5. In der Matratzengruft

5. In der Matratzengruft

Ging der Schlag, den die preußische Regierung gegen die Mitarbeiter des „Vorwärts!" führte, an Heine spurlos vorüber, so traf ihn zur selben Zeit ein anderer Schlag ins Mark des Lebens.

Mit seiner Gesundheit sah es seit langem schlecht aus. Die erste Zeit seines Aufenthalts in Frankreich hatte ihm zwar eine Linderung seiner alten Kopfschmerzen gebracht, aber schon in den dreißiger Jahren stellten sich Lähmungserscheinungen ein und namentlich ein Augenleiden, das mehrmals zu völliger Erblindung zu führen drohte. Mit diesem Leiden kämpfte er schon, als ihn die Nachricht ereilte, dass sein Onkel Salomon Ende Dezember 1844 gestorben sei und ihn in seinem Testament mit einem kümmerlichen Legat von ein paar tausend Mark ein für allemal abgefunden habe.

Seit Heines Übersiedelung nach Paris hatte ihm der alte Pascha eine Jahrespension von 4000 Francs gezahlt, die er nach zeitweiligen Stockungen und Zerwürfnissen mit Rücksicht auf die Heirat des Dichters auf 4800 Francs erhöht hatte. Eben noch, bei seinem Aufenthalt in Hamburg, hatte Heine die bündigste Zusicherung erhalten, dass er diese Pension bis an sein Lebensende beziehen und die Hälfte davon auch seiner Witwe bis an deren Lebensende gesichert sein sollte. Die Aufregung über den schnöden Wortbruch des Testaments gab der erschütterten Gesundheit des Dichters einen tödlichen Stoß; sie führte eine schlagartige Lähmung herbei, die sich zunächst auf die Augen warf, allmählich sich aber über die Brust hinunterzog. Das linke Auge blieb seit dieser Zeit völlig geschlossen; auch das rechte ward trüb, und das halb gelähmte Lid wollte sich nicht mehr freiwillig heben.

Der Erbschaftsstreit, der nunmehr anhob, braucht und kann in seinen zum Teil recht unerquicklichen Einzelheiten hier nicht näher dargelegt zu werden. Heine hat sich dabei diesen oder jenen anfechtbaren Fechterstreich erlaubt, doch das moralische Recht war durchaus auf seiner Seite, und er fand eifrige Bundesgenossen, Keinen eifrigeren darunter als den jungen Ferdinand Lassalle, der im Jahre 1845 nach Paris gekommen war, um in den dortigen Bibliotheken Studien für sein Werk über Heraklit zu machen. Mit hellem Dichterblick sah Heine in Lassalle und Marx die Söhne einer neuen Zeit, „die nichts von jener Entsagung und Bescheidenheit wissen will, womit wir uns mehr oder minder heuchlerisch in unserer Zeit hindurch gehungert und hindurch gefaselt" haben.

Nach anderthalb Jahren, während deren sich der Gesundheitszustand des Dichters immer mehr verschlechtert hatte und schon eine falsche Nachricht von seinem Tode durch die Blätter gegangen war, erklärte sich endlich Karl Heine, der Sohn und Haupterbe Salomons, zur Fortzahlung der Pension bereit. Im Februar 1847 kam er selbst nach Paris, und es wurde ein förmlicher Vertrag geschlossen, durch den Heine die Verpflichtung übernahm, nichts über die Familie zu veröffentlichen. So hat sich der dreißigfache Millionär sein Almosen teuer genug bezahlen lassen, denn eine Folge dieser Abmachung ist die Vernichtung von Heines „Memoiren" gewesen, an denen er lange und mit großer Liebe gearbeitet hatte und in denen er selbst die Krone seiner Werke sah. Wir besitzen von ihnen nur jene wenigen Blätter, in denen Heine sie am Ende seines Lebens neu zu schaffen unternahm, und auch sie sind noch nach dem Tode des Verfassers von einem seiner Brüder verstümmelt worden.

Die Familie Heines hat überhaupt zu den schweren Plagen gehört, mit denen sein Leben ohne seine Schuld belastet gewesen ist. Nur mit seiner Mutter und seiner Schwester stand er in engen und zärtlichen Beziehungen; seine Brüder waren elende Knechtsseelen, der eine ein Tintenkuli des habsburgischen, der andere des zarischen Despotismus. Beide haben als echte Schmarotzer an dem Ruhm des Dichters zu zehren gesucht. Den schlimmsten Stoß gegen diesen hat dann Karl Heine geführt, der ehedem, als er 1832 an der in Paris herrschenden Cholera auf den Tod daniederlag, von seinem Vetter Heinrich aufs sorgsamste gepflegt worden war. Die wirkliche Ursache des Bubenstreichs, den er an dem Dichter verübte, war die mimosenhafte Angst des bösen Gewissens, womit die Börsenkönige geplagt sind, trotz aller „Korrektheit", womit sie ihre Millionen erwerben. Karl Heine war mit einer Fould verheiratet, dem Kinde einer Pariser Börsendynastie, die Heine in seinen Pariser Briefen an die „Allgemeine Zeitung" gelegentlich mit einem herben Worte gestreift hatte; aus diesem Grunde wurde der Dichter auf eine Folter gespannt, deren Folgen er nie mehr verwunden hat.

Es kamen zwar noch zeitweise bessere Tage, aber im Allgemeinen nahm die Krankheit ihren unaufhaltsamen Verlauf. Die Februarrevolution traf den Dichter schon in völliger Auflösung. „Seit acht Tagen", schrieb er am 7. Juni 1848 an Campe, „bin ich ganz und gar gelähmt, so dass ich nur im Lehnsessel und auf dem Bette sein kann; meine Beine wie Baumwolle und werde wie ein Kind getragen. Die schrecklichsten Krämpfe. Auch meine rechte Hand fängt an zu sterben, und Gott weiß, ob ich Ihnen noch schreiben kann. Diktieren peinigend wegen der gelähmten Kinnladen. Meine Blindheit ist noch mein geringstes Übel." Und an denselben einen Monat später: „Über die Zeitereignisse sage ich nichts; das ist Universalanarchie, Weltkuddelmuddel, sichtbar gewordener Gotteswahnsinn. Der Alte muss eingesperrt werden, wenn das so fortgeht." Im Mai 1848 ist Heine zum letzten Male ausgegangen. „Nur mit Mühe schleppte ich mich bis zum Louvre, und ich brach fast zusammen, als ich in den erhabenen Saal trat, wo die hoch gebenedeite Göttin der Schönheit, Unsere liebe Frau von Milo, auf ihrem Postamente steht. Zu ihren Füßen lag ich lange, und ich weinte so heftig, dass sich dessen ein Stein erbarmen musste. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch zugleich so trostlos, als wollte sie sagen: siehst du denn nicht, dass ich keine Arme habe und also nicht helfen kann?"

Acht Jahre lang hat der Dichter dann noch in seiner Matratzengruft ausgedauert, mit einem Heldenmut, der zwar nicht die bodenlose Nichtswürdigkeit seiner Verleumder zu entwaffnen vermocht hat, aber jedem, der die Tragik menschlichen Lebens zu empfinden vermag, selbst das Wort der Bewunderung auf den Lippen ersterben lässt. Es ist schlechthin ohne Beispiel in der Weltliteratur, dass ein Dichter in einem Alter, wo auch großen Poeten schon die Schöpferkraft zu versiegen beginnt, unter den fürchterlichsten Leiden mit voller Heiterkeit der Seele weiter zu schaffen und Werke zu vollenden gewusst hat, die an reifer Fülle und Schönheit fast noch alles übertreffen, was ihm in seinen gesundesten Jahren gelungen war. Der „Romanzero", dessen Gedichte fast durchweg in den ersten Jahren der Krankheit entstanden sind, ist so schwerlötig wie das „Buch der Lieder" und die „Neuen Gedichte"; er schlägt ganz neue und völlig originelle Tone an, sowohl in den „Historien" wie in den „Lamentationen" wie in den „Hebräischen Melodien".

Sein allmähliches Entstehen schildert Karl Hillebrand, der im Spätherbst 1849 als Sekretär in Heines Dienste getreten war. „Heines Gehör war geschwächt, seine Augen geschlossen, und nur mit Mühe konnte der abgemagerte Finger die müden Augenlider hinaufschieben, wenn der Poet etwas zu sehen verlangte. Die Beine gelähmt, der ganze Körper zusammengeschrumpft: so ward er alle Morgen von Weiberhand – er konnte keine männliche Bedienung ertragen – auf den Sessel gehoben, während das Bett gemacht wurde. Nicht das geringste Geräusch konnte er erdulden. Seine Leiden waren so heftig, dass er, um nur etwas Ruhe, meist nur vier Stunden Schlafes zu erlangen, Morphium in drei verschiedenen Gestalten nehmen musste. In seinen schlaflosen Nächten dichtete Heine dann wohl seine wunderbarsten Lieder. Den ganzen Romanzero hat er mir diktiert. Das Gedicht war jedesmal ganz fertig am Morgen. Dann aber ging's an ein Feilen, das stundenlang währte, wobei er meine Jugend wie Moliere die Unwissenheit seiner Magd Louison benutzte, indem er mich über Klang, Tonfall, Klarheit usw. befragte. Dabei ward dann jedes Präsens und Imperfektum genau erwogen, jedes veraltete und ungewöhnliche Wort erst nach seiner Berechtigung geprüft, jede Elision ausgemerzt, jedes unnütze Adjektiv weggeschnitten, hier und da auch wohl Nachlässigkeiten hinein korrigiert."

Im Nachwort zum „Romanzero", das vom 30. September 1851 datiert ist, bekennt sich Heine nach wie vor zu den demokratischen Prinzipien, denen seine früheste Jugend gehuldigt habe und für die er seitdem immer flammender erglüht sei. Dagegen sei er in der Theologie des Rückschreitens schuldig zu dem alten Aberglauben, einem persönlichen Gott. Jedoch müsse er den Gerüchten widersprechen, als hätte ihn sein Rückschritt bis zur Schwelle irgendeiner Kirche oder gar in ihren Schoß geführt. „Nein, meine religiösen Überzeugungen und Ansichten sind frei geblieben von jeder Kirchlichkeit; kein Glockenklang hat mich verlockt, keine Altarkerze hat mich geblendet. Ich habe mit keiner Symbolik gespielt und meiner Vernunft nicht ganz entsagt. Ich habe nichts abgeschworen, nicht einmal meine alten Heidengötter, von denen ich mich zwar abgewandt, aber scheidend in Liebe und Freundschaft." Ähnlich, nur ausführlicher, hat er sich einige Jahre später in den „Geständnissen" ausgelassen, wo er als Grund seiner Rückkehr zu Gott namentlich auch die Tatsache angibt, dass der Atheismus ein mehr oder minder geheimes Bündnis geschlossen habe mit dem schauderhaft nacktesten, ganz feigenblattlosen kommunen Kommunismus.

Über diese Bekenntnisse Heines ist viel gestritten worden. Dass sie nichts zu tun haben mit der Umkehr der Spötter, die auf dem Sterbebette Reue und Leid tun, liegt auf der Hand. Im Sinne der Frommen und Gläubigen ist mit Heines Deismus nicht mehr anzufangen als mit seinem Atheismus. Auf der anderen Seite genügt es aber auch kaum, zu sagen, dass überall, wo Heine von seiner religiösen Bekehrung spreche, der Schalk durchblicke. Es ist ganz richtig, was Schopenhauer, der sonst nicht allzu viel auf Heine hielt, vom „Romanzero" sagt: „Hinter allen seinen Scherzen und Possen merken wir einen tiefen Ernst, der sich schämt, unverschleiert hervorzutreten." Ein so unverdächtiger Zeuge wie Karl Hillebrand bezeugt ausdrücklich, dass er außer poetischen meist theologische oder mindestens kirchenhistorische Werke dem kranken Dichter habe vorlesen müssen, den ganzen Spittler und den noch gewichtigeren Tholuck, die er nur mechanisch hin gelesen habe, da sie gar kein Interesse für ihn gehabt hätten; auch ganze Kapitel aus der Bibel, die Heine fast auswendig gekannt habe, vornehmlich aus dem alten Testamente. Das rege religiöse Interesse, das Heine trotz oder auch wegen seiner unüberwindlichen Abneigung gegen alles kirchliche Wesen all sein Lebtag bekundet hat, ist ihm auch auf dem Sterbebette treu geblieben, und die „große Gottesfrage" mag ihm, da sein Geist jeden neuen Tag einen neuen Sieg über das Elend der Materie erfocht, leicht im Gottesglauben seiner Kinderjahre erschienen sein. In einem Briefe an Georg Weerth erläutert er als den Sinn seiner Bekehrung, „dass ich als Dichter sterbe, der weder Religion noch Philosophie braucht und mit beiden nichts zu schaffen hat. Der Dichter versteht sehr gut das symbolische Idiom der Religion und das abstrakte Verstandeskauderwelsch der Philosophie, aber weder die Herren der Religion noch die der Philosophie werden jemals den Dichter verstehen, dessen Sprache ihnen immer spanisch vorkommen wird, wie dem Maßmann das Latein." Genug, ein „Betbruder" ist Heine auch nicht auf dem Sterbebette geworden; wie es immer um seinen „Deismus" bestellt gewesen sein mag, die wundervolle Klarheit seines Geistes hat er nicht getrübt.

Mit dem „Romanzero" hörte der Quell der Dichtung für Heine nicht auf zu fließen; er hat ihm bis in die Todesstunde gerauscht. Eine gespenstisch-unheimliche Liebe zu einem Mädchen, das sich in sein Krankenzimmer zu drängen gewusst hatte – eine halbe Abenteuerin, wie es scheint –, hat seine letzten Tage beseelt. Ihr galt die grandiose Todesphantasie „Für die Mouche", das letzte Gedicht Heines. Doch die ergreifendsten Gedichte seiner Krankenjahre gehörten seiner Mathilde, die furchtbar-grauenvollsten dem Fluche der Sippen und Magen, die ihm den Todesstoß gegeben hatten; dazu der sehnsüchtige Schrei nach dem Leben, das unheimliche Schwelgen in den Bitternissen des Todes. Wohl hatte Heine recht, über seine letzten Gedichte zu sagen, als er sie einem Freunde zu lesen gab: „Das ist schön, entsetzlich schön! Es ist eine Klage wie aus einem Grabe, da schreit ein Lebendbegrabener durch die Nacht, oder gar eine Leiche, oder das Grab selbst. Ja, solche Töne hat die deutsche Lyrik noch nie vernommen, und hat sie auch nicht vernehmen können, weil noch kein Dichter in solcher Lage war."

Von prosaischen Schriften hat Heine aus seiner Matratzengruft außer den „Geständnissen", in denen der große Spötter noch einmal über sich selbst zu Gericht sitzt, namentlich die „Lutetia" veröffentlicht, eine sorgfältige Sammlung der Pariser Briefe, die er in den vierziger Jahren für die „Allgemeine Zeitung" geschrieben hatte. Namentlich in ihrer französischen Ausgabe machten sie großes Glück, wie denn die Franzosen durch eine steigende Anerkennung des Dichters das schnöde Unrecht ausgeglichen haben, das ihm so viel seiner eigenen Landsleute zufügten. In dem Vorwort zur französischen Ausgabe der „Lutetia", wenige Monate vor seinem Tode, der am 17. Februar 1856 eintrat, hat Heine auch sein letztes Wort über den Kommunismus gesprochen.

Es lautete:1 Nur mit Abscheu und Grauen denke ich an die Epoche, wo diese finsteren Bilderstürmer zur Herrschaft gelangen werden; mit ihren schwieligen Händen werden sie ohne Erbarmen die Marmorbildsäulen der Schönheit zerbrechen, die meinem Herzen so teuer sind; sie werden all jenes phantastische Flitter- und Spielwerk der Kunst zerstören, das der Dichter so sehr liebte; sie werden meine Lorbeerhaine fällen und an ihre Stelle Kartoffeln pflanzen; die Lilien, die nicht spannen und nicht arbeiteten und doch so herrlich gekleidet waren wie König Salomon in all seiner Pracht, sie werden aus dem Boden der Gesellschaft ausgerauft werden, es sei denn, dass sie etwa die Spindel zur Hand nehmen wollen; die Rosen, die müßigen Bräute der Nachtigallen, wird das gleiche Los ereilen; die Nachtigallen, diese unnützen Sänger, werden verjagt werden, und ach! mein Buch der Lieder wird dem Gewürzkrämer dienen, um daraus Tüten zu drehen, in die er Kaffee oder Tabak schütten wird für die alten Weiber der Zukunft. Ach! ich sehe dies alles voraus, und ich werde von einer unsagbaren Trauer ergriffen, wenn ich an den Untergang denke, mit dem das siegreiche Proletariat meine Verse bedroht, die mit der ganzen alten romantischen Welt untergehen werden. Und dennoch, ich gestehe es freimütig, übt dieser Kommunismus, der allen meinen Interessen und Neigungen so feindselig ist, auf meine Seele einen Zauber aus, dessen ich mich nicht erwehren kann; zwei Stimmen erheben sich zu seinen Gunsten in meiner Brust, zwei Stimmen, die sich nicht beschwichtigen lassen wollen und die im Grunde vielleicht nur diabolische Anreizungen sind – aber wie dem auch sei, ich werde von ihnen beherrscht, und kein Bannwort kann sie bezwingen. – Denn die erste dieser Stimmen ist die Stimme der Logik. Der Teufel ist ein Logiker, sagt Dante. Ein schrecklicher Syllogismus hält mich umstrickt, und wenn ich den Satz nicht widerlegen kann, dass alle Menschen das Recht haben zu essen, so muss ich mich allen seinen Folgerungen unterwerfen. Indem ich daran denke, laufe ich Gefahr, den Verstand zu verlieren, ich glaube, alle Dämonen der Wahrheit im Triumph um mich tanzen zu sehen, und zuletzt bemächtigt sich eine großherzige Verzweiflung meines Herzens, und ich rufe aus: Sie ist seit lange gerichtet, verurteilt, diese alte Gesellschaft. Geschehe ihr, wie recht ist! Werde sie zertrümmert, diese alte Welt, wo die Unschuld umkam, die Selbstsucht gedieh, wo der Mensch ausgehungert wurde durch den Menschen! Mögen sie vom Grund bis zum Gipfel zerstört werden, diese übertünchten Gräber, in denen die Lüge und die Ungerechtigkeit hausten. Und gesegnet sei der Gewürzkrämer, der aus meinen Gedichten Tüten drehen wird, um Kaffee oder Tabak hineinzuschütten für die armen alten, guten Weiber, die sich in dieser gegenwärtigen Welt der Unbill vielleicht solche Annehmlichkeiten versagen mussten – fiat justitia, pereat mundus! – Die zweite der gebieterischen Stimmen, die mich bestricken, ist noch mächtiger und dämonischer als die erste, denn es ist die Stimme des Hasses, des Hasses, den ich einer Partei widme, deren furchtbarster Gegner der Kommunismus und die aus diesem Grunde unser gemeinsamer Feind ist. Ich spreche von der Partei der sogenannten Vertreter der deutschen Nationalität, jenen falschen Patrioten, deren Vaterlandsliebe nur in einer einfältigen Abneigung gegen die Fremde und gegen die Nachbarvölker besteht, die jeden Tag ihre Galle namentlich gegen Frankreich ausschütten. Ja, diese Überbleibsel oder Nachkommen der Teutomanen von 1815, die ihr altes Kostüm ultradeutscher Narren nur modernisiert haben und sich ein wenig die Ohren stutzen ließen – ich habe sie mein ganzes Leben lang verabscheut und bekämpft, und jetzt, wo das Schwert der Hand des Sterbenden entfällt, fühle ich mich getröstet durch die Überzeugung, dass der Kommunismus, der sie zuerst auf seinem Wege findet, ihnen den Gnadenstoß geben wird; nicht durch einen Keulenschlag, sondern durch einen einfachen Fußtritt wird der Riese sie zertreten, wie eine Kröte. Das wird sein Anfang sein. Aus Hass gegen die Partisanen des Nationalismus könnte ich die Kommunisten fast lieben. Wenigstens sind es keine Heuchler, die nur das Christentum und die Religion auf den Lippen führen; die Kommunisten haben zwar keine Religion (kein Mensch ist vollkommen), die Kommunisten sind selbst Atheisten (was gewiss eine große Sünde ist), aber als Hauptdogma bekennen sie den absolutesten Kosmopolitismus, eine allgemeine Liebe für alle Völker, eine brüderliche Gütergemeinschaft zwischen allen Menschen, freien Bürgern dieses Erdballs. Dies Grunddogma hat einst auch das Evangelium gepredigt, und in Wahrheit sind die Kommunisten viel bessere Christen als die sogenannten deutschen Patrioten, diese bornierten Kämpfer einer exklusiven Nationalität!

Wie spiegelt sich doch in diesen letzten Worten Heines, was ihm an dichterischem Seherblick gegeben war und was nicht! Die Todfeinde seines Lebens bluten heute noch an den Wunden, die ihnen sein gutes Schwert geschlagen hat, aber es sind die Kommunisten, die sein Grab vor dem Ansturm dieser wütenden Narren schützen.2

1 Mehring gebührt das Verdienst, diese damals in Deutschland so gut wie unbekannten Bemerkungen Heines über sein Verhältnis zum Kommunismus publik gemacht zu haben.

2 Hier bricht Mehrings Manuskript ab, das er wegen seiner Krankheit nicht vollenden konnte. Das letzte Kapitel der Einleitung zur Heine-Biographie wurde auf seinen Wunsch von Heinrich Ströbel geschrieben. Es trägt den Titel „Heine und das Proletariat".

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