4. Der satirische Dichter

4. Der satirische Dichter

Jugendlich wie ein Phönix erhob sich Heines dichterischer Genius im „Atta Troll" von dem Scheiterhaufen, den seine Feinde angezündet hatten, um ihn zu verbrennen. In diesem „Sommernachtstraum", dem „letzten freien Waldliede der Romantik", machte Heine wahr, was er an Campe geschrieben hatte, nämlich dass an seiner goldenen Rüstung alle Pfeile der Gegner abprallen würden. Glänzender ist niemals das Recht des Genius verteidigt worden gegen die bare Mittelmäßigkeit, die sich mit Tugendphrasen verbrämt, um ihre dürftige Nacktheit zu verhüllen.

Nach Heines Angaben hat er das kleine Bärenepos im Spätherbste 1841 geschrieben, als sich die große Erneute, in die sich die verschiedenartigsten Feinde gegen ihn zusammengerottet, noch nicht ausgetobt hatte. Fragmentarisch veröffentlichte er es bald darauf in der „Eleganten Welt", die Laube herausgab, als Buch aber erst einige Jahre später, im Jahre 1847, und in der Vorrede zu dieser Buchausgabe gibt er die „sogenannte politische Dichtkunst" als das eigentliche Ziel seines Spottes an. Man wird jedoch annehmen dürfen, dass ihn hierbei sein Gedächtnis bis zu einem gewissen Grade getäuscht hat. Der „nutzlose Enthusiasmusdunst" im „deutschen Bardenhain" war freilich auch unter den Opfern, gegen die sich Heines Pfeile richteten, aber er stand kaum in erster Reihe, und es war vielmehr das christlich-germanische Tölpeltum auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, dem Heine das lachende Denkmal des „Atta Troll" setzte.

Das Talent war damals eine sehr missliche Begabung, denn es brachte in den Verdacht der Charakterlosigkeit. Die scheelsüchtige Impotenz hatte endlich nach tausendjährigem Nachgrübeln ihre große Waffe gefunden gegen die Übermüten des Genius; sie fand nämlich die Antithese von Talent und Charakter. Es war fast persönlich schmeichelhaft für die große Menge, wenn sie behaupten hörte, die braven Leute seien freilich in der Regel sehr schlechte Musikanten, dafür seien jedoch die guten Musikanten nichts weniger als brave Leute, die Bravheit sei aber in der Welt die Hauptsache, nicht die Musik. Der leere Kopf pochte jetzt mit Fug auf sein volles Herz, und die Gesinnung war Trumpf." Das traf nicht nur auf die poetischen, sondern ebenso auf die philosophischen und politischen Atta Trolls zu; gegen sie alle galt es die unveräußerlichen Rechte des Geistes zu vertreten.

Es war ästhetisch ein meisterhafter Griff, dass Heine diese Vertretung in der „grillenhaften Traumweise jener romantischen Schule" übernahm, wo er, wie er sagte, seine angenehmsten Jugendjahre verlebt und zuletzt den Schulmeister geprügelt hatte. Ein Traum der Sommernacht, ein phantastisch zweckloses Lied – zwecklos wie die Liebe, wie das Leben, wie der Schöpfer samt der Schöpfung –, war der schroffste Gegensatz zu dem Versuche, die Muse zur Marketenderin der bürgerlichen Opposition zu machen. Aber die romantische Form barg einen durchaus modernen Inhalt, und mit Recht verwahrte sich Heine dagegen, dass sein Spott jene Ideen treffen solle, die eine kostbare Errungenschaft der Menschheit seien und für die er selbst so viel gestritten und gelitten habe. Gerade weil dem Dichter jene Ideen in herrlichster Klarheit und Größe vorschwebten, ergreife ihn desto unwiderstehlicher die Lachlust, wenn er sehe, wie roh, stumpf und täppisch sie von der Zeitgenossenschaft aufgefasst würden. Er scherze gleichsam nur über ihre temporelle Bärenhaut.

Die Ehrlichkeit dieser Versicherung ergab sich bereits aus dem „Atta Troll" selbst, aber Heine sollte sie bald noch viel nachdrücklicher erhärten. Mit den „politischen Dichtern", die zur Zeit, wo er den „Atta Troll" dichtete, öffentlich hervorgetreten waren, hatte er freilich wenig gemein. Die Gedichte Hoffmanns von Fallersleben nannte er – ein wenig übertrieben, aber doch nicht ohne Grund – spottschlechte Späßchen, um Philister zu amüsieren bei Bier und Tabak. Herwegh begrüßte er schon bei dessen erstem Auftreten als „eiserne Lerche", aber warnte ihn auch schon vor jenem vagen, unfruchtbaren Pathos, der sich mit Todesverachtung in einen Ozean von Allgemeinheiten stürze; die nähere Bekanntschaft mit Herwegh gab ihm schon im Jahre 1847 das prophetisch harte Urteil ein: „Er hatte nur ein gewisses Pfündchen, das er sehr hübsch geprägt verausgabte, und nun ist er arm und leer, ein heruntergekommener Verschwender. Er bleibt nun ewig stumm und wird bloß von seinem Ruhme zehren. Dann lacht Herwegh nie, und ein Poet mit einem so verbitterten Gesicht hat nicht viel Verstand; es weist auf eine magere Einseitigkeit seines Lebensblicks hin." Am ehesten konnte sich Heine noch mit Dingelstedt verständigen, der in seinen Nachtwächterliedern ein ungleich größeres Maß von Gestaltungskraft zu entwickeln wusste, als Herwegh und Hoffmann besaßen. Heines Spottgedichte auf Dingelstedt sind im Grunde auf einen gutmütigen und harmlosen Ton gestimmt, während seine Spottgedichte auf Herwegh im Laufe der Zeit immer grausamer wurden.

Um sich in einem leeren Pathos zu gefallen – selbst wenn es seiner dichterischen Art gelegen hätte –, hatte Heine zu lange in einem bewegten öffentlichen Leben gestanden. Er wurde viel eher von einer „Fülle der Gesichte" bedrängt. Zur Zeit, wo er im „Atta Troll" der Romantik seine Huldigung darbrachte, beschäftigte ihn aufs lebhafteste der Kommunismus. Er hatte im Februar 1840 seine Pariser Berichte über Politik, Kunst und Volksleben für die „Allgemeine Zeitung" in Augsburg wieder aufgenommen, und von ihnen hat er später selbst gesagt, dass sich die Prophezeiungen vom Siege des Kommunismus wie ein roter Faden durch sie ziehen. Heine hielt diese Berichte für viel bedeutender als die „Französischen Zustände", die er zehn Jahre früher für das Augsburger Blatt geschrieben hatte: nicht mit Recht, und namentlich nicht mit Recht, soweit es sich um politische Fragen handelte. Zwar lässt sich ehrlicherweise nicht der Vorwurf gegen ihn erheben, dass er, aus Rücksicht auf seine Staatspension, der französischen Regierung geschmeichelt habe, obgleich er vielleicht besser daran getan hätte, auch den bloßen Schein zu vermeiden; es erklärt sich aus der Lage der Dinge selbst, dass „die parlamentarische Periode des Bürgerkönigtums", die er in den Briefen aus den vierziger Jahren schildern wollte, weder ihm noch seinen Lesern ein so lebhaftes Interesse einflößen konnte wie der helle Widerschein der Julirevolution, der die „Französischen Zustände" erwärmt und verklärt.

Es ging durchaus mit rechten Dingen zu, wenn sich in Heines politischen und sozialen Anschauungen eine große Wandlung vollzogen hatte. Da ihm die alte Monarchie mit ihrer Junker- und Pfaffenherrschaft vom Grund der Seele aus verhasst, aber auch die Republik wegen der gefürchteten Massenherrschaft ein Gegenstand des Grauens war, so wäre logischerweise die monarchisch-konstitutionelle Staatsform seine Sache gewesen, und manchmal hat er sich auch in diesem Sinne ausgesprochen. Aber er war ein viel zu tief angelegter Geist, um nicht auch in ihr eine Form der Klassenherrschaft zu erkennen, und zwar die nicht am wenigsten verächtliche. Schon in den jungen Tagen des Bürgerkönigtums hatte ihn der Saint-Simonismus mächtig ergriffen; von ihm hatte er jene Gegenüberstellung des Spiritualismus und des Sensualismus, der christlichen Entsagungs- und der heidnischen Genusslehre, der mageren Nazarener und der fetten Hellenen übernommen, wie sie namentlich durch Enfantin vertreten wurde und wie sie in Heines Schriften so häufig wiederkehrt. Aber die Saint-Simonisten waren am Ende nur eine philosophische Schule, die beim ersten leichten Zusammenprall mit der rauen Außenwelt zerstob, und ebenso die anderen sozialistischen Sekten; je mehr sich das Bürgerkönigtum als die Herrschaft eines beschränkten und eigensüchtigen Kapitalistenklüngels entpuppte, um so mehr sah Heine sie von anderen und gewaltigeren Mächten bedroht.

Ich spreche von den Kommunisten, der einzigen Partei in Frankreich, die eine entschlossene Beachtung verdient. Ich würde für die Trümmer des Saint-Simonismus, dessen Bekenner unter seltsamen Aushängeschildern noch immer am Leben sind, sowie auch für die Fourieristen, die noch frisch und rührig wirken, dieselbe Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, aber diese ehrenwerten Männer bewegt doch nur das Wort, die soziale Frage als Frage, der überlieferte Begriff, und sie werden nicht getrieben von dämonischer Notwendigkeit, sie sind nicht die prädestinierten Knechte, womit der höchste Weltwille seine ungeheuren Beschlüsse durchsetzt. Früher oder später wird die zerstreute Familie Saint-Simons und der ganze Generalstab der Fourieristen zu dem wachsenden Heere des Kommunismus übergehen und, dem rohen Bedürfnis das gestaltende Wort leihend, gleichsam die Rolle der Kirchenväter übernehmen." So schrieb Heine am 15. Juni 1843, und in demselben Jahre noch sollte er der Freund des Mannes werden, der das vollbringen sollte, was Heine von den Saint-Simonisten und Fourieristen erwartete.

Es war Karl Marx, der nach der Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" im Herbst 1843 nach Paris übersiedelte, um gemeinsam mit Arnold Ruge die „Deutsch-Französischen Jahrbücher" herauszugeben. Mit Ruge, der, ein echter Atta Troll der Philosophie, in Heine bald einen „Schuft", bald den „freiesten Deutschen nach Goethe" sah, kam der Dichter in kein näheres Verhältnis, und Ruges Behauptung, er und Marx hätten die satirische Dichtung Heines angeregt, indem sie ihm gesagt hätten: „Lassen Sie doch die ewige Liebesnörgelei und zeigen Sie den poetischen (politischen?) Lyrikern mal, wie man es richtig macht – mit der Peitsche", mag auf sich beruhen bleiben. Die satirische Dichtung Heines wäre auch ohne Ruge und Marx entstanden. Aber mit Marx schloss Heine in der Tat eine enge Freundschaft, und seinen Anteil hat Marx sicherlich daran gehabt, dass in den Tagen, wo sie zusammenlebten, die satirische Dichtung Heines eine Höhe erreichte, die ihr in der Weltliteratur für immer einen hervorragenden Platz sichert.

Als Marx nach Paris kam, befand sich Heine gerade in Hamburg, wohin er nach zwölfjähriger Abwesenheit von Deutschland zum ersten Male gereist war, um seine Mutter wiederzusehen und mit Campe geschäftliche Verhandlungen zu führen. Auf dieser Reise gewann Heine Stoff und Stimmung für „Deutschland, ein Wintermärchen", das er alsbald nach seiner Rückkehr ausarbeitete, eben in den Tagen, wo er mit Marx bekannt wurde. Diese genialste seiner Satiren enthält nichts, was nicht längst in ihm selbst lag, und es würde müßig sein, hier nach einem Einfluss von Marx zu suchen, aber es ist zuverlässig überliefert, dass Heine damals sich oft ästhetischen Rat bei Marx und dessen Frau geholt hat, und man mag es ihm nachempfinden!, wie glücklich er sich gefühlt hat, einmal auf Menschen zu stoßen, die ihn ganz verstanden, Marx hat niemals Heines geheimes Grauen vor dem Kommunismus zu überwinden vermocht, und da er sich damals selbst noch in der philosophisch-ökonomischen Mauserung befand, so mag selbst dahingestellt bleiben, ob er auch nur versucht hat, den Dichter von dieser törichten Angst zu befreien. Aber er hat, rigoros wie er sonst in politischen Dingen dachte, Heines gelegentliche Seitensprünge immer nachsichtig beurteilt; er meinte, Dichter seien sonderbare Käuze, die man ihre Wege gehen lassen müsse; man dürfe sie nicht mit dem Maßstabe gewöhnlicher oder auch ungewöhnlicher Menschen messen.

Wenn das „Wintermärchen" der ragende Gipfel von Heines satirischer Dichtung ist, so ist es doch nur die Spitze eines stattlichen Gebirgsstockes. Die „Lobgesänge" auf den König von Bayern, die Heine in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern" veröffentlichte, rechnete er selbst zu dem Sanglautesten, was er je geschrieben habe, und die Gedichte auf den und die preußischen Despoten, den „Wechselbalg", den „Kaiser von China", „den neuen Alexander", stehen ihnen nicht nach, weder an beißender noch an treffender Satire; einzelnes, wie die „Schlosslegende", verträgt selbst die Pressfreiheit des neudeutschen Reiches noch nicht, die sich, wenn wir nicht sehr irren, auch schon an den „Webern" vergriffen hat.

Diese Gedichte leben und werden leben, solange die Dichtung des hohen Amtes zu walten hat, die Sünder zu züchtigen, die, unerreichbar für irdische Gerechtigkeit, mit Pomp und Prunk in die Grube fahren.

Außer in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern" hat Heine manches von seinen satirischen Gedichten, die die deutsche Luft nicht vertrugen, im „Vorwärts!" veröffentlicht, der 1844 in Paris erschien. Das „Wintermärchen" wurde mit mancherlei Milderungen, die durch die deutsche Zensur veranlasst waren, im Herbst 1844 bei Campe in Hamburg veröffentlicht, als Anhang zu den „Neuen Gedichten", in denen Heine – neben den in Deutschland druckbaren „Zeitgedichten" – ältere Verse sammelte, so den „Neuen Frühling" und die Gedichte an „Verschiedene", deren nochmaliges Erscheinen vor einigen Jahren an dem Proteste Gutzkows gescheitert war.

Um den Druck des Bandes zu überwachen, war Heine im Sommer 1844 nochmals nach Hamburg gereist, zum zweiten und letzten Male. Am 21. September sandte er die Aushängebogen des „Wintermärchens" an Marx, um sie im „Vorwärts!" zu veröffentlichen. Er sprach in dem Briefe seine Freude über das Zusammenleben in dem künftigen Winter aus, doch hat diese Freude nicht lange gewährt. Bereits im Januar 1845 wurden die Mitarbeiter des „Vorwärts!" auf Betreiben der preußischen Regierung aus Paris ausgewiesen, und Marx ging nach Brüssel.

Heine blieb von der Maßregelung verschont, nicht weil er als naturalisierter Franzose nicht ausgewiesen werden konnte, wie ihm wider die Wahrheit nachzureden selbst Treitschke sich nicht geschämt hat, sondern weil Guizot, der immerhin als gebildeter Mann sich dem unaufhörlichen Drängen der christlich-germanischen Einfaltspinsel nur ungern gefügt hatte, doch vor der Blamage zurückscheute, einen Dichter von europäischem Rufe über die Grenze zu jagen.

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