Franz Mehring 18940502 Heine und sein Denkmal

Franz Mehring: Heine und sein Denkmal

2. Mai 1894

[Die Neue Zeit, 12. Jg. 1893/94, Zweiter Band, S. 161-165. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 471-476]

Seit einigen Jahren zankt man sich in der bürgerlichen Welt um die Frage eines Denkmals für Heinrich Heine. Es sollte ihm erst in Düsseldorf und soll ihm nunmehr in Mainz errichtet werden. Gegen das Denkmal eifern die Antisemiten, die Junker und Pfaffen und natürlich auch alle Hohenzollern-Byzantiner; für das Denkmal kämpfen die sogenannten „Lichtfreunde", voran die Organe der Börsendemokratie und des Geldjudentums. Doch sind diese gegnerischen Parteien keineswegs geschlossen. Bürgerliche Blätter von der manchmal recht verständigen Haltung der „Grenzboten" bekämpfen wegen Beängstigung ihrer monarchischen Gefühle das Denkmal, während sich unter seinen Gönnern die Kaiserin von Österreich befindet oder doch befunden hat. Die Bewunderer des Grafen Herbert Bismarck rühmen es als seine zwar einzige, aber dafür auch unvergleichliche und seine beispiellosen Blamagen in der Samoa- und Wohlgemuth-Angelegenheit weit überstrahlende Heldentat1, dass er die Kaiserin Elisabeth bewogen hat, ihr dem Heine-Denkmal anfangs zugesagtes Protektorat vor der Öffentlichkeit zurückzuziehen.

Alle Peripetien des nunmehr schon langjährigen Krieges hier aufzuzählen liegt uns fern, doch ist der Streit neuerdings in einen Grad der Erhitzung getreten, der ihn als einen symptomatischen Fieberanfall der bürgerlichen Gesellschaft der ärztlichen Untersuchung wert erscheinen lässt – nicht zum Zwecke der Heilung, aber zum Zwecke des Studiums. Irgendein findiger Reporter war auf den famosen Gedanken verfallen, die Ansicht bürgerlicher „Notabilitäten" über ein Heine-Denkmal einzuholen. Unter den also Angegangenen befand sich auch Herr Petri Kettenfeier Rosegger2, der sich als geschäftsgewandter Mann um die heikle Frage durch die Antwort herumzudrücken suchte, er kenne weder Heine noch Mainz genügend, um sich ein Urteil erlauben zu dürfen. Da war der Kluge klug genug, nicht klug zu sein. Dass Rosegger sowenig ein Verständnis für Heine hat, wie Reuter es hatte, erklärt sich aus dem Gegensatze der bäuerlich-stabilen und der bürgerlich-revolutionierenden Demokratie. Aber Reuter war ehrlich genug, seinem Herzensdrange durch einen sehr schwachköpfigen Ausfall gegen Heine Luft zu machen, während Rosegger sich zwischen zwei Stühle zu setzen versuchte, was bekanntlich noch niemandem geglückt ist. Und so wurde er denn das Opfer einer wahrhaft tragikomischen Nemesis. Der hiesige „Börsenkourier", ein ebenso glühender Vorkämpfer des Geldjudentums wie des Heine-Denkmals, „enthüllte" Rosegger, und die erstaunte Welt sah in diesem schlichten und treuherzigen Bauern, dessen keusche Gesinnungen durch die Kenntnis von Heines Schriften noch nicht befleckt sind, einen mit allen Wassern kapitalistischen Geschäftsbetriebs gewaschenen Geschäftsmann, der durch glückliche Heiraten und durch die für den armen Heine so ganz unerreichbare Kunst, bürgerliche Verleger übers Ohr zu hauen und unermüdlich Reklame für sich zu machen, ein großes Vermögen akkumuliert und dennoch in dem traditionellen Hungerkostüm deutscher Poeten mit Erfolg an die Tore der Schillerstiftung gepocht hat.

Je mehr es den „Börsenkourier" und ähnliche Geister schmerzen musste, über einen alten Liebling ein so strenges Gericht zu halten, um so eher wurden sie für ihre Selbstüberwindung dadurch belohnt, dass der ärgste aller Hohenzollern-Byzantiner in ihrem Lager erschien und eine ritterliche Lanze für das Heine-Denkmal brach. Wir meinen Herrn v. Wildenbruch, der nicht nur dem Geiste, sondern auch dem Leibe nach der Hohenzollern-Dichter in edelster Gestalt ist. Die Wildenbruchs sind eine Seitenlinie der Hohenzollern, aus der glücklichen Zeit her, als der Absolutismus billige Rücksicht auf den Geldbeutel seiner geliebten Untertanen nahm und, um die Zivilliste nicht allzu sehr anzuschwellen, nur den Söhnen und Brüdern der Könige die „standesgemäße" Verheiratung gestattete, allen anderen Prinzen aber überließ, sich morganatisch mit gemeinen Töchtern der Erde zu verehelichen. Herr v. Wildenbruch ist ein Nachkomme des Prinzen August, über den Napoleon in einem eben von der „Nouvelle Revue" veröffentlichten Briefe 1807 an den Marschall Victor, den damaligen Gouverneur von Berlin, schrieb: „Mein Cousin, ich erhalte eben den Brief, worin Sie mich wissen lassen, dass Prinz August von Preußen sich schlecht aufführt. Das wundert mich nicht, denn er hat wenig Geist. Es gibt nichts Seichteres als diese preußischen Prinzen!" Diese Charakteristik des Ahnen passt auch auf den Enkel, und wie Napoleon dachte in diesem Punkte sein Bewunderer Heine. Wenn wir in weihevollen Mußestunden Herrn v. Wildenbruchs kollerige Nationalhymnen, sein „Heiliges Lachen" oder seinen pindarischen Lobgesang auf das Leibross des alten Kaisers Wilhelm lesen, dann kichern uns nichtswürdigerweise in unserem rebellischen Gedächtnis Heines Verse:


Das Brutale in der Rede,

Das Gelächter ein Gewieher,

Stallgedanken –


Menschlich rührend ist es gewiss, dass Herr v. Wildenbruch dem Heinrich Heine alles gebrannte Leid verzeiht, das der arge Spötter ihm schon vor seiner Geburt angetan hat. Es ist so menschlich rührend, wie es menschlich rührend war, als der König Friedrich an Voltaire, der ihn unnatürlicher Laster und sonstiger Schandtaten geziehen hatte, im Jahre 1759 aus Landeshut schrieb: „Ich für mein Teil vergebe Ihnen wegen Ihres Genies alles, was Sie gegen mich sagten oder drucken ließen. Es war stark, hart und viel, indessen habe ich nicht den geringsten Groll mehr." Friedrich ließ auch die Berliner Bibliothek erbauen, um Voltaires Schriften würdig zu beherbergen, und die Porzellanmanufaktur musste Voltaires Büste herstellen, unter die der König mit eigener Hand schrieb: Viro immortali, dem unsterblichen Manne. Trotzdem – wir gestehen es offen – waren wir höchlichst verwundert, als wir Herrn v. Wildenbruchs Pronunziamento außer in sämtlichen liberalen Zeitungen auch vereinzelt in Organen passieren sahen, wo man es nicht hätte vermuten sollen, und zwar wegen seiner „Vernünftigkeit". Unser unglückliches Gedächtnis erinnerte uns daran, dass es zu den alten, lieben Gewohnheiten des Herrn v. Wildenbruch gehört, einerseits zwar die lebenden Gäule des kaiserlichen Marstalls inbrünstig anzusingen, andererseits aber auch mit allen toten Helden der Menschheit zu krebsen, vorausgesetzt, dass sie recht tot sind und mit ihren Knochen ein wenig Reklame gerasselt werden kann. Genauso, wie jetzt mit dem Heine-Denkmal, trieb es Herr v. Wildenbruch 1887 mit dem Hutten-Denkmal. Damals antwortete seinem Singsang der Züricher „Sozialdemokrat": „Wir Sozialdemokraten sind nicht in der Lage, Hutten ein Denkmal von Erz und Stein setzen zu können. Wir setzen ihm ein besseres Denkmal, indem wir sein Werk vollenden. Und weil wir Nachfolger Huttens sind, weil wir in seinem Geiste handeln, werden wir verfolgt, gerade wie weiland Hutten verfolgt und gehetzt wurde, werden wir gehetzt von denselben Personen und Parteien, die jetzt Hutten ein Denkmal setzen wollen… Wir aber sagen: Ihr seid elende Heuchler! Und solange ihr in Deutschland euer unreines Wesen treibt, ist es eine Versündigung an Hutten, ihm in seiner Heimat ein Denkmal setzen zu wollen. Wenn die Sozialdemokratie das ,Nationalzuchthaus' zerstört und der Wirtschaft von heute, deren gleisnerische Lobredner die Wildenbruch und Konsorten sind, das verdiente Ende bereitet hat, dann ist es Zeit, Ulrich von Hutten ein Denkmal zu setzen. Vorher nicht." Und mit diesen Worten, die auf Heine noch weit mehr zutreffen als auf Hutten, ist die Stellung der Arbeiterklasse zu dem Streit über das Heine-Denkmal mit erschöpfender Klarheit dargelegt.

Haben die Junker und Pfaffen und spießbürgerlichen Philister jemals recht gehabt, so haben sie es mit der Behauptung: Alles, was uns heilig ist, alles, worauf des neuen deutschen Reiches Herrlichkeit beruht, hat Heine verhöhnt und verspottet. Das ist wahr, das ist dreitausendmal wahr, und wer davon auch nur ein Titelchen abdingen will, um irgendwo einen verwitternden Stein mit hoher obrigkeitlicher Erlaubnis als Heine-Denkmal aufstellen zu dürfen, der versündigt sich an Heine mehr, als sich je ein Junker oder Pfaff oder spießbürgerlicher Philister an ihm versündigt hat. Es ist sogar noch viel wahrer, als die grimmigsten Gegner des Heine-Denkmals anzunehmen scheinen. Beispielsweise bringen die „Grenzboten" in einem ihrer letzten Hefte eine Blütenlese sehr despektierlicher Äußerungen, die Heine über die Hohenzollern und Blücher und Stein und sonstige Nationalhelden getan hat. Wäre es aber nur das, so wäre es noch nicht viel. Dann läge die Sache so, wie sie zwischen König Friedrich und Voltaire lag. Solche persönliche Kränkungen lassen sich um des Genies willen vergeben und vergessen. Aber Heine hat weit mehr und – im Sinne des neudeutschen Patriotismus – weit Schlimmeres getan. Sowenig er die Hohenzollern liebte, so hat er unter Umständen doch ihre Personen gelobt, um desto nachdrücklicher ihr System, die Verpreußung Deutschlands, mit seiner schärfsten Geißel zu treffen. Man lese unter anderem die Vorrede zu den „Französischen Zuständen", wo er sogar „Se. Majestät Friedrich Wilhelm, dritter des Namens, König von Preußen" karessiert, ihn gut und tapfer, standhaft im Unglück und milde im Glück nennt, um dann „dieses Preußen, diesen langen, frömmelnden Gamaschenhelden mit dem weiten Magen und mit dem großen Maule und mit dem Korporalstock, den er erst in Weihwasser taucht, ehe er zuschlägt, dieses steife, heuchlerische, scheinheilige Preußen, diesen Tartüffe unter den Staaten" mit seinem beißendsten Spotte zu überschütten. Ja, die Junker und Pfaffen und spießbürgerlichen Philister haben dreitausendmal recht, wenn sie sagen: der Boden unseres heiligen Reiches würde durch ein Denkmal Heines entweiht werden.

Will man ihnen entgegentreten, so kann man es nur mit dem durchschlagenden Worte tun, das Ritter Paulet an Maria Stuart richtete: „Was ihn Euch widrig macht, macht mir ihn wert." Wer dazu nicht die Courage hat, der lasse die Hände von Heine. Er hat mit Heine sowenig zu schaffen wie Heine mit ihm. Es ist einfach scheußlich, mit anzusehen, wie sogenannte Bewunderer Heines als „Schwächen" an ihm zu entschuldigen suchen, was seines unsterblichen Wesens unsterblichster Teil war. Bei der heute herrschenden beschränkten und oberflächlichen Auffassung der bürgerlichen Literaturgeschichte, die längst alle feineren und tieferen Maßstäbe für die Wertung historischen Geisteslebens verloren hat, müssen wir auf den Einwand gefasst sein, dass wir Heine zum Politiker verkrüppeln, dass wir ihn auf ein Parteiprogramm verpflichten wollten. Fällt uns aber gar nicht ein. Heine war kein Politiker, sondern ein Poet, und zwar ein großer Poet; er hat kein Parteiprogramm verfochten, sondern mit dem Blicke des Sehers seiner Zeit in Herz und Nieren geschaut. Schöner, als wir es könnten, hat Robert Schweichel vor Jahren in der „Neuen Zeit" Heine gewürdigt und seine Würdigung in die Worte zusammengefasst: „So steht Heine mit der Leier und dem Bogen auf der Grenze einer zum Leben ringenden Welt, ein revolutionärer Dichter." Wer aber den Revolutionär Heine verleugnet, der hat kein Recht, mit dem Dichter Heine zu prahlen; wer seinen Bogen zerbricht, darf seine Leier nicht schmücken; wer die zum Leben ringende Welt verdammt, sollte ihren genialen Propheten nicht auf den Schild erheben.

Bei einem Blick auf die „gebildete" und „freisinnige" Fallstaffgarde, die für das Heine-Denkmal so todesmutig kämpft, fallen uns immer Lassalles Worte ein: „Der Bürger schwärmt für unsere Dichter, weil er einige Verse von ihnen zitieren kann, aber sich niemals in ihre Weltanschauung hineingedacht hat." In der Tat – der Gesangverein „Halbe Lunge" singt die „Lorelei" wunderschön, und die höhere Tochter paukt auf dem Klavierzimbel nicht minder wunderschön die „Blume, so hold und schön und rein" oder das „Königskind mit den nassen, blassen Wangen", und wenn's hoch kommt, würzt man das lederne Geschwätz im Kasino mit ein paar guten Witzen aus den „Reisebildern". Das ist nicht einmal der halbe, geschweige denn der ganze Heine, das ist ein genialerer Arnim oder Brentano, wie denn die Lorelei-Sage von Brentano erfunden worden ist und von Heine nur ihre klassische Form erhalten hat, das ist ein tönendes Echo aus „Des Knaben Wunderhorn", dem unergründlich tiefen Brunnen des Volksliedes, von dem der freisinnige Philister nun schon gar nichts weiß. Auch „Die beiden Grenadiere" stehen auf dem Repertoire der Gesangsvereine, und man verzeiht dem Dichter großmütig die „Schwäche" seines Napoleon-Kultus. Und doch enthielt dieser Kultus eine Weltanschauung: das leidenschaftliche Bekenntnis zu der bürgerlichen Kultur, welche die französischen Bajonette den Rheinlanden gebracht hatten und die ihnen nunmehr wieder entrissen werden sollte durch die feudale Unkultur der ostelbischen Schnapsbrenner.

Wir wüssten wohl ein Denkmal, das Heines würdig wäre, ein Denkmal, das, wenn es sich über seinem Grabe erhöbe, den toten Dichter vor heller Lust erwecken könnte. Ein solches Denkmal wäre eine historisch-kritische Ausgabe seiner Werke, die nach Ausscheidung alles Abgestorbenen und Totgeborenen der Arbeiterklasse das ganze Verständnis des Genius, des Kämpfers, des Märtyrers erschlösse. Man brauchte den Gesangvereinen und den höheren Töchtern ihr erbgesessenes Besitztum gar nicht so sehr zu schmälern; es blieben der reichen Schätze genug. All die mächtige Beredsamkeit gegen freche Unterdrückung, all der feurige Spott über träge duldende Feigheit, all die seherischen Blicke, die gleich glänzenden Sternen das Dunkel der Zukunft erhellten, all das Tiefe und Wundervolle, was Heine über die deutsche Philosophie und den französischen Sozialismus gesagt hat. Es bliebe „Atta Troll", es bliebe das „Wintermärchen", es blieben die herrlichen Zeitgedichte aus den dreißiger, vierziger, fünfziger Jahren, die dem guten Ruge, der in den „Hallischen Jahrbüchern" anfangs sehr von oben herab über Heine geurteilt und dafür den Dank des preußischen Kultusministers geerntet hatte, denn doch den begeisterten Schrei entrissen, Heine sei der freieste Deutsche, ein moderner Aristophanes, ein Jüngling ohne Fehl und Tadel, der Tyrtäus der deutschen Wolkenschlacht. Aber die Arbeiterklasse steht im heißen Kampfe, und dringendere Pflichten hindern sie, ihr geistiges Erbe schon jetzt in vollem Umfange anzutreten. Sie kann warten, aber Heine kann es glücklicherweise auch. Ein halbes, ein ganzes Jahrhundert mehr, und seine Gestalt wird sich nur um so größer am historischen Horizonte abzeichnen.

Derweil melden die freisinnigen Zeitungen, der städtische Finanzausschuss von Mainz habe mit fünf gegen drei Stimmen beschlossen, einen Platz für das Heine-Denkmal einzuräumen. Sie ziehen daraus „günstige" Schlüsse auf die „Stimmung" der Mainzer Stadtverordnetenversammlung. Die Mainzer Stadtverordneten sind der Areopag, der darüber entscheiden soll, was Heine dem deutschen Volke bedeutet. O dass doch Heine noch lebte, diese Krähwinkelei zu züchtigen, wie nur er deutsche Krähwinkeleien zu züchtigen verstand!

1 Gemeint ist die Beteiligung des ältesten Sohnes von Bismarck an den gescheiterten deutsch-englischen Verhandlungen über die Samoa-Inseln. Die Inselgruppe stand damals unter gemeinsamer deutsch-englisch-amerikanischer „Schutzherrschaft". 1893 wollte sie das kaiserliche Deutschland in Alleinbesitz übernehmen.

2 Gemeint ist der katholisierende österreichische Heimatdichter Peter Rosegger.

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