Franz Mehring 19080207 „Kaiser Karl" von Georg Weerth

Franz Mehring: „Kaiser Karl" von Georg Weerth

7. Februar 1908

[Die Neue Zeit, 26. Jg. 1907/08, Erster Band, S. 684. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 647 f.]

Das Drama Hauptmanns, das an anderer Stelle dieses Heftes besprochen worden ist, rief uns ein längst vergessenes Gedicht Georg Weerths ins Gedächtnis, das wir um so lieber abdrucken, als die zerstreuten Gedichte dieses Poeten längst hätten gesammelt werden sollen. Es lautet:


Kaiser Karl

Herr Kaiser Karl, der fromme Mann,

Ließ viele Menschen zu Tode schlah'n;

Er schlug sie tot um das Christentum;

Das bracht' ihm ungeheuren Ruhm.


Und saß zu Aachen in seiner Pracht,

Im Wams, aus Otternfell gemacht;

Und alle Völker nah und fern,

Die beugten sich dem gewaltigen Herrn.


Und brachten Geschenke aus aller Welt.

Viel Gold und Seiden und Gezelt;

Ihm bracht' der Kalif aus Morgenland

Eine Uhr und einen Elefant.


Doch Kaiser Karl, der fromme Held,

Er sprach: Was nutzt mir Gold und Geld,

Was soll der fremde Elefant? —

Hab' schönere Dinge im eignen Land!


Und zog hinauf den grünen Rhein

Und pflanzte die Rebe zu Ingelheim;

Und pflegte sie mit derselben Hand,

Die hundert Völker überwand.


Ja, pflegte sie mit der blutroten Hand,

Die hundert Völker überwand -

Und dies ist der Grund, dass zu Ingelheim

Noch heute wächst der blutrote Wein.

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