Franz Mehring 19080925 Bücherschau (Clara Müller-Jahnke, Gedichte)

Franz Mehring: Bücherschau

Clara Müller-Jahnke, Gedichte

25. September 1908

[Die Neue Zeit, 26. Jg. 1907/08, Zweiter Band, S. 971/972. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 478-480]

Clara Müller-Jahnke, Gesammelte Gedichte. Herausgegeben von Oskar Jahnke. Wintersaat. Letzte Gedichte. 100 Seiten. Wach auf! Letzte Gedichte. 142 Seiten. Erschienen im Jahre 1907 bei F. A. Bettmann, Goslar.

Am Abhang eines Hügels, einer alten Sanddüne, gegen die in Vorzeiten einst die See spülte, liegt das Grab der Dichterin, bewacht von einem mächtigen Granitblock, umfriedet von einem heiligen Hain von Kiefern, Wacholder und jungen Birken, und wie an einem uralt-grauen Hünenstein kann die Seele hier ruhen und träumen, still hinweg schauen über das märkische Land, über Heide und Forst, hinüber zu den Kalkbergen von Rüdersdorf und den Wiesen und Sümpfen der Spree und des Müggelsees."

So leitet Julius Hart die Nachlese der Gedichte ein, die der Gatte Clara Müllers aus der Ernte ihres Lebens veranstaltet hat und in zwei Bänden den Verehrern der Dichterin darbietet. Ein Bild veranschaulicht ihr Grab, und wer sie gekannt hat, wird gern anerkennen, dass sie so zur ewigen Ruhe gebettet worden ist, wie es sicherlich ihr Wunsch gewesen wäre, zur ewigen Ruhe gebettet zu werden. So sehr sie die Sonne Italiens liebte, so verhasst war ihr die gleißende Pracht der italienischen Friedhöfe.


Raschelnde Rosen an Perlendraht,

Badepüppchen im Heiligenstaat,

Gruftkapellchen mit Polstersitzen,

Leinene Deckchen mit Häkelspitzen,

Kreuzchen und Bildwerk, Flitter und Spiel,

Gläserne Ampeln im Jugendstil,

Steinerne Engel im Modekleid,

Platte an Platte dicht gereiht –

Und um des marmornen Schweigens Schauer

Die himmelversperrende neidische Mauer:

Das ist, von Orangen und Rosen umblüht,

Die Heimat der Toten im sonnigen Süd.

In der eisigen Öde bin ich allein.

Hart klingt mein Schritt auf dem harten Stein,

Und die Träne, die mir so rasch den Blick

Verdunkelt, kriecht scheu ins Herz zurück.

Ein Windstoß kommt aus dem Pinienhain,

Und die Kränze klappern wie Totenbein …

O du Ewige, Weltenbeschattende du,

Mutter des Lebens, zeugende Ruh,

Wie haben sie dich so klein gemacht,

Mit ihrer Plunder- und Flickenpracht!

Sie spielten ein gellendes Jahrmarktsstück

Auf deiner heitern, himmlischen Harfe

Und hängen die grinsende Faschingslarve

Vor deinen gütigen Mutterblick.

Nein, meine Heilige, hier wohnst du nicht!

Aufatmend grüß' ich das Frühlingslicht!


Nicht Andacht war der Grundzug von Clara Müllers Gedichten, wie Julius Hart meint, sondern ehrliche und gesunde Kraft, die ein hartes Leben niemals gebrochen, wenn es auch nicht spurlos an ihr gerüttelt hat. Das furchtbare Jahrzehnt, das Clara Müller als „Taglöhnerin mit dem Geist" in der Blüte ihrer Jahre erlebt hat, um durch die Redaktion eines kleinen hinterpommerschen Blättchens einen kärglichen Bissen Brot für ihre Mutter und sich zu erwerben, hat tiefere Furchen in ihr Leben gezogen als ihre Abstammung aus einem evangelischen Pfarrhause. Sobald der glückliche Zufall einer Erbschaft sie endlich befreite, entsprach es ihrer grundehrlichen und grundtüchtigen Natur, sich in die Wogen der Arbeiterbewegung zu stürzen, aber eine durch und durch Freie ist sie nicht mehr geworden; sie schleppte die zerbrochene Kette nach, die man gerade in der fast grausamen Wahrhaftigkeit ihres Bekenntnisbuches vielleicht am lautesten klirren hört. In dem letzten Briefe, den wir von der Freundin und Landsmännin erhielten, klagte sie bitter über das mangelnde Verständnis, das ihre Lebensbeichte gefunden habe; sie selbst aber war nicht ohne Schuld daran, wenn auch nur in dem Sinne, dass die Kämpferin der Dichterin den Lorbeer entrissen hatte.

Das Beste und Reifste, was Clara Müller geschaffen hat, waren ihre „Sturmlieder vom Meere". Sie sind in einen der beiden Nachlassbände aufgenommen, doch werden sie hier etwas erdrückt durch andere Gedichte, die nicht in gleichem Maße die Eigenart der Dichterin bekunden.

Wir achten die Pietät des Gatten, die möglichst alles sammeln wollte, was die Dichterin geschaffen hat, aber weniger wäre mehr gewesen, und es käme schon eine stattliche Zahl heraus, wenn das allzu frühe Grab Clara Müllers nur mit denjenigen ihrer Gedichte geschmückt worden wäre, die dauern werden.

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