Franz Mehring 19011221 Literarische Rundschau (Adalbert v. Hanstein: Das jüngste Deutschland)

Franz Mehring: Literarische Rundschau

Adalbert v. Hanstein: Das jüngste Deutschland

21. Dezember 1901

[Die Neue Zeit, 20. Jg. 1901/02, Erster Band, S. 414/415. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 538 f.]

Adalbert v. Hanstein, Das jüngste Deutschland. Mit 113 Schriftstellerbildnissen. Buchschmuck von Emil Büchner. Leipzig 1900, R. Voigtländers. 375 Seiten. Preis 6,50 Mk.

Die äußere Ausstattung des stattlichen Bandes verdient alles Lob. Die Verlagshandlung hat dankenswerte Sorgfalt auf Druck und Papier, namentlich aber auf die 113 Schriftstellerbildnisse verwandt. Es ist eine etwas überraschende Fülle berühmter Ästhetiker und Poeten, die sie entdeckt hat, aber wer sollte ihr nicht dankbar sein für die Enthüllung eines Reichtums, den bisher nicht jedermann gekannt hat?

Wenn wir von den Verdiensten des Verfassers erst in zweiter Reihe reden, so nicht nur deshalb, weil sie in zweiter Reihe stehen, sondern auch hoffentlich nur stehen sollen und wollen. Man kann zwar nicht sagen, dass Herr v. Hanstein sein Licht unter den Scheffel stellt. Auf dem Titel schon rühmt er sich, „zwei Jahrzehnte miterlebter Literaturgeschichte" zu schildern, verkündet er sich als Dr. phil. und Privatdozenten an der Königl. Technischen Hochschule zu Hannover; in der Vorrede donnert er gegen den „unerträglichen Missbrauch", der mit dem Worte Literaturgeschichte getrieben werde, indem man es auf Schriftstellerverzeichnisse mit kurzen, gänzlich unbewiesenen und für den Leser völlig unkontrollierbaren Urteilen anwende, während er selbst die „literarische Revolution" der Gegenwart aus den sozialen und literarischen Verhältnissen emporwachsen lassen will; endlich im Texte lässt er seine lyrischen und dramatischen Werke wohlgefällig Revue passieren. Wie schön müssen seine „Menschenlieder" sein, wenn man nach ihrem ergreifenden Motto urteilen darf: „Menschenlieder sind Lieder, welche den Menschen zum Gegenstand ihrer Poesie machen." Trotz alledem hoffen wir, dass Herr v. Hanstein dies Buch nur geschrieben hat, um auf Wunsch des Verlegers einen verbindenden Text zu den Bildnissen der 113 berühmten Männer herzustellen, wodurch es sich dann auch erklären würde, dass er etwas unbillige Massen von Bombast und Schwulst konsumiert.

Es gibt allerdings Kritiker, die das Buch Hansteins ernsthaft genommen und unter dieser Voraussetzung nachgewiesen haben, dass dem Verfasser gerade nur alles zum Literaturhistoriker fehlt. Die Schlussfolgerung ist gewiss unabweisbar, wenn man die Voraussetzung annimmt, aber muss sie denn angenommen werden? Wir denken, das Buch soll ein geschäftsmäßig fabrizierter Weihnachtsartikel für Bourgeoisdämchen sein, die ein wenig über moderne Literatur schwatzen und die nötigen „Vorkenntnisse" ohne jede Geistesanstrengung sammeln wollen. Für diesen Zweck ist es auch ganz empfehlenswert, und indem man nicht mehr dahinter sucht, als wirklich dahintersteckt, spart man sich die Emotion des Unwillens, womit man sonst dieses kunterbunte Durcheinander über das „jüngste Deutschland" registrieren müsste.

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