Franz Mehring 19110324 Karl Gutzkow

Franz Mehring: Karl Gutzkow

24. März 1911

[Die Neue Zeit, 29. Jg. 1910/11, Erster Band, S. 889-895. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 351-359]

In unserer jubiläumsfrohen Zeit, wo man kaum ein Zeitungsblatt aufschlagen kann, ohne auf einen Gedenkartikel an irgendeine historische Persönlichkeit zu stoßen, die vor hundert oder fünfzig oder auch nur zehn Jahren geboren oder gestorben ist, hat der hundertste Geburtstag Karl Gutzkows nur einen schwachen Widerhall gefunden: eines Schriftstellers, von dem neuere Literarhistoriker sagen, dass er um die Mitte des vorigen Jahrhunderts einige Jahrzehnte hindurch die deutsche Literatur so beherrscht habe wie seit Gottscheds Zeiten kein zweiter.

Diese Behauptung ist nun freilich stark übertrieben, aber immerhin – an der Stellung, die Gutzkow von 1830 bis 1860 in der deutschen Geschichte eingenommen hat, kann niemand vorübergehen, der diese Geschichte von Grund aus verstehen will. Unter den literarischen Größen der Gegenwart, über deren Tun und Lassen der wissbegierige Leser der bürgerlichen Presse bis auf die protzenhafte Einrichtung ihrer Schlafzimmer auf dem laufenden erhalten wird, ist keiner, der sich darin nur entfernt mit Gutzkow vergleichen ließe. Jedoch eben die Tatsache, dass er ein Stück deutscher Geschichte in sich verkörpert, ist auch der Grund, weshalb die sonst so schnellfertigen Federn der patriotischen Zeitungen sich zu seinem hundertsten Geburtstag kaum gerührt haben, es sei denn mit diesem oder jenem kleinlichen Anekdotenkram. Denn mit einigen Schlagworten ist der Mann freilich nicht abgetan. Man hat wohl eine geheime Empfindung, dass jenes Bild, das namentlich die Scherersche Schule von Gutzkow entworfen hat, als von einem unfähigen Cliquendespoten, der in gehässigem Neide alle schöpferischen Größen der Literatur zu unterdrücken gesucht habe, ein Zerrbild ist, allein diesem Zerrbild das wirkliche Bild Gutzkows entgegenzustellen, das ist eine Sache, die allzu viel Anstrengung kosten und allzu wenig Dank ernten würde.

Wenn wir nun versuchen, das Versäumte nachzuholen, so sicherlich nicht deshalb, weil Gutzkow unser Mann wäre. Er hat noch am Abend seines Lebens in wegwerfendem Tone von „den in Wirtshäusern dozierenden reisenden Lassalleanern" gesprochen und noch kurz vor seinem Tode, im Jahre 1878, die Hoffnung ausgesprochen, dass die gesellschaftlichen Reorganisationspläne, wie sie Marx und Lassalle entworfen hätten, „Utopien" bleiben würden. Er wollte wohl, dass der Geist des Kommunismus die Regierungen leiten solle, aber zur Sache der Massen dürfe der Kommunismus nun und nimmer gemacht werden. So gilt uns nur eine Pflicht der historischen Gerechtigkeit zu erfüllen, indem wir mit einigen raschen Strichen nachweisen, dass Gutzkow nicht an einer hochmütigen, scheelsüchtigen und unfähigen Diktatur umgekommen ist, sondern weil er eine innerlichst bescheidene und ehrliche, sich nicht überhebende, sondern eher sich selbst misstrauende, allem Cliquenwesen abholde Natur war, ein Mann, der nicht als entthronter Diktator einsam gestorben ist, sondern im Grunde auch einsam gelebt hat, schon weil er mit seinem reichen Wissen und seiner vielseitigen Empfänglichkeit den bürgerlichen Literaturliteraten immer um einige Meilen voraus war.

Karl Gutzkow wurde in Berlin am 17. März 1811 geboren. Seine Familie war arm, aber königstreu bis auf die Knochen und pietistisch dazu; der Vater bekleidete eine subalterne Stelle im Marstall eines hohenzollernschen Prinzen, der seine „Gnade" denn auch über dem Knaben leuchten ließ. Gutzkow entstammte dem Proletariat, jedoch derjenigen Schicht des Proletariats, die der Entwicklung des proletarischen Klassenbewusstseins am ungünstigsten ist, auch dann und gerade dann, wenn es dem einzelnen gelingt, sich aus ihr emporzuarbeiten. Es wird gewöhnlich so kommen, wie die Eltern Gutzkows erwarteten, dass es kommen würde, als sie ihm den Besuch des Gymnasiums und der Universität ermöglichten: der Sohn eines prinzlichen Bereiters wird ein wackerer Königs- und Gottesstreiter werden.

Bei Karl Gutzkow kam es anders. Auf dem Gymnasium eröffnete die antike Literatur seinem regen Wissensdurst eine neue Welt, und auch manche zeitgenössische Stimmen, die ein neues Leben ankündigten, drangen in die stillen Räume. Und so geschah es, dass der neunzehnjährige Jüngling, als er an dem Tage, wo die Kunde von der Pariser Julirevolution nach Berlin kam, einen akademischen Preis erhalten sollte, die feierliche Festversammlung der Universität, die Lobrede Hegels und die Goldene Medaille im Stich ließ, um in ein Lesezimmer zu stürmen, wo er französische Zeitungen vorfand.

Wäre ihm diese rasche Entschlossenheit nur immer eigen gewesen! Aber sein Bruch mit der Theologie und der Kampf mit seiner Familie, der davon unzertrennlich war, kostete seinem weichen Gemüt schwere Kämpfe – die Emanzipation des Menschen von seinen Eltern rechnete er zu den grausamsten aller Emanzipationen –, und von der Theologie kam er doch nicht völlig los; von den beiden Sternen der Berliner Universität leuchtete ihm Schleiermacher auf den Weg seines Lebens, nicht aber Hegel. Bei aller Schärfe seiner Kritik blieb ihm der theologische Dusel, dies hartnäckigste aller Geistesgifte, im Blute stecken. Nicht minder verhängnisvoll erwies sich für ihn, dass er, nunmehr ganz auf sich selbst gestellt, allein auf den Ertrag seiner Feder angewiesen war, was damals noch ganz etwas anderes bedeutete als heute, dass er ununterbrochen produzieren und das halbe Scherzwort Voltaires, wonach niemand mit siebzig Bänden auf die Nachwelt komme, für sich zum bitteren Ernste machen musste. „Glücklich, wer mit den ersten Kundgebungen seiner Feder hauszuhalten versteht. Und noch glücklicher der, der sofort in eine Bahn gerät, die jede Unreife der Erfahrung, jede Jugendlichkeit des Geschmacks und des Urteils so lange verbirgt, bis die Jahre dem Geiste die größere Reife gegeben haben", hat er später selbst geschrieben.

Da er sein Preußen kannte, so verließ er Berlin mit zwanzig Jahren und begann sein ruheloses Literatenleben, dessen einzelne Stationen aufzuzählen so langwierig sein würde wie seine einzelnen Schriften. Zunächst ging er nach Stuttgart zu Wolfgang Menzel, der damals an seinem Teil in der Tat als Kritiker des Cottaschen Verlags eine Art Diktatur ausübte, übrigens aber neben Börne und Heine als Prophet einer neuen Zeit galt. Gutzkow wurde sein kritischer Adjutant. Er zerstörte alle Märchen über den „humanitären Despotismus" Preußens, freilich ohne übermäßigen Geschmack am süddeutschen Liberalismus zu finden. In seiner ersten Schrift, den „Briefen eines Narren an eine Närrin", bekennt er sich als Jünger Menzels, Börnes, Heines – den er nur wegen monarchischer Gesinnung verklagt – und Saint-Simons, während er in der Form nach seinem eigenen Ausdruck „jeanpaulisiert". Das ist ein reichliches Durcheinander, und die Schrift ist unklar genug, obgleich sie den Beifall Börnes und Heines erhielt. Der Mut aber, womit sich Gutzkow zur Republik bekennt, nicht zur platonischen, sondern zur demokratischen, vom Geiste der Robespierre und Saint-Just beseelten Republik, war aller Ehren wert, und so auch sagte er keck, wenn ein deutscher Professor den Saint-Simonismus als jakobinisch und staatsgefährlich denunzierte, so sei das ein zutreffenderes Urteil als irgendeine Phrase von Lamennais, Cousin oder Hegel.

Das Hambacher Fest und der Frankfurter Wachensturm1 führte zu neuen Gewaltstreichen des Bundestags, die auch in den süddeutschen Staaten jede Möglichkeit einer politischen Diskussion ausschlossen. Die Opposition musste sich aufs religiöse Gebiet zurückziehen, und es ist ebenso begreiflich, dass Gutzkow durch das „Leben Jesu" von Strauß lebhaft interessiert wurde, wie es für ihn charakteristisch ist, dass er von dieser hegelianischen Kritik auf die rationalistische Kritik des alten Reimarus zurückging.2 Hatte Lessing nur Fragmente aus ihr veröffentlicht, so wollte Gutzkow sie vollständig herausgeben, allein die Buchhandlung Campe in Hamburg lehnte den Vorschlag ab. So berühmt sie war als Herberge aller Zensurflüchtlinge, so keck sie Börnes und Heines Ketzereien veröffentlichte, so dreist sie selbst mit dem Zaren und Metternich anband – mit den Nachfolgern des Hauptpastors Goeze mochte sie den Tanz nicht wagen. Kurz entschlossen verwirklichte Gutzkow seine Absicht nun in dem Roman „Wally die Zweiflerin".

Die Schrift gehört literarisch zu seinen schwächsten Leistungen: Ihre Heldin ist eine verworrene Person, die sich schließlich selbst tötet, weil sie über allen möglichen Zweifeln nicht zum religiösen Glauben gelangen kann, eine Selbstmörderin also aus Religiosität. Eine einzige Szene des Romans mochte im polizeilichen Sinne als unsittlich gelten, aber auch sie war nicht Original, sondern Kopie aus einem bekannten höfischen Epos des Mittelalters. Menzel jedoch, der bisherige Bundesgenosse und Freund Gutzkows, schlug in seinem Literaturblatt Feuerlärm über die Unchristlichkeit und Unsittlichkeit des Romans; er denunzierte ihn sogar den Regierungen, und im Dezember 1835 erließ der Bundestag jenes berüchtigte Dekret, das die Schriften des Jungen Deutschlands, Heines, Gutzkows und einiger anderer Schriftsteller, sowohl die geschriebenen wie die noch zu schreibenden, verbot.

Der schmutzige Streich hatte den denkbar schmutzigsten Ursprung. Gemeinsam mit dem Kieler Privatdozenten Wienbarg, der seine „Ästhetischen Streifzüge" in einem unbestimmten Freiheitsdrange dem Jungen Deutschland gewidmet hatte, wollte Gutzkow eine „Deutsche Revue" gründen, nach dem Muster der „Revue des deux mondes"3. Diese Konkurrenz fürchtete Menzel, und sie auszuschalten war der Zweck seines Bubenstreichs, den Treitschke in seiner „Deutschen Geschichte" vergebens zu einer patriotischen Tat umzufärben bemüht ist. Menzel wusste, dass zwar eine Anzahl der zahmsten Professoren – die er ebendeshalb den Regierungen angab, so dass sie erschreckt zurückhuften –, nicht aber Börne und Heine ihre Mitarbeit an der „Deutschen Revue" zugesagt hatten; trotzdem jammerte er unaufhörlich über die „Sekte" des Jungen Deutschlands, wobei er auf die Borniertheit der deutschen Regierungen rechnete, die sein Phantasiegebilde mit dem Jungen Deutschland der revolutionären Flüchtlinge in der Schweiz verwechseln sollten, was sie denn auch wirklich taten, Gutzkow, der obendrein noch wegen der „Wally" zwölf Wochen Gefängnis in Mannheim abzusitzen hatte, wurde durch den Gewaltstreich tief erschüttert. Es hat ihn sein Lebtag gewurmt, dass er, der stets seine Selbständigkeit gegenüber den Menzel, Börne und Heine gewahrt hatte, nun zum Mitglied einer „Sekte" oder gar einer „Clique" gestempelt wurde. Gewiss hatte er mit Laube, Mündt, Wienbarg, mit denen ihn der Beschluss des Bundestags zusammenspannte, manche moderne Tendenzen gemein, und insofern ist der Name des Jungen Deutschlands, der ihnen geblieben ist, historisch gerechtfertigt, aber im einzelnen unterschieden sie sich sehr voneinander, und Gutzkow, der die anderen an Charakter und Talent weit überragte, hat immer wieder die Entfremdung und die Misshelligkeit betont, die unter diesen angeblich Verschworenen von Anfang an herrschte.

Vor allem aber war sein „leidlicher Entwicklungsgang" auf Jahre unterbrochen, ein „Todschrecken" war ihm in die Finger gejagt worden, er hatte „den leitenden Faden seines inneren bewussten Selbst im Literaturlabyrinth fast verloren". Gutzkow war nicht feige, und er hat den herrschenden Gewalten keine Zugeständnisse gemacht, aber ein Kämpfer wie Börne oder Heine war er nicht. Sein Schreiben sollte nur „verhaltene Rede zum Volke" sein, allein dem alten Theologen mit dem „deutschen Gemüt" klang die „Glocke des Aufruhrs" nicht; den Formen, die dem Leben gegeben werden sollten, musste der bildende Geist vorausgehen. Und nachdem er noch seine „Zeitgenossen" oder, wie er sie später umgetauft hat, seine „Säkularbilder" unter dem Namen Bulwers herausgegeben hatte, das reifste seiner Jugendwerke, gestand er sich selbst die eigene Erschöpfung; er fand, dass er in diesem Buche seinen ganzen Vorrat an Anschauungen, besonderen Meinungen, Charakterzeichnungen und Studien niedergelegt habe.

Und mehr noch: er gestand sich, dass die Fortsetzung des großen neuzeitlichen Kampfes auch in Deutschland andere Waffen erfordere, als er zu führen verstände. Die Opposition der Junghegelianer, die sich mit dem Ende der dreißiger Jahre zu entfalten begann, erfüllte ihn mit „staunender Bewunderung", jedoch seine Sache war sie nicht. Dieser neu entstehenden Macht der „strebenden Privatdozenten" fühlte er sich nicht gewachsen, und ihre anfängliche Schwärmerei für den preußischen Musterstaat flößte ihm auch einiges Misstrauen ein; noch im Jahre 1846 hat er in einem Briefe aus Paris selbst von Marx als einem „preußischen Doktrinär" gesprochen.

Wie er aber von Strauß auf Reimarus zurückgegangen war, so meinte er jetzt, das Umspringen mit logischen Kategorien verstände er nicht, er könne nur mit konkreten Unterlagen philosophieren wie Lessing. Und es ist nur eine andere Form desselben Gedankens, wenn er ein andermal sagt, seiner damaligen „entsagenden Stimmung" habe ihn die Bühne entrissen, die ihm in Hamburg in ihrer ganzen unmittelbaren Wirkung auf das Gemüt des Volkes entgegengetreten sei. Er griff abermals auf die Waffen der bürgerlichen Aufklärung zurück, die zur Zeit, wo die modernen Klassenkämpfe auf deutschem Boden erst so engen Spielraum hatten, längst noch nicht verrostet waren, aber freilich auch nicht mehr so hellen Klang haben konnten wie in den Tagen der Lessing und Voltaire.

Es ist ein Zeugnis mehr für seine reiche und vielseitige Begabung, dass er sich in den vierziger Jahren zum Herrscher auf dem deutschen Theater machte. Er hatte dabei nur einen Nebenbuhler, der ihm damals freilich noch nicht gefährlich wurde, aber doch in einen Gegensatz zu ihm trat, der das Leben Gutzkows mehr und mehr überschattet und noch in seinen letzten Tagen vergällt hat. Es war Friedrich Hebbel, ein geborener Dramatiker, wie es Gutzkow nicht war. Solange Hebbel lebte, ist der tiefinnere Gegensatz zwischen beiden Männern zwar in scharfen, aber doch würdigen Formen zum Ausdruck gekommen. Hebbel verkannte die geistige. Bedeutung Gutzkows keineswegs; er verwarf nicht einmal die dramatische Tätigkeit Gutzkows in Bausch und Bogen; das „Urbild des Tartüffe" hat er in hohen Tönen gelobt und selbst am „Uriel Acosta", der ihm besonders zuwider sein musste, hat er anerkannt, dass er ebenso weit über die nüchternen Aftergeburten unserer ordinären Jambenschmiede hinausrage, als er hinter einer lebendigen Schöpfung zurückstehe. Ja, wenn er in sein Tagebuch schrieb: Ich hasse niemand mehr als Gutzkow, so war das doch auch nur der negative Ausdruck eines aufrichtigen Respekts.

Gutzkow wieder hat Hebbel in dessen Anfängen mannigfach gefördert und hat ihm auch später wohl die Hand gereicht mit dem versöhnlichen Bibelworte: In unseres Vaters Hause sind viele Wohnungen. Aber was er an Hebbel nicht ertragen konnte, war das Selbstgefühl des Künstlers, der nur einen kleinen Kreis anbetender Chorknaben um sich duldete und so gar nichts übrig hatte für „irgendeines der großen Güter, nach denen damals die deutsche Nation zu streben hatte, war seine vollständige Gleichgültigkeit für das Leben seiner Zeit, für die Welt, für die ich selbst lebte und glühte". Es tat sich ein Gegensatz auf, von dem der persönliche Zwist nur das äußere Symptom war, ein Gegensatz, der durch den bloßen guten Willen der Streitenden nimmermehr geschlichtet werden konnte, ja der auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt nicht geschlichtet werden kann.

Gutzkow brauchte sich wahrhaftig nicht zu schämen, auf den Wegen betroffen zu werden, die die Lessing und die Voltaire gewandelt waren, obgleich sie so wenig Dichter waren wie er. Wurde er ein „Grenzindividuum zwischen Denker und Dichter" gescholten, so konnte er ruhig sagen: Solche Individuen haben in der Geschichte oft eine höchst respektable Rolle gespielt, manchmal selbst eine viel respektablere als die großen Künstler, die im reinen Schaffen ihrer Kunst jede politische oder soziale Tendenz verschmähten und gerade dadurch – wie es insbesondere auch Hebbels Schicksal gewesen ist – der politischen oder sozialen Tendenz in ihrer albernsten, nichtigsten, ödesten Form verfielen. Aber Gutzkow war nicht der Mann der scharfen Konflikte; er litt schwer unter der hochmütigen Ablehnung Hebbels. Als nach Hebbels Tode dessen Chorknaben, ein Emil Kuh, ein Adolf Stern – Literaten, die so tief unter Gutzkow standen, dass er sie gar nicht hätte beachten brauchen – die Papierkörbe des toten Dichters ausräumten, um die vergilbten Blätter, mit eigener Galle aufgefrischt, gegen Gutzkow zu schleudern, da ließ dieser sich verleiten – freilich schwer gereizt und erst, als ihn die Schatten des Todes schon umfingen –, in der kleinen Schrift „Über den ästhetischen Schwulst" den unmöglichen Nachweis zu unternehmen, dass er als Dichter dem alten Gegner Hebbel ebenbürtig oder gar überlegen sei.

Merkwürdig, wie dieser Geist, der die feinsten Schattierungen des zeitgenössischen Lebens zu erkennen und zu schildern wusste, doch so ganz des einfachsten historischen Instinkts entbehrte. Als die „Glocke des Aufruhrs" endlich ertönte und ihm den einzigen Ausweg wies aus dem Wirrsal des deutschen Lebens, da – so sagt er ehrlich wie immer -: „Ich ging darüber wie in der Irre!" Dabei hatte er die Märztage in Berlin, die Maitage in Dresden, den badisch-pfälzischen Aufstand in Frankfurt miterlebt! Und wie er sich zehn Jahre früher vor den revolutionären Tendenzen des Junghegelianismus ins Drama gerettet hatte, so jetzt vor der wirklichen Revolution in den Roman.

Mit den „Rittern vom Geiste", die im Anfange, und dem „Zauberer von Rom", der am Ende der fünfziger Jahre erschien, wurde Gutzkow der Schöpfer des deutschen Zeitromans. Man hat ihm auch diesen Lorbeer zerpflücken wollen und ihm nachgeredet, er habe, gereizt durch die Erfolge, die Eugène Sues „Geheimnisse von Paris" erzielt hätten, sich nun auch als fingerfertiger und honorarfroher Nachahmer auf demselben Gebiete versuchen wollen. Jedoch ist dies hämische Gerede deutscher Literarhistoriker ebenso fein wie treffend von dem französischen Biographen Gutzkows abgefertigt worden mit den Worten: Wenn Sues „Geheimnisse" zu den Paten der „Ritter vom Geiste" gehören, so hatten sie doch noch andere Paten, nämlich Balzacs „Pete Goriot", Goethes „Wilhelm Meister" und Jean Pauls „Unsichtbare Loge".

Mögen auch Gutzkows große Zeitromane in ihrer ganzen Anlage verraten, dass er kein geborener Dichter war, so haben sie doch in der Fähigkeit und Kraft, das zeitgenössische Leben in der Fülle seiner Gestalten widerzuspiegeln, manchen geborenen Dichter übertroffen. Um nur ein Beispiel anzuziehen, so vergleiche man die fein gezeichnete Figur des sozialistischen Tischlergesellen in den „Rittern" mit den plumpen, zinnoberrot angestrichenen Fratzen von sozialistischen Revolutionären, die Otto Ludwig und Hebbel in ihren „reinen Kunstwerken" aufs Papier brachten. Übrigens ist es nur gerecht, zu sagen, dass auch Hebbel den „vortrefflichen Daguerreotypen" in Gutzkows Zeitromanen seine Anerkennung gespendet hat. Wer aber gegen sie mobil machte, das war die literarische Clique, die glücklich dahintergekommen war, dass die deutsche Bourgeoisie auf alle ideologischen Faxen verzichten und ihren mächtig anschwellenden Bauch unter die Krallen des borussischen Aars flüchten müsse.

Beruhte der Konflikt zwischen Gutzkow und Hebbel auf einem tiefen und man möchte sagen tragischen Gegensatz, so war davon keine Rede bei dem boshaften Krieg, den Julian Schmidt in den ,,Grenzboten"4 gegen Gutzkow eröffnete und jahrelang mit giftiger Hartnäckigkeit fortsetzte. Alles was sich gegen Gutzkow vom Standpunkt des Kunsturteils einwenden ließ, traf mit verstärkter Kraft auf Gustav Freytag zu, den Julian Schmidt als Musterdichter auf den Schild erhob. Auch Freytag war kein geborener Dichter, auch er gebrauchte oder missbrauchte dichterische Mittel für politische oder soziale Zwecke, nur dass er in allem und jedem, was die Mittel wie die Zwecke betraf, weit hinter Gutzkow zurückblieb. Es war allein das reiche Maß moderner und namentlich deutscher Bildung, das Gutzkow in seinen großen Romanen zusammenzufassen verstanden hatte, was eine Clique erboste, die kein höheres Ziel kannte, als die deutsche Bourgeoisie zu verphilistern und zu verpreußen. Aber Gutzkow stolperte wieder über Spinnweben. Er hat oft geklagt, wie die perfiden Angriffe eines Knirpses, wie Julian Schmidt war, seine Schaffenskraft gelähmt hätten, desselben Knirpses, den Lassalle in einigen Stunden übermütiger Laune für immer aus der Literatur jagte. Da ist man fast versucht, zu fragen: Was hätte aus Gutzkow werden können, wenn er bei seinem ersten Auftreten in der Literatur eine selbstbewusste Klasse hinter sich gehabt hätte? Und vielleicht liegt in dieser Frage auch die Lösung seines Lebensrätsels. Denn durch sein ganzes öffentliches Wirken zieht sich, bei aller Ehrlichkeit der Gesinnung und allem Mut der Konsequenz, ein innerliches Schwanken, das sich ebenso bei all den Gestalten seiner Dramen und Romane zeigt, die er mit einem Tropfen des eigenen Blutes beseelt hat: die mütterliche Erde fehlt, die dem ermattenden Kämpfer immer wieder neue Kraft spendet.

In der Mitte der sechziger Jahre ergriff den nervösen und überarbeiteten Mann eine schwere Krankheit. Er überwand sie zwar, und die bittere Not zwang ihn, bis an sein Lebensende zu produzieren, aber nach seinen großen Romanen hat er nichts mehr von literarischer Bedeutung veröffentlicht. Die „Rückblicke" auf sein Leben, die er 1875 herausgab, zeigen ihn als einen todmüden und todwunden Mann, der selbst schon alle Schmerzen der Enttäuschung überlebt hat, so dass sich ihm selbst nicht mehr ein Wort der Klage auf die Lippen drängt. Einen letzten Verzweiflungsschrei entrissen ihm noch die schnöden Angriffe der Hebbelschen Trabanten. Gleich darauf ist er gestorben.

1 Hambacher Fest – Versammlung süddeutscher Demokraten für deutsche Einheit und demokratische Republik am 27. Mai 1832, die der Deutsche Bundestag mit der völligen Aufhebung der Presse- und Versammlungsfreiheit beantwortete.
Frankfurter Wachensturm – spontane Besetzung der Frankfurter Hauptwache durch Heidelberger Studenten im Jahre 1833, führte zur verstärkten „Demagogenverfolgung".

3 „Revue des deux Mondes" – 1829 in Paris gegründete Halbmonatsschrift für Geschichte, Politik, Literatur und Kunst.

4 „Grenzboten" – von 1841 bis 1923 erschienene Zeitschrift, die 1848-1860 in Leipzig unter Leitung von Julian Schmidt und Gustav Freytag stand, ein eifriger „Kuppler für den Bund der deutschen Bourgeoisie mit dem preußischen Staat" (Mehring).

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