Franz Mehring 19170300 Friedensfragen

Franz Mehring: Friedensfragen

März 1917

[Die Neue Zeit, 35. Jg. 1916/17, Erster Band, S. 591-597, 613-618. Nach Gesammelte Schriften, Band 8, S. 440-453]

Das Friedensangebot der Mittelmächte und seine Ablehnung durch die Entente1 hat eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die bisher noch keine erschöpfende Beantwortung gefunden haben. In den nachfolgenden Ausführungen soll der Versuch gemacht werden, wenigstens einige dieser Fragen, vornehmlich an historischen Beispielen, der sichersten Art der Beweisführung in solchen Dingen, klarer zu stellen.

I

In der sozialdemokratischen Mehrheitspresse ist mit besonderem Eifer gegen die Opposition der Gesichtspunkt betont worden, möge man über den Ursprung des Weltkrieges denken, wie man wolle, so sei durch die Antwort der Entente auf das Friedensangebot der Mittelmächte jeder Zweifel daran zerstreut worden, dass sich Deutschland nunmehr in einem Verteidigungskrieg befände, der bis zum bitteren Ende durchgekämpft werden müsse.

Sehen wir davon ab, dass Angriffs- und Verteidigungskriege, nicht im militärischen, aber im politischen Sinne, durchaus unfassbare Begriffe sind, worüber schon in früheren Jahrgängen der „Neuen Zeit" ausführlich gesprochen worden ist, so beruht, wenn wir auch die beiden Begriffe in dem herkömmlichen Sinne nehmen, die Beweisführung der Mehrheitspresse auf dem vollkommenen Fehlschluss, dass der Charakter eines Krieges dadurch geändert werden könne, dass irgendein Friedens- und Verständigungsversuch, der während seines Verlaufs unternommen wird, an irgendwelchen Umständen scheitert. Ein Eroberer kann sehr wohl in einem Kriege sein Ziel so weit erreicht haben, dass er in der Fortsetzung des Krieges eine Gefährdung seiner bisherigen Erfolge sieht, er kann sich also veranlasst sehen, Friedensangebote zu machen. Umgekehrt kann aus demselben Grunde der angegriffene Teil die Friedensvorschläge ablehnen, ohne dass er dadurch zum Angreifer wird. Als Napoleon im Jahre 1807 dem preußischen König nach der Schlacht bei Eylau unter verhältnismäßig günstigen Bedingungen den Frieden anbot, lehnte Friedrich Wilhelm III. ab. Ob er daran klug getan hat oder nicht, ist eine Frage für sich, auf die es hier nicht ankommt; jedenfalls hat noch niemand daraus die tollkühne Schlussfolgerung gezogen, die Rollen zwischen Napoleon und Friedrich Wilhelm III. seien nunmehr vertauscht, Friedrich Wilhelm III. zum Eroberer und Napoleon zum Angegriffenen geworden. Oder um einen näherliegenden Fall anzuziehen, so war die Überzeugung in der Partei allgemein, dass der Krieg des Jahres 1870 seit der Schlacht bei Sedan von deutscher Seite ein Eroberungskrieg gewesen sei. Niemand in der Partei hat aber – wenigstens bis jetzt nicht – behauptet, dass der Krieg diesen Charakter verloren habe, weil Bismarck das Angebot der Französischen Republik, unter ausreichender Kriegsentschädigung Frieden zu schließen, an seinem Teil ablehnte, nicht um Eroberungen zu machen, wogegen er sich ausdrücklich verwahrte, sondern weil Deutschland für seine Verteidigungszwecke, um seine Grenze gegen neue Angriffskriege Frankreichs zu sichern, der elsass-lothringischen Grenzgebiete bedürfe.

Es hat verhältnismäßig wenige Feldzüge gegeben, in denen das Kriegsfeuer so schnell abbrannte, dass, während noch die Waffen tobten, nicht schon Friedensverhandlungen stattgefunden hätten. Solche Ausnahmen waren der belgische Feldzug von 1815 und der böhmische Feldzug von 1866. Selbst während des Preußisch-Französischen Krieges von 1806/07 und des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, obgleich jeder nur etwa neun Monate währte, haben Friedensverhandlungen stattgefunden, wie die eben angeführten Beispiele zeigen. Während des Feldzugs von 1813/14, der von der Schlacht bei Lützen bis zur Schlacht bei Paris auch nur zehn Monate währte, haben sogar zwei Friedenskongresse getagt, der eine in Prag und der andere in Chatillon. Und im Siebenjährigen Kriege waren, wenigstens seit dem ersten Kriegsjahr, die Wintermonate ebenso von Friedensverhandlungen erfüllt wie die Sommermonate von Kriegshandlungen.

Friedensverhandlungen während des Krieges sind also ganz alltägliche Erscheinungen; sie sind viel mehr Regel als Ausnahme. Sie können ebenso an den berechtigten Interessen der Verteidigung wie an dem vermessenen Übermut der Angreifer scheitern. Aber für oder gegen den allgemeinen Charakter eines Krieges können sie nichts beweisen. Der frivolste Eroberer kann ebenso gut ein Friedensangebot machen, wie sein schuldloses Opfer durch die untadelhaftesten Gründe gezwungen sein kann, das Angebot abzulehnen.

II

Ist es also ein vollkommener Fehlschluss zu sagen, der Weltkrieg sei zu einem reinen Verteidigungskrieg der Mittelmächte geworden, weil ihr Friedensangebot von der Entente abgelehnt worden sei, so ist es nicht minder vorbeigeschossen, wenn die sozialdemokratische Mehrheitspresse behauptet, nach der Antwort der Entente sei es nur noch möglich, den Krieg bis zum bitteren Ende fortzuführen.

Hier wird uns der Gegenbeweis zunächst dadurch sehr leicht gemacht, dass ein konservativer Politiker, der zugleich der hervorragendste Kriegshistoriker der deutschen Gegenwart ist, die gerade entgegengesetzten Schlussfolgerungen aus der Antwortnote der Entente zieht. Herr Delbrück legt im Februarheft der „Preußischen Jahrbücher" dar, dass die Antwort der Entente ein großer Bluff sei, der die Mittelmächte nur darin bestärken könne, ihre Friedens- und Verhandlungsversuche fortzusetzen. Herr Delbrück sucht auch nachzuweisen, dass dem so sein werde, namentlich an einer Reihe kaiserlicher Kundgebungen, wodurch die Parole des „Krieges bis zum bitteren Ende" vollends in ein grelles Licht gestellt werden würde.

Wir stimmen keineswegs allen Ausführungen Delbrücks bei und werden ihm in einem entscheidenden Punkte noch entschieden widersprechen müssen. Aber er ist zweifellos auf dem richtigen Wege, wenn er die Antwort der Entente nicht mit einem Schlagwort abfertigt, sondern sie einer aufmerksamen und sorgfältigen Prüfung unterzieht. Mag man sie für noch so abenteuerlich halten, wie es auch Delbrück tut, so hilft es doch keinen Schritt weiter, sie mit sittlicher Entrüstung zu verurteilen. Will man einen Gegner bekämpfen, so muss man sich vor allen Dingen bemühen, ihn zu verstehen und sich klarzumachen, wie er zu seiner noch so verkehrten Auffassung gekommen ist. Sonst redet man einfach ins Blaue hinein.

Dabei kann man denn freilich die unbequeme Frage nicht umgehen, ob nicht auch von der anderen Seite Fehler begangen worden sind. Zum Beispiel die Frage, ob das Friedensangebot der Mittelmächte nach Fassung und Form geeignet war, eine wirkliche Brücke der Verständigung zu schlagen, ob es den Gegnern nicht erschwert hat, in die dargebotene Hand einzuschlagen, ob es die psychologischen Momente gebührend berücksichtigt hat, die bei jedem Friedensangebot berücksichtigt werden müssen, wenn es irgendeine Aussicht auf Erfolg haben soll. Alles das sind Gesichtspunkte, die unbefangen geprüft sein wollen und keineswegs durch die plumpe Alternative beseitigt werden: Wir haben den Frieden angeboten, und sie haben ihn abgelehnt, also Krieg bis aufs Messer!

Jedes Friedensangebot, mag es noch so ehrlich gemeint sein, hängt für seinen praktischen Erfolg von drei Voraussetzungen ab, von denen zwei negativer Natur sind und verhältnismäßig kurz erledigt werden können. Es muss von vornherein ausschalten sowohl die Frage der Schuld als die Frage des Sieges oder, genauer zu sprechen, sowohl die Frage, wer die Schuld an dem Kriege trage, als auch die Frage, wer ihn bis dahin siegreich geführt habe. Diese Fragen müssen vorher völlig beseitigt werden, mögen sie nun so oder so liegen, wenn man überhaupt zu einer Verständigung gelangen will. Man mag sie stellen, wenn man in der Lage ist, dem Gegner mit dem Schwert in der Hand den Frieden zu diktieren, aber man darf sie nicht einmal berühren, wenn man sich verständigen will.

Wenn sich zwei Leute im gewöhnlichen Leben streiten, und der eine will sich mit dem anderen verständigen, so wird der eine – er sei denn von allen guten Geistern verlassen – niemals damit beginnen, dem anderen zu sagen: Du bist zwar ein Kujon, aber da ich dich nun genügend gezüchtigt habe, so will ich großmütig sein und dir die Hand zum Frieden reichen. Oder um ein Beispiel aus der Parteigeschichte anzuziehen: Hätten im Jahre 1875 die Eisenacher den Lassalleanern oder die Lassalleaner den Eisenachern gesagt: Ihr seid zwar die eigentlichen Unruhestifter, aber da wir euch gänzlich überflügelt haben, so vergeben wir uns nichts, wenn wir euch vorschlagen, uns zu einigen, so wäre die Verständigung schon im Keime erstickt worden. Die Formel, die man damals prägte: Bei diesem Friedensschluss gibt es weder Gerechte noch Ungerechte, weder Sieger noch Besiegte, traf den Nagel auf den Kopf.

In der Kriegsgeschichte liegt die Sache aber nicht anders. Wenn je einer, so gilt der erste Napoleon als der klassische Typus eines hochfahrenden Eroberers. Ihm war im März 1813 von Preußen der Krieg erklärt worden, und zwar unter Umständen, die er – von seinem Standpunkt aus – als „hinterlistig" und „verräterisch" ansah. Er schlug dann das preußische und das mit diesem verbündete russische Heer in zwei großen Schlachten (bei Lützen und bei Bautzen) und drang bis Schlesien vor, so dass er im Besitz der Elblinie eine glänzende militärische Stellung hatte. Die verbündeten Heere waren tief erschöpft und namentlich im russischen Heere die Kriegslust gänzlich erloschen; seine Generale erklärten, es müsse erst in Polen wiederhergestellt werden, und schon war ihm der Befehl erteilt, noch über die Oder zurückzugehen. Da machte Napoleon selbst Friedensvorschläge, die zunächst zu dem Waffenstillstand von Poischwitz und dann zu dem Friedenskongress von Prag führten.2

Ob er daran klug getan hat oder nicht, kann wieder ganz dahingestellt bleiben; er selbst hat sein damaliges Friedensangebot auf St. Helena als den größten Missgriff seiner Feldherrnlaufbahn erklärt, und übel genug ist es ihm in der Tat bekommen. Er hat es natürlich auch nicht aus allgemeiner Menschenliebe gemacht oder um der schönen Augen der Gegner willen – aus solchen Gründen werden niemals Friedensangebote gemacht –, sondern weil er selbst des Friedens dringend bedurfte trotz aller militärischen Erfolge. Aber er versagte sich ganz und gar alle Vorwürfe wegen der Vergangenheit und alle Drohungen für die Zukunft, aus dem einfachen Grunde, weil er sehr gut wusste, dass er dadurch dem Frieden, den er ernstlich wollte, von vornherein Tür und Tor sperren würde. Er gefiel sich selbst in Schmeicheleien an die Adresse des Zaren, dem er vorstellte, dessen europäisches Ansehen würde durch einen ehrenvollen Frieden mehr gewinnen, als es durch die Niederlagen von Lützen und Bautzen verloren habe.

Um nun aber auf das Friedensangebot der Mittelmächte und seine begleitenden Umstände zurückzukommen, so kann hier aus bekannten Ursachen nicht eingehend untersucht werden, ob von offizieller Seite immer der Ton getroffen worden ist, der die richtige Musik macht. Sicherlich aber hat ein großer Teil der deutschen Presse im Anschluss an das Friedensangebot eine Sprache geführt, die durchaus dazu geeignet war, den Feinden die Annahme des Angebots zu erschweren. „Wir, die ruchlos Angegriffenen, sind so großmütig, euch die Hand zum Frieden zu bieten, nachdem wir euch niedergeworfen haben, aber wenn ihr sie nicht ergreift, dann dreimal wehe euch! usw." Solche eines Bramarbas würdigen Tiraden hat Bismarck einmal mit dem ärgerlichen Wort gekennzeichnet, die Presse mache sich das wohlfeile Vergnügen, die Fenster der auswärtigen Politik einzuwerfen, wofür dann die Regierung schwer büßen müsse.

III

Die dritte Voraussetzung, von der jedes Friedensangebot abhängt, wenn es irgendeine Aussicht auf Erfolg haben soll, und zwar die weitaus wichtigste, ist positiver Natur: Mit dem Friedensangebot müssen zugleich greifbare Friedensvorschläge gemacht werden. Die bloße Versicherung, dass die Vorschläge, die die anbietende Seite machen will, einen gerechten, für alle Kriegführenden annehmbaren Frieden herbeizuführen geeignet seien, genügt nicht, mag sie auch so ehrlich gemeint sein, wie wir annehmen, dass sie von den Mittelmächten ehrlich gemeint gewesen ist.

Sie genügt schon deshalb nicht, weil über den Begriff eines gerechten, für alle Kriegführenden annehmbaren Friedens die Ansichten sehr weit auseinandergehen werden, schon im eigenen Lager, wie der Bund der Landwirte3 und die parlamentarischen Vertreter der Schwerindustrie im Preußischen Abgeordnetenhaus gezeigt haben, geschweige denn im gegnerischen Lager. Dann aber auch deshalb nicht, weil von dem Gegner hinter jedem Friedensangebot irgendwelche Hintergedanken gesucht werden, die darauf abzielen, die Kriegführung in einer dem anbietenden Teile günstigen Weise zu beeinflussen, Das liegt nun einmal in der Natur der Dinge und ist namentlich auch durch die Lehren der Geschichte bestätigt worden. Friedensangebote sind unzählige Male mit solchen Hintergedanken gemacht worden, wie denn, um bei dem eben angezogenen Beispiel zu bleiben, Napoleon im Frühjahr 1813 sein Friedensangebot mit solchen Hintergedanken machte und das preußisch-russische Bündnis ebenfalls seine Hintergedanken hatte, als es darauf einging. Einem solchen Verdacht verfällt jedes Friedensangebot aber um so eher, je mehr es sich im allgemeinen hält, mag es im übrigen noch so aufrichtig gemeint sein.

Nun sagt Delbrück freilich, nur wer den Frieden tatsächlich nicht wolle, könne beanspruchen, dass mit einem Friedensangebot zugleich Friedensvorschläge gemacht würden. Er schreibt: „Wie soll man zu einer Einigung kommen, wenn beide Parteien vor dem Eintritt in die Verhandlungen ihre Forderungen öffentlich bekanntgeben, das heißt also sich auf ihnen festlegen, wodurch man es sich selbst aufs äußerste erschwert, Stücke davon wieder preiszugeben, wie es das Ergebnis jeder Verhandlung ist? Es dürfte keinen Friedensschluss in der Weltgeschichte geben, der nicht auf die Weise zustande gekommen ist, dass man von beiden Seiten den prinzipiellen Friedenswillen kundgegeben und dann in mündlichen Verhandlungen heraus getastet hat, was als dem Gegner zugestehbar, was als nicht zugestehbar erscheint, was also erreichbar und was unerreichbar ist." So Delbrück.

Er übersieht zunächst, dass es bei dem Friedensangebot der Mittelmächte eben anders hergegangen ist als bei allen früheren Friedensvorschlägen der Weltgeschichte. Bei diesen pflegte man den Friedenswillen zunächst in vertraulichen Verhandlungen, sei es durch geheime Unterhändler, die man im Notfall verleugnen konnte, sei es durch Vermittlung neutraler Mächte, ins Klare zu bringen und dann erst mit Friedensvorschlägen ans Licht zu treten. Bei der Erbitterung, womit der gegenwärtige Weltkrieg geführt wird, war dieser Weg ausgeschlossen, aber wenn dadurch die Mittelmächte gezwungen waren, ihren Friedenswillen sogleich öffentlich kundzugeben, so war es zwar richtig, dieser Kundgebung eine möglichst feierliche Form zu geben, allein es wäre wirksamer gewesen, wenn die Mittelmächte zugleich ihre Friedensvorschläge, über die sie sich ja schon einig sind, den Gegnern kundgegeben hätten. Dieser Weg wäre um so ratsamer gewesen, wenn die Friedensvorschläge der Mittelmächte, wie berichtet wird und wir nicht bezweifeln wollen, durch ihre Mäßigkeit alle Welt überraschen werden.

Delbrücks Ansicht, dass die Mittelmächte sich auf ihre Friedensvorschläge festgelegt haben würden, wenn sie sie sofort mit ihrem Friedensangebot vorgelegt hätten, ist völlig unverständlich. Das Friedensangebot der Mittelmächte enthält ja keine Silbe davon, dass sie erst in mündlichen Verhandlungen „heraus tasten" wollen, was für sie erreichbar sei oder nicht sei, sondern sie haben offen erklärt, dass sie einer Friedenskonferenz ihre Vorschläge unterbreiten würden, was ja auch viel würdiger und namentlich viel richtiger ist, als wenn sie sich auf ein noch so pfiffiges „Heraustasten" einließen. Es ist nun aber wirklich nicht abzusehen, wieso sie sich dadurch stärker festlegen sollen, dass sie ihre Friedensvorschläge schon vor der Konferenz, statt erst auf der Konferenz veröffentlichen. Kann man dem Feinde den Frieden diktieren, so schreibt man ihm die Friedensbedingungen mit dem Schwerte vor; will man sich mit dem Feinde über den Frieden verständigen, so macht man Friedensvorschläge, in deren Begriff es schon liegt, dass sie kein letztes, sondern nur ein erstes Wort sind. Noch ist kein Friede durch Verständigung geschlossen worden, bei dem nicht jede beteiligte Macht von ihren ursprünglichen Vorschlägen nachgelassen hat, ohne ihrer Ehre damit etwas zu vergeben.

Übrigens widerlegt sich Delbrück selbst aufs Schlagendste. Er sagt: „Der entscheidende Punkt, wo sich unsere Mäßigung praktisch zeigen muss, ist natürlich Belgien." Nun hat der Reichskanzler bekanntlich erklärt, Deutschland habe nie daran gedacht und denke nicht daran, Belgien zu annektieren. Damit hat er sich sogar so festgelegt, dass ihm eine Rücknahme dieses Versprechens aufs äußerste erschwert oder vielmehr unmöglich ist. Dagegen hat er von realen „Garantien" gesprochen, die Deutschland sich im Westen sichern müsse, und unter diesem vieldeutigen Worte werden die verschiedensten Pläne für eine militärische, politische und wirtschaftliche Unterordnung Belgiens unter das Deutsche Reich betrieben. Alle diese Pläne bekämpft Delbrück mit äußerstem Nachdruck als „einen großen verderblichen Irrtum"; in sehr lesenswerten Ausführungen weist er nach, dass sie durchweg unmöglich durchzuführen seien oder, wenn sie etwa durchzuführen versucht würden, neue Kriege hervorrufen müssten.

Wenn nun Delbrück in der Wiederherstellung Belgiens die Beseitigung eines wesentlichen oder nach seiner Meinung sogar des wesentlichsten Friedenshindernisses, zugleich aber ein deutsches Lebensinteresse sieht, weshalb sollte dieser Friedensvorschlag nicht gleichzeitig mit dem Friedensangebot gemacht werden? Er würde der Kundgebung einen ganz anderen Resonanzboden gegeben und den ausschweifenden Friedensforderungen der Entente gründlich den Weg verlegt haben. Und es wäre sogar doppelt vorteilhaft gewesen, dass die an sich und im allgemeinen irrige Meinung Delbrücks, ein Rückzug von einem ehrlich und offen gemachten Friedensvorschlag sei äußerst schwierig, in diesem Falle sich allerdings bewahrheitet hätte.

IV

Der Mangel positiver Friedensvorschläge hat der Entente den Anlass oder mindestens den Vorwand geboten, das deutsche Friedensangebot abzulehnen, wodurch sie nun ihrerseits in die Notwendigkeit versetzt wurde, ihre Friedensvorschläge zu veröffentlichen, wie es in ihrer Note an Wilson geschehen ist.

Die ausschweifende Natur dieser Friedensvorschläge hat jene lebhafte Entrüstung erweckt, die sich nicht zuletzt in der sozialdemokratischen Mehrheitspresse entladen hat. Diese Entrüstung ist jedoch ein äußerst wohlfeiler Genuss, wenigstens für jeden, der ernsthaft den Frieden will. Viel notwendiger und nützlicher, wenn auch immerhin schwieriger ist es, sich klarzumachen, weshalb und wieso sich die Entente dermaßen überschlagen hat, und die Schlussfolgerungen zu ziehen, die vernünftigerweise daraus zu ziehen sind.

Einstweilen ist es nun einmal so in dieser unvollkommenen Welt eingerichtet, dass es aus dem Walde so herausschallt, wie man in ihn hineinruft. Ein Friedensangebot, das unter der mehr oder minder verhüllten Voraussetzung gemacht wird, dass der Anbietende die militärischen Trümpfe in der Hand habe, wird zunächst immer beantwortet werden: Oho, einstweilen haben wir das militärische Heft in der Hand. Damit ist gar nichts gesagt, ebenso wenig wie damit, dass Deutschland für seinen Friedensbruch „Reparation", „Restitution", „Garantien" usw. bieten solle. Es ist eben auch nur ein Echo aus dem Walde, gleichviel ob es hier „reale Garantien" oder dort „Reparation" und „Garantien" heißt. Solche Redewendungen sind ernsthaft zu nehmen, wenn man den Frieden mit dem Schwert diktieren kann, wie Bismarck in Ferneres, wo er die Annexion Elsass-Lothringens als „Reparation" für vergangene und „Garantie" gegen künftige Angriffe Deutschlands verlangte, aber solange die Waage des Kriegsglücks schwankt, läuft die Forderung von „Reparationen" und „Garantien" auf eine papierene Redensart hinaus.

Delbrück ist nun zwar auch empört über die „Wildheit" der Forderungen, die die Entente stellt, aber er fügt doch hinzu, sie könnten ebenso gut allgemeine Heiterkeit wie allgemeine Entrüstung erregen. In der Tat zeigen sie die innere Schwäche des Zehnverbandes, dieselbe Schwäche, die allen kriegerischen Koalitionen anhaftet. Verbünden sich mehrere Mächte für einen Krieg, so beseitigen sie damit in keiner Weise die widerstreitenden Interessen, die zwischen ihnen selbst bestehen, sondern sie stellen diese Interessen zunächst nur zurück gegen den gemeinsamen Kriegszweck. Einig sind sie nur darin, den gemeinsamen Gegner niederzukämpfen, und auch darin brauchen sie nicht vollkommen einig zu sein. Schon die Frage, bis zu welchem Grade der Gegner niedergekämpft werden soll, kann zum Bruch einer Koalition führen. Als sich im Jahre 1741 Preußen und Frankreich zum Kriege gegen Österreich verbündeten, wollte Frankreich dem Hause Habsburg die europäische Hegemonie entreißen, und es passte in seinen Plan, dem preußischen Bundesgenossen die Provinz Schlesien zu versprechen, durch deren Verlust die österreichische Macht stark geschwächt werden musste, aber die preußische Macht noch lange nicht gefährlich für Frankreich werden konnte. Der König Friedrich von Preußen dagegen wollte die Provinz Schlesien als eine Verstärkung seiner Hausmacht erobern, aber keineswegs die österreichische Macht so weit schwächen, dass sie kein europäisches Gegengewicht mehr gegen die französische Macht bot; er durfte und wollte es nicht dahin kommen lassen, dass nach seinem bekannten Worte ohne Erlaubnis des französischen Königs in Europa kein Kanonenschuss mehr abgefeuert werden durfte. Deshalb ließ er, als er von Österreich die Provinz Schlesien haben konnte, seinen französischen Bundesgenossen einfach im Stich und schloss seinen Separatfrieden mit Österreich, gänzlich unbekümmert darum, dass sich das französische Heer militärisch gerade in der ärgsten Patsche befand.

Sehen wir indessen davon ab, und nehmen wir an, dass der Kriegswille bei allen Teilnehmern gleich stark sei, was um so weniger der Fall sein wird, je zahlreicher diese Teilnehmer sind, so tritt in jeder Koalition der kritische Augenblick ein, sobald es sich um die Verteilung der Beute handelt, versteht sich im Falle ihres Sieges. Um ein historisch besonders berüchtigtes Beispiel anzuführen, so sei nur an den widerlichen Schacher um Land und Leute auf dem Wiener Kongress von 1814 erinnert, wo die verbündeten Mächte Europas, nachdem sie Frankreich – übrigens auch erst nach den härtesten „Friktionen" der Kriegsmaschine – glücklich niedergekämpft hatten, sich dermaßen in die Haare gerieten, dass nur mit äußerster Mühe ein erbitterter Krieg zwischen ihnen verhindert wurde. Bekanntlich hatten England und Österreich mit dem eben besiegten Frankreich schon ein Kriegsbündnis gegen Preußen und Russland auf dem Papier fertig, und es ist zweifelhaft, ob es nicht doch noch zum Kriege gekommen wäre, wenn die unvermutete Rückkehr Napoleons von Elba ihnen allen nicht wieder einen gemeinsamen Schrecken in die Glieder gejagt hätte.

Nun hat die Entente zwar nicht gesiegt, aber sie behauptet, den Sieg in der Tasche zu haben, und unter dieser Voraussetzung formuliert sie ihre Friedensforderungen. Da muss sie selbstverständlich, um nicht vorzeitig die Zwietracht im eigenen Lager zu säen, die besonderen Wünsche jedes ihrer Teilnehmer berücksichtigen. Und da diese Forderungen untereinander mehr oder minder karambolieren, so muss sie sich bemühen, sie in möglichst verwaschener Form unter den Hut allgemeiner Prinzipien zu bringen. Aber auch diesen Prinzipien muss sie eine sorgsam ausgeklügelte, zweideutige Fassung geben, weil auch sie sonst sofort gegeneinander zu heulen beginnen würden. So stellt das Friedensprogramm der Entente ein Tohuwabohu vor, aus dem sich nur die eine sichere Erkenntnis gewinnen lässt, dass, wenn mit diesem Friedensprogramm je ein Anfang der Ausführung gemacht werden sollte, die Mächte des Zehnverbandes in die ärgste Katzbalgerei untereinander geraten würden.

Unter diesem Gesichtspunkt analysiert Delbrück eingehend die Note der Entente an Wilson, und wir können nicht umhin, wenigstens einige seiner Sätze an dieser Stelle wiederzugeben:

Wenn verlangt wird, ,die Rückgabe der früher durch Gewalt gegen den Wunsch der Bevölkerung den Alliierten entrissenen Provinzen', so verstehen die Franzosen darunter die Rückgabe Elsass-Lothringens. Da aber gleichzeitig von ,Land- und Seegrenzen', die ,gegen ungerechte Angriffe gesichert werden sollen', gesprochen wird, so haben sich auch schon Franzosen gefunden, die daraus die Abtretung des ganzen linken Rheinufers gefolgert haben. Umgekehrt könnte man wieder aus dem .Nationalitätsprinzip' folgern, dass nicht ganz Elsass-Lothringen, sondern nur der französisch sprechende Teil, also bloß Metz, zurückgegeben werden solle. Ganz ebenso sind die Ansprüche der Italiener ins Unsichere gestellt: Nach dem .Nationalitätsprinzip' haben sie noch nicht einmal ganz das zu verlangen, was ihnen Österreich 1915 freiwillig zugestehen wollte; nach dem Prinzip der sicheren Land- und Seegrenzen können sie ihre Ansprüche so weit ausdehnen, wie sie Lust haben. Für die heikle Frage .Polen' hat man die Wendung gefunden, dass man statt einer gemeinschaftlichen Forderung des gesamten Verbandes der Note den Satz eingefügt hat: ,Die Absichten des Zaren werden durch seine Proklamationen an seine Armeen ausgesprochen.' England, Frankreich und Italien werden also außerhalb gelassen und machen sich nicht stark für diese .Absichten des Zaren'. Um mit dem Schutze kleiner Völker prunken zu können, wird von der Befreiung der Slawen, Rumänen und Tschechoslowaken von der Fremdherrschaft gesprochen. Der Verfasser der Note scheint sich nicht ganz klar darüber gewesen zu sein, was die .Slawen', die er befreien will, eigentlich für ein Volk sind. Vielleicht hat ihm etwas von Slowenen vorgeschwebt, und da ihm dieses Volk nicht ganz klar war, hat er .Slawen' dafür eingesetzt, ohne weiter darüber nachzudenken, dass auch die Tschechoslowaken, Polen und Russen zu den Slawen gehören."

Und so weiter. Aus seiner eingehenden Prüfung der Note schließt Delbrück mit einiger Logik, dass sie ein großer Bluff ist, und es ist nicht eigentlich erhebend, dass, während ein konservativer Politiker, der freilich etwas von den Dingen versteht, so nüchtern urteilt, die sozialdemokratische Mehrheitspresse sich durch die Antwort der Entente auf das Friedensangebot der Mittelmächte wirklich hat verblüffen lassen.

V

Freilich – indem sie erklärt, dass von deutscher Seite nunmehr nur noch ein Verteidigungskrieg geführt werde, der gern oder ungern durchgekämpft werden müsse, offenbart sie zugleich heiße Friedenswünsche. Das braucht noch kein Widerspruch zu sein, aber in die eine Schale ihrer Schicksalswaage tut sie die Last eines Zentners und in die andere kaum die Last eines Strohhalms.

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion bewilligt jede Forderung, die den Krieg fortzusetzen geeignet ist, aber ihre heißen Friedenswünsche haucht sie in die leere Luft, die dadurch höchstens für eine Sekunde erschüttert wird. Gewiss kann auch eine sozialdemokratische Opposition für Vorlagen der Regierung stimmen, ohne deshalb schon eine Regierungspartei im wegwerfenden Sinne des Wortes zu werden, aber doch immer nur dann, wenn der Wille der Regierung mit ihrem eigenen Willen übereinstimmt. Davon kann in dem vorliegenden Falle in keiner Weise gesprochen werden.

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion besitzt nicht die geringste Bürgschaft dafür, dass der Friede, den sie als ihr oberstes Ziel verkündet, auch von der Regierung gewollt wird, aber gleichwohl bewilligt sie jede Forderung, die die Regierung für die Fortsetzung des Krieges stellt. Ja, sie tut nicht nur nichts, um irgendeine Aufklärung über den Frieden herbeizuführen, den die Regierung wünscht, sondern sie hindert sogar jeden Versuch einer solchen Aufklärung, wie die Vorgänge am 12. Dezember vorigen Jahres gezeigt haben. Es war in erster Reihe ihre Pflicht und Schuldigkeit – vorausgesetzt, dass sie eine selbständige Politik treiben wollte –, eine kritische Prüfung des Friedensangebots zu unternehmen, das die Mittelmächte der Entente gemacht haben, wie es unter derselben Voraussetzung in erster Reihe ihre Pflicht und Schuldigkeit war, in eine kritische Prüfung der Antwort einzutreten, die die Entente auf das Friedensangebot der Mittelmächte erteilt hat. Sie hat aber weder das eine noch das andere getan, die Antwort der Entente hat sie mit einem Ausbruch lebhafter Entrüstung beantwortet, und die Erörterung des Friedensangebots hat sie sogar gehindert, indem sie durch ihre Stimmen am 12. Dezember vorigen Jahres den Schluss der Debatte darüber entschied, noch ehe die Debatte begonnen hatte.

Stellt man sich auf ihren Standpunkt, so durfte sie die Mittel zur Fortführung des Krieges nicht eher bewilligen, ehe sie sich über die Friedensvorschläge der Regierung nicht klar war. Was für einen Frieden sie selbst verlangt, ist vollständig gleichgültig, solange sie unbesehen immer neue Kriegskredite bewilligt. Kein Wort der Regierung berechtigt sie zu der Annahme, dass ihre Friedenswünsche zusammenfallen mit den Friedenswünschen der Regierung. Indem sie auf jede Klärung dieser Frage verzichtet, aber gleichwohl jede Kriegshandlung der Regierung tatkräftig unterstützt, macht sie sich zur Regierungspartei im schlichtesten Sinne des Wortes, denn dass sie daneben allerlei Friedensgerede verübt, unterscheidet sie nicht von den ehedem Nationalliberalen, die auch nie aufhörten, fromme Wünsche in den Bart zu murmeln, wenn sie auf Bismarcks Kommando einschwenkten wie gehorsame Rekruten.

VI

Es sei schließlich noch ein Blick auf den Vorschlag gestattet, der zwar nicht in der sozialdemokratischen Mehrheitspresse, aber in anderen, und zwar viel einflussreicheren Kreisen laut geworden ist, nämlich den Bluff der Entente mit einem gleichen Bluff zu beantworten. Was bei einem solchen gegenseitigen Bluffen herauskommt, zeigt eine lehrreiche Episode der preußischen Geschichte.

Der Siebenjährige Krieg hatte bereits mehr als drei Jahre gedauert, als die fortwährenden Friedensverhandlungen in einem Kongress zu gipfeln schienen, der in Augsburg tagen sollte. Der König Friedrich von Preußen machte nun folgende Friedensvorschläge: „Entweder behält jeder, was er augenblicklich besitzt, demnach Preußen das Kurfürstentum Sachsen, die Russen Ostpreußen und die Franzosen die preußischen Besitzungen am Rhein; soll aber wieder eingetauscht werden, so verlange ich – da Ostpreußen und die rheinischen Besitzungen zusammen lange nicht so viel wert sind wie Sachsen – noch eine Salbe für die Brandwunde, entweder die Niederlausitz oder Mecklenburg oder Polnisch-Preußen (das heutige Westpreußen). Der schlimmste Friede wird der sein, der die Dinge auf demselben Stande belässt, auf dem sie vor dem Kriege gewesen sind."

Dem preußischen Kabinettsminister v. Finkenstein sträubten sich die Haare, als er diese Forderungen seines Gebieters hörte. Denn Friedrich hatte die drei großen Niederlagen von Kolin, Hochkirch und Kunersdorf hinter sich, stand am Vorabend der kleineren, aber deshalb nicht weniger empfindlichen Niederlagen von Maxen und Landshut und war so herunter, dass er an seine Vertrauten schrieb: „Der Ewige Jude, wenn er je gelebt hat, hat nicht ein solches Landstreicherleben geführt wie ich." Jedoch der Kabinettssekretär Eichel, der eigentliche Vertraute des Königs, schrieb dem Minister, dieser möge sich doch nicht auch bluffen lassen; der König werde heilfroh sein, wenn der Stand der Dinge vor dem Kriege wiederhergestellt würde.

Kaunitz, der leitende österreichische Minister, machte es aber nicht besser als der preußische König, obgleich Österreich namentlich finanziell völlig erschöpft war. Auch er bluffte nach Leibeskräften. Seine Friedensvorschläge gingen dahin, Österreich solle ganz Schlesien und die Grafschaft Glatz erhalten, Frankreich und Russland aber ebenfalls mit preußischem Besitz entschädigt werden; mit genau denselben Worten wie König Friedrich erklärte Kaunitz: „Der schlechteste Friede bleibt der, der den Besitzstand, so wie er vor dem Kriege war, einfach wiederherstellt." So blufften Friedrich und Kaunitz, obgleich beiden schon das Wasser am Halse stand, und der geplante Friedenskongress scheiterte.

Darauf folgten noch mehr als drei gräuliche Kriegsjahre; Frankreich und Russland zogen sich aus dem Kriege zurück, aber Österreich und Preußen kämpften weiter, bis beide auf dem Rücken lagen und sogar nicht mehr bluffen konnten. Nun machte sich der Frieden ebenso schnell, wie er sich als unmöglich erwies, solange noch geblufft werden konnte. Nicht einmal Gesandte oder Minister waren bei den Friedensverhandlungen beteiligt, sondern von österreichischer Seite nur ein simpler Hofrat und von preußischer Seite nur ein simpler Legationsrat. Der Österreicher wollte sich sogar in das Hauptquartier des preußischen Königs begeben, das sich damals in dem eroberten Leipzig befand, um zu verhandeln; erst als er bei der Überfahrt über die Elbe auf der Meißner Fähre von irgendwem die Worte hörte: „Da kommen die Wiener, die gehen zum König", erwachten in ihm diplomatische Skrupel. Er hielt wenige Meilen von Leipzig an, in dem Städtchen Wermsdorf, unter dem Vorwand, in dem nahegelegenen Jagdschloss Hubertusburg würde sich das Geheimnis der Verhandlungen besser wahren lassen als in Leipzig.

Friedrich durchschaute den Zauber, aber er hatte das Bluffen nun doch einigermaßen satt und sagte ganz vernünftig, Hubertusburg oder Leipzig sei ihm ganz gleich; es käme ihm gar nicht darauf an, seinen Unterhändler selbst nach Wien zu schicken. So wurde der Friede im Handumdrehen auf derselben Grundlage abgeschlossen, die Friedrich und Kaunitz drei Jahre früher einstimmig als den „schlimmsten" Ausgang des Krieges verurteilt hatten: Der Stand der Dinge vor dem Kriege wurde einfach wiederhergestellt. Nach Abschluss des Friedens sagte Friedrich seinem Unterhändler: „Es ist doch ein gutes Ding um den Frieden, den wir abgeschlossen haben, aber man muss sich das nicht merken lassen." Damit bestätigte Friedrich, dass er drei Jahre früher geblufft hatte, und verriet, kaum auf dem Trockenen, doch schon wieder eine gewisse Neigung zum Bluffen.

So war er jedoch nur als König; als Philosoph fragte er: „Wenn die Menschen der Vernunft zugänglich wären, würden sie wohl so lange, so hartnäckige und so beschwerliche Kriege führen, um früher oder später doch auf Friedensbedingungen zurückzukommen, die ihnen nur in den Augenblicken der Leidenschaft oder wenn das Glück sie gerade begünstigt unerträglich erscheinen?" Man braucht nun freilich nicht mit dem Philosophen von Sanssouci der Menschheit die Vernunft überhaupt abzusprechen, aber jedenfalls muss man von einer Arbeiterpartei so viel Vernunft beanspruchen, dass sie auch im Kriege eine klare und selbständige Politik treibt, die weder blufft noch sich bluffen lässt.

1 Gemeint ist der erste offizielle Vorschlag der Mittelmächte vom 12. Dezember 1916, „alsbald in Friedensverhandlungen einzutreten". Am 21. Dezember forderte Wilson in seiner ersten Friedensnote, konkrete Friedensbedingungen mitzuteilen. Die Entente-Mächte forderten Räumung der besetzten Gebiete, Wiederherstellung Belgiens, Serbiens und Montenegros, Befreiung der Italiener, Slawen, Rumänen, Tschechen und Slowaken von der Fremdherrschaft. Die deutsche Regierung gab ihre Kriegsziele nicht bekannt. Damit waren Verhandlungen hinfällig.

2 Napoleon I. hatte im Juni 1813, als er in einen Friedenskongress zu Prag einwilligte, gar nicht die feste Absicht, dort mit den Verbündeten einen Frieden zu schließen. Es ging ihm mit seiner Einwilligung nur darum, den Beitritt Österreichs zur Koalition möglichst zu verhindern oder hinauszuschieben und für seine eigenen Rüstungen Zeit zu gewinnen. Der Friedenskongress zu Prag kam dann auch über formelle Vorverhandlungen nicht hinaus und ging bei Beginn der Kampfhandlungen Ende August 1813 wieder auseinander.

3 Bund der Landwirte – im Februar 1893 in Berlin gegründete politische Organisation der Agrarier. 1914 etwa 275.000 Mitglieder stark. Der Bund stellte bei Wahlen eigene Kandidaten auf, verpflichtete vor allem aber konservative Abgeordnete des Reichstags auf sein Programm (Schutzzölle, keine Steuern). Das Organ war die „Deutsche Tageszeitung". Von politischer Bedeutung waren die jährlichen Generalversammlungen des Bundes in Berlin.

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