Franz Mehring 19110728 Bücherschau (Karl Gutzkow, Der Zauberer von Rom)

Franz Mehring: Bücherschau

Karl Gutzkow, Der Zauberer von Rom

28. Juli 1911

[Die Neue Zeit, 29. Jg. 1910/11, Zweiter Band, S. 615/616. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 364 f.]

Karl Gutzkow, Der Zauberer von Rom. Volksausgabe in zwei Bänden. 5. bis 10. Auflage. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1460 Seiten. Preis 6 Mark.

Es war ein guter Gedanke der Verlagsbuchhandlung F. A. Brockhaus in Leipzig, Gutzkows „Zauberer von Rom", den sie vor fünfzig Jahren zum ersten Male herausgegeben hat, zum hundertsten Geburtstag des Verfassers in einer wohlfeilen Volksausgabe abermals auf den Büchermarkt zu bringen, von dem er seit lange verschwunden war.

Von allen Werken Gutzkows hat sich der „Zauberer von Rom" am frischesten erhalten. Das Bild der katholischen Kirche, das er entrollt, ist in seinen Farben und Gestalten wenig verblichen, während das Bild des preußischen Staates, das Gutzkow in seinem anderen großen Zeitroman, den „Rittern vom Geiste", gezeichnet hat, schon etwas sehr aschfarben erscheint. Die „Ritter vom Geiste" haben die Prophezeiung nicht erfüllt, die ihnen ein begeisterter Kritiker bei ihrem Erscheinen mit auf den Weg gab, nämlich dass sie das Jahrhundert überdauern würden, aber der „Zauberer von Rom" hat wohl noch manches Jahrzehnt vor sich.

Es ist unzweifelhaft ein Tendenzroman, und Gutzkow macht am wenigsten ein Hehl aus seiner Tendenz, einem „geläuterten, von Rom befreiten Katholizismus". Allein je mehr diese Tendenz abgestorben ist, um so mehr zeugt es für die dichtetischen Qualitäten des Romans, dass er leben geblieben ist. Gutzkow war eben doch mehr als ein bloßer Tendenzschriftsteller; so gewaltige Kompositionen, wie „Der Zauberer von Rom", zu entwerfen, bedarf es eines nicht geringen Maßes von poetischem Talent, mag die Maschinerie des Romans auch manches Mal etwas handwerksmäßig klappern. Trotz aller von vornherein misslungenen oder inzwischen veralteten Partien bietet der „Zauberer von Rom" das Bild einer wirklichen Welt, und das will immerhin etwas mehr sagen, als wenn Herr Gerhart Hauptmann jahraus, jahrein die Fäden einer höchst kuriosen Philosophie aus den innersten Tiefen seines Busens spinnt.

Gerade auf dem Gebiet, auf dem sich Gutzkows Roman bewegt, hat sich die Tendenzschriftstellerei nur allzu gütlich getan; es gibt wenige historische Erscheinungen, die so oft karikiert sind wie der Jesuitismus. Hier weiß Gutzkow aber durchaus Maß zu halten; selbst die jesuitische Presse hat beim Erscheinen des Romans dessen „katholische Korrektheit" anerkannt. In feinsten Schattierungen versteht Gutzkow die Priestertypen der katholischen Kirche lebendig zu machen und die Macht zu verkörpern, die der Ultramontanismus über einen immer noch so großen Bruchteil der Massen auszuüben vermag. Namentlich unter diesem Gesichtspunkt ist der Roman Gutzkows heute noch sehr lesenswert. Eine Nachmittagslektüre ist er freilich nicht, aber im Nachmittagsschlaf werden die großen Konflikte der Menschheit auch nicht ausgefochten.

Alles in allem wiegt der Roman Gutzkows, trotz aller ästhetischen Fehler, die man ihm mit Recht oder Unrecht ankreiden mag, Dutzende von jenen landläufigen Romanen auf, in denen irgendeine „moderne Individualität" ihre dürftigen Kümmernisse ausseufzt. Deshalb begrüßen wir gern die wohlfeile Ausgabe, die sein alter Verlag veranstaltet und H. Houben, ein genauer Kenner von Gutzkows Leben und Werken, mit einer literarhistorischen Einleitung sowie am Schlüsse des Romans mit einer Übersicht der handelnden Personen versehen hat.

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