Franz Mehring 19130725 Lose Blätter (Erich Schmidt)

Franz Mehring: Lose Blätter

Erich Schmidt

25. Juli 1913

[Die Neue Zeit, 31. Jg. 1912/13, Zweiter Band, S. 632. Nach Gesammelte Schriften, Band 11, S. 531]

In verhältnismäßig noch rüstigen Jahren ist der Literarhistoriker der Berliner Universität gestorben, der Rektor ihres Jubiläumsjahres, ein „repräsentativer Mann" wenn auch nicht in wissenschaftlichem, so doch in amtlichem und höfischem Sinn. Sein Hauptwerk ist die zweibändige Biographie Lessings, ein schwer gelehrtes, in manchen ästhetischen Fragen auch wohl beschlagenes, aber im Kern schon deshalb misslungenes Werk, weil Erich Schmidt so ziemlich in allem das gerade Widerspiel Lessings war. Schon im Stil konnte man sich keine größeren Gegensätze denken als die durchsichtige Prosa Lessings und die schwerfällige, vor lauter weit hergeholten Anspielungen manchmal ganz unverständliche Prosa Schmidts. Und in der Verschiedenheit des Stils spiegelte sich nur die Verschiedenheit der Charaktere; das „Professorieren", das Lessing nicht ausstehen konnte, war für Schmidt ein und alles. Sein Bestreben gar, aus Lessing einen getreuen Fridolin der Hohenzollern zu machen, wie er selbst es war, veranlasste mich in erster Reihe, vor zwanzig Jahren mein Buch über Lessing zu schreiben. Bei alledem aber war Erich Schmidt kein Höfling und Streber im gemeinen Sinne des Wortes, sondern innerhalb der Schranken, die ihm gezogen waren, ein aufrichtiger und wohlwollender Mann.

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