Franz Mehring 19070425 Robert Schweichel †

Franz Mehring: Robert Schweichel

25. April 1907

[Die Neue Zeit, 25. Jg. 1906/07, Zweiter Band, S. 105/106. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 461 f.]

Reiche Ernte hält der Tod in diesem Jahre unter unseren Vorkämpfern. Kaum haben wir unseren Auer unter den kühlen Rasen gebettet, da erreicht uns die Trauerkunde, dass Robert Schweichel nicht mehr ist. Man beginnt es zu fühlen, dass die Sozialdemokratie nahe daran ist, ein halbes Jahrhundert alt zu sein. Und Robert Schweichel stand in unserer Bewegung nicht nur seit ihren Anfängen, er war Jahrzehnte vorher schon ein Kämpfer der Demokratie gewesen. Einer der letzten Veteranen des Jahres 1848 geht mit ihm dahin, einer der wenigen unter ihnen, die treu blieben den hohen Idealen ihrer Jugend, treu bis in den Tod; und einer der noch wenigeren unter ihnen, die die Treue für das Ideal der ersten Jugend zu vereinigen wussten mit dem Verständnis für die neuen Probleme, die der Gang der Entwicklung mit sich brachte, die es verstanden, sich selbst treu zu bleiben und doch mit der Zeit voranzuschreiten.

Aber nicht allein dadurch erhob er sich weit über die Masse der Kämpfer, die im Jahre 1848 auf der Seite der Demokratie gestanden hatten. Seine Größe erwuchs vor allem daraus, dass er ein Dichter war, dessen Name in den sechziger und siebziger und auch noch den achtziger Jahren genannt wurde, wann immer man die besten Namen nannte, und dass er trotz aller Hingebung an die Kunst doch vollstes Interesse und Verständnis für die politischen und sozialen Kämpfe seiner Zeit bewahrte, in einer Weise, wie es bisher nur wenigen Dichtern und Künstlern gegeben war.

Ist aber diese Vereinigung schon äußerst selten, noch weit seltener kommt es seit 1848, seit der Junischlacht, vor, dass einen aus bürgerlichen Kreisen hervorgegangenen Dichter sein politisches Verständnis und Interesse auf die Seite der Armen und Niedrigen, der Proletarier treibt, oder dass er gar deren Kampf kraftvoll mitkämpft. Darin steht Robert Schweichel unter den deutschen Dichtern aus der Zeit seiner Blüte geradezu einzig da. Gerade in jenen Tagen, wo die Sozialdemokratie erst begann, sich zu entwickeln, wo sie weder Mandate noch Redakteurposten zu vergeben hatte, wo es weder Ehren noch irgendwelchen Gewinn brachte, ihr anzugehören, hat er mit unseren Besten, mit Bebel und Liebknecht, aufs eifrigste zusammengewirkt und unsere Sache bedeutend gefördert. Und er hat für sie gearbeitet, solange seine Feder ihre Kraft und ihren Glanz bewahrte, er hat für sie gedacht, hat mit ihr gelebt, solange ein Atem in ihm war.

Was ihn in unseren Augen erhebt, wurde dem Dichter in der Bourgeoisie freilich zum Verhängnis, brachte ihm frühes und unverdientes Vergessen in den Kreisen der modischen Literaturhistoriker und Kritiker. Aber nicht minder als seinen proletarischen und demokratischen Sympathien dürfte dies Schicksal seiner Treue zuzuschreiben sein, seiner Treue gegen sich selbst und gegen seine künstlerischen Überzeugungen, die es ihm verbot, sich charakterlos jeder Modelaune zu beugen, die ihn nicht bloß politisch, sondern auch künstlerisch an den Idealen seiner Jugend festhalten ließ, über die die bürgerliche Kunst unserer Tage zur Tagesordnung übergegangen ist, angeblich, um zu höheren Kunstformen fortzuschreiten, tatsächlich, um in der Nachäffung jener Romantik zu enden, die von jener Kunst überwunden worden war, auf deren Empfindungen und Anschauungen Schweichel fußte.

Je mehr ihn die bürgerliche Modeliteraturkritik ignorierte, desto reicher entschädigten ihn dafür die Liebe und das Verständnis, die das Proletariat seinen Werken entgegenbrachte, sowie das Bewusstsein, dass es eine absterbende Klasse ist, die sich von ihm abwandte, dass sein Wirken fortlebt in jener, der die Zukunft gehört. Diese frohe Überzeugung hat ihn bis an sein Ende beseelt und erhoben, und sie hat ihn nicht getrogen. Nicht nur in der Geschichte der Sozialdemokratie wird der Veteran seinen Platz bewahren, der seit 1861 mit Liebknecht zusammenwirkte; nicht nur in der Geschichte der deutschen Literatur wird der Schöpfer des „Axtschwinger", des „Bildschnitzer vom Achensee", der „Falkner von St. Vigil", von „Um die Freiheit" fortleben; er wird auch fortleben im Herzen der deutschen Proletarier, die noch lange fortfahren werden, aus seinen Dichtungen jenen Idealismus und jene Lebensfreude zu schöpfen, die Hunderttausende von ihnen schon bisher daraus geschöpft.

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