2. Die Reisebilder

2. Die Reisebilder

Im Mai 1823 kehrte Heine aus Berlin in das Haus seiner Eltern zurück, die ihren Wohnsitz inzwischen von Düsseldorf nach Lüneburg verlegt hatten. Er hatte seinen Gesichtskreis beträchtlich erweitert, nicht zuletzt auch durch die Berührung mit der Philosophie Hegels, dessen Vorlesungen er gehört und den er auch persönlich kennengelernt hatte. Aber mit sich selbst war er noch lange nicht im reinen; krank und missmutig, dachte er damals schon daran, nach Frankreich überzusiedeln, wozu er freilich die Hilfe seines Oheims Salomon brauchte.

Dieser würdige Pascha erwies sich zunächst gnädig und gewährte dem Dichter die Mittel zu einem Badeaufenthalt in Cuxhaven, wo Heine zuerst das Meer kennenlernte. Es kamen dann aber wieder neue Zerwürfnisse, durch Familienklatsch erzeugt oder doch genährt, denn ein Mann nach dem Herzen eines reichgewordenen Emporkömmlings ist Heine nie gewesen; er war ein für allemal kein Geizkragen oder auch nur ein Spartopf, und dem schönen Geschlecht huldigte er, wie es dem Dichter der holdesten und süßesten Liebeslieder natürlich war. Besuche, die er in Hamburg abstattete, riefen in ihm die schmerzlichsten Erinnerungen an seine Jugendliebe wach, Erinnerungen,, die in den neuen Liedern der „Heimkehr" einen ergreifenden Ausdruck fanden. Aber in diesen Liedern klingen neben manchem leichten Ton, der an flüchtige Verhältnisse erinnert, auch die tieferen Klänge einer neuen Leidenschaft wider, die den ganzen Menschen ergriffen hatte. Nach der wahrscheinlichen Annahme Ernst Elsters, dem wir die gelehrteste und sorgfältigste Ausgabe von Heines Werken verdanken, ist Heine im Sommer 1823 in neuer Liebe entbrannt für Therese Heine, eine jüngere Tochter des Onkels Salomon, die ihm holder gewesen zu sein scheint als ihre ältere Schwester, aber die nach mehrjähriger Liebesqual dann doch dem Willen des Vaters gemäß einen soliden Hamburger dem poetischen Vetter vorzog. Solange Heine noch hoffte, waren ihm die Auswanderungspläne vergangen, für die der reiche Onkel schließlich auch nicht zu haben war. Er gewährte nur die Mittel für noch ein Jahr des juristischen Studiums.

So bezog Heine im Januar 1824 von neuem die Universität, diesmal Göttingen, wo er vor den geistigen Anregungen und Zerstreuungen Berlins sicher war. Er büffelte hier in aller Ehrbarkeit auf den juristischen Doktor los, doch war er viel zu sehr Dichter, als dass ihn die trockene Wissenschaft der Jurisprudenz dem Dienste der Muse ganz abwendig gemacht hätte. Er schuf weiter an der „Heimkehr", von der er 33 Gedichte im Frühjahr 1824 bei einem Besuch in Berlin in einem dortigen Blatte veröffentlichte; im Herbste dieses Jahres unternahm er eine Harzreise, die ihm neue herrliche Lieder schenkte und seine erste Prosaschöpfung anregte; vor allem aber rang er in dieser Göttinger Zeit noch mit der Judenfrage, die er im „Rabbi von Bacharach", einem groß angelegten Roman, zu bewältigen suchte. Seine Briefe, namentlich an Moses Moser, sind voll von diesem Stoffe, der ihm dann doch nur zu verheißungsvollen Anfängen gedieh, die er erst verhältnismäßig spät, im Jahre 1840, veröffentlicht hat. Keines seiner novellistischen Fragmente ist so ernst und tief angelegt wie der „Rabbi von Bacharach", aber was ihm im Leben nicht gelang, das ist ihm auch in der Dichtung nicht gelungen: die harmonische Auflösung seines verworrenen Lebensrätsels.

Am 28. Juni 1825 tat er den verhängnisvollen Schritt: In der preußischen Stadt Heiligenstadt ließ er sich in die evangelische Kirche aufnehmen. Lange hatte er sich gesträubt, obgleich seine Familie jetzt in ihn drängte, sich taufen zu lassen; er hielt es unter seiner Würde und seine Ehre befleckend, diesen Schritt nur seines besseren Fortkommens willen zu tun. „Wir leben in einer traurigen Zeit", schrieb er an seinen Moser, „Schurken werden zu den Besten, und die Besten müssen Schurken werden. Ich verstehe sehr gut die Worte der Psalmisten: Herr Gott, gib mir mein täglich Brot, dass ich deinen Namen nicht lästere." So vor der Taufe, und nach der Taufe wiederum an Moser: „Es wäre mir sehr leid, wenn mein Getauftsein Dir in einem günstigen Lichte erscheinen könnte. Ich versichere Dich: wenn die Gesetze das Stehlen silberner Löffel gestattet hätten, so würde ich mich nicht getauft haben." Bewegt, wie nur ein Mensch sein kann, hat Heine den Religionswechsel vollzogen, was man loben kann oder auch tadeln mag, aber was man feststellen muss, um den Dichter und sein Leben zu verstehen.

Leichter fand er sich, einen Monat darauf, mit dem juristischen Doktorexamen ab. Es fiel nicht glänzend aus, aber sein Ergebnis genügte den Universitätsperücken; die verstäubteste von ihnen, der alte Dekan Hugo, tröstete den jungen Rechtsbeflissenen über die mittelmäßige Note, die er bei alledem nur davontrug, mit der schmeichelhaften Bemerkung, dass Goethe sich auch eher als Dichter ausgezeichnet habe denn als Jurist. Der Onkel Salomon erklärte sich ebenfalls zufrieden und gewährte die Mittel zu einem Badeaufenthalt in Norderney.

So schien der bürgerliche Lebensweg des Dichters geebnet zu sein; seiner Niederlassung als Advokat in Hamburg stand nichts mehr im Wege, und die von ihm heiß ersehnte Gelegenheit, sich das drückende Joch des Onkels vom Nacken zu streifen, war da. Dennoch ist es nicht einmal zu einem Versuche des Dichters gekommen, sich eine bürgerlich selbständige Stellung zu schaffen. Weshalb nicht, ist aus seinen Briefen und sonstigen Kundgebungen nicht mit Sicherheit zu entnehmen; ein Grund freilich, und der triftigste von allen, liegt auf der Hand: der Widerwille gegen eine geschäftsmäßig trockene Tätigkeit, in der es dem Dichter nie beschieden gewesen wäre, etwas Ordentliches oder überhaupt etwas zu leisten, während er an Werken schuf, die ihm die sichere Anwartschaft auf einen unsterblichen Namen gaben und auch auf alle irdischen Glücksgüter, falls diese ihm nicht, wie es dann freilich geschah, vor der Nase wegeskamotiert worden wären.

Neben dem „Rabbi von Bacharach", an dem er noch immer eifrig arbeitete, hatte Heine im Herbste 1825 nicht weniger als drei Geschosse zu versenden, deren jedes ein goldener Pfeil aus dem Köcher Apollos war: die Lieder der „Heimkehr", die ihm auf 88 herangewachsen waren, dann die „Harzreise" und endlich den ersten Zyklus der „Nordseebilder", die er am Strande von Norderney aus den geheimnisvoll-unergründlichen Tiefen des Meeres geschöpft hatte.

Erst wollte er die drei Arbeiten unter dem Titel des „Wanderbuchs" zusammenfassen, dann wählte er den Titel der „Reisebilder". Einen Verleger fand er in Julius Campe, einem jungen Buchhändler in Hamburg, unzweifelhaft einem geriebenen und gerissenen Geschäftsmann, der auch seine Verdienste um die deutsche Literatur hat, indem er jahrzehntelang allen Zensurflüchtlingen einen Unterschlupf zu bieten wusste, aber der in Heines Leben eine kaum minder unerfreuliche Rolle spielt als der Onkel Salomon. Obgleich Campe durch Heines Werke ein reicher Mann wurde, hat er den Dichter stets nur erbärmlich honoriert, ihn immer am Hungertuche gehalten und das Vertrauen Heines mehr als einmal in schäbigster Weise missbraucht. In den dreißigjährigen Beziehungen zu diesem Verleger erscheint Heine durchaus als der Gutmütige und Nachgiebige, dem selten einmal die Galle überläuft; als er längst ein berühmter Dichter war und die Verleger sich um ihn rissen, hat er an Campe mit einer Treue festgehalten, von der auf Campes Seite oft genug wenig zu bemerken gewesen ist.

Die „Reisebilder" erschienen im Mai 1826 und schlugen von vornherein mächtig durch. Die Lieder der „Heimkehr" besaßen nicht ganz den weichen Schmelz des „Lyrischen Intermezzos"; sie waren herber und kräftiger, auch dreister, manches Mal in ironischen Schlusswendungen des allzu sentimentalen Liebeswehs spottend, eben dadurch aber doch wieder einen Fortschritt bekundend; in keinem Falle ärmer an unvergänglichen Edelsteinen der Lyrik wie die erste Sammlung; das Lied von der Lorelei ist das gesungenste aller deutschen Lieder geworden. Der erste Zyklus der „Nordseebilder" aber eröffnete eine ganz neue Welt, die Welt des Meeres, die noch kein deutscher Dichter so gekannt und besungen hatte wie Heine, in Rhythmen, wie sie auch noch nicht in deutscher Sprache erklungen waren. „Tieck und Robert", schrieb Heine an Moser, „haben die Form dieser Gedichte, wenn nicht geschaffen, doch wenigstens bekannt gemacht, aber ihr Inhalt gehört zu dem Eigentümlichsten, was ich geschrieben habe. Du siehst, jeden Sommer entpuppe ich mich, und ein neuer Schmetterling flattert hervor. Ich bin also doch nicht auf die lyrisch-malitiöse zweistrophige Manier beschränkt."

Weniger günstig urteilte Heine über die „Harzreise", das prosaische Mittelstück zwischen den Liedern der „Heimkehr" und dem ersten Zyklus der „Nordseebilder". Er nennt sie einmal „im Grunde ein zusammengewürfeltes Lappenwerk", auf das Freund Moser nicht begierig zu sein brauche; er habe sie aus pekuniären und anderen Gründen geschrieben. Ein andermal kennzeichnet er sie als „eine Mischung von Naturschilderung, Witz, Poesie und Washington Irvingscher Beobachtung". In der Tat aber schlug die „Harzreise" noch mächtiger ein als die Gedichte der „Reisebilder". In der Form einer wundersamen Naturromantik entfaltete sie zum ersten Male jenen glänzenden Witz, der wie ein helles übermütiges Lachen in die totenstille Zeit klang, allem abgestorbenen Philisterwesen unversöhnliche Fehde ansagte und deshalb so vernichtend traf, weil er einem ernsten und tiefen Interesse an den großen Zeitfragen entsprang.

Unter dem frischen Eindruck seiner „Harzreise", noch ehe sie veröffentlicht war, hat sich Heine selbst über das Wesen seines Witzes ausgelassen. Er schrieb, wieder an Moses Moser: „Witz in seiner Isolierung ist gar nichts wert. Nur dann ist mir der Witz erträglich, wenn er auf einem ernsten Grunde ruht … Der gewöhnliche Witz ist nur ein Niesen des Verstandes, ein Jagdhund, der dem eigenen Schatten nachläuft, ein rotjackiger Affe, der sich zwischen zwei Spiegeln begafft, ein Bastard, den der Wahnsinn mit der Vernunft im Vorbeirennen auf offener Straße gezeugt hat." Wäre Heine ein Witzbold dieses Schlages gewesen, etwa ein Witzbold wie Saphir, der ihm ein Urbild des schlechten Witzes war, so wäre er längst vergessen; nur weil Heine sich „einen braven Soldaten im Befreiungskampfe der Menschheit" nennen durfte, wurde sein Witz jenes furchtbare Schwert, das allen Unterdrückern freier Menschheit die tiefen Wunden schlug, die nach achtzig Jahren noch bluten, als wären sie heute erst geschlagen.

Durch den großen Erfolg der „Reisebilder" wurde Heine ermutigt, sie fortzusetzen. Im Juli 1826 ging er wieder nach Norderney, wo er an der zweiten und dritten Abteilung der „Nordseebilder" arbeitete; vom September 1826 bis Januar 1827 lebte er bei seinen Eltern in Lüneburg, wo er das „Buch Le Grand" schrieb; dann ging er nach Hamburg, um den Druck zu überwachen; Mitte April 1827 erschien der zweite Band der „Reisebilder", der noch beträchtlich größeres Aufsehen erregte als der erste.

Er bestand aus jenen drei Stücken: dem zweiten Zyklus der „Nordseebilder", der dem ersten vollkommen ebenbürtig war, einem prosaischen Abschnitt über die Insel Norderney mit weiten Ausblicken in das Leben der Zeit, namentlich auf Goethe und Napoleon, und endlich dem „Buche Le Grand", das die Widmung trägt: „Evelina empfange diese Blätter als ein Zeichen der Freundschaft und Liebe des Verfassers." Ernst Elster erklärte es als in hohem Grade wahrscheinlich, dass diese Evelina die geliebte Therese Heine sei; das „Buch Le Grand" sei eine Huldigungsschrift für die noch immer vergeblich umworbene Schöne. Das Werk gebe eine dichterisch verschleierte Darstellung von dem Lebensgange des Dichters; dann sei es eine Sammlung von staunenerregendem Wissen, von Anspielungen auf entlegene Dinge, um die Gelehrsamkeit des Dichters zu erweisen, den der Hamburger Klatsch als bankrott, als unwissend, als geistig zerfahren schilderte; endlich habe Heine den Klagen über sein schlechtes Haushalten durch die humoristische Schilderung begegnen wollen, wie er aus den Narren, die ihm tagtäglich über den Weg liefen, Kapital schlagen könne. So habe der Dichter durch die Schilderung seines Liebesunglücks rühren, durch die Schilderung seines Lebens geistvoll anziehen, durch die Darlegung seiner Kenntnisse und durch den Hinweis auf seine Erwerbsfähigkeit Vorurteilen begegnen, durch den Humor und ausgelassenen Witz des ganzen die Herzen vollends gefangen nehmen wollen.

An dieser Erläuterung mag wohl etwas Wahres sein, aber im Grunde bedeutet sie doch nicht mehr, als dass dem Schmetterlinge der Staub von den Flügeln gestreift wird. Noch mehr als die „Harzreise" ist das „Buch Le Grand" ein bunter Teppich geistreicher und witziger Einfälle; die Einheit im Zerstreuten bildet die geniale Persönlichkeit des Dichters, „donnernd gegen Gedankenschergen und Unterdrücker heiligster Rechte". Der Napoleonkultus tritt in diesem Buche mit herausfordernder Keckheit auf, als ein Bekenntnis zu den Ideen der großen französischen Revolution, deren Erbe der Eroberer gewesen war, als ein Protest gegen den stumpfsinnigen Afterpatriotismus, der das Feigenblatt der feigen Duckmäuserei war, womit sich die Masse der deutschen Philister der schamlosen Willkürherrschaft der einheimischen Despoten und Despötlein unterwarf. Sie rächte sich damals schon durch die hämische Nachrede, dass es dem Dichter immer nur darum zu tun sei, seine Person in ein helles Licht zu stellen. Das hat Heine sofort schlagend zurückgewiesen, als er, nachdem der zweite Band der „Reisebilder" eben erschienen war, an Varnhagen schrieb: „Ich kenne meine Deutschen. Sie werden erschrecken, überlegen und nichts tun. Ich zweifle sogar, dass das Buch verboten wird. Es war aber notwendig, dass es geschrieben wurde. In dieser seichten, servilen Zeit musste etwas geschehen. Ich habe das Meinige getan und beschäme jene hartherzigen Freunde, die einst so viel tun wollten und jetzt schweigen. Wenn sie zusammen sind und in Reih und Glied stehen, sind die feigsten Rekruten recht mutvoll, aber den wahren Mut zeigt derjenige, der allein steht." Darin irrte Heine freilich, wenn er annahm, das Buch werde nicht verboten werden, eine große Anzahl deutscher Regierungen, die österreichische und preußische voran, blamierten sich durch solches Verbot.

Gleich nachdem der zweite Band der „Reisebilder" ausgegeben war, unternahm Heine eine Reise nach England. Er suchte dort das große öffentliche Leben kennenzulernen, das in Deutschland so ganz fehlte; er meinte, oft, wenn er die englische Presse lese und in jeder Zeile das englische Volk mit seiner Nationalität erblicke, mit seinen Pferderennen, Hahnenkämpfen, Assisen, Parlamentsdebatten, da nehme er wieder betrübten Herzens ein deutsches Blatt zur Hand und suche darin die Momente eines Volkslebens und finde nichts als literarische Fraubasereien und Theatergeklatsche. Das politische Leben Englands, das damals durch die Opposition Cannings gegen die elenden Umtriebe der Heiligen Allianz sein kennzeichnendes Gepräge erhielt, regte in der Tat aufs höchste an, nicht minder das gewaltige Leben und Treiben Londons. Um so weniger konnte er sich mit dem religiösen Leben der Engländer anfreunden. „Wenn man mit dem dümmsten Engländer über Politik spricht, so wird er doch immer etwas Vernünftiges zu sagen wissen; sobald man aber das Gespräch auf Religion lenkt, wird der gescheiteste Engländer nichts als Dummheiten zutage fördern." Und ebenso geringes Gefallen fand Heine an dem gesellschaftlichen Leben Englands, über das er sich noch in späteren Jahren sehr missfällig ausgelassen hat.

Im September 1827 war Heine wieder in Hamburg, wo er das „Buch der Lieder" herausgab, eine Sammlung all seiner bisher erschienenen Gedichte, mit Ausscheidung alles Unreifen oder Überkecken. Er selbst versprach sich nicht viel von dieser „tugendhaften Ausgabe" seiner Gedichte; er nannte sie ein harmloses Kauffahrteischiff, das unter dem Schutze des zweiten Reisebilderbandes ruhig ins Meer der Vergessenheit hinab segeln werde. Auch Campe war nur schwer zu bewegen, das „Buch der Lieder" zu verlegen; wie üblich fand er den Dichter mit einem kläglichen Honorar ab; mit 50 Louisdor erkaufte er das ausschließliche Eigentumsrecht für alle Auflagen, deren das „Buch der Lieder" bis zum Tode des Dichters nicht weniger als 13 erlebt hat, in der Höhe von je 5000 Exemplaren.

Je geringer Heine dies unvergleichliche Meisterwerk einschätzte, um so größere Erwartungen hegte er zur selben Zeit von einer Reise nach München, wohin ihn Cotta einlud, der Verleger Goethes und Schillers, um die „Neuen Allgemeinen Politischen Annalen" mit zu redigieren. Heine übernahm diese Tätigkeit zunächst nur für die erste Hälfte des Jahres 1828, gegen ein anständiges Gehalt bei geringer Arbeitsleistung; für die redaktionelle Arbeit, die doch immer ein beträchtliches Maß bürokratischen Zwanges mit sich führt, fühlte er sich kaum berufen; was ihn hauptsächlich nach München zog, war wohl die Hoffnung, eine Stellung als Professor an der Münchener Universität zu erlangen. Der Minister des Innern, v. Schenk, ein engerer Landsmann Heines und ein nicht ganz unbegabter Dramatiker, war ihm gut gesinnt, und in den damaligen Anfängen seiner Regierung spielte sich der König Ludwig I. als freisinniger Kunstmäzen auf.

Die Sehnsucht, ein Amt und damit festen Boden unter den Füßen zu bekommen, ließ den Dichter sogar einiges Wasser in seinen revolutionären Wein schütten, was ihm seine Gegner nicht ohne Grund vorgeworfen haben. Er bat Cotta, dem Könige sein „Buch der Lieder" und die beiden Bände der „Reisebilder" zu überreichen, und schrieb dazu: „Es käme mir auch sehr zugute, wenn Sie ihm andeuten wollten, der Verfasser sei viel milder, besser und vielleicht jetzt auch ganz anders als seine früheren Werke. Ich denke, der König ist weise genug, die Klinge nur nach ihrer Schärfe zu schätzen und nicht nach dem etwa guten oder schlimmen Gebrauch, der schon davon gemacht worden." Selbst mit dem berüchtigten politischen Abenteurer Wit v. Dörring hat Heine damals einen unerfreulichen Verkehr unterhalten. Was er darüber an Varnhagen schrieb, ist für ihn auch sonst charakteristisch: „Wit ist ein mauvais sujet, und wenn ich Macht hätte, ließe ich ihn hängen. Er hat eine Privatliebenswürdigkeit, die mich oft seinen Charakter vergessen ließ – er hat mir immer ungemein viel Spaß gemacht, und vielleicht ebendeshalb, weil die ganze Welt gegen ihn war, hielt ich ihm manchmal die Stange. Das hat vielen missfallen. In Deutschland ist man noch nicht so weit, zu begreifen, dass ein Mann, der das Edelste durch Wort und Tat befördern will, sich oft einige kleine Lumpigkeiten, sei es aus Spaß oder aus Vorteil, zuschulden kommen lassen darf, wenn er nur durch diese Lumpigkeiten (d. h. Handlungen, die im Grunde ignobel sind) der großen Idee seines Lebens nichts schadet; ja, dass diese Lumpigkeiten oft sogar lobenswert sind, wenn sie uns in den Stand setzen, der großen Idee unseres Lebens würdiger zu dienen. Zur Zeit des Machiavelli, und jetzt noch in Paris, hat man diese Wahrheit am tiefsten begriffen. Dieses zur Apologie aller Lumpigkeiten, die ich noch Lust habe, in diesem Leben zu begehen." Sicherlich eine sehr zweideutige Moral und doch auch wieder eine historische Wahrheit, die sich an dem Leben vieler Männer studieren lässt, die einer „großen Idee" ihr Leben geweiht haben; nur dass wenige den Mut gehabt haben, sich so offen zu ihr zu bekennen wie Heine.

Ende November 1827 traf Heine in München ein, nachdem er auf der Reise die Brüder Grimm in Kassel und Börne in Frankfurt a. M. besucht hatte. Die Stadt selbst behagte ihm in vieler Hinsicht besser als Berlin oder gar Hamburg, allein das Münchener Klima schädigte schwer seine immer schwache Gesundheit, und die Nachricht, dass Therese Heine ihm durch ihre Verlobung mit einem Hamburger Rechtsgelehrten für immer verloren sei, erschütterte ihn aufs tiefste. Mit Cotta blieben seine Beziehungen allerdings die angenehmsten, doch die redaktionelle Tätigkeit sagte ihm wenig zu: Er überließ sie mehr oder weniger seinem Mitredakteur Lindner und hat selbst für die „Politischen Annalen" neben einigen Rezensionen nichts geschrieben als die „Englischen Fragmente", eine Reihe von Aufsätzen, zum Teil selbst nur Übersetzungen aus der Zeit seines Londoner Aufenthalts. Die Zeitschrift ging denn auch zum Schluss des Halbjahres ein, für das sich Heine zu ihrer Redaktion verpflichtet hat.

Jedoch blieb ihm noch die Hoffnung auf die Münchener Professur, als er sich in der Mitte des Juli 1828 auf eine Reise nach Italien begab. Er ging über Innsbruck, Bozen, Trient, Verona, Mailand nach Genua und von hier über Livorno nach den Bädern von Lucca, wo er glückliche Wochen verlebte. Am 1. Oktober traf er in Florenz ein; er hoffte hier einen Brief Schenks mit seinem Bestallungsdekret zu finden. Aber er fand nichts vor und harrte einige Wochen vergebens auf den Bescheid des bayrischen Ministers. Die Unruhe der Erwartung und eine ihm selbst unerklärliche Sorge um das Leben seines Vaters trieben ihn über die Alpen zurück. Das Jahr endete mit harten Enttäuschungen für Heine; die bayrischen Ultramontanen hatten seine Anstellung in München zu hintertreiben gewusst, und am 2. Dezember war sein Vater in Hamburg gestorben.

Es kamen Monate der tiefsten Missstimmung, die Heine in Berlin und Potsdam verlebte, um den dritten Band seiner „Reisebilder" auszuarbeiten. Im August und September verweilte er in Helgoland, am Anfange des Oktober siedelte er nach Hamburg über, teils um seine Mutter wiederzusehen, die ihren dauernden Aufenthalt in Hamburg genommen hatte, teils um den Druck seines neuen Bandes zu überwachen. Dieser Band kam im Dezember 1829 heraus, fand aber überwiegend eine ungünstige Aufnahme, obgleich oder auch weil die politischen Ansichten Heines entschiedener und klarer hervortraten und auch sein dichterisches Vermögen heller strahlte als in den früheren Bänden. Die erste Hälfte des Bandes, „Die Reise von München nach Genua", entrollte eine Reihe der entzückendsten Naturbilder, in der unnachahmlichen Weise des Dichters beseelt vom Hauche moderner Gedanken, und die zweite Hälfte, „Die Bäder von Lucca", zeigte die komische Kraft des Verfassers in den Gestalten des Lazarus Gumpel und Hirsch Hyazinth von ihrer stärksten Seite. Aber die Polemik Heines gegen den Grafen Platen in den letzten Kapiteln des Bandes gaben dem lange angehäuften Groll der deutschen Philister den Anlass und noch weit mehr den Vorwand, mit ihrer „sittlichen Entrüstung" zu paradieren.

Der Streit zwischen beiden Dichtern entsprang aus verhältnismäßig geringfügigen Ursachen. Heine hatte in den zweiten Band der „Reisebilder" einige Epigramme Immermanns über die herrschende Literaturmisere aufgenommen, die unter anderem die Nachahmung orientalischer Dichtweisen tadelten, wie sie namentlich seit Goethes „Westöstlichem Divan" durch Platen und Rückert betrieben wurde. Das verhältnismäßig schärfste dieser ebenso berechtigten wie harmlosen Epigramme lautete:

Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,

Überessen sich die Armen und vomieren dann Gaselen.

Während Rückert sich den nicht unverdienten Spott ruhig gefallen ließ, erboste sich Platen aufs heftigste und schrieb gleich eine aristophanische Komödie, den „Romantischen Ödipus", worin er Immermann und Heine, obgleich er von jenem nur ein Drama und von diesem so gut wie gar nichts kannte, als die Vertreter einer abgelebten und faden Romantik bis aufs Blut zu geißeln unternahm. Platen handelte dabei durchaus frivol gegen Immermann und noch mehr gegen Heine, den er nur als geborenen Juden in der zugleich gehässigsten und witzlosesten Weise zu verhöhnen wusste. Insofern trägt Platen den ersten und schwersten Teil an dem unerquicklichen Zank, der in dem Leben beider Dichter eine so unerfreuliche Episode bildet; Heine war mit roher und täppischer Hand an seiner wundesten Stelle berührt worden, und so schlug er zu, mit einer grausamen Schärfe, die ihn in die Hände der Philister lieferte.

Er sah in Platen den „frechen Freudenjungen der Aristokraten und Pfaffen", die ihm eben seine Münchener Pläne zerstört hatten. Auch hier gereicht ihm zur Entschuldigung, dass Platen durch sein ganzes Gebaren diesen – ungerechten – Verdacht gegen sich wachgerufen hatte, zumal da er damals noch wenig veröffentlicht hatte, woraus man entnehmen konnte, dass er neben Heine der wirksamste Bahnbrecher der modernen Dichtung werden würde. Dabei war Heine, dem alle Heuchelei fremd war, ehrlich genug, anzuerkennen, dass persönliche Notwehr ein nicht minder kräftiger Antrieb seiner Polemik gegen Platen sei. Je mehr ihm sein Judentum das Leben zerstört hatte, um so mehr hatte er es satt, sich in Gassenjungenmanier als Juden verhöhnen zu lassen. Allein die Art, wie er nun über Platen wegen dessen Knabenliebe herfiel, war eben auch nur Gassenjungenmanier, die um so hässlicher auffiel, weil sie so witzig war wie Platens Polemik witzlos.

Es gab zweifellos wirkliche Gegensätze zwischen beiden Dichtern, die Heine in einem Briefe an Immermann ganz richtig berührte, indem er schrieb: „Ich möchte dem Grafen Platen seine metrischen Verdienste nicht allzu hoch anrechnen; aus Perfidie ließ ich sie gelten, der scheinbaren Gerechtigkeitsliebe wegen." Platen knüpfte in seinem Bestreben, die Romantik zu überwinden, an die klassische Literatur mit ihren antiken Metren an; Heine dagegen lernte von der Romantik, was von ihr zu lernen war, er schöpfte aus dem Volksliede und schuf mit seinen scheinbar kunstlosen und nachlässigen Strophen eine neue Form der Dichtung, die dem Genius der deutschen Sprache ungleich gemäßer war als die kunstvollen Versbauten Platens. Heine ist ein Sprach- und Verskünstler in nicht minder hohem Grade gewesen als Platen, aber der Jude war in ungleich höherem Grade ein deutscher Dichter, er war ungleich vertrauter mit allen Heimlichkeiten der deutschen Sprache seit den grauen Tagen des Mittelalters als der Sprössling der Aristokratenfamilie, der seine Ahnen bis in die Tage der Kreuzzüge hinauf verfolgen konnte.

In der Empörung über Heines Polemik gegen Platen war viel philisterhafte Heuchelei, aber es machte sich in ihr doch auch die gesunde Empfindung geltend, dass literarische Händel solcher Art in den Sumpf führen müssten. Selbst Heines treuester Jugendfreund, Moses Moser, kam darüber mit dem Dichter auseinander. In einem Briefe an Varnhagen gestand Heine, er fühle wohl, wie sehr er sich durch die Polemik gegen Platen geschadet habe, und traf den Nagel nicht auf den Kopf, wenn er hinzufügte : „Es war Krieg des Menschen gegen den Menschen … Dann wieder die Klage: ich hätte getan, was in der deutschen Literatur unerhört sei – als ob die Zeiten noch dieselben wären! Der Schiller-Goethesche Xenienkampf war doch nur ein Kartoffelkrieg, es war die Kunstperiode, es galt den Schein des Lebens, die Kunst, nicht das Leben selbst – jetzt gilt es die höchsten Interessen des Lebens selbst, die Revolution tritt in die Literatur, und der Krieg wird ernster." Mit den höchsten Interessen des Lebens hatte die Polemik Heines und Platens nichts zu tun.

Aber in einem anderen Sinne, als Heine meinte, trat die Revolution nun in die Literatur und gab auch seinem Leben eine neue Wendung.

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