Franz Mehring 19060207 Zu Heines Ehren

Franz Mehring: Zu Heines Ehren

Februar 1906

[Die Neue Zeit, 24. Jg. 1905/06, Erster Band, S. 641-644. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 482-495]

Am 17. Februar dieses Jahres werden fünfzig Jahre verflossen sein, seitdem Heinrich Heine durch einen barmherzigen Tod von qualvollen Leiden erlöst wurde. Jedoch starb er nur, um unsterblich weiterzuleben, und wie die ganz großen Gestalten der Weltliteratur steht er dem modernen Menschen zugleich so nah und so fern, dass es uns schwer wird, zu glauben, es seien erst fünf kurze Jahrzehnte über sein Grab dahingegangen.

Er gehört ganz der Geschichte an, und dennoch ist sein Name ein Feldruf mitten in den heißesten Kämpfen der Gegenwart. Wir sprechen nicht erst von den krähwinkelhaften Streitigkeiten um das Denkmal, das Heine in Deutschland erhalten oder nicht erhalten soll; wir teilen in dieser Frage ausnahmsweise vollkommen den Standpunkt der Junker und Pfaffen und spießbürgerlichen Philister, die mit gutem historischem Rechte den Boden ihres neudeutschen Reiches von Wilhelms und Bismarcks Gnaden nicht durch einen Stein entweiht haben wollen, der Heines Andenken wachhalten soll. Welch abgeschmackte Posse, wenn etwa in Berlin die Hülle von einer Bildsäule Heines fiele, in Gegenwart eines preußischen Prinzen – denn preußische Könige wohnen Denkmalsenthüllungen nur bei, wenn diese Militärs vom Schlage eines Wrangel, aber nicht, wenn sie Zivilisten vom Schlage eines Lessing oder Schiller gelten –, und wenn dabei ein preußischer Kultusminister, wie der gute Herr Studt, in Heine einen „Ritter vom Geiste" feierte. Nein, alles was recht ist: Heine hat mit der neudeutschen Reichsherrlichkeit nichts, aber auch gar nichts zu schaffen, und man ehrt nicht, sondern man verunglimpft sein Andenken, wenn man ihn dennoch mit ihr zusammenkoppeln will.

Sieht man hiervon ab, so ist es eigen, dass die Gegensätze und Kämpfe, in denen der lebende Heine stand, für uns gewissermaßen schon einer aschgrauen Vergangenheit angehören, während um Heine selbst noch immer mit einer fieberhaften Leidenschaft gestritten wird. Wir wollen uns auch hier die Sache nicht zu leicht machen und deshalb ganz von den blöden Schmähungen absehen, wie sie etwa Treitschke in seiner „Deutschen Geschichte" über Heine ausschüttet; da mag man die politische Leidenschaft als mildernden Umstand anrechnen. Aber auch von der eigentlichen Literarhistorie und speziell von seinen Brüdern in Apoll wird Heine oft in einer schier unglaublichen Weise misshandelt. „Im Übrigen gebe ich Heine vollständig preis: der leicht bewegliche ist auch der ganz charakterlose", schreibt so ein Straßburger Universitätsdenker, der bisher noch der Mitwelt jeden Beweis dafür schuldig geblieben, dass er selbst einen Charakter besitzt. Der brave Reuter spielte sich in komischer Anmaßung über Heine hinaus, und der nicht minder brave Rosegger tut so, als ob er von keinem Heine wisse. Ein „berühmter" Lyriker aus der sogenannten Moderne, die in dreifacher Potenz noch nicht einmal ein Drittel so modern ist, wie Heine war, nennt diesen das „gewaltigste Nachahmertalent der Weltliteratur". Und um über den Balken im Auge der Gegner auch den Splitter im eigenen Auge nicht zu vergessen, so lasen wir erst vor wenigen Wochen in einem süddeutschen Parteiblatt, ein leichtes Feuilletontalentchen der Gegenwart sei „ernster und schwerer" als Heine, was denn freilich wehmütig genug an Heines schiefe Prophezeiung über den Sieg der Kommunisten erinnert: „Sie werden meine Lorbeerhaine fällen und dort Kartoffeln pflanzen."

Alles in allem schuldet die Nachwelt dem Genius Heines noch alles, was ihm die Mitwelt schuldig geblieben ist, und die Nachwelt darf nicht soviel zu ihrer Entschuldigung geltend machen wie die Mitwelt. Die Schuld daran trägt die Tatsache, dass Heine eine ganz einzige und unvergleichliche Stellung in der Weltliteratur einnimmt; es gibt keinen zweiten Dichter, in dessen Werken die Farben und Formen der drei großen Weltanschauungen, die sich im Laufe eines Jahrhunderts abgelöst haben, so harmonisch ineinander spielen, harmonisch in der geschlossenen Einheit der künstlerischen Persönlichkeit. Heine nannte sich selbst den letzten Fabelkönig der Romantik; er rühmte sich aber immer auch seines Kampfes für die Ideen der bürgerlichen Freiheit, und er tat sich nicht wenig darauf zugute, den Kommunismus in seiner leibhaftigen Wirklichkeit entdeckt zu haben und sein begeisterter Prophet gewesen zu sein. Er ist auch nicht eines nach dem anderen gewesen, sondern alles zu gleicher Zeit, und wer ihn nur von einem dieser Standpunkte aus betrachtet, vom romantischen oder vom bürgerlichen oder vom proletarischen, der wird ihn immer voller Unzulänglichkeiten und Widersprüche finden.

Die historische Würdigung Heines ist ein rechtes Probestück für alle Ästhetik, und es ist kein Zufall, dass gerade die Ästhetik der sogenannten Moderne diese Probe so schlecht bestanden hat. Man kann allen Respekt vor Dichtern wie Hebbel und Hauptmann haben – und wir haben ihn wirklich, namentlich vor Hebbel –, aber sie anbeten und Heine verdammen, das ist Tendenz sowohl im Hinauf wie im Hinab, und zwar politisch rückständige Tendenz. Bei den Hebbel und Hauptmann ist gut weilen, da ihnen der Philister immer noch im Blute steckt; die Briefe und Tagebücher Hebbels wimmeln von den ärgsten Spießbürgereien, so revolutionär sich Hebbel in seinen Dramen gebärdet, und Hauptmann hat eben erst wieder in seinem neuesten Theaterstück gezeigt, dass er uns spanisch kommt, wenn er uns genial kommen möchte. Davon ist bei Heine aber keine Rede; er ist nicht mit Unrecht der freieste Deutsche genannt worden, und um ihm gerecht zu werden, muss man in der Tat Herz und Kopf selbst von den leisesten Spinnweben der Philisterei befreit haben, was nun einmal nicht die Gewohnheit deutscher Professoren und leider auch nicht deutscher Poeten ist.

Es kommt hinzu, dass Heine ein Mann von der erstaunlichsten Bildung und den vielseitigsten Kenntnissen war. In dieser Beziehung gehört er durchaus zu den Goethe und Lessing, und nicht zu den Hebbel und Hauptmann und den sonstigen Dichtergrößen, denen die moderne Ästhetik ihre wohlfeilen Kränze spendet. Es ist eine purpurne Tiefe des Meeres, auf der die Wellen in den Dichtungen Heines ihr bewegtes Spiel treiben. Nichts törichter daher, aber auch nichts bequemer, als über den leichten und leichtfertigen Dichter abzusprechen, während doch sowohl die Leichtigkeit wie die Leichtfertigkeit durchaus auf der Seite des Kritikers ist. Mitschuldig daran ist dann freilich auch das Heer der seichten Feuilletonschwätzer, das sich, verführt durch die scheinbar spielende Art, womit Heine Gedanken und Verse gleichsam aus dem Ärmel schüttelte, an seine Fersen gehängt hat, obgleich der ganz Große auch der ganz Unnachahmliche ist. Eine Schule im engeren Sinn hat Heine sowenig hinterlassen wie Goethe; er gehörte zu den Einsamen, die den Beifall der Jahrzehnte verschmähen dürfen, weil ihrer der Ruhm der Jahrhunderte harrt.

Über die menschlichen „Schwächen" Heines noch ein Wort zu verlieren hat dann am wenigsten einen Zweck, wenn dies Wort ein Wort der Verteidigung sein soll. Dessen bedarf Heine schon darum nicht, weil er kein Heuchler war und sich des Menschlichen und etwa auch allzu Menschlichen nicht schämte, was es in seinem Charakter und seinem Leben gab. Nietzsches „Jenseits von Gut und Böse" ist eine blöde Rodomontade, wenn es die Parole eines Übermenschentums sein soll, aber es hat seinen guten Sinn als Protest gegen die abscheuliche Moralisiererei, wie sie in der bürgerlichen Geschichts- und namentlich Literaturgeschichtsschreibung eingerissen ist. Von wegen seiner Mathilde haben die Philister um Heine nicht minder ihre Narrentänze aufgeführt als um Goethe von wegen seiner Christiane. Darin wird eine vollständige Umwertung aller Werte stattfinden müssen, nicht im Übermenschensinn Nietzsches, aber im Interesse der historischen Gerechtigkeit, und wir gehen ihr wohl schon entgegen.

Seit hundert Jahren ist Schillers Verhältnis zu den Frauen geflissentlich verherrlicht, besonders seine Ehe als die Musterehe des echten teutschen Mannes mit der echten teutschen Frau gepriesen worden. Der Schreiber dieser Zeilen war noch vor Jahresfrist den landesüblichen dummdreisten Redensarten über die „Vermarxisierung" Schillers ausgesetzt, als er in einer kleinen Schrift zur Säkularfeier von Schillers Todestag darauf hinwies, dass Schillers Verhältnis zu den Frauen im allgemeinen und zu seiner Ehefrau im besonderen nichts weniger als unanfechtbar gewesen sei, gerade auch vom sittlichen Standpunkt aus. Seitdem ist der Briefwechsel Wilhelm von Humboldts mit seiner Braut und späteren Frau erschienen, der diese Auffassung sozusagen im Übermaß bestätigt und den Humbug von Schillers „idealer Ehe" ein für allemal zertrümmert. Das ist nur ein Beispiel für die bourgeoise Pfiffigkeit, die sich ihre Götter und ihre Teufel ganz nach ihren Bedürfnissen zurechtmacht; ihr Gerede über Heines „Unsittlichkeit" hat genauso viel oder sowenig Bedeutung wie ihr Gerede über Schillers „Sittlichkeit".

Heine wäre nicht Heine, wenn die Philister nicht unendlich viel an ihm auszusetzen hätten. Das wird auch niemals anders werden, solange es Philister gibt. Eher ist zu beklagen, dass Heine den deutschen Arbeitern lange nicht so bekannt und so vertraut ist, wie er es sein sollte. Gewiss kann er ihnen kein praktischer Führer in ihrem Emanzipationskampfe sein, denn er war weder Ökonom noch Politiker, aber er bietet ihnen in reichstem Maße den künstlerischen Geist, für den sie so empfänglich sind wie für jedes große menschliche Vermögen.

Die Schwierigkeit liegt nur darin, dass ein erschöpfendes historisches Verständnis Heines nicht von selbst gegeben ist. Auch hat nicht alles, was er geschrieben hat, die fünfzig Jahre nach seinem Tode überlebt. Eine Auswahl seiner Werke, erläutert nicht im Sinne einer politischen Tendenz, aber im Geiste einer historischen Ästhetik, die vom bürgerlichen Standpunkt nicht zu erreichen ist, jedoch vom proletarischen Standpunkt erreicht werden könnte, wäre ein herrliches Geschenk für die deutsche Arbeiterklasse. Den Wunsch nach einer solchen Ausgabe haben wir schon vor einem Dutzend Jahren einmal an dieser Stelle ausgesprochen, aber wir möchten keinen Gedenktag Heines vorübergehen lassen, ohne ihn zu erneuern.

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