Franz Mehring 19140000 Sozialistische Lyrik

Franz Mehring: Sozialistische Lyrik

G. HERWEGH – F. FREILIGRATH – H. HEINE

1914

[Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung. Herausgegeben von Carl Grünberg, Vierter Jahrgang, Leipzig 1914, S. 191-221. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 390-415]

Eine Geschichte der sozialistischen Lyrik ist noch nicht geschrieben worden, und es ist auch nicht zu erwarten, dass sie sobald oder überhaupt je geschrieben werden wird. Schwankt der Begriff des Sozialismus schon auf politischem und wissenschaftlichem Gebiete einigermaßen, so noch viel mehr auf ästhetischem. Es wäre ebenso unbillig, unter sozialistischer Lyrik nur Gedichte zu begreifen, die den Stempel irgendeiner sozialistischen Parteirichtung an der Stirn tragen, wie es unbillig sein würde, ihr alle Gedichte zuzuzählen, aus denen ein grollender Ton über die sozialen Zustände hervor klingt, innerhalb deren der Dichter lebt.

Will man von sozialistischer Lyrik sprechen, ohne ins Uferlose zu geraten, so muss man den Begriff zunächst enger umgrenzen. Es soll hier nur von drei deutschen Dichtern gesprochen werden, und von ihnen auch nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt, denn so schlechthin lassen sich selbst Herwegh oder Freiligrath oder Heine nicht als sozialistische Lyriker bezeichnen. Aber sie haben in mehr oder minder naher Beziehung zu den führenden Größen der deutschen Sozialdemokratie gestanden, namentlich zu Marx und Lassalle, und das ist nicht ohne Einfluss auf ihr dichterisches Schaffen geblieben. Eine Untersuchung dieser Zusammenhänge mag immerhin einen kleinen Beitrag zur Geschichte des deutschen Sozialismus liefern.

Den äußeren Anstoß dazu gaben einige neuere Veröffentlichungen: eine Biographie Herweghs, der Briefwechsel zwischen Freiligrath und Marx, endlich Briefe von und an Heine, die aus dem Nachlass dieses Dichters herausgegeben worden sind.

I

Die Biographie Herweghs von Victor Fleury* ist eine fleißige und sorgfältige Arbeit, deren man sich deshalb nicht weniger freuen darf, weil ein französischer Schriftsteller einem deutschen Dichter die Ehrenschuld abträgt, die ihm deutsche Schriftsteller längst hätten abtragen sollen.

In der Goldenen Klassikerbibliothek, die das Deutsche Verlagshaus Bong herausgibt, ist zwar eine gute und wohlfeile Ausgabe von Herweghs Werken erschienen, allein das Lebensbild, das sie einleitet, ist des Dichters nicht würdig; in den engsten Rahmen des neudeutschen Reichspatriotismus gespannt, wirkt es wie ein Zerrbild.1 Auch die Veröffentlichungen, die Marcel Herwegh aus dem Nachlass seines Vaters gemacht hat, schädigen das Andenken des Dichters mehr, als dass sie es vor vermeintlichem oder wirklichem Unglimpf schützen2; es war der denkbar unglücklichste Einfall, das herbe Schicksal des Dichters zu erhellen durch hämische Seitenblicke auf revolutionäre Kämpfer, die ein glücklicheres Los gezogen haben als Herwegh.

Alledem ist nun abgeholfen durch die Biographie Fleurys. Sie ist mit umsichtiger Benützung aller irgend zugänglichen Quellen geschrieben und entbehrt nicht des kritischen Blicks, dessen eine ordentliche Biographie so wenig entraten kann wie der Sympathie mit ihrem Helden. Im Großen und Ganzen bleibt der Eindruck dieses Dichterlebens überwiegend traurig. Herwegh gehörte zu den glänzenden, aber unglücklichen Talenten, die mit ihrem ersten Wurf gleich ihr Bestes oder selbst schon ihr Alles geben. Seinem Dasein fehlte der heiße Sommer und der fruchtreiche Herbst und selbst das wärmende Herdfeuer des Winters. Es war ein kurzer strahlender Frühling, und danach kam eine lange Nacht, arm an Arbeit und arm an Freuden.

Die „Gedichte eines Lebendigen", die im Sommer 1841 in Zürich erschienen, eroberten im Sturm die deutschen Herzen. Es war ihnen gegeben, zu singen und zu sagen, was ein großes Volk im ersten taumelnden Erwachen zu historischem Leben dachte und fühlte. Die brausende und gärende Unruhe, die durch sie zitterte, spiegelte nur allzu getreu die Stimmungen der Nation wider, die sich auf sich selbst zu besinnen begann. Dazu eine glänzende Form, die nach der ästhetischen Verlotterung des Jungen Deutschlands wieder an die klassischen Überlieferungen anknüpfte, die, an Platens strengen Rhythmen geschult, doch oft aufs glücklichste den Ton des Volksliedes traf, die auf allen Saiten zu spielen wusste, von dem wilden Kampfliede „Reißt die Kreuze aus der Erden, alle sollen Schwerter werden" bis zu der stimmungsvollen Elegie „Ich möchte hingehn wie das Abendrot und wie der Tag mit seinen letzten Gluten". In den feinen und formvollendeten Sonetten der Sammlung fanden sich wahre Perlen deutscher Dichtung, wie die Sonette an Hölderlin und an Shelley, und mancherlei Anklänge an die zeitgenössische Philosophie, denn Herwegh, ein geborener Schwabe, war nicht umsonst ein paar Semester Tübinger Stiftler3 gewesen.

Er selbst schien nun freilich die nationale Bedeutung seiner Gedichte herabzusetzen, indem er sich bald nach ihrem Erscheinen zur Fahne der Partei bekannte. Es geschah in Anknüpfung an das Wort Freiligraths, dass der Dichter auf einer höheren Warte stände als auf den Zinnen der Partei. Freiligrath hatte damit im Grunde kein Prinzip oder Programm aufstellen, sondern nur rechtfertigen wollen, dass er den Tod eines spanischen Royalisten verherrlicht hatte. Aber er hatte es sich gefallen lassen, dass sein Wort gegen Herweghs politische Lyrik ausgenützt wurde, und so antwortete Herwegh mit seinem Trutzliede auf die Partei, die ihm allein den Lorbeer flechten solle. Man muss diesen Dichterstreit nicht an heutigen Begriffen messen. Geschlossene Parteien gab es damals überhaupt nicht in Deutschland, und was Herwegh als Kampf der Partei vertrat, war doch nur der Kampf gegen die absolutistisch-feudale Reaktion, die wie ein bleierner Druck auf dem deutschen Leben lastete.

Soweit sich jedoch in dieser anschwellenden Empörung schon einzelne Richtungen unterscheiden lassen, stand Herwegh den radikalen Junghegelianern am nächsten. Zwar hatte Friedrich Vischer die „Gedichte eines Lebendigen" sehr scharf beurteilt, aber doch nur vom einseitig-ästhetischen Standpunkt aus. Dafür erhob sie Ruge in den „Deutschen Jahrbüchern" jubelnd auf den Schild, und die „Rheinische Zeitung" begrüßte den jungen Dichter nicht minder freudig; in ihren Spalten erschien zuerst sein Lied auf die Partei. Herwegh selbst gedachte – nach einem kurzen Aufenthalt in Paris, wo ihn Heine als „eiserne Lerche" begrüßte – in Zürich den „Deutschen Boten" herauszugeben, eine Monatsschrift von ähnlicher Tendenz wie die „Deutschen Jahrbücher". Um Mitarbeiter für dies Unternehmen zu werben, unternahm er im Herbst 1842 jene Reise nach Deutschland, die sich zu einer ununterbrochenen Triumphfahrt für ihn gestaltete.

In Köln traf er just zur Zeit ein, wo Marx sich anschickte, aus dem hervorragendsten Mitarbeiter der „Rheinischen Zeitung" ihr leitender Redakteur zu werden. Herwegh zählte damals 25, Marx 24 Jahre. Sie haben schnelle Freundschaft geschlossen, und ihre Schicksale verketteten sich alsbald in eigentümlicher Weise. In Dresden schloss Herwegh nicht minder schnelle Freundschaft mit dem um 15 Jahre älteren Ruge, und beide reisten zusammen nach Berlin, wo sie mit Bruno Bauer und dessen Gefolgschaft hart aneinandergerieten, den sogenannten Freien4, die die zahmen Philister der preußischen Hauptstadt dadurch erschreckten, dass sie in einem zigeunerhaften Treiben die wildgewordenen Philister spielten.

Die „Freien" standen in mehr oder minder naher Verbindung mit der „Rheinischen Zeitung", aber Marx, der schon in einem ernsten politischen Kampfe steckte, der „von morgens bis abends die schrecklichsten Zensurquälereien, Ministerialschreibereien, Oberpräsidialbeschwerden, Landtagsklagen, Schreien der Aktionäre etc. etc. zu tragen" hatte, war der „Berliner Windbeuteleien" alsbald satt geworden.5 Ein Brief Herweghs schlug dann dem Fasse den Boden aus. „Sie kompromittieren", so schrieb er in einem undatierten Briefe aus Berlin nach Köln, „durch diese revolutionäre Romantik, diese Geniesucht, diese Renommage unsere Sache und Partei; Ruge und ich haben ihnen dies unumwunden gesagt. Sie haben es uns übel genommen – immerhin! Ich möchte nicht gegen sie auftreten und bitte Sie daher um eine Notiz in der Rheinischen Zeitung, die die Sache in ihrem wahren Lichte zeigt. Wenn ich die Gesellschaft der ,Freien', die einzeln meistens treffliche Leute sind, nicht besucht habe, so geschah es nicht, weil ich etwa eine andere Sache verfechte, sondern es geschah lediglich darum, weil ich diese Frivolität, diese Berlinerei in der Art ihres Auftretens, weil ich diese glatte Nachäfferei des französischen Klubs bei aller Achtung vor und Enthusiasmus für die Französische Revolution als ein Mensch, der auch von der Autorität dieser Revolution frei sein will, hasse und lächerlich finde." Marx entsprach dem Wunsche Herweghs; am 29. November erschien in der „Rheinischen Zeitung" eine vom 25. November aus Berlin datierte Notiz, die ziemlich wörtlich die Sätze Herweghs wiederholte. Marx brach dadurch auch an seinem Teile mit den Berliner „Freien" und namentlich mit Bruno Bauer, der bis dahin sein nächster Waffenbruder gewesen war. In ebendiesen Tagen traf er zum ersten mal mit Friedrich Engels zusammen, der auf der Reise nach Manchester die Redaktion der „Rheinischen Zeitung" besuchte; da Engels frisch aus dem Kreise der Berliner „Freien" kam, so begegneten sie sich sehr kühl.

Ehe noch die „Rheinische Zeitung" mit der Notiz Herweghs nach Berlin gelangen konnte, hatten die „Freien" schon ihre Rache an dem Dichter genommen. Sie spotteten über seine schnelle Verlobung mit der Tochter eines reichen Kaufmanns, nachdem er eben gesungen hatte, dass sein ganzer Reichtum sein Lied sei, und dieselben Leute, die später alle bei der offiziösen und reaktionären Presse untergekrochen sind, spielten die raubeinigen Republikaner wegen der Audienz Herweghs beim König Friedrich Wilhelm IV.

Über der Vorgeschichte dieser Audienz liegt ein Dunkel, das nun auch wohl nicht mehr aufzuklären sein wird. Das wahrscheinlichste ist noch immer, dass der König, der es liebte, bisweilen den Hof zu verblüffen, und übrigens ästhetisch gebildet genug war, um die Gedichte Herweghs zu genießen, wie er auch für Heines „Buch der Lieder" eine unverwüstliche Vorliebe hegte, von dem Verlangen geplagt war, den gefeierten Helden des Tages zu sehen. Sein Leibarzt Schönlein, ein geborener Schweizer, dem Herwegh Grüße aus Zürich überbracht hatte, hat dann die Gefälligkeit gehabt, dem königlichen Wunsche die Wege zu bahnen, indem er behauptete, Herwegh trage ein ebenso großes Verlangen, den König zu sehen, wie der König den Dichter. Bei Herwegh hat Schönlein dann das umgekehrte Spiel gespielt, ihm den Wunsch des Königs aufs dringlichste vorgestellt und ihn dadurch breitgeschlagen, sich auf das Abenteuer einzulassen. Möglich immerhin, dass Herwegh sich nicht allzu sehr hat bitten lassen, denn es mag ihn gekitzelt haben, von dem Könige, dessen Behörden seine Gedichte verboten hatten, vor aller Welt ausgezeichnet zu werden. Auch war er gerade jung genug, um noch mit dem Gedanken einer Marquis-Posa-Rolle zu spielen.

In diesem Sinne hat schon Friedrich Vischer Herweghs Verhalten erklärt. „Der unerfahrene junge Mann erwog nicht, dass er bloß antworten dürfe, wenn er gefragt werde, dass der andere Teil sich mit Bequemlichkeit vorbereiten und eine Szene durchführen könne, die, nachher in den Zeitungen verkündigt, ganz zu seinem Vorteil ausfallen musste." Damit war der Punkt berührt, der zu den verhängnisvollen Folgen der an sich ja recht gleichgültigen Audienz führte. Der König ließ einige bunt befiederte Worte flattern, von denen die „gesinnungsvolle Opposition", die er angeblich „liebte", sich ja noch im Büchmann6 forterbt, während der Dichter auf eine betretene und verlegene Rolle beschränkt blieb. Darüber war unter den Berliner „Freien" des Spottens kein Ende.

Das war für Herwegh um so bitterer, als er sonst von der Fülle der Huldigungen berauscht war. In Königsberg, wohin er seine Reise fortgesetzt hatte, erfuhr er nun gar, dass die preußischen Minister seine geplante Zeitschrift im Voraus verboten hatten, noch ehe ein Blatt davon erschienen war, und nun verfiel er auf den unglücklichen Gedanken, in einem halb klagenden, halb trotzigen Briefe an den König nachzuholen, was er in der Audienz hatte sagen sollen oder wollen, jedenfalls aber nicht gesagt hatte. Das „Wort unter vier Augen" war nicht eben geschickt abgefasst, und zudem gelangte es, wider den Willen Herweghs, in die Spalten einer Leipziger Zeitung, durch die Indiskretion eines Königsberger Freundes, dem Herwegh den Brief abschriftlich mitgeteilt hatte.

Die sehr unkönigliche Antwort des Königs bestand in der Ausweisung Herweghs aus dem preußischen Staate und in neuen Fesseln, die der Presse angelegt wurden, nachdem ihr seit Jahr und Tag durch eine gemilderte Zensurinstruktion die Flügel ein wenig gelüftet worden waren. Nicht bloß geknebelt, sondern totgeschlagen wurden die „Deutschen Jahrbücher" und die „Rheinische Zeitung". Immerhin waren Marx und Ruge so ziemlich die einzigen Schriftsteller, die nicht mit wildem Berserkerzorn über Herwegh als den Urheber des ganzen Unheils herfielen. „Ein schimpfender Bedientenschwarm und faule Äpfel statt der Kränze", wie Heine spottete. Selbst Freiligrath beteiligte sich an dem wüsten Lärm. Keinem der sittlich Empörten kam der Gedanke, dass die etwas mildere Handhabung der Zensur, die seit Jahr und Tag bestanden hatte, einzig einer romantischen Laune des Königs zu danken war, die alsbald wieder einer anderen romantischen Laune weichen musste. - Dass diese Kulisse von sogenannter „Pressfreiheit" schon bei einem so leichten Stoß umfiel, wie Herweghs Brief an den König schließlich war, zeigte doch nur, auf wie losen Füßen sie überhaupt stand, und die über Herweghs unreifen Brief zeterten, erwiesen sich als noch weit unreifer, indem sie ihren Groll auf den Dichter abluden statt auf den König.

Für Herwegh selbst ist diese elende Hetzjagd aber zum Verhängnis geworden. Er hat den tiefen Sturz aus ragender Höhe nie überwunden. Er war zu unerfahren, um sich klarzumachen, dass sein jäher Aufstieg und sein noch jäherer Abstieg im letzten Grunde dieselbe Ursache hatten: den Mangel der Nation an politischer Klarkeit und Schulung. Jene heiter-stolze Zuversicht auf den Sieg der Freiheit, die seine ersten Gedichte beseelt, hatte er für immer verloren. Selten ist eine jugendliche Übereilung so schwer gebüßt worden wie in diesem Falle; eine peinliche Mischung von fataler Blasiertheit und verknittertem Groll haftete fortan dem Tun und Lassen Herweghs und nicht zuletzt seinem Dichter an.

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz – im Januar 1843 – wurde er auch hier unsanft empfangen. In Zürich herrschten die Konservativen und wiesen ihn aus, aus Furcht vor dem „Deutschen Boten", dessen Todesurteil damit besiegelt wurde; mit Mühe und Not erlangte Herwegh im Kanton Basel-Land das schweizerische Bürgerrecht. Seine Heirat mit Emma Siegmund, die im März 1843 stattfand, enthob ihn jedoch aller irdischen Sorgen; nach längeren Reisen siedelte er im Herbst desselben Jahres zu dauerndem Aufenthalt nach Paris über.

Hier traf er wieder mit Marx und Ruge zusammen, die sich zur Herausgabe der „Deutsch-Französischen Jahrbücher" zusammengetan hatten. Herwegh war gewissermaßen der Dritte im Bunde, denn auch ihm war eine philosophisch-politische Zeitschrift schon im Keime zerstört worden. Aber er hat sich an dem neuen Unternehmen nur mit einem wenig bedeutenden Gedichte beteiligt. Was ihn zunächst beschäftigte, war eine neue Sammlung seiner Gedichte, die er Ende 1843 als zweiten Band der „Gedichte eines Lebendigen" herausgab, ohne damit entfernt den Erfolg des ersten Bandes zu erreichen. Bei einiger Aufmerksamkeit kann man in der Sammlung leicht unterscheiden, was vor und was nach der preußischen Katastrophe gedichtet worden ist; der Morgenruf, das Champagnerlied, das Flottenlied gehören noch ganz der ersten Periode an, auch die ergreifenden Gedichte vom „Armen Jakob" und der „Kranken Lise", die man oft zur sozialistischen Lyrik gerechnet hat, wenn auch nicht mit größerem Recht als manche Gedichte Berangers oder auch Chamissos. Zur zweiten Periode gehören dann namentlich die Xenien, die in diesem Bande ungefähr die Stelle einnehmen wie im ersten die Sonette. Es sind meist gepfefferte Spottverse, die durchaus nicht zu Herweghs sonstiger Art passen; man merkt ihnen nur zu sehr an, dass der Ärger, den der Dichter an anderen auslässt, schließlich doch nur der Ärger über sich selbst ist. Eine Ausnahme bildet jedoch das Schlussgedicht des ganzen Bandes: hier rechnet der Dichter in schwung- und wirkungsvollen Terzinen mit Friedrich Wilhelm IV. ab; in diesen Versen ist Klang und Mark und prophetische Wahrheit.

Inzwischen, wenn Herwegh an keiner gemeinsamen Arbeit mit Marx und Ruge teilnahm, so wurde er doch der Stein des Anstoßes, woran die gemeinsame Arbeit von Marx und Ruge zerschellte. Es scheint, dass Herwegh, dessen „göttlichen Leichtsinn" seine Freunde schon zur Zeit, wo er noch ein blutarmer Poet war, halb bedauerten und halb bewunderten, sich völlig gehenließ, als ihm der Reichtum seiner Frau gestattete, im Pariser Leben unterzutauchen. Die Einzelheiten, die Ruge darüber in seinen Briefen mitteilt, sind sehr unerbaulich, und Ruge, dem der Philister immer im Blute stak, mag übertrieben haben. Aber auch sonst ist gut bezeugt, so durch lustige Verse Heines, dass Herwegh damals den modischen Gecken und Stutzer spielte, selbst wenn er seine Frau, die mit abgöttischer Liebe an ihm hing, nicht noch schwerer gekränkt haben sollte. So geschah es denn, dass Ruge im Gespräch mit Marx über den „Lumpen" Herwegh schalt, worauf Marx erwiderte, dass Herwegh ein Genie sei und eine große Zukunft habe. Darüber kam es zum dauernden Zerwürfnis zwischen Marx und Ruge.

Natürlich war der Streit über Herwegh nur der letzte Tropfen, der den Eimer überfließen ließ; der Bruch zwischen Marx und Ruge war innerlich längst aus sachlichen Gründen vollzogen, als die dünne Hülle, die ihn nach außen hin noch verbarg, an Ruges heftigem Wort über Herwegh zerriss. Jedoch in seiner Art kennzeichnete dieser Streit auch die Art der Streitenden. Ruges wegwerfendes Urteil über den Dichter entsprang doch nur den engen Auffassungen eines nüchternen Spießbürgers, und Marx brauchte sich nicht zu schämen, wenn sein ungleich günstigeres, aus tieferer Auffassung geschöpftes Urteil schließlich durch die Erfahrung nicht bestätigt worden ist. Er hatte für echte Dichter immer sehr viel übrig, obgleich oder auch weil ihm selbst die Gabe der gebundenen Rede gänzlich versagt war. Hatte er sich in seinen jungen Jahren darüber getäuscht und nach einem Lorbeer getrachtet, den er nicht erreichen konnte, so bewahrte er der Poetenzunft doch eine lebhafte Sympathie und große Nachsicht mit ihren kleinen Schwächen. Er meinte wohl, Dichter seien wunderliche Käuze, die man ihren Weg gehen lassen müsse, die man nicht mit dem Maße gewöhnlicher oder selbst ungewöhnlicher Menschen messen dürfe; sie wollten geschmeichelt sein, wenn sie singen sollten; mit einer scharfen Kritik dürfe man ihnen nicht kommen.

Bald darauf, im Januar 1845, wurde ein Dutzend deutscher Schriftsteller auf Betreiben der preußischen Regierung durch das Ministerium Guizot aus Frankreich verwiesen, wegen ihrer radikalen Gesinnung, darunter Marx, Ruge und Herwegh. Marx ging nach Brüssel, Ruge rettete sich durch ein Zeugnis guter Gesinnung, das die sächsische Gesandtschaft dem ehemaligen Dresdener Stadtverordneten ausstellte, Herwegh durch Berufung auf sein schweizerisches Bürgerrecht. Er blieb mit Marx in freundschaftlichem Briefwechsel, und es ist nur billig zu sagen, dass er in allen Zerstreuungen der französischen Hauptstadt doch daran arbeitete, als Dichter neue Gesichtspunkte zu gewinnen. Er stürzte sich in philosophische und naturwissenschaftliche Studien, schloss mit Ludwig Feuerbach enge Freundschaft und studierte mit Karl Vogt an den Küsten des Mittelmeeres die kleinsten ozeanischen Lebewesen. Dann beschäftigte er sich mit einem Gedichte, das „so etwas von Odyssee, Don Quixote, Göttlicher Komödie und Don Juan zu gleicher Zeit sein" sollte. Ans Licht gekommen ist davon freilich keine Zeile, und auch die naturwissenschaftlichen Studien Herweghs scheinen mehr die Verwunderung als die Bewunderung seiner näheren Bekannten erregt zu haben. Heine sagte 1847 von ihm: „Er hatte nur ein gewisses Pfündchen, das er sehr hübsch geprägt verausgabte, und nun ist er arm und leer, ein heruntergekommener Verschwender. Er bleibt nun ewig stumm und wird bloß von seinem Ruhme zehren. Dann lacht Herwegh nie, und ein Poet mit einem so verbitterten Gesicht hat nicht viel Verstand; es weist auf eine magere Einseitigkeit seines Lebensblicks hin." Dies harte Urteil sollte sich leider auch als ein prophetisches Urteil erweisen.

Nach dem Ausbruch der Februarrevolution kehrte Marx nach Paris zurück, und nun kam es zum Bruch zwischen ihm und Herwegh. Marx war vollständig im Rechte, wenn er sich dem abenteuerlichen Plane widersetzte, den Herwegh sich von dem Allerweltsspitzel v. Bornstedt hatte einblasen lassen: an der Spitze der deutschen Arbeiter, die in Paris lebten, einen bewaffneten Einfall in Deutschland zu machen, um die deutsche Republik auszurufen. Das klägliche Ende des kläglichen Unternehmens ist bekannt; die angebliche Flucht Herweghs unter dem Spritzleder eines Wagens, den seine Frau kutschiert haben sollte, war eine reaktionäre Fabel, aber sie wurde allgemein geglaubt, und der Dichter tat nichts, um seinem „völligen Ruin in der öffentlichen Meinung" zu steuern, vor dem ihn sein Freund Vogt warnte. Er hüllte sich in tiefes Schweigen, spielte in Genf den Aristokraten unter dem gemeinen Flüchtlingsgesindel und isolierte sich auch in der Emigration durch ein hässliches Abenteuer mit der Frau Alexander Herzens.

Später vereinigte er sich wieder mit seiner Frau, und beide lebten in Zürich, in geistig und künstlerisch angeregten Kreisen, jedoch ohne dass die dichterische Schöpferkraft Herweghs wieder erwacht wäre. Die nicht zahlreichen Gedichte, die er noch veröffentlicht hat, waren mit wenigen Ausnahmen achtbares Mittelgut, wie es sich in besseren Witzblättern auch sonst findet. Von den Gedichten Herweghs aus den fünfziger und sechziger Jahren sind in der Tat verhältnismäßig viele im „Kladderadatsch" veröffentlicht worden. Zwei schöne Gedichte zum Eidgenössischen Schützenfest und zur Schillerfeier in Zürich gehören dem Jahre 1859 an; in den nächsten Jahren hat Herwegh einen Hauch der alten Kraft für Garibaldis Taten aufgeboten; das berühmteste seiner Gedichte aus seiner späteren Zeit – und im Grunde das einzige, das ihm einen dauernden Platz in der sozialistischen Lyrik sichert – ist das Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein aus dem Jahre 1863.

Ein paar Jahre früher hatte Lassalle ihn auf einer Reise in der Schweiz kennengelernt und lebhaftes Interesse für ihn gefasst. Immer der Freund seiner Freunde, setzte Lassalle seine ganze ungestüme Energie daran, den Dichter dem Zustand tatloser Verstimmung zu entreißen, aber gelungen ist es auch ihm nicht; er vermochte nicht einmal durchzusetzen, dass Herwegh seine zerstreuten Gedichte in einer neuen Sammlung herausgab. Als er dann seine Agitation begann, ließ Herwegh sich zwar gefallen, zum Generalbevollmächtigten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins für die Schweiz ernannt zu werden, aber rührte deshalb nicht einen Finger für die Sache. Er lehnte selbst die Einladung auf einen schweizerischen Arbeitertag seines Wohnortes Zürich ab und überließ den Gegnern Lassalles das Feld; deshalb verspottet, antwortete er ausweichend, er habe die jetzige Arbeiterbewegung nicht abgewartet, um, über alle nationalökonomische Diskussion hinaus, aus dichterischem Recht, sich stets auf die Seite der 80, 90, 95, 97 Prozent Enterbten und vom Bankrott der Lebens Ausgeschlossenen zu stellen, möchten sie nun Lassalle oder Schulze-Delitzsch hochleben lassen. Als ob es in diesem Falle nicht gerade auf die „nationalökonomische Diskussion", auf die Wahl zwischen Lassalle oder Schulze-Delitzsch angekommen wäre!

Einen wirklichen Dienst hat Herwegh der Agitation Lassalles aber durch das Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein erwiesen. Es ist erst nach monatelangem Mühen fertig geworden und lehnt sich allzu eng an ein bekanntes Gedicht Shelleys aus dem Jahre 1819 an: in der Form wie im Inhalt, worauf Herwegh ehrlicherweise selbst hingedeutet hat, indem er eine Zeile Shelleys, wenn auch aus einem anderen Gedichte des englischen Poeten, als Motto voransetzt. Aber in den Schlussstrophen ruft Herweghs Gedicht zum Kampfe auf, während Shelley die Männer Englands nur ihre eigene Gruft graben lässt:

Mann der Arbeit, aufgewacht!

Und erkenne deine Macht!

Alle Räder stehen still,

Wenn dein starker Arm es will.

Dieser Vers des Bundesliedes ist in der deutschen Arbeiterbewegung lebendig geblieben. Sonst wurde es schon bald durch Jakob Audorfs Arbeitermarseillaise verdrängt, die sich, bei ungleich geringerem dichterischem Werte, doch den augenblicklichen Bedürfnissen des proletarischen Emanzipationskampfes enger anschmiegte und sich durch die packende Melodie des, Marseiller Marsches mehr einschmeichelte als Herweghs Bundeslied durch die Komposition Hans v. Bülows.

Die schwache Beteiligung Herweghs an der deutschen Arbeiterbewegung erlosch mit dem Tode Lassalles; Die Amnestie des Jahres 1866 gestattete ihm die Rückkehr nach Deutschland, und er hat noch bis zum Jahre 1875 in Baden-Baden gelebt, ganz vereinsamt; was er in den Jahren 1870 und 1871 gedichtet hat, verdiente nicht die Schmähungen eines satten und wohlfeilen Patriotismus, aber es konnte auch nicht in den Massen zünden, selbst wenn es nicht von einem allzu verbissenen Preußenhasse gefärbt gewesen wäre. Ihnen griff Freiligrath tiefer ins Herz, indem er den namenlosen Toten der französischen Schlachtfelder das Trauer- und Trostlied sang wie einst den namenlosen Toten der Berliner Barrikaden.

II

Bei alledem liegt es auch auf Freiligraths Andenken wie ein leichter Schleier. Den einen missfällt der Sänger der sozialen Revolution, den anderen der patriotische Dichter, der am Ende doch seine Harfe zu Ehren einer dynastischen Blut- und Eisenpolitik gestimmt zu haben schien. Mit dem Streite darüber, ob der echte Freiligrath hüben oder drüben zu finden sei, wurde die Sache nur immer verwickelter, schwankte das Bild des Dichters nur um so stärker, je mehr es von der Parteien Gunst und Hass verwirrt wurde.

Um es in klares Licht zu stellen, schien mir nichts geeigneter, als Freiligraths Briefwechsel mit Karl Marx herauszugeben.* Er ist nur zum Teil erhalten, aber vollständig genug, um die Beziehungen beider Männer klar erkennen zu lassen, insofern sogar zu vollständig, als viele Briefe, namentlich Freiligraths, flüchtige, in freundschaftlichem Verkehr von Haus zu Haus geschriebene Zettel sind, die heute keinerlei Interesse mehr haben. Von ihrer Veröffentlichung habe ich denn auch abgesehen. Aber gerade die Briefe, in denen sich die beiden Männer kritisch über sozialistische Lyrik auseinandersetzten, sind fast unversehrt erhalten, und wenn sie jedem von beiden durchaus zur Ehre gereichen, so befreien sie namentlich das Dichterleben Freiligraths von allen Schatten, die darauf gefallen sind oder fallen können.7

Freiligrath hatte eine ganz andere Entwicklung als Herwegh. Die Armut seines Vaters zwang ihn, das Gymnasium zu verlassen, als er die Reife für die Prima erreicht hatte, und den kaufmännischen Beruf zu ergreifen. Fünf Jahre lang hat er für die Honoratioren der westfälischen Kleinstadt Soest Kaffee und Zucker abgewogen. Dann lebte er ebenso lange als Kaufmannsdiener in Amsterdam. Harte Arbeit ist all sein Lebtag sein Los gewesen, und den kaufmännischen Beruf hat er immer nur vorübergehend aufgeben können; den sechzigjährigen Mann hat noch die Auflösung eines Bankgeschäftes auf die Straße geworfen. Es kommt hier nicht darauf an, ob seine kaufmännische Tätigkeit nicht auch Lichtseiten für ihn gehabt und selbst, wie namentlich in der Amsterdamer Zeit, seine dichterische Entwicklung gefördert hat. Aber bis an sein dreißigstes Lebensjahr heran, bis in ein Lebensalter, wo Herwegh schon wesentlich abgeschlossen hatte – er war sieben Jahre jünger als Freiligrath –, blieb dieser von allen philosophischen und politischen Einflüssen der Zeit unberührt, und selbst als sie ihn zu berühren begannen, zeigte er sich ganz unbeholfen; mit Menzel lehnte er sich gegen das Junge Deutschland, mit den schwäbischen Dichterlein gegen Heine auf. Mit anderen Worten: als revolutionärer Dichter, als sozialistischer Lyriker ist Freiligrath durchaus ein selbstgemachter Mann gewesen.

Er war eine Kraftnatur in jenem echten und ursprünglichen Sinne, dass sich ihm das tiefste und weichste Empfinden unlöslich verschmolz mit dem Stolz und der Würde des Mannes, dem schon ein Joch von Spinnweben den unbeugsamen Nacken wundscheuerte. Wie er sich noch in seinem letzten Briefe an Marx einen „Nationalökonomen" nur „mit dem Gemüt" nannte, so ist ihm aus tiefem Mitleide der revolutionäre Trotz entstanden; „das Verbrechen, die Not, die Menschlichkeit, die Menschheit: in dieser Folge ist ihm emporgewachsen das Bewusstsein der Zeit und ihres Forderns", wie Guido Weiß in seinem Nachruf auf Freiligrath treffend schrieb. Und es ist nur dieselbe Einheit im scheinbaren Widerspruch, wenn dieser Dichter, der mit seiner engsten Heimat so verwachsen war, dass der Greis nur noch den einen Wunsch hegte, auf den Höhen des Teutoburger Waldes begraben zu werden, wo einst seine Wiege gestanden hatte, als Jüngling damit begann, sein trunkenes Auge durch die fernsten und fremdesten Zonen schweifen zu lassen.

In demselben Jahre, das die erste deutsche Eisenbahn sah, erschienen Freiligraths erste Gedichte, die in brennender Farbenpracht das Gebiet des Welthandels entrollten. Er selbst hat ihnen etwas später einen revolutionären Charakter zugesprochen; er hat gemeint, dass seine Löwen- und Wüstenpoesie schon die allerentschiedenste Opposition gegen die zahme Dichtung und die zahme Sozietät gewesen sei. Noch beweiskräftiger ist der gleichzeitige Jubelruf, womit ein Veteran der Romantik die ersten Gedichte Freiligraths begrüßte: Clemens Brentano, dessen geborene Künstlerseele sich durch allen romantischen Dunst und Nebel rang, als er von Freiligrath schrieb, hier sei doch mal einer, der nicht eitel und treulos mit den eigenen Schmerzen krebse, wie der Bauer mit der Leiche seiner Frau.

Eben der revolutionäre Charakter schon der ersten Gedichte, die Freiligrath veröffentlicht hat, erklärt den gewaltigen Eindruck, den sie bei ihrem Erscheinen hervorriefen. Es war, als ob in einem dunklen Krankenzimmer voll verdorbener Luft die Fenster aufgerissen wurden und eine lachende weite Welt vor den Augen der Kranken lag. Aber freilich war dieser revolutionäre Charakter dem Dichter und seinen zahlreichen Bewunderern noch unbewusst; der preußische König spendete ihm eine kleine Jahrespension, um ihm ein sorgenfreies Schaffen zu ermöglichen, und Freiligrath lebte an den Ufern des Rheines ein fröhliches Poetendasein.

Damals hat er sich selbst dazu verleiten lassen, in das hässliche Konzert einzustimmen, das den ausgewiesenen Herwegh über die preußischen Grenzpfähle geleitete. Was ihn an Herweghs Triumphfahrt abstieß, war gewiss seiner innersten Natur gemäß; er hat es stets mit seinem gegen Herwegh gerichteten Worte gehalten: Renommieren verdirbt das Renommee. Aber er durfte doch nicht über einen Dichter spotten, den preußische Gendarmen vertrieben, und nirgends ist er dafür ärger gezaust worden als in der „Rheinischen Zeitung", die Karl Marx leitete.8 Jedoch zeugt es wieder für den grundehrlichen Charakter Freiligraths, dass er sich durch all den beißenden Hohn nicht in seinem Unrecht steifen ließ; es ist vielmehr wahrscheinlich, dass sein Fehltritt ihm schärfere Augen machte für die Sünden der vormärzlichen Reaktion. Jedenfalls ließ er in steter Entwicklung die revolutionären Keime reifen, die schon in seinen Jugendgedichten schlummerten, bis er sich ans Herz der Heimat werfen konnte, ein anderer und doch derselbe.

Es geschah in einer Sammlung von Zeitgedichten, die er 1844 veröffentlichte und als sein „Glaubensbekenntnis" betitelte. Sie bewegten sich noch wesentlich im Gedankenkreise der bürgerlichen Opposition, nur in einzelnen, wie in den Gedichten vom Harz und aus dem schlesischen Gebirge, kam schon das Elend der hungernden Massen zu erschütterndem Ausdruck. Doch noch fehlte der Kampfruf des proletarischen Trotzes. In Deutschland war nun des Bleibens für Freiligrath nicht mehr; er ging nach Brüssel, wohin sich auch Marx nach seiner Ausweisung aus Paris gewandt hatte. Sie sind sich hier im Februar 1845 zum ersten Male persönlich begegnet und in freundlichen Verkehr getreten; mit dem „Glaubensbekenntnis" Freiligraths war für Marx aller frühere Zwist ausgeglichen. Aber eine engere Geistesgemeinschaft ist auch damals noch nicht zwischen beiden entstanden, schon deshalb nicht, weil Freiligrath einige Wochen später in die Schweiz übersiedelte.

Hier nun entwickelte sich Freiligrath überraschend schnell. Bereits im Jahre 1846 veröffentlichte er sein „Ca ira", eine Sammlung von sechs Gedichten, in denen er offen den proletarischen Klassenkampf verkündete. Es lag in Freiligraths Art, einen Weg, den er einmal beschritten hatte, nun unbedenklich bis ans Ende zu gehen. Namentlich in dem Gedichte „Von unten auf" erreichte er schon den Gipfel der sozialistischen Lyrik, den überhaupt zu erreichen ihm beschieden gewesen ist9; in dem packenden Vergleiche des Staats mit dem Rheindampfer, auf dessen Deck der König in hellem Sonnenschein lustwandelt, während der Heizer im dunklen Maschinenraum das Feuer schürt und sich seiner Kraft bewusst wird:


Du bist viel weniger ein Zeus, als ich, o König, ein Titan!

Beherrsch' ich nicht, auf dem du gehst, den allzeit kochenden Vulkan?

Es liegt an mir: – Ein Ruck von mir, Ein Schlag von mir zu dieser Frist,

Und siehe, das Gebäude stürzt, von welchem du die Spitze bist!


Der Boden birst, aufschlägt die Glut und sprengt dich krachend in die Luft!

Wir aber steigen feuerfest aufwärts ans Licht aus unserer Gruft!

Wir sind die Kraft! Wir hämmern jung das alte morsche Ding, den Staat,

Die wir von Gottes Zorn sind bis jetzt das Proletariat! -


Dann schreit' ich jauchzend durch die Welt! Auf meinen Schultern, stark und breit,

Ein neuer Sankt Christopherus, trag' ich den Christ der neuen Zeit!

Ich bin der Riese, der nicht wankt! Ich bins, durch den zum Siegesfest

Über den tosenden Strom der Zeit der Heiland Geist sich tragen lässt.


Gleichwohl hatten Engels und Marx an diesen Gedichten Freiligraths manches auszusetzen. Der Aufsatz, worin es geschah, ist von ihnen zwar nicht veröffentlicht worden, aber doch nur deshalb nicht, weil sie schon unter dem Mangel an Verlegern zu leiden begannen.10 In der Sache erklärt sich ihre ablehnende Haltung daraus, dass sie eben damals ihre neugewonnene Weltanschauung aus dem Wirrwarr des „wahren" Sozialismus herausgearbeitet hatten und allzu verächtlich auf alles herabblickten, was für sie ein überwundener Standpunkt war. Dabei übersahen sie das Recht des Dichters, in seiner eigenen Sprache zu reden, die sich an logischer Schärfe mit der wissenschaftlichen Sprache nicht messen darf und kann.11

Von der Schweiz setzte Freiligrath seinen Flüchtlingsstab nach England, von wo ihn, als er sich eben anschickte, in die Vereinigten Staaten überzusiedeln, die Märzrevolution in die rheinisch-westfälische Heimat zurückrief. Er ließ sich in Düsseldorf nieder und beteiligte sich lebhaft an der revolutionären Bewegung, doch wesentlich nur als Dichter; für all den Kleinkram, der mit einer politischen Agitation nun einmal unzertrennlich verbunden ist, fehlte ihm Neigung und Verständnis. Bezeichnend genug, wie sein gewaltigstes Revolutionslied, worin er die Toten des 18. März gegen die Lebenden heraufbeschwor, entstanden ist oder doch entstanden sein soll. Bei einer Beratung über die schweren Finanznöte des Demokratischen Vereins in Düsseldorf schaute Freiligrath gleichmütig in die lachende Rheinlandschaft hinaus und zog sich dadurch eine Rüge des Vorsitzenden zu; hierdurch erzürnt, schrieb der Dichter jenes Lied, dessen reißender Absatz die Kasse des Vereins sofort füllte.

Daneben trug es seinem Verfasser freilich eine Anklage wegen Hochverrats ein, von der ihn die Geschworenen am 3. Oktober 1848 unter allgemeinem Jubel der Bevölkerung freisprachen. Gleich darauf trat Freiligrath in die Redaktion der „Neuen Rheinischen Zeitung" ein, die Marx herausgab.12 Von nun an beginnt die enge Freundschaft beider Männer. Hatte Freiligrath den Höhepunkt seiner sozialistischen Lyrik schon erreicht, ehe er näher mit Marx bekannt wurde, so hat Marx nun doch einen sichtbaren Einfluss auf die Revolutionslieder Freiligraths ausgeübt; manche von ihnen knüpfen unmittelbar an das an, was Marx in der Zeitung ausgeführt hatte.13 Auch in den Bund der Kommunisten trat Freiligrath ein, und es ist ein törichtes Unterfangen, wenn bürgerliche Biographen des Dichters behaupten wollen, dass er dabei halb ahnungslos in eine Gesellschaft dunkler Ehrenmänner geraten sei. Freiligrath hat sich eifrig an der Agitation des Bundes beteiligt, aber allerdings wieder nur als Dichter; es ist wohl möglich und selbst wahrscheinlich, dass er das Kommunistische Manifest in seinen historischen Zusammenhängen nicht so gründlich verstanden hat, dass es ihm ein bleibendes Besitztum gewesen wäre.

Im Londoner Exil hielten Freiligrath und Marx so eng und treu zusammen wie in den Tagen des revolutionären Kampfes, Beide dachten gleich hoch voneinander, und nächst Engels ist es Freiligrath gewesen, der dem stets von nagenden Sorgen bedrängten Marx die schweren Tage der Verbannung hat durchwettern helfen. Mit seinen kaufmännischen Kenntnissen konnte er, wenngleich nur in harter Fron, eher die alltägliche Misere überwinden als der große Denker, der in verzehrender Arbeit an einem großen wissenschaftlichen Werke schuf. In anderer Beziehung litt Freiligrath wieder schwerer unter dem Exil als Marx; diese „Heimat der Guten" konnte ihm doch zu keiner zweiten Heimat werden. Der deutsche Dichter war zu eng mit dem deutschen Leben verwachsen, und da er nun des geliebten Weibes Heimweh sah, da er der Kinderschar den Weihnachtsbaum auf fremder Erde anzünden musste, rann ihm die Quelle der Dichtung selten und spärlich. Er litt darunter und empfand es wohltätig, dass sich die Heimat ihres berühmten Dichters allmählich wieder erinnerte.

Trotz aller ungetrübten Freundschaft bahnte sich eine stille Entfremdung zwischen dem Denker und dem Dichter an. Sie trat zum ersten Male im Jahre 1859 hervor, als sich auf dem europäischen Kontinente neues Leben zu regen begann. Alte Gegenstände brachen in mannigfach verschobener Form auf; der Dezembermann in Paris14 unterstützte die nationale Bewegung in Italien im Kampfe gegen die Vormacht des Deutschen Bundes; in den Reihen der europäischen Demokratie wurde die Frage, wie sie sich zu diesem Streit der illegitimen mit der legitimen Konterrevolution zu halten habe, in der verschiedensten Weise beantwortet. Dazu der bevorstehende Thronwechsel in Preußen, an den ein Teil der deutschen Emigration überschwängliche Hoffnungen knüpfte. Dieser „Amnestiewütigkeit" trat Freiligrath schroff entgegen; er meinte: „Der Revolutionär kann sich einstweilen nirgends mit Anstand begraben lassen als im Exil." Überhaupt blieb er politisch in völligem Einklang mit Marx, aber sich in verzwickten politischen Situationen zurechtzufinden war seine Sache nicht, und nur als Dichter griff er in die neue Bewegung ein.

Der hundertste Geburtstag Schillers wurde im Jahre 1859 als nationales Fest gefeiert, an dem sich alle Parteien und alle Schichten der Nation beteiligten. Für die Feier der Deutschen in London schrieb nun Freiligrath das Festlied, und das nahmen ihm Marx und Engels gewaltig übel. Sie waren dadurch gereizt, dass der „amnestiewütige" Teil der deutschen Emigration das Fest für seine eigennützigen Zwecke auszunützen suchte und dass sonst auch allerlei Elemente daran teilnahmen, deren Begeisterung für Schiller recht ernsthaften Bedenken unterlag. Freiligrath erkannte nun zwar an, dass die Sache sehr ihre zwei Seiten habe, er wollte sich auch nicht allzu tief darauf einlassen. Aber er meinte, als deutscher Poet könne er sich nicht ganz fernhalten. Das spreche doch für sich selbst. Man werde es, und mit Recht, unbegreiflich finden, wenn er sich ausschließen wolle. Es komme bei der Sache doch zuletzt auf mehr an als auf die Nebenzwecke einer Fraktion, wenn sie überhaupt welche habe.

In der Tat urteilten Marx und Engels viel zu streng über Freiligraths Beteiligung an der Schillerfeier der Londoner Deutschen, Marx selbst hatte vor wenigen Jahren an einen Gesinnungsgenossen in Amerika geschrieben: „Unser F[reiligrath] ist der liebenswürdigste, anspruchsloseste Mann im Privatleben, der unter seiner wirklichen Gutmütigkeit einen sehr scharfen und sehr spöttischen Geist verbirgt und bei dem der Pathos ,wahr' ist, ohne ihn deshalb ,unkritisch' und ,abergläubig' zu machen. Er ist ein wirklicher Revolutionär und ein durch und durch ehrlicher Mann, ein Lob, was ich wenigen zuteilen möchte. Nichtsdestoweniger bedarf ein Poet, er mag als homme sein, was er will, des Beifalls, der Admiration. Ich glaube, dass dies im genre selbst liegt. Ich sage dir das alles bloß, um Dich darauf aufmerksam zu machen, dass Du in Deinem Briefwechsel mit Freiligrath nicht vergessen sollst den Unterschied zwischen ,Dichter' und ,Kritiker'."15 Eben diesen Unterschied ließ Marx selbst außer acht, als er das Gedicht Freiligraths zur Schillerfeier tadelte16; man braucht nicht einmal irgendein Beifallsbedürfnis bei Freiligrath vorauszusetzen, wenn er bei diesem Anlass nicht schweigen wollte.

Unglücklicherweise kamen zur selben Zeit noch einige Zufälle hinzu, den Zwiespalt zwischen Freiligrath und Marx zu verschärfen: ein Artikel der „Gartenlaube", worin Marx als der böse Dämon des – sonst verherrlichten – Dichters verdächtigt wurde, und die ebenso gehässigen wie unwahren Angriffe Karl Vogts gegen Marx, die sich an den Streit über die Stellung der Demokratie zum französisch-österreichischen Kriege von 1859 knüpften. Freiligrath war in beiden Fällen unbeteiligt, aber eben die Reserve, die er sich auferlegte, empfand Marx als eine Kränkung der alten Freundschaft. Wesentlich durch die Schuld Dritter entstand eine gereizte Stimmung zwischen ihnen.

In einem Briefe an Freiligrath vom 23. Februar 1860 schüttete Marx sein Herz aus und schrieb dann zum Schluss: „Wenn wir beide das Bewusstsein haben, dass wir, jeder in seiner Weise, mit Hintansetzung aller Privatinteressen, und aus den reinsten Motiven, jahrelang das Banner für die ,classe la plus laborieuse et la plus miserable' hoch über den Philisterköpfen schwangen, so würde ich es für eine kleinliche Sünde gegen die Geschichte halten, sollten wir uns wegen Lappalien – alle in Missverständnisse auflösbar – entzweien."17 Marx schloss mit der Versicherung seiner „aufrichtigsten Freundschaft" für Freiligrath.

In seiner Antwort vom 28. Februar erwiderte Freiligrath diese Versicherung nicht minder aufrichtig; aber er machte einen Unterschied zwischen der Person Marx und der Partei Marx. Er sei dem Banner der classe la plus laborieuse et la plus miserable immer treu geblieben und werde ihm immer treu bleiben, aber der Partei habe er seit der Auflösung des Kommunistenbundes nicht mehr angehört. „Der Partei habe ich diese sieben Jahre hindurch fern gestanden, ihre Versammlungen sind von mir unbesucht, ihre Beschlüsse und Handlungen sind mir fremd geblieben. Faktisch war also mein Verhältnis zur Partei längst gelöst, wir haben uns gegenseitig darüber nie getäuscht, es war das eine Art stillschweigender Konvention zwischen uns. Und ich kann nur sagen, dass ich mich wohl dabei befunden habe. Meiner, und der Natur jedes Poeten, tut die Freiheit not. Auch die Partei ist ein Käfig, und es singt sich, selbst für die Partei, besser draus als drin. Ich bin Dichter des Proletariats und der Revolution gewesen, lange bevor ich Mitglied des Bundes und Mitglied der Redaktion der ,Neuen Rheinischen Zeitung' war! So will ich nun auch ferner auf eigenen Füßen stehen, will nur mir selbst gehören und will selbst über mich disponieren!" Diese Absage Freiligraths an die Partei war kein Abfall von seiner Vergangenheit18, sondern was in ihm zum lebhaften Ausdruck kam, war der alte Widerwille des Dichters gegen den Kleinkram der politischen Agitation. Er trieb es darin selbst bis zur Gespensterfurcht, denn in den sieben Jahren, in denen er sich in den Versammlungen, Reden und Beschlüssen der Partei nicht beteiligt haben wollte, hatten solche Versammlungen, Reden und Beschlüsse überhaupt nicht stattgefunden.

Darauf wies Marx umgehend hin, und nachdem er nochmals alle sonstigen Missverständnisse aus dem Wege zu räumen bemüht gewesen war, schloss er, an ein Lieblingswort Freiligraths anknüpfend: „ ,Trotz alledem und alledem' wird Philister über mir für uns stets bessrer Wahlspruch sein als unter dem Philister. Ich habe offen meine Ansicht gesagt, die Du hoffentlich im Wesentlichen teilst. Ich habe ferner das Missverständnis zu beseitigen gesucht, als ob ich unter ,Partei' einen seit 8 Jahren verstorbnen ,Bund' oder eine seit 12 Jahren aufgelöste Zeitungsredaktion verstehe. Unter Partei verstand ich die Partei im großen historischen Sinn."19 Damit war der Friede zwischen beiden Männern hergestellt.20

Aber obgleich ihr Briefwechsel nun wieder ganz die alte Form annahm und den alten Geist atmete, so wuchs doch im Stillen die Entfremdung zwischen dem Dichter und dem Politiker. Nicht als ob Freiligrath in seinen revolutionären Anschauungen geschwankt hätte! Er verschmähte es, die Amnestie von 1861 anzunehmen, und wollte auch 1866 nicht durch den Teufel in den Himmel kommen. Ganz einig war er auch mit Marx in dem ungünstigen Urteil über die Agitation Lassalles, mit dem Freiligrath in den Revolutionsjahren ebenfalls freundschaftliche Beziehungen angeknüpft hatte. Lassalles „unablässige Keilversuche" um ein Lied für die deutsche Arbeiterbewegung fand Freiligrath „gar zu plump"; erst dem toten Agitator hat er durch ein Telegramm zu Lassalles Totenfeier in Genf gehuldigt.

Allein sowenig wie für die Agitation des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins hat Freiligrath etwas übrig gehabt für die Agitation der Internationalen Arbeiterassoziation, in der Marx seit 1864 die treibende Kraft war. Die wiedererwachende Arbeiterbewegung nahm neue Formen an, denen Marx mit seiner Kritik gewachsen war, aber Freiligrath nicht mit seiner Phantasie. Dem proletarischen Emanzipationskampf, namentlich den, wie Marx einmal sagt, „Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche"21 fehlen die dramatischen Effekte der bürgerlichen Revolution; ihm fehlte auch in den sechziger Jahren der Farben- und Gestaltenreichtum der Volkskämpfe von 1848 und 1849, in denen Freiligrath die Revolution als wildschöne Siegerin mit ehernen Sandalen und flatterndem Haar gesehen hatte.

Zudem geriet der alternde Dichter in schwere Bedrängnis, als sich die Bankfiliale auflöste, die er eine Reihe von Jahren geleitet hatte. Was ihm dann einen sorgenfreien Lebensabend schuf, die nationale Spende, die seine Bewunderer für ihn sammelten, zeigte von neuem, dass Dichter und Politiker unter verschiedenen Sternen leben. Was Freiligrath in allen Ehren annehmen konnte, hat Marx selbst in den ärgsten Nöten als „öffentliche Bettelei" verschmäht. Darüber kam es natürlich zu keiner neuen Spannung. Der letzte Brief, den Freiligrath kurz vor seiner Rückkehr nach Deutschland, am 3. April 1868, an Marx schrieb, ist ganz in dem alten herzlichen Tone gehalten, wenn er auch ohne Absicht und Wissen des Verfassers den weiten Abstand zeigte, der ihn immer schon von Marx trennte. Er enthält den Dank des Dichters für den ersten Band des „Kapitals", den Freiligrath durch die Behauptung zu rühmen glaubte, dass am Rheine sich viele junge Kaufleute und Fabrikbesitzer für das Buch begeisterten und dass es nebenbei auch als Quellenwerk für die Gelehrten unentbehrlich sein werde. Ein so grobes Missverständnis dessen, was Marx mit seinem wissenschaftlichen Hauptwerk erreichen wollte, wäre unerklärlich, wenn Freiligrath je das Kommunistische Manifest verstanden hätte.

Von Deutschland aus, wo Freiligrath noch acht Jahre lebte, hat er in keinem Verkehr mehr mit Marx gestanden. Doch ist weder hüben noch drüben eine verbitterte Erinnerung an die alte Freundschaft zurückgeblieben. Es lag auch schlechterdings kein Grund dazu vor. In den Gedichten, die Freiligrath in den Kriegsjahren 1870 und 1871 veröffentlichte, ist er sich durchaus treu geblieben; sie stehen in keinem inneren Widerspruche mit seinen Revolutionsliedern von 1848 und 1849, obgleich oder vielmehr weil sie in einem inneren Zusammenhange damit stehen, dass Freiligrath der neuen Arbeiterbewegung kein Lied gesungen hat. In dem Deutsch-Französischen Kriege trat ihm wieder ein Stück Revolution im Geklirr der Waffen entgegen; trotz aller diplomatischen Machenschaften und reaktionären Tendenzen Bismarcks war der Krieg insoweit ein Volkskrieg, als die Massen der deutschen Nation in ihn strömten, um endlich einmal Herren im eigenen Hause zu sein. Diesen Massen hat Freiligrath seine Lieder gesungen, und das war im wesentlichen die gleiche Auffassung des Krieges, wie sie auch Marx in den Manifesten der Internationale niedergelegt hat, nur freilich in kritischer Prosa und nicht im poetischen Schwünge.

Ein Streit über Freiligrath ist nur möglich, wenn man ihn entweder zu einem modernen Reichspatrioten oder einem modernen Sozialdemokraten machen will. Er ist weder das eine noch das andere gewesen. Aber wenn er in seinem Sinne auf einer höheren Warte gestanden hat als auf den Zinnen der Partei, so ist er im großen historischen Sinne, wie Marx sagte, ein Dichter der Partei gewesen.22

III

Ungleich umstrittener noch als das Andenken Freiligraths ist das Andenken Heines. Um den Lebenden hat der Kampf nicht heftiger getobt, als er um den Toten tobt.

Eine neue Veröffentlichung**23 will zwar das Bild des Dichters auf neuem Grunde entwerfen, erreicht das Ziel aber in keiner Weise. In der Hauptsache besteht sie aus Briefen, die der Dichter aus seiner Matratzengruft in bitteren Geldsorgen an seinen Bruder Gustav gerichtet hat, dessen Sohn die Herausgabe dieser „Heine-Reliquien" veranlasst hat. Er will dadurch seinen Vater in ein besseres Licht rücken, als worin dieser bisher gestanden hat; tatsächlich wird durch die Briefe nur der Dichter in ein schlechteres Licht gerückt, ohne dass sein der Nachwelt sehr gleichgültiger Bruder etwas dadurch gewinnt. Es ist nicht der erste, aber hoffentlich der letzte Versuch der Familie Heine, mit der Leiche ihres berühmten Verwandten zu krebsen, dem sie bei seinen Lebzeiten so bitteres Leid angetan hat.

Insbesondere die Wutausbrüche, die sich in diesen Briefen des Dichters gegen Lassalle finden, hätten nicht an die Öffentlichkeit gezogen werden sollen. Heine jammert über Lassalles „schändliche Ränke" gegen den Grafen Hatzfeldt; er nennt Lassalle „einen der furchtbarsten Bösewichte", der des Mordes, der Fälschung, des Diebstahls fähig sei, der eine an Irrsinn grenzende Willensfähigkeit besitze usw. Alles das nur wegen pekuniärer Verluste, die den Dichter bedrohten als Folge einer Kapitalanlage, zu der ihn Lassalles Schwager, ein gewisser Friedland, verleitet hatte. Lassalle, der diesen Schwager gründlich verachtete, viel gründlicher als leider Heine selbst, war daran ganz unschuldig. Er wird deshalb von Heines Scheltreden in keiner Weise betroffen; vielmehr machen sie einen für den Dichter selbst ungünstigen Eindruck, wobei man jedoch billigerweise berücksichtigen muss, dass Heine sich in den Qualen einer entsetzlichen Krankheit und in Geldnöten, die allerdings der Schwager Lassalles veranlasst hatte, zu ihnen hat hinreißen lassen.

Lassalle selbst hat als die Ursache seines Bruchs mit Heine die Beziehungen angegeben, in die der Dichter durch seine französische Pension mit Guizot geraten war, der durch irgendwelche Zwischenglieder zugunsten des Grafen Hatzfeldt beeinflusst worden sei. Dies wird mittelbar durch die Klagen Heines über die angeblich „schändlichen Ränke" Lassalles gegen den Grafen Hatzfeldt bestätigt. Was übrigens die französische Pension angeht, so ist auch Heines öffentliche Behauptung unrichtig, dass Marx ihn im Frühjahr 1848 in Paris besucht habe, um ihn über die Angriffe zu trösten, die damals wegen der französischen Pension gegen ihn gerichtet wurden. Doch hat Marx die Sache laufen lassen und den todkranken Dichter nicht durch eine öffentliche Berichtigung gekränkt.

Viel wichtiger als diese persönlichen Reibungen sind die geistigen Beziehungen, die zwischen dem Dichter und den beiden Sozialisten bestanden haben. Oder genauer zwischen Heine und Marx24, denn Lassalle zählte erst zwanzig Jahre, als er im Jahre 1845 mit Heine bekannt wurde, und ist damals dem Dichter wesentlich doch nur in dessen verzweifeltem Erbschaftsstreit ein tapferer Helfer gewesen. In dem berühmten Brief an Varnhagen kündigte Heine mit beredten Worten die künftige Bedeutung des Jünglings an; erlebt hat er aber weder die wissenschaftlichen Werke noch die Arbeiteragitation Lassalles.

Auf viel breiterer Grundlage entspann sich im Herbste 1843, zur Zeit der „Deutsch-Französischen Jahrbücher", ein vertrauter Verkehr zwischen Heine und Marx. Noch hatten sich die Fluten sittlicher Entrüstung nicht verlaufen, die Heines Denkschrift über Börne nicht zuletzt unter den deutschen Radikalen erregt hatte, und Ruge nahm sofort eine feindliche Stellung zu Heine ein. Im schroffen Gegensatze zu ihm urteilte Marx, eine tölpelhaftere Behandlung, als Heines Schrift über Börne von den christlich-germanischen Eseln erfahren habe, sei kaum in einer anderen Periode der deutschen Literatur anzutreffen, obgleich es keiner an Eseln gefehlt habe. Er beabsichtigte selbst über das Buch zu schreiben, ist dann aber nicht dazu gekommen.25

Heute ist seine Stellung in dem Streit zwischen Börne und Heine verständlich genug. Sieht man von einigen persönlichen Ausfällen nicht sowohl gegen Börne selbst als gegen eine Freundin Börnes ab, die sich nicht rechtfertigen lassen und von Heine selbst später bedauert worden sind, so verficht sein Buch über Börne durchaus eine höhere Weltanschauung gegenüber dem bornierten kleinbürgerlichen Radikalismus, den Börne vertrat. Und selbst die schärfsten Ausfälle Heines erscheinen in einem milderen Licht angesichts des Klatschkrieges, den Börne jahrelang in der gehässigsten Weise gegen Heine geführt hatte, obendrein meist hinter dessen Rücken. Gerade als Marx in Paris lebte, waren die literarischen Erben Börnes übel genug beraten, die Beweisstücke dieses Klatsches zu veröffentlichen, den Börne schon begonnen hatte, als er mit Heine noch Schulter an Schulter stand. Das steht mit dem unbestreitbar ehrlichen Charakter Börnes auch keineswegs im Widerspruch. Es gibt im öffentlichen Leben nicht leicht ärgere Jesuiten als die beschränkten und buchstabengläubigen Radikalen, die, in den fadenscheinigen Mantel ihrer Tugendhaftigkeit gehüllt, vor keinen Verdächtigungen der feineren und freieren Geister zurückscheuen, denen es gegeben ist, die tieferen Zusammenhänge des historischen Lebens zu erkennen.

Diese Fähigkeit besaß Heine in hervorragendem Maße. In dem Sinne, wie schon die Alten den Dichter einen Seher nannten, war er ein Weissager kommender Dinge. Schon wenige Jahre nach der Julirevolution, in den Jahren 1833 und 1834, wies er nach, dass die deutschen Handwerker und Arbeiter die Erben unserer großen Philosophen seien, führte er aus, es komme nicht „auf das Äußerliche der Revolution", sondern auf ihre „tieferen Fragen" an. „Diese Fragen betreffen weder Formen noch Personen, weder die Einführung einer Republik noch die Beschränkung einer Monarchie, sondern sie betreffen das materielle Wohlsein des Volkes. Die bisherige spiritualistische Religion war heilsam und notwendig, solange der größte Teil der Menschheit im Elend lebte und sich mit der himmlischen Religion vertrösten musste. Seit aber durch die Fortschritte der Industrie und der Ökonomie es möglich geworden, die Menschen aus ihrem materiellen Elend herauszuziehen und auf Erden zu beseligen, seitdem – Sie verstehen mich. Und die Leute werden uns schon verstehen, wenn wir ihnen sagen, dass sie in der Folge alle Tage Rindfleisch statt Kartoffeln essen sollen, und weniger arbeiten und mehr tanzen werden. Verlassen Sie sich darauf, die Menschen sind keine Esel." Das waren doch andere Leistungen, als wenn Börne auf den gereimten Knecht Goethe und den ungereimten Knecht Hegel räsonierte. Heines rastlose Bemühungen, den Franzosen die deutsche Philosophie und den Deutschen den französischen Sozialismus zu vermitteln, gingen weit über den Horizont Börnes hinaus.

Freilich sah Heine immer nur als Dichter den Dingen auf den Grund. Ein Politiker war er nicht und noch weniger ein Parteimann. Er hatte ein ästhetisches Grauen vor jeder Massenherrschaft, die für ihn die Herrschaft eines unerträglichen Banausentums war. Er verschmähte jeden Verkehr mit dem Häuflein der deutschen Flüchtlinge, das sich nach der Julirevolution in Paris gesammelt hatte und in Börne sein Orakel verehrte. In diesem Punkte stimmte der geniale Dichter ganz mit dem Philister Ruge überein, während umgekehrt sich Marx ganz auf die Seite Börnes schlug, ebenso wie dieser um einen Anhang unter den flüchtigen Arbeitern und Handwerksburschen warb.

Seit dem Februar 1840 schrieb Heine wieder Pariser Berichte über Politik, Kunst und Volksleben für die „Allgemeine Zeitung" in Augsburg, nachdem zehn Jahre früher seine Tätigkeit für dieses Blatt durch den Einspruch Metternichs gehemmt worden war. Er selbst hat später gesagt, dass sich die Prophezeiungen vom Siege des Kommunismus durch seine Berichte wie ein roter Faden gezogen hätten, während ihm von feindlicher Seite vorgeworfen worden ist, er habe in seinen Pariser Briefen das Bürgerkönigtum verteidigt oder ihm – aus Rücksicht auf seine Pension – wohl gar geschmeichelt. Diese Unterstellung ist ganz unhaltbar, aber so schlechthin lässt sich auch nicht sagen, weder dass Heine den Kommunismus noch dass er die Herrschaft Louis-Philippes verteidigt habe.

Da ihm die alte Monarchie mit ihren Rittern und Heiligen vom Grunde der Seele aus verhasst, aber auch die Republik wegen der gefürchteten Massenherrschaft ein Gegenstand des Grauens war, so wäre allerdings die monarchisch-konstitutionelle Staatsform, wie sie damals im Bürgerkönigtum bestand, logischerweise seine Sache gewesen. Aber Heine war doch ein zu tief angelegter Geist, um nicht auch in ihr eine Form der Klassenherrschaft zu erkennen, und zwar die nicht am wenigsten verächtliche. Schon in den jungen Tagen des Bürgertums hatte ihn der Saint-Simonismus mächtig ergriffen; von ihm hatte er jene Gegenüberstellung des Spiritualismus und des Sensualismus, der christlichen Entsagungs- und der heidnischen Genusslehre, der mageren Nazarener und der fetten Hellenen übernommen, wie sie namentlich von Enfantin vertreten wurde, dem Heine die französische Ausgabe seines Buches über die Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland gewidmet hat. Aber die Saint-Simonisten waren am Ende nur eine philosophische Schule, die beim ersten leichten Zusammenprall mit der rauen Außenwelt zerstob, und nicht anders stand es um die anderen sozialistischen Sekten. Je mehr sich das Bürgerkönigtum als die Herrschaft eines eigensüchtigen Kapitalismus entpuppte, um so mehr sah Heine diese Herrschaft von anderen und gewaltigeren Mächten bedroht.

Ich spreche von den Kommunisten, der einzigen Partei in Frankreich, die eine entschlossene Beachtung verdient. Ich würde für die Trümmer des Saint-Simonismus, dessen Bekenner unter seltsamen Aushängeschildern noch immer am Leben sind, sowie auch für die Fourieristen, die noch frisch und rührig wirken, dieselbe Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, aber diese ehrenwerten Männer bewegt doch nur das Wort, die soziale Frage als Frage, der überlieferte Begriff, und sie werden nicht getrieben von dämonischer Notwendigkeit, sie sind nicht die prädestinierten Knechte, womit der höchste Weltwille seine ungeheuren Beschlüsse durchsetzt. Früher oder später wird die zerstreute Familie Saint-Simons und der ganze Generalstab der Fourieristen zu dem wachsenden Heere des Kommunismus übergehen und, dem rohen Bedürfnis das gestaltende Wort leihend, gleichsam die Rolle der Kirchenväter übernehmen." So schrieb Heine am 15. Juli 1843, und in demselben Jahre noch wurde er der Freund des Mannes, der das vollbringen sollte, was Heine von den Saint-Simonisten und Fourieristen erwartete.

Damals war Marx freilich noch in dem Mauserungsprozess nicht mehr von der Philosophie zur Politik, aber doch von der Politik zum Sozialismus begriffen. Noch waren die Grundzüge seiner neuen Weltanschauung nicht klar herausgearbeitet. Es war noch kein Meister-, sondern nur erst ein Lehrjahr, wenngleich das fruchtbarste seiner Lehrjahre, das er in nahem Verkehr mit Heine verlebte. Für Heine aber war es wohl das reichste seiner Dichterjahre, das Jahr des „Wintermärchens" und des „Weberliedes", in denen er am schärfsten als sozialistischer Lyriker hervortritt. Wenn Ruge anders zutreffend berichtet, hat Marx den entscheidenden Anstoß zu den politischen und sozialen Zeitgedichten gegeben, die Heines Namen länger in der Weltliteratur erhalten werden als seine Liebeslyrik, eine Mitteilung, die immerhin insoweit anfechtbar erscheint, als Ruge selbst sich einen durchaus fragwürdigen Anteil an dieser Entwicklung des Dichters zuschreibt. Sicher bezeugt ist jedoch, dass Marx damals den regsten Anteil an Heines Dichterarbeit genommen hat; der einzige Brief Heines an Marx, der sich erhalten hat, legt dem Freunde die Sorge für das „Wintermärchen" ans Herz und schließt mit den Worten: Wir brauchen ja wenige Worte, um uns zu verstehen.26

Dieser Brief ist aus Hamburg geschrieben, wo sich Heine mehrere Monate des Jahres 1844 aufhielt, so dass beide Männer nicht einmal ein volles Jahr miteinander gelebt hatten. Im Januar 1845 wurde Marx aus Paris ausgewiesen und ging nach Brüssel. „Ich mochte Sie gern mit einpacken", schrieb er dem Dichter und mahnte ihn, den gemeinsamen Kampf in einer deutschen Vierteljahrsschrift fortzusetzen, die damals geplant war.27 Aber derweil steckte Heine schon in dem „Hamburger Sukzessionskriege", dem widerwärtigen Erbschaftsstreite, der durch den im Dezember 1844 erfolgten Tod seines Oheims Salomon entzündet worden war, und aus ihm ging der schon länger kränkelnde Dichter als eine körperliche Ruine hervor.

Es ist bekannt, wie wunderbar frisch sich seine dichterische Kraft in dem mehr als zehnjährigen furchtbaren Leiden erhalten hat. Aber seine Entwicklung als sozialistischer Lyriker war abgebrochen. Er hat nichts mehr davon erfahren oder doch nichts mehr davon verstanden, dass Marx und mit ihm Engels nunmehr die von ihm prophezeite Verschmelzung von Arbeiterbewegung und Sozialismus vollzogen, dass sie in dem Elend von heute die Hoffnung auf morgen erkannten, dass sie nachwiesen, wie der Kampf des Proletariats gegen seine Entmenschung durch das Kapital gerade die Elemente seiner menschlichen Wiedergeburt enthalte. Heine blieb auf seinem alten Standpunkt stehen, oder vielmehr, er fuhr fort zu schwanken zwischen der instinktiven Ahnung des Sehers von dem unaufhaltsamen Siege des; Kommunismus und dem ästhetischen Abscheu des Dichters vor jeder Massenherrschaft, nur dass sich, wie es bei solchem Stillstande zu gehen pflegt, der Widerspruch immer krasser hervortat.

In dem Liede von den Wanderratten verspottet Heine die Angst der Philister vor dem Siege des Kommunismus:


Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,

Die Glocken läuten die Pfaffen, Gefährdet ist das Palladium

Des sittlichen Staats, das Eigentum.


Aber das Bild, das er von den siegreichen Kommunisten entwirft, ist auch nichts weniger als schmeichelhaft:


Es haben diese Käuze

Gar fürchterliche Schnäuze;

Sie tragen die Köpfe geschoren egal,

Ganz radikal, ganz rattenkahl.


Der sinnliche Rattenhaufen,

Er will nur fressen und saufen,

Er denkt nicht, während er säuft und frisst,

Dass unsere Seele unsterblich ist.


Bis an seinen Tod hat den Dichter das für ihn unlösbare Problem beschäftigt. Zwei Jahre vorher, im Jahre 1854, sprach er seine Abscheu aus „vor dem schauderhaft nacktesten, ganz feigenblattlosen, kommunen Kommunismus". Er will seine Scheu nicht verwechselt sehen mit der Furcht des Glückspilzes, der für seine Kapitalien zittere, oder mit dem Verdruss der wohlhabenden Gewerbsleute, die in ihren Ausbeutungsgeschäften gehemmt zu werden fürchteten: „nein, mich beklemmt vielmehr die geheime Angst des Künstlers und des Gelehrten, die wir unsere ganze moderne Zivilisation, die mühselige Errungenschaft so vieler Jahrhunderte, die Frucht der edelsten Arbeiten unserer Vorgänger, durch den Sieg des Kommunismus bedroht sehen."

Und ganz ähnlich noch ein Jahr später, in dem französisch geschriebenen Vorwort zur französischen Übersetzung einer seiner Schriften: „Nur mit Abscheu und Grauen denke ich an die Epoche, wo diese finsteren Bilderstürmer zur Herrschaft gelangen werden; mit ihren schwieligen Händen werden sie ohne Erbarmen die Marmorbildsäulen der Schönheit zerbrechen, die meinem Herzen so teuer sind; sie werden all jenes phantastische Flitter- und Spielwerk der Kunst zerstören, das der Dichter so sehr liebte; sie werden meine Lorbeerhaine fällen und an ihrer Stelle Kartoffeln pflanzen; die Lilien, die nicht spannen und nicht arbeiteten und doch so herrlich gekleidet waren wie König Salomo in all seiner Pracht, sie werden aus dem Boden der Gesellschaft ausgerauft werden, es sei denn, dass sie etwa die Spindel zur Hand nehmen wollen; die Rosen, die müßigen Bräute der Nachtigallen, wird das gleiche Los ereilen; die Nachtigallen, diese unnützen Sänger, werden verjagt werden, und ach! mein Buch der Lieder wird dem Gewürzkrämer dienen, um daraus Tüten zu drehen, in die er Kaffee oder Tabak schütten wird für die alten Weiber der Zukunft." Aber, so fügte Heine hinzu, dieser Kommunismus, der allen seinen Interessen und Neigungen so feindselig sei, übe auf seine Seele einen Zauber aus, dessen er sich nicht erwehren könne: zwei Stimmen erhöben sich für ihn in seiner Brust, die Stimme der Logik, denn wenn alle Menschen das Recht hätten zu essen, so sei der Kommunismus unwiderleglich, und die Stimme des Hasses, denn der Kommunismus werde ihn rächen an den patriotischen Philistern, die ihm das Leben so sauer gemacht hätten. Das hat der Kommunismus nun zwar getan, aber ebendeshalb verwüstet er nicht, sondern schützt die Lorbeerhaine des Dichters.

Wie für Freiligrath und nun gar Herwegh, so blieb auch für Heine der wissenschaftliche Sozialismus ein Buch mit sieben Siegeln. Allein was ihre Schwäche als Denker sein mochte, war doch auch wieder ihre Stärke als Dichter. Solange der Kommunismus eine Aussicht, eine Hoffnung, eine Sehnsucht war, die der Phantasie den weitesten Spielraum boten, hatte die sozialistische Lyrik ihren Tag; sobald er die klare Erkenntnis einer Notwendigkeit wurde, die sich in einem weltgeschichtlichen Ringen durchzusetzen sucht, bestätigte sich die alte Wahrheit, dass unter den Waffen die Musen schweigen.

* Fleury, Le poete Georges Herwegh. Paris, Edouard Cornely 1912. Gr. 8°, 397 S.

1 Siehe Mehrings Rezension dieser Ausgabe in „Bücherschau“ ( 4. 2. 1910)

2 Siehe Mehrings Artikel „Marcel-Theophil" (15. 12. 1896).

3 Mehring spielt darauf an, dass das evangelische Stift zu Tübingen von Dichtern wie Hölderlin und Mörike und Philosophen wie Hegel und Schelling besucht worden ist.

4 „Die Freien" – loser Berliner Verein von Junghegelianern, die sich um Bruno Bauer sammelten. Zum Stamm dieses Vereins, der bis zur Revolution von 1848 bestand, gehörten Edgar Bauer, Buhl, Meyen, Max Stirner, Faucher, Maron und andere. Siehe auch S. 499-503 des vorliegenden Bandes.

5 Marx an Arnold Ruge, 30. November 1842. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 27, S. 413.

6 Gemeint ist die Sammlung Georg Büchmanns „Geflügelte Worte. Zitatenschatz".

* Franz Mehring, Freiligrath und Marx in ihrem Briefwechsel. Ergänzungsheft Nr. 12 zur Neuen Zeit. Stuttgart, J. H. W. Dietz Nachf., 1912.

7 Dieses fehlerhafte Urteil Mehrings beruht auf der unvollständigen Kenntnis des Briefwechsels zwischen Marx und Engels sowie auf einer Reihe offensichtlicher Fehlinterpretationen der Briefe von Marx.

8 Eine der schärfsten Erwiderungen der „Rheinischen Zeitung" bestand im Abdruck eines Gedichts Karl Heinzens gegen Freiligrath, das mit der Strophe begann:

Der Dichter steht auf einer höheren Warte

Als auf der Zinne der Partei.

Doch greift er ohne Scheu nach der Standarte

Der – Polizei.

9 Dieses Urteil Mehrings steht in schroffem Widerspruch zu den Auffassungen von Marx und Engels, die Freiligraths Gedichte in der „Neuen Rheinischen Zeitung" als seine besten ansahen, während Engels die „sechs Provokationen der Revolution" in „Ca ira" vernichtend kritisierte.

10 Engels' Artikel „Die wahren Sozialisten", von dem hier die Rede ist, wurde als unmittelbare Fortsetzung des II. Bandes der „Deutschen Ideologie" geschrieben und erstmals in deutscher Sprache 1932 in der MEGA veröffentlicht. Siehe auch in Marx/Engels: Werke, Bd. 4.

11 Diese Auffassung Mehrings widerspricht durchaus dem Inhalt von Engels' Artikel „Deutscher Sozialismus in Versen und Prosa", der 1847 in der „Deutschen-Brüsseler-Zeitung" erschien.

12 Siehe dazu Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. In: Franz Mehring: Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 476.

13 Mehring spielt vor allem auf das Gedicht „Wien" an. Siehe auch den Artikel über Freiligraths späteres Gedicht „Kalifornien" (März 1895).

14 Gemeint ist Louis Bonaparte.

15 Marx an Joseph Weydemeyer, 16. Januar 1852. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 28, 475.

16 Die Hintergründe der politisch begründeten Kritik von Marx und Engels an Freiligraths Beteiligung an der Londoner Schiller-Feier werden aus dem Briefwechsel zwischen Marx und Engels völlig klar. Es sei vor allem auf folgende Briefe verwiesen, die in Marx/Engels: Werke, Bd. 29, S. 496/497, 499-504, 616/617, 506, 510-514, 518/519 zu finden sind: 1. Marx an Engels, 26. Oktober 1859. 2. Marx an Engels, 3. November 1859. 3. Engels an Marx, 4. November 1859. 4. Engels an Jenny Marx, 5. November 1859. 5. Marx an Engels, 16. November 1859. Marx an Engels, 19. November 1859 und 7. Engels an Marx, 28. November 1859.

17 Marx an Ferdinand Freiligrath, 23. Februar 1860. In: Ebenda, Bd. 30, S. 461/462.

18 Diese Auffassung Mehrings ist unhaltbar; ihre Unrichtigkeit erweist sich nicht nur an der politischen Haltung Freiligraths, besonders in der Vogt-Affäre, wo er Marx völlig im Stich ließ, sondern auch in seiner ganzen weiteren Poesie, in der er nirgends mehr als „Dichter des Proletariats und der Revolution" auftrat.

19 Marx an Ferdinand Freiligrath, 29. Februar 1860. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 30, S. 495. Mehring reißt diese Briefstelle aus dem Zusammenhang. Es heißt bei Marx: „Also von ,Partei' in dem Sinn Deines Briefs weiß ich nichts seit 1852 … und hatte wahrhaftig genug an den 1849-52 gemachten Erfahrungen. Der ,Bund', wie die Société des Saisons zu Paris, wie hundert andre Gesellschaften, war nur eine Episode in der Geschichte der Partei, die aus dem Boden der modernen Gesellschaft überall naturwüchsig sich bildet." (In: Ebenda, S. 490.) Dadurch ergibt sich hinsichtlich der „Partei im großen historischen Sinne" ein ganz anderer Sinn, als Mehring dieser Formulierung unterlegen will.

20 Der weitere Briefwechsel zwischen Marx und Engels bezeugt das Gegenteil.

22 Siehe dazu Anmerkung 82. Mehring stellt mit einer solchen Wendung das Urteil von Marx genau auf den Kopf, denn Marx hatte mit seiner Formulierung die jeweils höchste geschichtliche Form der proletarischen respektive kommunistischen Parteibewegung im Auge. Doch gerade von ihr hatte sich Freiligrath nachdrücklich losgesagt.

* * Heine-Reliquien. Neue Aufsätze und Briefe Heinrich Heines. Berlin, Karl Curtius 1911. Gr. 8°, 357 S.

23 Siehe den Aufsatz „Heine-Reliquien", S. 486/487 des vorliegenden Bandes.

24 Siehe den Aufsatz „Heine an Marx" (Oktober 1895).

25 Siehe Marx an Heinrich Heine, um den 5. April 1846. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 27, S. 441.

26 Eine vollständige Wiedergabe dieses Briefes findet sich in „Heine an Marx“ (Oktober 1895).

27 Marx an Heinrich Heine, 12. Januar 1845. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 27, S. 434.

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