Franz Mehring 19100617 Bücherschau (Georg Büchner, Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Paul Landau.)

Franz Mehring: Bücherschau

Georg Büchner, Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Paul Landau.

17. Juni 1910

[Die Neue Zeit, 28. Jg. 1909/10, Zweiter Band, S. 400/401. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 635 f.]

Georg Büchner, Gesammelte Schriften. In zwei Bänden. Herausgegeben von Paul Landau. Berlin 1909, verlegt bei Paul Cassirer. 254 Seiten und 207 Seiten.

Über dem literarischen Erbe Georg Büchners hat von jeher ein seltsamer Unstern gewaltet. Einer Sammlung seiner Schriften, die Gutzkow gleich nach dem, Tode Büchners plante, widersetzte sich die Familie, und als der Bruder Ludwig im Jahre 1850 die Ehrenschuld abtrug, gab er gerade die beiden Arbeiten, an die sich vornehmlich das Andenken Georg Büchners knüpft, den „Hessischen Landboten" und „Dantons Tod", in arg verstümmelter Form heraus.

Möglich, dass sie zur Zeit, wo die Gegenrevolution in ihrer Sünden Blüte stand, nicht anders herauszubringen waren. Aber als nun in des neudeutschen Reiches Herrlichkeit die Verlagshandlung eine vollständige Ausgabe plante und mit ihrer Besorgung K. E. Franzos beauftragte, jagte das Sozialistengesetz diesem Braven einen solchen Schreck ein, dass er seine Einleitung mitten im Satze abbrach und der Verlagshandlung allein das Risiko der Veröffentlichung überließ, das sie denn auch in einem „Vorbericht" übernahm.

Gegen diese Ausgabe ist die neueste, die Herr Paul Landau besorgt hat, nun wieder ein Rückschritt. Sie stützt sich im wesentlichen auf Franzos, bringt aber nicht nur weniger, wenn auch das, was sie fortlässt, nicht allzu wichtig ist, sondern potenziert dessen Hauptfehler, nämlich die – wenn der Ausdruck gestattet ist – Verbelletristung des Revolutionärs Büchner. Lessings Wort: „Welcher dramatische Dichter aus allen Zeiten und Nationen hätte in seinem vierundzwanzigsten Jahre sterben können, ohne die Kritik über seine wahren Talente zweifelhaft zu lassen", ist für Herrn Landau nicht geschrieben. Büchners poetische Bruchstücke sind nur an Shakespeare und Byron, Goethe und Schiller zu messen; Büchner war „ein viel reicherer Geist" als Hebbel und enthält im Keime schon die Hauptmann, Holz und Schlaf.

In seltsamen Widerspruch mit dieser ästhetischen Verstiegenheit, die sich schließlich in die banalsten Phrasen auflöst, oder vielmehr in holdem Einklang mit ihr steht das langweilig-triviale Gerede über Büchners revolutionäre Tätigkeit. Doch hat es keinen Zweck, dabei zu verweilen.

So ist die von Franzos besorgte Ausgabe von Büchners Schriften noch die verhältnismäßig beste.

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