Franz Mehring 19130131 Über Sprache und Stil

Franz Mehring: Über Sprache und Stil

31. Januar 1913

[Die Neue Zeit, 31. Jg. 1912/13, Erster Band, S. 649-656. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 209-218]

Eduard Engel, Deutsche Stilkunst. Mit 18 Handschriften. Wien und Leipzig 1912. F. Tempsky und G. Freytag. 485 Seiten. Preis gebunden 5 Mark.

Dies Werk hat nach Angabe des Verfassers und der Verleger binnen weniger Monate zwölf Auflagen erlebt. Das ist immerhin ein seltener, aber doch kein unverdienter Erfolg. Denn es lohnt sich wohl, das Buch zu lesen.

Der Verfasser schreibt über einen Gegenstand, dem er eingehendes und vieljähriges Bemühen gewidmet hat. Er verfügt über eine große Belesenheit in der deutschen Literatur und weiß eine reiche Fülle von Beispielen beizubringen, an denen er zeigen will, was guter und schlechter Stil ist, und an denen der Leser, falls er dem Verfasser nicht beistimmt, sein eigenes Urteil prüfen und schärfen kann. In seinen Klagen über den Verfall der deutschen Sprache wird Herr Engel mitunter recht einseitig und eintönig, wie denn überhaupt das enggedruckte Buch etwas weitläufig angelegt ist. Es fehlt nicht an allzu kleinlicher Krittelei und auch nicht an Wiederholungen. Immerhin ist alles das nebensächlich und kann gegenüber den Vorzügen des Buches nicht schwer ins Gewicht fallen. Jedoch leidet es auch an einem Grundfehler, auf den wir etwas näher eingehen möchten, da es sich dabei um einen allgemeinen Übelstand handelt: nämlich an dem Mangel jedes geschichtlichen Blickes.

Der Schwerpunkt des Buches liegt in dem Kampfe gegen die Fremdwörter in der deutschen Sprache. Engel sieht in ihnen einen Krebsschaden, der sich durch menschliche Faulheit, Nachlässigkeit und Torheit in unsere wundervolle Sprache eingeschlichen hat und demgemäß durch Fleiß, Sorgfalt und Verstand wieder ausgerottet werden kann. Den ihm gemachten Einwand, dass die Sprache eine geschichtliche Entwicklung habe, die unabhängig als solche zu begreifen und von keines Menschen und keines Vereins Willkür rückgängig zu machen sei, will er nicht gelten lassen. Für ihn ist die Sprache nur eine Gewohnheit sprechender Menschen, die sich mit Geschmack und Vernunft bessern lasse. Das ist jedoch nur mit der Einschränkung richtig, dass die Menschen unter den gegebenen geschichtlichen Voraussetzungen, unter denen sie leben, sprechen und so allein sprechen können. Die Geschichte der Sprache ist nicht in dem Sinne unabhängig, dass sie sich in irgendwelcher Wolkenhöhe abspielt, aber sie ist abhängig von der Geschichte des Volkes, das sie spricht. Oder noch genauer: sie fällt mit dieser Geschichte zusammen.

Daraus ergibt sich, dass sie den Einflüssen fremder Völker zugänglich ist. Das kann schließlich auch Engel nicht bestreiten. Er meint nur, der Unterschied zwischen der uralten und der neuzeitlichen Aufnahme fremder Wörter bestehe darin, dass der Sprachsinn unserer Vorfahren die Fremdwörter eingedeutscht, sie zu Lehnwörtern gemacht habe, gegen die nichts einzuwenden sei. Als solche Lehnwörter aus dem Griechischen und Lateinischen führt er an: Kaiser, Prinz, Kreuz, Tisch, Markt, Kerker, Zoll, Straße, Meile, Keller, Kiste, Trichter, Teller, Mauer, Pforte, Pfosten, Pfeiler, Speicher, Schlüssel usw. Danach sei aber die Humanisterei eingebrochen mit ihrem Latein, das den Wurzeltrieb der deutschen Sprache ertötet oder nahezu ertötet habe. Dazu sei dann noch der Dreißigjährige Krieg gekommen, die Zersplitterung Deutschlands und andere Umstände, die in jeder landläufigen Literaturgeschichte aufgezählt werden und hier nicht aufgezählt zu werden brauchen, da sie wohl mitspielen, aber den Kern der Frage nicht berühren.

Der entscheidende Irrtum liegt in dem, was Engel über den üblen Einfluss der „Humanisterei" auf die deutsche Sprache sagt. Bekanntlich war der Humanismus keine deutsche Eigentümlichkeit; er war sogar in anderen Ländern stärker vertreten als in Deutschland. Weshalb hat er denn in Italien, in Frankreich, in England die Sprache nicht zerrüttet? Mehr noch: wenn die Humanisten lateinisch schrieben, so nur, weil das Lateinische damals die Sprache der gelehrten Welt war, und nicht etwa aus Abneigung gegen die Völker, denen sie angehörten. Sie sind vielmehr die Bahnbrecher der nationalen Sprachen gewesen, wie Petrarca in Italien, Rabelais in Frankreich, Thomas More in England. Nicht aus Zufall, sondern weil sie die Vorkämpfer der nationalen Staaten waren, wie sie die kapitalistische Produktionsweise zu schaffen begann. Auch der berühmteste der deutschen Humanisten schrieb schließlich deutsch; Engel selbst hat einige Verse Huttens als Leitwort auf das Titelblatt seines Buches gesetzt.

Den wirklichen Zusammenhang der Dinge hat schon Leibniz aufgedeckt. Er führte aus, die deutsche Sprache sei ausgebildet in allem Sinnlichen, wo die Natur auch die Ungelehrten unterrichte: in allen Ausdrücken für die Lebensweise, für Kunst- und Handwerkssachen, Jagd, Schiff- und Bergbau. Fürs Übersinnliche dagegen, für alles, was die Seele, die Wissenschaft, die Politik angehe, für die noch abstrakteren Erkenntnisse in der allgemeinen Lehre von den Dingen, der Logik und der Metaphysik sei die deutsche Sprache arm und müsse sich mit dem Lateinischen behelfen. Das galt auch für andere Völker, jedoch mit dem Unterschied, dass sich die romanischen Sprachen, auch die englische germanisch-romanische Mischsprache, die lateinischen Ausdrücke einverleiben konnten, die deutsche Sprache dagegen, wenn sie sich mit moderner Bildung durchtränken wollte, an Fremdwörter gewiesen blieb. Im Reiche des Übersinnlichen konnte sie sich keine Lehnwörter bilden wie Tisch, Trichter, Teller usw. im Reiche des Sinnlichen.

Die deutsche Fremdwörterei hat somit zwei ganz verschiedene Wurzeln. Die eine zehrte an dem Marke der Sprache durch das entsetzliche Kauderwelsch, das durch den Dreißigjährigen Krieg, die Zertrümmerung Deutschlands in unzählige Splitter, das Übergewicht Frankreichs, die Menge der französelnden Höfe usw. erzeugt wurde. Die andere aber spendete neues Leben, indem sie den geistigen Zusammenhang Deutschlands mit den westeuropäischen Kulturvölkern aufrecht erhielt und eine moderne Bildung nährte, die trotz alledem ein letztes Band der deutschen Einheit blieb. Leibniz selbst, der ein so lebhaftes Gefühl für die Reinigkeit der deutschen Sprache hatte wie die Gelehrten des Deutschen Sprachvereins, und der es mit ihnen auch wohl an geistiger Fähigkeit aufnehmen konnte, musste sich sogar noch der französischen oder lateinischen Sprache bedienen, um einen seiner würdigen Wirkungskreis zu finden.

Entsprechend der doppelten Wurzel der deutschen Fremdwörterei haben sich unter den deutschen Sprachreinigern immer zwei Richtungen geltend gemacht: die eine, die zwar die lebenzehrende Wurzel gründlich ausrottete, aber die lebenspendende Wurzel behutsam schonte; die andere, die mit plumper Hand beide ausriss. Die eine bestand aus den großen Dichtern und Schriftstellern der Nation, die die Sprache mit schöpferischer Kunst zu beleben wussten, die andere aus ehrbaren Schulmeistern, die am Worte klebten und es teutschtümlich kappten oder streckten, unbekümmert um den Geist, der in dem Worte steckte. Unter sie hat sich noch keiner unserer namhaften Stilisten verirrt, denn auch Schopenhauer, auf den sie sich zu berufen pflegen, war ein ganz arger Fremdwörtler und hat sich nie auf jene subalterne Polizeijagd begeben, die hinter den Revolutionären ebenso eifrig fahndet wie hinter den Spitzbuben.

Diese beiden Richtungen haben sich schon im siebzehnten Jahrhundert aufgetan: in der Fruchtbringenden Gesellschaft, die sich zuerst gegen die Sprachmengerei erhob. Im Jahre 1648 traten gleichzeitig in sie ein: Philipp v. Zesen, ein schlechter Romanschreiber, und Friedrich v. Logau, ein guter Epigrammatiker. Zesen ist der erste bekannte Sprachreiniger von Polizei wegen gewesen und vorbildlich für die ganze Gattung; er hat einzelne Fremdwörter nicht schlecht verdeutscht, war aber durch seine närrischen Einfälle schon der Spott der Zeitgenossen. Auch Logau machte sich über ihn lustig, obgleich er ein nicht minder scharfer Gegner der Sprachenmengerei war; er bekämpfte sie aber in der vernünftigen Weise, dass er in seinen Epigrammen mit keinem französischen oder lateinischen Worte ausdrückte, was sich mit einem deutschen Worte ausdrücken ließ. Das ist überhaupt die sehr einfache Methode, mit der alle guten Schriftsteller die Fremdwörterseuche bekämpft haben, soweit sie überhaupt eine Seuche ist. Es kam ihnen darauf an, die Fremdwörter auf das unentbehrliche Maß zu beschränken, nicht aber die unentbehrlichen Fremdwörter in deutsche Formen zu übersetzen, die nie einen Sinn gehabt haben.

Im achtzehnten Jahrhundert waren Gottsched und Campe die eifrigsten Jäger auf Fremdwörter, und auch sie haben manchen glücklichen Griff getan. Aber sie fanden alles eher als den Beifall derjenigen ihrer Zeitgenossen, die unsere künstlerische Prosa geschaffen haben. Lessing verhöhnte den „großen Duns", der „dümmer als ein Hottentott" sei:


Der Philipp Zesen unsrer Zeit,

Der Büttel der Sprachreinigkeit

In Ober- und in Niedersachsen,

Der alle Worte Lands verweist,

Die nicht auf deutschem Boden wachsen.


Campe aber wurde in den „Xenien" Goethes und Schillers als „Pedant" aufgezogen. Goethe hat 1795 zornig ausgerufen: „Ich verfluche allen negativen Purismus, dass man ein Wort nicht brauchen soll, in welchem eine andere Sprache viel mehr und Zarteres gefasst hat", und er sprang unsanft genug auch später noch mit den „Sprachreinigern" um, als er ihnen im Jahre 1816 die „Zahme Xenie" widmete:


Gott Dank, dass uns so wohl geschah!

Der Tyrann sitzt auf Helena!

Doch ließ sich nur der eine bannen;

Wir haben jetzo hundert Tyrannen,

Die schmieden, uns gar unbequem,

Ein neues Kontinentalsystem.


Deutschland soll rein sich isolieren,

Einen Pestkordon um die Grenze führen,

Dass nicht einschleiche fort und fort

Kopf, Körper und Schwanz vom fremden Wort.

Wir sollen auf unsern Lorbeern ruhn,

Nichts weiter denken, als was wir tun.


So Goethe und Lessing in ihrer derben Weise. Es ist überflüssig, sie deshalb gegen den Verdacht zu verteidigen, dass ihnen nicht an der Reinheit der Sprache gelegen gewesen sei. Dafür legen ihre Werke unsterbliches Zeugnis ab. Ebendeshalb aber verurteilten sie die besinnungslose Hetze gegen die Fremdwörter.

Ärger als Gottsched und Campe und ohne die mildernden Umstände, die für sie angeführt werden können, trieb es Jahn im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Stein, der politisch am deutschesten fühlende Zeitgenosse, nannte ihn einfach einen „fratzenhaften Kerl", und Treitschke, den die Sprachreiniger ja sonst auch gern anrufen, sagte mit Recht, dass Jahns Sprache ein schwülstiges Kauderwelsch gewesen sei, ebenso undeutsch und um vieles geistloser als die mit ausländischen Brocken gespickte Sprache des siebzehnten Jahrhunderts. Die Universitäten sollten „Vernunftturnplätze" heißen, ein Konzert ein „Einklangwettstreit des Klangwerkes" und was des Unsinns mehr war. Nach Eduard Engel können sich freilich an dem „oft sehr glücklichen Neuschöpfer" Jahn nur unfruchtbare „Sprachphilister" stoßen. Von den beiden Neuschöpfungen, die er besonders an Jahn preist: Landwehr und Volkstum, ist die erste gar nicht Jahns Werk. Die Landwehr kam – im heutigen Sinne des Wortes – schon im siebzehnten Jahrhundert vor, und wenn ein einzelner Schriftsteller vor hundert Jahren das Wort wieder volkstümlich gemacht hat, so ist es nicht Jahn, sondern Arndt gewesen. Das Volkstum ist dann allerdings ein guter Griff Jahns gewesen, nur dass Jahns Nachfahren, und leider auch Engel, daraus die widrige Unform: völkisch zurecht geschandelt haben, deren einziges Verdienst darin besteht, eine Art Warnungstafel zu sein, indem sie von Rückwärtsern aller Art als gemeinsames Erkennungszeichen gebraucht wird.

Das ist aber noch nicht das schlimmste, was heute die „Büttel der Sprachreinigkeit" leisten. Stilisten von dem Range eines Lassalle und Marx werden ans Kreuz geschlagen von wegen Fremdwörterei. Es übertrifft die ärgste Geschmacklosigkeit Zesens, wenn Engel mit wichtiger Miene erklärt, Lassalle habe sich selbst ans Messer des Staatsanwaltes geliefert, weil er die „Unredlichkeit" begangen habe, mit einem Fremdwort von Revolution zu sprechen, während er von Umwälzung hätte sprechen müssen. Hätte Lassalle auf Sprachreinigkeit gehalten, so würde er in holdem Frieden und süßer Eintracht mit dem Staatsanwalt gelebt haben. Allerdings hat Jahn trotz allen Eifers für die Reinheit der deutschen Sprache jahrelang auf preußischen Festungen brummen müssen, was vielleicht die Aufmerksamkeit Lassalles eingeschläfert haben mag. Doch im Ernste gesprochen, wenn man hier ein ernstes Wort gebrauchen darf, so schlägt dieser Widersinn sich selbst ins Gesicht. Denn die verschiedenen Schlussfolgerungen, die Engel aus den Worten Revolution und Umwälzung zieht, widerlegen seine Behauptung, dass der Sinn des Fremdwortes völlig durch das deutsche Wort gedeckt werde.

Im Übrigen weiß jeder Leser der Schrift Lassalles, aus welchen sachlichen Gründen er als ehrlicher Revolutionär von einer Revolution gesprochen hat und nicht von einer Umwälzung, die in seinem Zusammenhang eine unredliche Zweideutigkeit gewesen wäre.

Schlimmer noch kommt Marx als „Vater des Sozialismus" bei Engel fort, von wegen seiner „küchenlateinischen Zigeunersprache". Wir haben hier handgreiflich denselben Fall, der die Goethe und Lessing gegen die wortklauberischen Sprachreiniger so wild machte. Marx hat sich seine wissenschaftliche Terminologie ausschließlich oder doch ganz überwiegend aus Fremdwörtern gebildet, einmal, weil er an die politische Ökonomie der Engländer und Franzosen anknüpfte – und anknüpfen musste, wenn er auf diesem Gebiet Neues schaffen wollte –, und zweitens, weil er es von vornherein auf eine internationale – Verzeihung! „zwischenvölkische" – Wirksamkeit absah. Hätte er seine Muttersprache in verdienten Ehren gehalten, so hätte er sein Hauptwerk nicht betiteln dürfen: Das Kapital, sondern: Das Hauptgut. Sein Frevel war um so größer, als nicht etwa nur Zesen oder Gottsched oder Campe oder Jahn, sondern selbst Lessing vorgeschlagen hat, das undeutsche Kapital durch das deutsche Hauptgut zu ersetzen. Lessing berief sich dafür auf Logau, bei dem es heißt: Noch Hauptgut noch die Zinsen darf itzt ein Schuldner gelten, und auf Tscherning, bei dem es heißt: Das Hauptgeld bleibt stehen, ihr streicht die Zinsen ein. Als echt teutscher Mann hätte Marx also nicht von kapitalistischer Produktionsweise, sondern von hauptgüterlicher oder hauptgeldlicher Erzeugungsweise, nicht von konstantem Kapital, sondern von beständigem Hauptgut, nicht von variablem Kapital, sondern von veränderlichem Hauptgut usw. sprechen dürfen. Damit hätte er sich mit Recht einen hervorragenden Ehrenplatz in der Geschichte der deutschen Sprache geschaffen, während er jetzt nur als „küchenlateinischer Zigeuner" mit unterläuft. Doch um wiederum im Ernste zu sprechen: solchem täppischen Antasten von Meisterwerken gerade auch der deutschen Sprache muss man höflich, aber deutlich entgegnen: Hände weg, denn davon versteht ihr nichts.

Die Behauptung, dass durch die Fremdwörterei die Bild- und Triebkraft der deutschen Sprache erstickt worden sei, lässt sich in der Allgemeinheit Engels nicht aufrecht erhalten. Man braucht nur einige Bogen Prosa von Goethe und Lessing zu lesen, um zu erkennen, wie viele Fremdwörter, die diese Meister der Sprache noch für unentbehrlich hielten, heute kaum noch verstanden werden, weil sie entweder ganz eingedeutscht oder durch deutsche Wörter ersetzt sind. Engel weiß zwar nicht genug über die „Verschmutzung" der deutschen Sprache durch Fremdwörter zu klagen, aber er macht sich den Beweis etwas leicht. Vor etwa zwanzig Jahren haben vierzig mehr oder minder namhafte Schriftsteller einen Protest gegen die Fremdwörterhetze des Deutschen Sprachvereins erlassen, der sachlich ganz berechtigt, aber recht ungeschickt verfasst war, was sich schon daraus ergab, dass Erich Schmidt, der Professor für deutsche Literatur an der Berliner Universität, ihn verfasst hat. Als begeistertes Mitglied des Deutschen Sprachvereins macht sich nun Engel das Vergnügen, aus den eigenen Werken der Vierzig allerlei überflüssige oder selbst sinnlose Fremdwörter und sonstige anfechtbare Stilblüten zusammenzutragen. Er bringt dabei ein stattliches Häuflein zusammen, aber wenn man bedenkt, dass es sich um vierzig Schriftsteller handelt, auf deren jeden man im Durchschnitt mindestens zehn Bände rechnen kann, so ist es doch auch wieder eine recht spärliche Ausbeute und erinnert an das Distichon, das Schiller der „Gesellschaft von Sprachfreunden", dem Deutschen Sprachverein seiner Zeit, widmete:


O wie schätz' ich euch hoch! Ihr bürstet sorglich die Kleider

Unsrer Autoren, und wem fliegt nicht ein Federchen an?


Mit solchem Federchenlesen kann man schließlich den sprachgewaltigsten Schriftsteller umbringen. Soweit wir die Werke der vierzig Protestler kennen, tut Engel mehr als einem von ihnen bitteres Unrecht. Einen Mann wie Spielhagen als einen Schriftsteller von „kläglichster Sprache" und „unerträglichstem Stil" hinzustellen, nimmt sich um so sonderbarer aus, als Engel an Paul Lindau, der nicht zu den Vierzig gehörte, kaum etwas auszusetzen, aber dafür den „vernichtend aufflammenden Blitz seines Wort- und Sachwitzes" zu rühmen weiß. Lindau hat nämlich einmal in einer Polemik mit Julian Schmidt geschrieben: „Und hiermit überlasse ich Sie Ihrem Schicksal oder, wenn Sie das vorziehen, überschicke Sie Ihrem Lassalle." Diese Bewunderung Engels läuft wieder auf die reine Wortklauberei hinaus. Wenn er sich für den „Wortwitz" im Sinne Saphirs begeistert, so mag das Geschmacksache sein, aber einen „Sachwitz" darin zu sehen, dass Paul Lindau sich als Erbe Lassalles aufspielt, und sei es selbst einem Julian Schmidt gegenüber, lässt sich nicht als bloße Geschmacklosigkeit entschuldigen.

Dieser Mangel an geschichtlichem Augenmaß macht sich auch in den Teilen des Buches geltend, in denen unzweifelhafte Versündigungen an der Sprache gegeißelt werden. Wenn anders die Geschichte der Sprache die Geschichte des Volkes ist, das sie spricht, so versteht es sich von selbst, dass die Schäden des Volkslebens sich auch in der Sprache ausprägen müssen. Man kann die scheußlichen Verwüstungen, die die „Zukunft" des Herrn Harden jede Woche an der deutschen Sprache anrichtet, nicht treffender schildern als Engel; er hat die geheimnisvollen Orakel, die dem Herrn Harden den Ruf des anmutigsten Stilisten und des gelehrtesten Zeitungsschreibers verschafft haben, auf ihren Ursprung untersucht, und er weist in einem höchst ergötzlichen Kapitel auf, dass sie alle, alle entweder aus Büchmanns „Geflügelten Worten" oder aus Meyers Konversationslexikon stammen und nur deshalb wie tiefe Runensprüche klingen, weil Herr Harden die wohlfeile Weisheit in blöden Schwulst zu kleiden weiß. Das ist soweit sehr hübsch und nett, aber schließlich ist die Frage, ob Harden ein Humbug ist, doch viel weniger wichtig als die Frage, wie dieser Humbug nun schon seit zwei Jahrzehnten der gefeiertste Federheld der deutschen Bourgeoisie sein kann. Und auf diese Frage findet sich bei Engel keine Antwort, sosehr auf der Hand liegt, dass Harden nicht sein würde, was er ist, ohne die geistige und sittliche Verlotterung der Bourgeoisschichten, die ihn als ihren Wortführer anerkennen.

Sehr scharf spricht Engel dann auch von dem schrecklichen Deutsch einer gewissen Gelehrtenschicht, in der man die sorgsamste Hüterin der Sprache vermuten sollte, nämlich der Germanisten im Allgemeinen und der Goethe-Philologen im Besonderen. Er geht mit so erlauchten Häuptern wie Wilhelm Scherer und Erich Schmidt kaum weniger unbarmherzig ins Gericht als mit Harden, wenngleich er natürlich anerkennt, dass ihre Gelehrsamkeit sie von diesem Genius unterscheidet; er lobt Hardens Gutmütigkeit, der es dem Enträtsler seiner geheimnisvollen Anspielungen mit dem Büchmann und dem Meyer wenigstens leicht machte, während Erich Schmidts gleich dunkler Akrobatenstil viel schwierigere Anforderungen an die Kenntnisse des Lesers stellt, der ihn verstehen will. Allein auch hier dringt Engel nicht auf den Grund der Dinge. Wenn er anders darin recht hat, dass die Wahrheit das erste und unerlässlichste Erfordernis eines guten Stils ist – und gewiss hat er darin recht –, wie sollten dann nicht diejenigen Gelehrten in den schlechtesten Stil verfallen, die sich nun schon seit einem Menschenalter abquälen, unsere klassische Literatur als eine leidliche Vorschule der hohenzollernschen Herrlichkeit darzustellen? Auf diesen Grund kann Engel freilich auch nicht kommen, da er bei allem sonstigen Abscheu vor Erich Schmidts Sprache mit diesem doch vollkommen einig ist in dem holden Glauben, dass Lessing nur ein borussischer Hampelmatz gewesen sei, der an der Strippe des alten Fritz getanzt habe.

Über Lamprechts Sprache und Stil urteilt Engel: „Unsichtbar, blutlos, dabei wortreich bis zum breitesten Geschwöge und selbstverständlich unerträglich fremdwörtlerisch." Das Urteil ist hart, doch nicht ungerecht, namentlich auch, was den Vorwurf wegen der unerträglichen Fremdwörtersucht Lamprechts angeht. Er bildet Worte wie Emotivität, die kein Teufel verstehen kann; historisch genügt ihm nicht, sondern er schreibt nun historizistisch. Kaum ein Satz Lamprechts, mindestens nicht in den letzten Bänden seiner „Deutschen Geschichte", der nicht durch ein mehr oder minder seltsames Fremdwort mehr oder minder unverständlich würde. Sicherlich ist es sein redliches Bemühen, die neue Methode der Geschichtsforschung, die er entdeckt zu haben glaubt, seinen Lesern verständlich zu machen. Aber wenn sie ihm selbst klar sein sollte – wer weiß es? –, so versteht er nicht, sie anderen klarzumachen. Mit jedem neuen Fremdwort, das er für diesen Zweck ersinnt, wirft er nur einen neuen Schleier über sie. Lamprecht ist darin das genaue Gegenteil von Marx, der ebenfalls eine neue Methode der Geschichtsforschung vertritt, aber sie – gleichviel wie man sich sonst zu ihr stellen mag – in wenigen Sätzen verständlich zu machen weiß. So ist auch der Gebrauch der Fremdwörter bei beiden Historikern genau entgegengesetzt. Marx gebraucht sie, um klare Begriffe klar darzustellen; Lamprecht hascht nach ihnen, um unklare Begriffe ins klare zu bringen. Der eine gebraucht die Fremdwörter, soweit sie die geeignetsten Werkzeuge der Gedanken sind, der andere mutet ihnen die unmögliche Aufgabe zu, die Geburtshelfer der Gedanken zu sein. Engel aber wirft beide in den gleichen Topf als küchenlateinische Zigeuner.

Es ist wahr: Engel teilt diesen Mangel an historischem Blick mit allen Sprachverbesserern, die in letzter Zeit aufgetreten sind. Daraus ergibt sich denn auch, dass sie zwar einig sind in ihren Jammerliedern über die Sprachverhunzung, aber nach allen Windrosen auseinandergehen, wenn sie sagen sollen, wie die Sache besser zu machen sei. Engel spricht von seinem bekanntesten Vorläufer, von Wustmann, nicht viel höflicher, als wenn Wustmann der erste beste Fremdwörtler wäre. Er gibt zwar mit sauersüßer Miene zu, dass Wustmann alles in allem mehr genützt als geschadet haben möge, indem er das Sprachgewissen geweckt oder gestärkt habe, aber im einzelnen lässt er kein gutes Haar an Wustmann und findet es unausstehlich, dass jeder Eigenbrötler uns auf Druckpapier von seiner Geschmackslaune berichte.

Das ist aber entschieden ungerecht. Wustmann hatte auch keinen historischen Blick; er führte die Sprachverwilderung auf die jüdischen Zeitungsschreiber zurück, was ihn zu manchen höchst kuriosen Fehlgriffen veranlasste, aber er hatte viel festeren Boden unter den Füßen als Engel, indem er sich viel enger an die Gesetze der deutschen Grammatik hielt. Soweit man aus solchen Büchern etwas für seinen praktischen Gebrauch lernen kann, ist die kleine Schrift Wustmanns entschieden dem dicken Buche Engels vorzuziehen, gerade auch weil Wustmann ein Schulmeister war, was ihm Engel zum herben Vorwurf macht. Denn was man in solchen Dingen überhaupt lernen kann, das kann man nur vom Schulmeister lernen.

Sicherlich hat auch das Schulmeistern seine Schattenseiten, die Engel nicht übel mit den Worten schildert: „Einige Sprachbücher des letzten Menschenalters haben bei manchem Leser ungefähr die Wirkung hervorgerufen wie gewisse volkstümliche Werke zur Gesundheitslehre, nach deren Durchlesen man an allen Krankheiten zu leiden wähnt und seines Lebens nicht mehr froh wird. Man glaubt, eine Beute aller nur erdenkbaren Sprachdummheiten zu sein, und wagt kaum noch einen Brief zu schreiben." Das ist ganz gut beobachtet, nur dass der wissbegierige Leser bei Engel diese Gefahr in viel höherem Grade läuft als bei Wustmann.

Für Leser aber, die gegen diese Gefahr gefeit sind, enthält das Buch Engels bei allen „Geschmackslaunen" und aller „überheblichen Polterei" – Eigenschaften, die Engel beileibe nicht an sich, sondern nur an den anderen entdeckt – mancherlei anregende Ausführungen, so dass sie es nicht ohne Genuss und Nutzen aus der Hand legen werden.

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