satire auf die Hegelei.

An diese unbefriedigten Jünglinge in grünem Sammet erinnert die allerneueste Dichterschule, die, ebenfalls nach vorsichtiger Wahl ihrer Eltern, neuestens zum profanen Volke herabgestiegen ist, um ihm, losgelöst von aller irdischen Schwere, die feinste Blüte der Poesie zu bieten. Stimmung ist ihr erstes und letztes Wort; Handlung und Stoffe und – im Drama – auch die Kunst des Schauspielers verachtet sie gründlich: Duft und Ton ist der künstlerische Genuss, den sie gleichgestimmten Seelen bereitet. Es ist eine Poesie reicher Söhnchen für reiche Söhnchen; wer sich mit der handfesten Wirklichkeit des rauen Lebens herumschlagen muss, erwirbt sich nicht die Feinheit der Sinne, um diesen luftigen Nektar genießen zu können. In dem Bemühen, ihn zu schlürfen, verfällt er vielmehr in die banausische und prosaische Reflexbewegung des Gähnens.

Wenigstens ging es so der Mehrheit des Publikums, das zwei Stückchen von einem dieser modernsten Dichter, dem jungen Wiener Hugo v. Hofmannsthal, in den drei üblichen Respektsvorstellungen am Deutschen Theater an sich vorüberwandeln sah. Bei der dritten Vorstellung war das Haus schon mehr als zur Hälfte leer, und da der Spielplan der Woche die beiden kleinen Niedlichkeiten nicht wieder aufführt, so scheinen sie so schattenhaft zu verschwinden, wie sie kamen. Vielleicht ist der Dichter selbst mit diesem Lose seiner Schöpfungen ganz einverstanden; wie kann das flüchtige Arom aus seiner Poetenphiole anders als sich schnell verflüchtigen! Nur freilich würde er sich in dem Glauben täuschen, dass dies Arom wie ein Hauch von den steilsten Höhen der Kunst gewirkt habe; was die Theaterkritiker der bürgerlichen Tageszeitungen mit seltener Einstimmigkeit feststellen, dass nämlich die dramatische Kunst Hofmannsthals entschieden gelangweilt habe, ist zunächst eine unzweifelhafte Tatsache.

Diese Tatsache braucht nun zwar noch nicht gegen den Dichter oder seine Gedichte zu sprechen; Goethes „Tasso" und „Iphigenie" würden das Publikum unserer Luxustheater entschieden auch langweilen. Und es wäre sehr voreilig, über das Ideal des blutjungen Dichters so ohne weiteres den Stab zu brechen. Es fehlt diesem Talent gänzlich an Größe und Kraft, an urwüchsigem Drang und Sturm; man mag es einen untadelhaft gekleideten Stutzer nennen, aber doch einen Stutzer, dem weder ganz das Herz, noch ganz die Stimme fehlt. Aus dem zierlichen Geplätscher seiner Verse hebt sich mitunter eine Welle höher empor, von lyrischer Empfindung und Stimmung getragen; mehr als ein gewandter Versdrechsler ist Hugo v. Hofmannsthal gewiss. Aber so sehr viel mehr allerdings nicht, und das Patent, wodurch er sich zum Bahnbrecher einer neuen Kunst ernennt, hat die Muse nicht gegengezeichnet.

Die anspruchsvollere seiner beiden dramatischen Gaben ist „Die Hochzeit der Sobeide", ein „tragisches Märchen" in zwei Akten. Da das Drama nun einmal so ungehobelt ist, auf Handlung und Stoff zu bestehen, so kann der Dichter seine Verachtung dieser groben und plumpen Dinge nur dadurch bezeigen, dass er sie so grob und plump wie möglich zurecht haut. Darin liegt, wenn man einmal die Auffassung der neuesten Dichterschule gelten lässt, eine gewisse Logik, der Hofmannsthal durchaus gerecht geworden ist: die Heldin seines „tragischen Märchens" ist ein armes Mädchen, das um seiner armen Eltern willen einen alten reichen Mann heiratet, obgleich sie einen armen jungen Mann liebt. In der Hochzeitsnacht gesteht sie alles und erhält von dem alten reichen Manne die Erlaubnis, sofort zu dem armen jungen Manne zu gehen, unter dem Versprechen, dass für ihre Eltern auch dann gesorgt werden solle. Sie läuft mitten in der Nacht im Hochzeitskleid über Stock und Stein zu dem Geliebten, findet aber erstens, dass er kein armer Jüngling, sondern ein reicher Erbe ist, zweitens, dass er damit umgeht, seinen Vater, einen schäbigen Wucherer, zu vergiften, und drittens, dass er sich vorläufig mit diesem Vater um dessen Dirne prügelt. Für die Sobeide hat der nette Knabe natürlich nichts übrig als Hohn und Spott; er lässt sie durch einen Diener ins Haus ihres angetrauten Gatten zurückführen, wo sie sich vom Turme und zu Tode stürzt. Es ist eine Häufung der krassesten Effekte, womit der verwegenste Kolportageroman arbeiten mag, aber an und für sich liegt darin kein Tadel gerade für diesen Dichter; er sagt uns als unbefriedigter Jüngling in grünem Sammet: Ich verachte, was bisher das Wesen der Dramatik ausgemacht hat, die Handlung wie die Gestalt, aber passt mal auf, was ich aus diesem verächtlichen Material heraus zaubern werde an Empfindungen, Stimmungen, Gedanken und Begriffen, griffen, riffen, iffen.

In der Tat sind es die verschiedenen Begriffe der Liebe, die Hofmannsthal in der „Hochzeit der Sobeide" darstellen will; einer seiner Interpreten zählt sie so auf: die Kindesliebe, die Liebe des reifen Mannes, der vor einem schönen Weibe nichts anderes empfinden will als beim Anblick des gestirnten Firmaments, die verheerende und verzehrende Leidenschaft der egoistischen Jugend, die ekelhafte Begierde des greisen Wollüstlings und die Liebe der Dirne. Soweit ein profaner Verstand in die Geheimnisse der neuesten Dichterschule eindringen kann, glaube ich wohl, dass dem Dichter diese sozusagen künstlerische Absicht vorgeschwebt haben mag; was sonst mit dem „tragischen Märchen" anzufangen sein sollte, ist schwer zu sagen. Die Aufgabe selbst ist aber die richtige Primaneridee und, abgesehen von einzelnen lyrisch bewegten und ergreifenden Momenten, auch mit richtigen Primanermitteln durchgeführt; die langen Deklamationen, wahre Sandwüsten von Trivialitäten mit einzelnen blühenden Oasen, übten eine stark einschläfernde Wirkung aus.

Lebhafter spielte sich der „Abenteurer" ab, eine „Szene" in einem Akt: die ganz geschickte Dramatisierung eines Tages aus dem Leben Casanovas. Was der Dichter an wirklichem Talent besitzt, kam hier ungleich besser zur Geltung, weil es sich ungleich anspruchsloser, frischer, natürlicher gab und demgemäß auch der Kunst des Schauspielers dankbarere Aufgaben stellte; Herr Kainz, der in der „Hochzeit der Sobeide" aus dem philosophisch die Hochzeitsnacht durchtüftelnden Ehemann nichts hatte machen können, schuf im „Abenteurer" eine prächtige Gestalt, so dass der Dichter in erster Reihe diesen Erfolg der verachteten Kunst des Schauspielers zu danken hatte. Das war eine verdiente Ironie des Schicksals, die hoffentlich nicht spurlos an einem Talent vorübergeht, dem alles Gute zu wünschen ist, sobald es erst darauf verzichtet, seine natürliche Unreife als übernatürliche Offenbarung einer neuen Kunst auszuspielen.

Die Bewunderer Hofmannsthals sagen, seine Richtung sei der natürliche Rückschlag auf den versandenden Naturalismus, der durch die sklavische Kopie der gleichgültigsten Wirklichkeit die Kunst des Dramatikers entgeistige. Ob hier wirklich ein „natürlicher" Rückschlag oder nur die Übertrumpfung einer Mode durch die entgegengesetzte Mode vorliegt, mag einstweilen dahingestellt bleiben: in der Sache liegt jedenfalls eine Kur nach der Methode des Doktors Eisenbart vor. Steht die Wahl zwischen der „Hochzeit der Sobeide" und dem „Fuhrmann Henschel", so siegt dieser derbknochige Sohn des Riesengebirges nach allen Grundsätzen der ästhetischen Kritik über das ätherische Wesen aus dem Morgenlande.

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