Franz Mehring 18981207 Literarische Rundschau (Robert Schweichel: Um die Freiheit)

Franz Mehring: Literarische Rundschau

Robert Schweichel: Um die Freiheit

7. Dezember 1898

[Die Neue Zeit, 17. Jg. 1898/99, Erster Band, S. 374/375. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 459 f.]

Robert Schweichel, Um die Freiheit.1 Geschichtlicher Roman aus dem deutschen Bauernkrieg 1525. Stuttgart 1899, Verlag von J. H. W. Dietz Nachf.

Entgegen der Gewohnheit, an dieser Stelle keine Bücher zu besprechen, die in demselben Verlag erscheinen wie die „Neue Zeit", möchten wir, und sei es auch nur mit einigen Worten, auf das schöne Weihnachtsgeschenk hinweisen, das Robert Schweichel, der wackere Veteran von 1848, mit seinem geschichtlichen Roman aus dem deutschen Bauernkrieg in erster Reihe der deutschen Arbeiterklasse gespendet hat. Wer das Buch liest, ohne den Verfasser zu kennen, wird nicht ahnen, dass es ein Mann von achtzig Jahren geschrieben hat: so frisch und klar und lebendig fließt die Erzählung dahin, und von der geistigen Physiognomie des Dichters, wie sie sich in dieser Dichtung spiegelt, möchte man sagen, wie von seinem leiblichen Bildnis, das den Band schmückt: Augen wie ein Kind hat der Alte.

Treitschke meint einmal von seinem besonderen Standpunkt aus, man würde sich an den Dichtern der sogenannten Freiheitskriege versündigen, wenn man ihre Gedichte rein ästhetisch beurteilen wollte. In dem Gedanken selbst liegt unstreitig etwas Wahres: mit größerem Rechte noch als auf die Arndt und Körner und Schenkendorf, würde er auch auf manche Gedichte Herweghs und Freiligraths zutreffen. Wenn wir ihn nun aber auch auf Schweichels neuesten Roman anwenden, so soll damit keineswegs gesagt sein, dass dieser Roman die Anwendung eines streng literarischen Maßstabs nicht vertrüge. Im Gegenteil steht er hoch über allen bisherigen Versuchen, den deutschen Bauernkrieg dichterisch zu bewältigen; zu Gerhart Hauptmanns bekanntem Schauspiel verhält er sich, wie auf wissenschaftlichem Gebiet sich ein modernes Geschichtswerk zu einer mittelalterlichen Chronik verhalten mag. Schweichel klebt nicht an äußerlichen Schnörkeln und Schnurren, aber dafür hat er den historischen Zusammenhang des Bauernkriegs klar erfasst; er koloriert nicht bloß einen derben Holzschnitt der Reformationszeit, sondern gibt ein wirkliches Bild, das erste künstlerische Bild, von dem man sagen darf, dass es jenes große Schicksalsjahr der deutschen Geschichte wieder zu beschwören gewusst hat.

Nur drängen sich auf diesem Bilde die Gestalten hier oder da gar zu sehr, und die Komposition des Bildes zerfällt etwas, weil zu viel in seinen Rahmen gespannt werden soll. Schweichel hat mit glücklichem Griffe das fränkische Gebiet des Bauernkriegs zum Schauplatz seiner Handlung gemacht: hier verliefen die Ereignisse am spannendsten, hier stießen alle Gegensätze der Zeit, fürstliches, ritterliches, bürgerliches, bäuerliches Leben, am schärfsten aufeinander, hier waren alle damaligen Klassen und selbst Klassenfraktionen durch lebensvolle Gestalten vertreten, die sich noch durch das Dämmerlicht der Jahrhunderte mit mehr oder minder großer Deutlichkeit erkennen lassen. Indem Schweichel diesen ganzen Reichtum zu erschöpfen sucht, kommt der Dichter manchmal gegen den Historiker, der Roman manchmal gegen die Geschichte zu kurz. Eben diesen Fehler aber rein ästhetisch zu beurteilen, wäre ein Unrecht gegen den Dichter, dem es mehr darauf ankam, dem Volke wieder seine große Vergangenheit zu beleben, als eine Fabel zu ersinnen, die gegen jeden künstlerischen Einwand hieb- und stichfest wäre. Einen Dichter, dem die große Sache des arbeitenden Volkes seit langen Jahrzehnten die begeisternde Muse gewesen ist, schmückt solch ein Fehler wie die Narbe den Krieger.

Und so wünschen wir dem Roman Schweichels die weite Verbreitung, die er namentlich auch in den Kreisen des deutschen Proletariats verdient.

1Robert Schweichel schrieb nach Abschluss seiner Arbeit an diesem Roman am 22. Juli 1897 an Franz Mehring:

„Verehrter Herr Dr. Mehring!

Meinen wärmsten Dank für Ihren herzlichen Glückwunsch zur Beendigung meines Romans. Ich bin hoch erfreut, dass Dietz Ihnen im günstigen Sinne über die Arbeit berichtet hat. Es ist dies ein neuer Beweis nicht nur für seine Warmherzigkeit, sondern auch dass der Roman wirklich seinen Beifall gefunden hat, wie er mir nach dessen Lektüre schrieb. Sie werden sich ja vorstellen können, dass ich bei meinen Jahren nicht ohne Bangen das Manuskript seinem Urteil unterbreitete, zumal ich als Autor am wenigsten blind gegen verschiedene Schwächen des Romans bin und mein Geist nachträglich noch immer über denselben brütet. Ich kann nur sagen, dass mein Wollen redlich war; das Gelingen aber ist den Göttern auf die Knie gelegt. Mögen Sie nun des weiteren gütig walten, damit Ihr liebenswürdiger Wunsch wenigstens zum Teil sich erfülle und der Roman auf dasjenige Publikum wirke, für das er bestimmt ist.

Nochmals den herzlichen Dank Ihres treu ergebenen Robert Schweichel."

Nachdem Robert Schweichel die Rezension Franz Mehrings gelesen hatte, richtete er am 15. Dezember 1898 folgenden Brief an Mehring:

„Sehr geehrter Herr Dr. Mehring!

Ein paar Stunden vor Ihren freundlichen Zeilen vom gestrigen Tage erhielt ich von Dietz mit einigen Besprechungen meines Romans auch die Ihrige in der ,Neuen Zeit'. Ich freute mich umso mehr darüber, als ich in dem Blatte des Verlegers des Romans über diesen eine Kritik nicht erwartet hatte und weil die ,Neue Zeit' in Leserkreise kommt, in welche die sozialdemokratischen Tageszeitungen nur ausnahmsweise zu gelangen pflegen. Ich bin Ihnen daher für diese Liebenswürdigkeit zu besonders großem Danke verpflichtet. Hoffentlich finde ich einmal Gelegenheit, mich meiner Schuld gegen Sie zu entlasten, an meiner Bereitschaft dazu soll es nicht fehlen. Sie haben übrigens die Achillesferse des Romans ganz richtig erkannt. Die historischen Vorgänge benehmen zuweilen den Romanfiguren, die doch auch mit ganz geringer Ausnahme eigentlich solche nicht sind, etwas den Atem. Es kam mir aber in der Tat hauptsächlich darauf an, jenen Lesern, die Geschichtswerke wenig oder ungern lesen, mit meinem Roman eine ungeschminkte episch-dramatische Geschichte des Bauernkrieges zu geben. Mein größter und sehnlichster Wunsch ist daher auch, dass das Buch in die Arbeiterklasse eindringen möchte. Dem wird sich freilich jene Ästhetik, welche in den Schlappschuhen der bornierten Bourgeoisie daher schlurft und die mit Schmutzfarben kolorierte Photographie für den Gipfel der Kunst hält, einigermaßen entgegenstellen. Sie können sich daher denken, mit wie lebhaftem Interesse ich Ihre ästhetischen Streifzüge in der ,Neuen Zeit' verfolge. Meine Frau ist entzückt von Ihnen und hat mir ausdrücklich aufgetragen, es Ihnen zu sagen. Ich bin übrigens überzeugt, dass Ihre Streifzüge ein gut Teil dazu beitragen werden, unserer Literatur über diese hässliche Erbschaft der Bourgeoisie bald hinweg zu helfen. Als Produkt der Philosophie der bankrotten Gesellschaft bietet sie dem Vordringen des sozialdemokratischen Gedankens und dessen Läuterung die schwersten Hindernisse. Möge deren Beseitigung endlich gelingen, womit ich selbstverständlich Ihrer gegenwärtigen Arbeit den durchschlagendsten Erfolg wünsche. Mit den besten Wünschen von meiner Frau und Ihrem freundschaftlichst ergebenen Robert Schweichel."

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