1. Jugendjahre

1. Jugendjahre

Der langwierige Streit über das Geburtsjahr Heinrich Heines ist noch immer nicht geschlichtet; er selbst hat, namentlich in seinem späteren Leben, nachdrücklich und wiederholt erklärt, dass er am 13. Dezember 1799 geboren sei, doch unterliegt diese Angabe berechtigten Zweifeln; es ist wahrscheinlich, dass er zwei Jahre früher das Licht der Welt erblickt hat: als der älteste Sohn jüdischer Eltern, die in bescheidenen Vermögensverhältnissen lebten.

Sein Vater war in Düsseldorf zugewandert, nachdem er Proviantmeister in der hannoverschen Armee gewesen war, und hatte die Tochter des Arztes van Geldern geheiratet. Ein gutmütiger, leichtlebiger, aber geistig unbedeutender Mann, den die Mutter weit übersah, obgleich die gelehrte Erziehung, die sie genossen haben soll, einigermaßen fragwürdig erscheint gegenüber den Briefen, die von ihr erhalten sind. Mit ihrem Ältesten wollte sie hoch hinaus, wenn auch nur im Sinne praktischer Erfolge. Auf seinen Beruf als Dichter sah sie mit großem Misstrauen,

Über seine Kindheitsjahre hat Heine sich mehrfach selbst ausgelassen: in seinen „Reisebildern" wie in seinen „Memoiren". Er mischt da Dichtung und Wahrheit, so dass der Grundton dieser Schilderungen wohl echt ist, aber ihre Einzelheiten nicht ohne genauere Prüfung als richtig gelten können. Das schärfste Licht auf seine Jugend wirft ein Satz, den Heine im Jahre 1833 an Varnhagen v. Ense schrieb: „Dass ich einst die Waffen ergriff, dazu war ich gezwungen durch fremden Hohn, durch frechen Geburtsdünkel – in meiner Wiege lag schon meine Marschroute für das ganze Leben."

Die jüdische Abstammung ist für Heine – er ist darin das gerade Gegenteil von Marx, für den sie nie etwas bedeutet hat – das Glück wie das Unglück seines Lebens geworden. Sie hat sein Dasein fried- und ruhelos gemacht, ihn aber auch unter die Vorkämpfer freier Menschheit geführt, unter denen sein Name unsterblich glänzt. Seine Familie gehörte nicht zu dem höher gebildeten Judentum, das sonst am Rhein nicht fehlte; die Briefe seiner Mutter zeigen, dass sie, gewöhnt ans Hebräische, der deutschen Sprache nur unvollkommen mächtig war; ja der Dichter selbst hat bis in seine ersten Veröffentlichungen hinein mit der deutschen Grammatik zu kämpfen gehabt. Nun waren von der französischen Herrschaft, unter der die Rheinlande während Heines erster Lebensjahre standen, die schmählichen Fesseln des deutschen Judentums gelöst worden, und von hier aus erklärt sich Heines. Begeisterung für Napoleon, die eine ganz natürliche Empfindung war und ihm keineswegs zur Unehre gereichte: man müsste denn dem neureichsdeutschen Patriotismus glauben, dass es immer noch ein größeres Glück sei, von einem Hohenzollern wie ein Hund getreten als von einem Napoleon wie ein Mensch behandelt zu werden. In reiferen Jahren hat übrigens Heine seiner Bewunderung Napoleons gemessene Schranken zu setzen gewusst.

Aber gerade als er in die Jahre geistigen Erwachens trat, musste ihm das Bild Napoleons in um so hellerem Lichte erscheinen, als die preußische Regierung, der bei dem Länderschacher des Wiener Kongresses die Rheinlande zugeteilt waren, in ostelbischer Rückständigkeit die wohltätigen Reformen der französischen Herrschaft zu vernichten und namentlich die Juden wieder unter das alte Joch zu beugen unternahm. Für den jungen Heine, der das Düsseldorfer Lyzeum durchgemacht hatte, waren damit alle Aussichten auf die Beamtenlaufbahn abgeschnitten, die seine Mutter für ihn ins Auge gefasst hatte. Sie entschied sich nun, ihn dem kaufmännischen Berufe zuzuwenden, für den ihm jede Begabung fehlte.

Er scheiterte denn auch schon in der Lehrlingszeit, die er erst bei einem Bankier, dann bei einem Spezereihändler in Frankfurt a. M. abmachen sollte. Nach wenigen Monaten kehrte er nach Düsseldorf zurück, zum Missbehagen seiner Eltern, die nun noch einen letzten Versuch machten, indem sie den Sohn in das Kontor Salomon Heines gaben, eines Bruders von Heines Vater, der es vom armen Laufburschen bis zum vielfachen Millionär gebracht hatte. Hier hielt Heine zwei Jahre aus, vom Sommer 1816 bis zum Sommer 1818, und der Versuch endete nicht einmal mit einem Fiasko, sondern damit, dass der Oheim für Heine ein eigenes Geschäft einrichtete. Indessen, die Manufakturwarenhandlung „Harry Heine und Kompagnie" musste schon im Frühsommer 1819 liquidieren, und damit schloss für immer die kaufmännische Laufbahn Heines, der – freilich sehr gegen seinen Willen – drei kostbare Jugendjahre geopfert worden waren.

Es war nun noch ein Glück für Heine, dass der Oheim Salomon sich bereit erklärte, den „dummen Jungen" studieren zu lassen, wobei er nur die Wahl eines Studiums zur Bedingung machte, das einmal seinen Mann zu ernähren verspräche; sein Plan war, dass Heine die Rechte studieren und sich dann als Anwalt in Hamburg niederlassen solle. Auch dieser Plan ist gescheitert, und was zunächst als ein Glück für Heine erschien, ist dann doch auch ein Unglück für ihn geworden, vielleicht sogar das größte Unglück seines Lebens: die dauernde Abhängigkeit von diesem ganz ungebildeten Emporkömmling, der von Haus aus eine gewisse Gutmütigkeit besitzen mochte, aber, thronend auf seinen Geldsäcken, sich jede Paschalaune gestatten zu dürfen glaubte. Heines geistige Bedeutung schätzte er immer nur vom Hörensagen ein, und die leidenschaftliche Liebe, in der dieser ungeratene Neffe für seine Tochter Amalie entbrannt war, wird dem hartgesottenen Börsenkönig am wenigsten imponiert haben.

Inzwischen war die dichterische Ader in Heine erwacht. In einem Hamburger Blatt veröffentlichte er seine Erstlinge. Wie alle Dichter, selbst die Genien nicht ausgenommen, die neue Bahnen zu erschließen berufen sind, zunächst an die dichterische Überlieferung anknüpfen – auch Goethe hat im französierenden Stil begonnen –, so Heine an die Romantik, die in den Jahren nach 1815 sich noch in einer nur erst sehr langsam verbleichenden Herrlichkeit sonnte. Die „Traumbilder", mit denen Heine begann, sind in Stoff und Form durchaus romantisch; sie beziehen sich, wenn nicht durchweg, so doch zum größten Teil auf Sefchen, das schöne Scharfrichterstöchterlein, von dem Heine in seinen „Memoiren" erzählt. Aber auch die frühesten Schöpfungen Heines verkünden beredt genug, dass er von vornherein nicht auf die Romantische Schule eingeschworen war, so namentlich „Die beiden Grenadiere", die Heine nach seiner eigenen Angabe schon 1816, und wenn ihm dabei ein Gedächtnisfehler unterlaufen sein sollte, wie von mancher Seite angenommen wird, jedenfalls vor seiner Universitätszeit abgefasst hat. Man kann sich in Stoff und Form nichts Unromantischeres vorstellen als diese herrliche Ballade, die in der deutschen Sprache wenige ihresgleichen hat.

Zu größerer Klarheit über sein Verhältnis zur Romantik kam Heine auf der Universität Bonn, die er vom Herbst 1819 bis zum Herbst 1820 besuchte. Er trat hier in nahe Beziehungen zu August Wilhelm Schlegel, einem Haupt der Romantischen Schule, der als Dichter wenig, um so mehr aber als feiner Kunstkenner und meisterhafter Übersetzer geleistet hat. Heine hat ihm später arg mitgespielt, in seiner Bonner Zeit aber unzweifelhaft viel von ihm gelernt und auch seinen Dank in einigen Sonetten bekundet. Gleichwohl zeigte er damals schon, in einem kleinen Aufsatze, der in einem rheinischen Blatte erschien und vor Schlegel noch hohe Verehrung bekundet, ihn sogar neben Goethe stellt, wie weit entfernt er davon war, das romantische Erbe ohne Vorbehalt anzutreten. „Nie und nimmer ist dasjenige die wahre Romantik, was so viele dafür ausgeben, nämlich ein Gemengsel von spanischem Schmelz, schottischen Nebeln und italienischem Geklinge, verworrene und verschwimmende Bilder, die gleichsam aus einer Zauberlaterne ausgegossen werden und durch buntes Farbenspiel und brillante Beleuchtung seltsam das Gemüt erregen und ergötzen." Und vor allem soll die Romantik dem christlich-germanischen Mittelalter den Abschied geben. „Kein Pfaffe vermag mehr die deutschen Geister einzukerkern; kein adeliger Herrscherling vermag mehr die deutschen Leiber zur Fron zu peitschen, und deshalb soll auch die deutsche Muse wieder ein freies, blühendes, unaffektiertes, ehrlich deutsches Mädchen sein und kein schmachtendes Nönnchen und kein ahnenstolzes Ritterfräulein."

Diese Sätze, die Heine im Sommer 1820 schrieb, sagen im Grunde bereits der ganzen Romantik auf. Entstanden als literarischer Ausdruck des feudalen Rückstoßes, durch den das östliche Europa den revolutionären Vorstoß Frankreichs abwehrte, war die Romantische Schule durch ihre Geburt auf die „mondbeglänzte Zaubermacht" des Mittelalters als die Welt ihrer Ideale und Träume angewiesen; es handelte sich dabei um ihr innerstes Wesen, nicht um eine zufällige Erscheinung, auf die sie verzichten konnte, wenn ihr sonst gut zugeredet wurde. Aber freilich war die Romantische Schule deshalb nicht schlechthin eine feudal-reaktionäre Ausgeburt; sie trug denselben zwiespältigen Charakter wie die Bewegung der Völker überhaupt, die zum Sturze Napoleons führte; sie verkörperte, in wie beschränktem Sinne und unter wie verschobenen Verhältnissen immer, eine nationale Wiedergeburt und war insoweit ein entschiedener Fortschritt über die klassische Literatur hinaus. Namentlich um die deutsche Sprache, die im akademischen Regelzwange schon wieder langsam zu erstarren begann, hat sie große Verdienste; sie führte ihr frisches Blut zu aus den Schätzen der mittelhochdeutschen Literatur, aus dem unerschöpflichen Brunnen der Volksmärchen und Volkslieder; so hätte sie sogar viel engere Fühlung mit den Massen der Nation gewinnen können als die klassische Literatur, wenn die historische Entwicklung ihr nicht den Lebensfaden abgeschnitten hätte. Bei Leipzig und Waterloo hatten nicht die Völker, sondern die Fürsten gesiegt; in deren Dienst verkam die Romantik nun gänzlich.

Um ihren dauernden Wert zu retten, ist vielleicht niemand besorgter gewesen als derselbe Heine, der ihr von allen ihren Gegnern vielleicht die tödlichsten Schläge versetzt hat. Er hat sich nicht ungern einen „entlaufenen Romantiker" nennen hören und offen bekannt, dass ihn bei all seinen Feldzügen gegen die Romantik doch immer wieder die Sehnsucht nach der blauen Blume beschlichen habe. Selbst die Unarten der Romantik ist er nicht völlig losgeworden: so nicht den übermäßigen Gebrauch des Traummotivs, das kokette Spielen mit Marmorbildsäulen und toten Frauen; ja wenn er im Jahre 1820 – neben der Rückkehr aus dem christlich-germanischen Mittelalter – die „plastische" Darstellung als seine Hauptforderung an die Romantik stellte, so hat er selbst dieser Forderung nur auf dem Gebiete der Lyrik zu entsprechen gewusst, hier freilich in weitestem Umfange; seine dramatischen und novellistischen Versuche leiden noch durchaus an der romantischen Zerfahrenheit.

Erst indem Heine in sich aufnahm,, was die Romantische Schule an wirklicher Lebens- und Triebkraft besaß, gewann er die Kraft, über sie hinauszugehen und als der letzte romantische zugleich der erste moderne Dichter zu werden. Am wenigsten dachte er daran, in das Reich des ästhetischen Scheins zurück zu flüchten, das sich einst die klassische Literatur in den Wolken erbaut hatte. Dies Reich war ebenso wesenlos geworden wie die Phantasiegebilde der Romantik. Gegenüber der „Kunstperiode", worunter Heine sowohl die klassische wie die romantische Literatur verstand, machte er die Rechte des wirklichen Lebens auch in der Dichtung geltend, nicht nach den klapperdürren Regeln eines Programms, womit wenig geleistet gewesen wäre, sondern kraft einer schöpferischen Begabung, die sich in ihrem dunklen Drange des rechten Weges immer bewusst war.

Wie er sich trotz Schlegels Führung über die Schattenseiten der Romantik bald klar wurde, so kam er auch bald hinter das rückständige Wesen der christlich-germanischen Burschenschaft, der er sich anfangs angeschlossen hatte. Wohl gab es in ihr revolutionäre Elemente, aber sie waren spärlich verstreut und gaben in Bonn keineswegs den Ton an; hinter der Deutschtümelei der „altteutschen Jünglinge" witterte Heine mit Recht arges Philistertum. Zudem war er weder ein Raucher noch ein Trinker noch ein Schläger; Raufen und Saufen ist niemals seine Sache gewesen, was ihm die neureichsdeutschen Patrioten bis auf den heutigen Tag nicht verzeihen können. Eine überaus fein organisierte Natur, war er empfindlich gegen den leisesten Druck der Außenwelt; namentlich nervöse Kopfschmerzen haben ihn von Kindesbeinen an geplagt.

Im Herbst 1820 verließ er Bonn, um nach Göttingen zu gehen, einer Universität, die ihre großen Tage gehabt hatte, allein damals arg verfallen war. Doch dauerte sein Aufenthalt hier nur wenige Monate, da er bereits im Januar 1821 wegen eines Ehrenhandels auf ein halbes Jahr relegiert wurde. Ein paar Wochen später siedelte er an die Universität Berlin über, an der er sich bis zum Mai 1823 aufhielt, also etwas über zwei Jahre, die in seinem Leben eine große Bedeutung beanspruchen.

Freilich nicht in erster Reihe durch den Kreis junger Dichter, in den er geriet. Die meisten von ihnen, heute längst vergessen, waren viel zu unbedeutend, als dass Heine von ihnen hätte besonders angeregt werden können; der einzige der Schar aber, der unzweifelhaft geniale Anlagen besaß, Christian Dietrich Grabbe, hat von Heine nicht viel wissen wollen, obgleich dieser ihm noch bis aufs Sterbebett eine treue Anhänglichkeit bewahrt hat. Es ist nicht der einzige Fall, wo der angeblich alles gehässig herunterreißende Heine Böses, das ihm widerfuhr, mit Gutem vergolten hat. Im Übrigen erklärt Grabbes ganz andersartige Begabung, dass er in Heines Gedichten nur „Betrug, Lug und Dummheit" finden wollte.

Tiefer war der Einfluss, den Varnhagen und namentlich seine Gattin Rahel Levin auf Heine gewann. Heine ist mit beiden zeitlebens eng verbunden geblieben, wenn der ängstliche, diplomatische Schleicher Varnhagen auch just nicht sein „wahlverwandtester Waffenbruder in Spiel und Ernst" gewesen ist, wie Heine ihn später einmal in einer überschwänglichen Stunde genannt hat. Nicht sowohl von Varnhagen selbst als von dessen Gattin, der kleinen, geistreichen Nixe Rahel, hat Heine nachhaltige Anregungen erfahren. Sie ging ganz im Goethekultus auf, den sie ihrem jungen Bewunderer dann aber doch nur in bedingtem Maße einflößen konnte. Heine war selbst viel zu sehr Dichter und Künstler, um vor dem Dichter und Künstler Goethe nicht eine unerschütterliche Bewunderung zu empfinden, aber das „große Zeitablehnungsgenie" lehnte er an seinem Teil entschieden ab, und seines Gegensatzes zur klassischen Literatur war er sich ebenso klar bewusst wie seines Gegensatzes zur Romantischen Schule.

Unter dem Schutze des Varnhagenschen Salons, der eine Art literarischen Mittelpunkts in Berlin bildete, erschienen im Dezember 1821 die ersten Gedichte Heines im Verlage der Maurerschen Buchhandlung, die den Dichter dafür mit vierzig Freiexemplaren honorierte. Es waren wesentlich dieselben Gedichte, die später im „Buch der Lieder" die Abteilung „Junge Leiden" bildeten: ganz überwiegende Klage- und Schmerzenslaute unglücklicher Liebe, daneben dann schon einzelne Perlen der Balladen- und Romanzendichtung, in der Heine all sein Lebtag ein unübertroffener Meister gewesen ist. Das Verhältnis zu seiner Cousine Amalie, die sich im Jahre 1821 mit einem Gutsbesitzer aus Königsberg vermählt hatte, erscheint hier ganz in seinem wahren Lichte: in dem Lichte einer von vornherein hoffnungslosen Leidenschaft; Amalie Heine hat für ihren Vetter nie etwas übrig gehabt. Trotz mancher romantischer Manieren, die dieser ersten Gedichtsammlung Heines noch anhaften, machte sie schon auf die besten Zeitgenossen einen tiefen Eindruck durch die Echtheit und Wahrheit der Empfindung, die sich in ihr bekundete, durch den schlichten Ton des Volksliedes, den sie mit wunderbarer Kraft anzuschlagen verstand; „Heine hat", schrieb Immermann, dem selbst die lyrische Empfindung versagt war, „was das Erste und Letzte beim Dichter ist: Herz und Seele, und das, was daraus entspringt: eine innere Geschichte. Deshalb merkt man den Gedichten an, dass er ihren Inhalt selbst einmal stark durchempfunden und durchlebt hat. Er ist ein wahrer Jüngling, und das will viel sagen zu einer Zeit, worin die Menschen schon als Greise auf die Welt kommen."

Wenig über ein Jahr nach seiner ersten Gedichtsammlung, im April 1823, veröffentlichte Heine bei Dümmler „Tragödien nebst einem Lyrischen Intermezzo", einen Zyklus von 65 Gedichten, in denen er noch einmal die große Liebe seiner Jugend besang, mit dichterischer Freiheit, aber auch mit dichterischer Wahrheit, in künstlerisch geläuterter Form, jedoch fern jeder gekünstelten Manier. Die Kritik erkannte abermals an, dass sich „gedrungen, frei, reizend und kraftvoll die Tonart des alten deutschen Volksliedes in dem neuesten Stoffe vom heutigen Tage" bewege; die Beseelung der Natur, die die Romantik in oft kindischer Weise erstrebte, erschien hier in vollendeter Form. Ganz ohne Schatten war freilich das glänzende Licht nicht, das von dem „Lyrischen Intermezzo" ausstrahlte; hier und da verrieten sich die ersten leisen Spuren eines Übermuts, der von der souveränen Beherrschung aller lyrischen Kunstmittel fast unzertrennlich war; einzelne Gedichte hat später Heine selbst aus diesem Zyklus entfernt, als er ihn ins „Buch der Lieder" aufnahm.

Künstlerisch ungleich tiefer als das „Lyrische Intermezzo" standen die beiden Tragödien, mit denen gemeinsam es das Licht der Welt erblickte, obgleich Heine selbst der entgegengesetzten Meinung war. Für uns sind sowohl der „Almansor" wie der „Ratcliff" nicht mehr als Kunstwerke, sondern nur als Lebensurkunden des Dichters von Bedeutung. Und zwar der „Almansor" in höherem Grade als der „Ratcliff", eine dramatisierte Ballade mit gespenstischem Hintergrunde, die ganz unter dem Zeichen herzbrechenden Liebeswehs steht und in Heines Berliner Zeit entstanden ist. Der „Almansor" dagegen reicht bis in die Bonner Zeit zurück, und seine dramatische Angel ist der „große Judenschmerz", denn die Mauren dieses Dramas sind nur verkappte Juden.

In modernen Anschauungen aufgewachsen, war Heine dem religiösen Leben der Synagoge schon in jungen Jahren entfremdet; was ihn zum Kämpfer machte, war die soziale Unterdrückung des Judentums, die tief in sein eigenes Leben eingriff. An Moses Moser, den treuesten seiner Jugendfreunde, schrieb er: „Dass ich für die Rechte der Juden und ihre bürgerliche Gleichstellung enthusiastisch tätig sein werde, das gestehe ich, und in schlimmen Zeiten, die unausbleiblich sind, wird der germanische Pöbel meine Stimme hören, dass es in deutschen Bierstuben und Palästen widerschallt. Doch der geborene Feind aller positiven Religionen wird nie für diejenige Religion sich als Champion aufwerfen, die zuerst jene Menschenmäkelei aufgebracht, die uns jetzt soviel Schmerzen verursacht." Von irgendeinem Reformjudentum wollte Heine deshalb nichts wissen, ebenso wenig wie von irgendeinem Liebäugeln mit dem Christentum; die „saubere Idee", zuzugestehen, dass die Juden durch eine blutige Missetat ihren heutigen Zustand selbst verschuldet hätten, schien ihm am „allerdümmsten und schädlichsten und stockprügelwertesten" zu sein.

Heine war durchaus auf den Kampf gegen die soziale Unterdrückung des Judentums gestellt, und wie nahe ihm diese Dinge gingen, zeigt seine rege Beteiligung an dem Verein für Kultur und Wissenschaft des Judentums, den just zur Zeit, wo er in Berlin lebte, einige begabte junge Juden für den Zweck gestiftet hatten, das Judentum fähig zu machen zum Kampfe für seine Emanzipation. Sie hießen Eduard Gans, Leopold Zunz, Moses Moser, Lazarus Bendavid, Ludwig Marcus usw. Der geistig hervorragendste von ihnen war Eduard Gans, der bekannte Schüler Hegels; es war ganz im Geiste der Hegelschen Philosophie, wenn Gans sagte: „Wir wollen die Scheidewand einreißen helfen, die den Juden vom Christen, die jüdische Welt von der europäischen Welt getrennt hat; wir wollen jeder schroffen Besonderheit ihre Richtung gegen das Allgemeine anweisen; wir wollen, was Jahrtausende nebeneinander herging, ohne sich zu berühren, einander zuführen ... Es ist der wohlbegriffenen Geschichte tröstende Lehre, dass alles vorübergeht, ohne zu vergehen, und dass alles bleibt, wenn es längst vergangen ist. Darum können weder die Juden untergehen, noch kann das Judentum sich auflösen, aber in die große Bewegung des Ganzen soll es untergegangen sein und dennoch fortleben, wie der Strom fortlebt im Ozean." Durch Gans wurde Heine in den Verein eingeführt, an dessen Arbeiten er sich eifrig beteiligt hat.

Nur allzu bald erwies sich jedoch, dass dieser in großem Sinne unternommene Versuch der Judenemanzipation an dem dumpfen Unverstände der jüdischen Masse scheiterte, die sich, von fanatischen und unwissenden Rabbinern beherrscht, gegen jeden freien Luftzug des Gedankens wehrte. Selbst von reichen Glaubensgenossen war nicht der bescheidenste Beitrag zu erlangen, um die Einrichtungen des Vereins, ein Archiv, eine Zeitschrift, eine Unterrichtsanstalt, am Leben zu erhalten. Der „gräuliche Verfall" des Judentums erwies sich als das schwerste Hindernis seiner Emanzipation. Heine hat sich lange gegen diese Erkenntnis gesträubt und noch in späteren Tagen den Vorwurf erhoben, dass Gans, der eigentliche Kapitän, das Schiff als erster verlassen habe, während er es als letzter hätte verlassen müssen; er sprach von „unverzeihlicher Felonie", und in seinem Nachlass haben sich noch ein paar Gedichte gefunden, „Einem Abtrünnigen" und „An Eduard G.", die in schärfsten Worten verurteilen, dass Gans sich taufen ließ:

Und du bist zu Kreuz gekrochen,

Zu dem Kreuz, das du verachtest,

Das du noch vor wenig Wochen

In den Staub zu treten dachtest!

Oh, das tut das viele Lesen

Jener Schlegel, Haller, Burke,

Gestern noch ein Held gewesen,

Ist man heute schon ein Schurke!

Tatsächlich waren diese Vorwürfe Heines ganz ungerecht. Gans hat ausgehalten, solange noch irgendeine Hoffnung bestand, den Sumpf des Judentums aufzupeitschen; auch hat er sich in England oder Frankreich eine wissenschaftliche Stellung zu schaffen gesucht, ehe er zum Christentum übertrat, um an der Berliner Universität lesen zu können. Seltsam genug, dass gerade Heine so scharf über Gans urteilte, denn er selbst tat denselben Schritt wie Gans zur selben Zeit oder gar schon vor Gans.

Die wunderliche Inkonsequenz zeigt nur, wie sehr ihn diese Dinge mitnahmen. Heine hat nicht leichtfertig die Religion gewechselt, um des besseren Fortkommens willen; erst nach schweren Gewissenskämpfen, erst als es sich als unmöglich erwies, ein anderes „Entreebillett zur europäischen Kultur" zu bekommen als den christlichen Taufschein, hat er sich entschlossen, diesen Zettel zu lösen.

Und die Geschichte hat ihn, wie Gans, gerechtfertigt, auch gegen seine eigenen Vorwürfe: die beiden Renegaten haben bestimmenden Anteil am modernen Kulturleben gehabt, während die Bendavid und Moser und Zunz, die dem Judentum treu blieben, auch in ehrenwertem Dunkel geblieben sind.

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