Franz Mehring 18930100 Deutsche Arbeiterdichtung

Franz Mehring: Deutsche Arbeiterdichtung

Januar 1893

[Die Volksbühne, 1. Jg. 1892/93, Heft 3, S. 14. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 469 f.]

Deutsche Arbeiterdichtung. Eine Auswahl Lieder und Gedichte deutscher Proletarier. Fünf Bände. Stuttgart, Verlag von J. H. W. Dietz. Preis jedes Bandes 1 Mk.

Es war ein glücklicher Gedanke der Verlagshandlung von J. H. W. Dietz, unter dem Schatze der Lieder, die seit dreißig Jahren dem Munde des deutschen Proletariats entquollen sind, eine Nachlese zu halten,


Ob aus verlor'nen Ähren,

Ob aus verwehter Spreu,

Nicht etwa noch mit Ehren

Ein Strauß zu binden sei?


Und es ist ein farbiger Liederstrauß geworden, der in den fünf Bänden der „Deutschen Arbeiterdichtung" gesammelt ist. Ein farbiger Liederstrauß und auch ein duftiger. Nicht als ob jedes der gesammelten Gedichte einen strengen Maßstab der ästhetischen Kritik bestände; vielleicht hielte nicht einmal die Mehrzahl diese Probe aus. „Manch rund, manch rau gestammelt, manch still, manch wild Gedicht" – aber alle beseelt von dem Herzschlage der Arbeiterklasse, und da hole der Kuckuck die ästhetische Kritik!

So und nicht anders, wie diese schlichten und schmucklosen Lieder, sind die Volkslieder des Mittelalters entstanden, und mit prächtigem Humor schreibt der formvollendetste Dichter des deutschen Proletariats: „Der Gedanke, ob mich die zünftige Literaturgeschichte jemals in irgendeinem ihrer vielen Fächer mit mehr als einer kahlen Namensnennung unterbringen werde, hat mir wahrlich nie eine schlaflose Stunde verursacht. Selbst um dieses magere Vergnügen noch möchte ich die Perücken prellen" – und so gibt er seine gesammelten Gedichte, in denen er nicht ohne Glück den Pfaden eines Herwegh und Freiligrath folgt, unter dem Titel heraus: „In Reih und Glied. Von einem Namenlosen". Es ist der dritte Band der vorliegenden Sammlung. In ihren andern vier Bänden schlagen Audorf, Frohme, Kegel, Scheu u. a. volkstümlichere, aber nicht minder kräftige Weisen an. Wir empfehlen die „Deutsche Arbeiterdichtung" dringend unsern Lesern.

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