Franz Mehring: Literarische Rundschau

Georg Brandes: Gestalten und Gedanken

20. Juli 1904

[Die Neue Zeit, 22. Jg. 1903/04, Zweiter Band, S. 543. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 535]

Georg Brandes, Gestalten und Gedanken. Essays. München 1903, Albert Langen, Verlag für Literatur und Kunst. 526 Seiten. Preis 10 Mark.

Die früher häufig erörterte Frage, ob es erlaubt sei, dass ein Schriftsteller seine in Zeitschriften und Zeitungen zerstreuten Aufsätze in einem Buche sammle, ist schließlich durch die Antwort entschieden worden: Gewiss, wenn es sich lohnt. Brandes kann sich mit seinem neuesten Bande leider nicht auf diese Entscheidung berufen. Man findet darin weder Gestalten noch Gedanken, sondern eine große Zahl, mehr als hundert, flüchtige Notizen, die der Verfasser während eines mehrjährigen Leidens für die Presse niedergeschrieben hat, kleine Bücherbesprechungen, Plaudereien, Reiseerinnerungen, Nekrologe und dergleichen mehr. Am Tage entstanden, mögen sie dem Bedürfnis des Tages genügt haben, aber in der Form eines umfangreichen Buches gesammelt, erheben sie Ansprüche, denen sie in keiner Weise gerecht werden, zumal da die Selbstgefälligkeit der Form den Leser ebenso schnell ermüdet, wie die Nichtigkeit des Inhalts.