Franz Mehring 19071112 Blut und Eisen

Franz Mehring: Blut und Eisen1

11. Dezember 1907

[Die Neue Zeit, 26. Jg. 1907/08, Erster Band, S. 374-376. Nach Gesammelte Schriften, Band 8, S. 120-123]

Hugo Schulz, Blut und Eisen. Krieg und Kriegertum in alter und neuer Zeit. Erster Band mit 352 Bildern und Dokumenten aus der Zeit und einer Beilage. Zweiter Band mit 224 Bildern und Dokumenten aus der Zeit und einer Beilage. Berlin, Verlag Buchhandlung Vorwärts. Beide Bände zusammen 786 Seiten. Preis 10 Mark.

Wir haben dies Werk mit lebhaftem Genuss und zugleich mit einem gewissen Bedauern gelesen. Mit lebhaftem Genuss, weil der Verfasser seinen Stoff gründlich kennt und sicher beherrscht; mit einem gewissen Bedauern, weil er durch die vorgeschriebenen Grenzen seiner Darstellung auf Schritt und Tritt behindert ist, seine Fähigkeiten zu entfalten. Den Kulturbildern, die der Verlag des „Vorwärts" herausgibt, haben wir nie besonderen Geschmack abgewinnen können, und wenn ihren ersten beiden Bänden mit größerem oder geringerem Rechte vorgeworfen worden ist, dass die Ware zu leicht sei, so müssen wir gegenüber diesem dritten Bande gestehen, dass die Sache eigentlich noch schlimmer liegt, wenn die Ware zu schwer wird.

Genosse Schulz wäre ganz der Mann, eine Kriegsgeschichte vom historisch-materialistischen Standpunkt aus zu schreiben und die Parteiliteratur dadurch um ein wertvolles Werk zu bereichern. Nichts wäre wünschenswerter, als wenn ihm hierfür ein paar Jahre Muße geschafft werden könnten. Aber populär im Sinne einer agitatorischen Massenwirkung kann ein solches Buch nie werden, und bei jedem Anlauf dazu kommt nur eine Halbheit heraus, die nach keiner Seite hin befriedigt. Man spürt es auf allzu vielen Seiten des vorliegenden Werkes, wie die Darstellung unter einem äußeren Drucke leidet, ohne ihn je überwinden zu können oder auch nur zu einem äußerlichen Abschluss zu kommen. Sie bricht mit der Schlacht von Waterloo ab; gerade die Kriege des letzten Jahrhunderts, deren Darstellung am Ende doch für die agitatorisch-populäre Massenwirkung am notwendigsten wäre, fallen vollständig aus. Und der Masse der Leser, auf die das Werk rechnet, werden seine ausgezeichnetsten Partien, das heißt die Partien, wo Schulz in die tieferen Zusammenhänge der Kriegsgeschichte eindringt, am unverständlichsten sein; sie setzen eben doch zu viel historische und zum Teil auch technische Kenntnisse voraus.

Sieht man jedoch von diesen äußeren Hemmnissen ab, so verdient die Arbeit des Genossen Schulz lebhafte Anerkennung. Wo es fehlt, trifft ihn nicht die Schuld, aber was trotz alledem geleistet worden ist, das ist sein Verdienst. Der erste Band enthält vier Teile: Der Krieg bei den orientalischen Völkern, Aus der griechischen Kriegsgeschichte, Rom und endlich Das Mittelalter. Der erste und der vierte Teil sind summarisch behandelt, was sich bei jenem aus der Lückenhaftigkeit des Quellenmaterials, bei diesem aus Mangel an historischem Interesse rechtfertigt. Glänzende Abschnitte finden sich dagegen in den acht Kapiteln aus der griechischen Kriegsgeschichte; wir heben nur hervor, dass Schulz in seiner Auffassung Kleons unseres Erachtens zum ersten Male den Nagel dieses vielerörterten Problems auf den Kopf getroffen hat. Kleon war das, was wir heute und unter den heutigen Umständen einen imperialistischen Kolonialpolitiker nennen würden; er war Kriegsfanatiker, nicht aus dem so albernen wie gehässigen Grunde; den ihm Thukydides unterschiebt, nämlich weil er seine Bosheiten und Schimpfereien in ruhigen Zeiten nicht hätte an den Mann bringen können, sondern weil er sich darüber klar war, dass die Herrschaft Athens über die sogenannten Bundesgenossen eine Tyrannei über ausgebeutete und unterdrückte Kolonien darstellte, und weil er an seinem Teile Athen für mächtig genug hielt, die Hegemonie über ganz Griechenland zu erobern. Ob dies möglich war oder nicht, ließe sich erst beantworten, wenn wir wüssten, wie stark damals Athen war und wie hoch sich namentlich seine Bevölkerungsziffer belief, und über diesen entscheidenden Punkt macht Thukydides nur verworrene Angaben, über die der Streit unter den Gelehrten noch nicht aufgehört hat und auch wohl nicht aufhören wird. An der endgültigen Niederlage Athens im Peloponnesischen Kriege ist Kleon jedenfalls ganz unschuldig; sie wurde durch die sizilische Expedition verursacht, die erst nach Kleons Tode von Alkibiades inszeniert wurde, einem Lieblingsschüler des Sokrates, dessen Anhänger überhaupt Erkleckliches in Hochverrat an ihrer Vaterstadt geleistet haben.

Natürlich sollen diese Andeutungen keine Ehrenrettung Kleons im Sinne der modernen Demokratie sein, wovon auch Schulz weit entfernt ist. Nach der persönlichen Seite beurteilt er Kleon vielleicht noch zu ungünstig. Jedenfalls irrt er darin, wenn er Kleon einen „Gerbermeister" nennt, im Gegensatz zu den Oligarchen, die „ihre zarte Hand nie mit Gerberlohe beschmutzt" hatten, also den damaligen Klassenkampf, um eine mittelalterliche Analogie anzuziehen, in dem Widerstreit zwischen Patriziern und Handwerkern sieht. Kleon gehörte vielmehr zu den herrschenden Klassen, zu den Rittern, der zweiten Vermögensklasse der Stadt: Seine Gerberei ließ er durch Sklaven betreiben. Was er vertrat, war das immer beute- und kriegslustige Handelskapital, während die Oligarchen, wie Schulz richtig hervorhebt, auf dem Grundbesitz fußten und durch ihre brutale Klassenherrschaft, durch die unleidliche Zinsknechtschaft, womit sie die kleinen Leute drückten, vor der Sucht nach auswärtigen Abenteuern hinlänglich geschützt waren. Im Vergleich mit dieser Klasse, deren Sprachrohr der brave Thukydides war, konnte sich Kleon allerdings noch alle Tage sehen lassen, mag er im Lichte der modernen Demokratie so sympathisch oder so unsympathisch erscheinen, wie er will. Wie wenig die Oligarchen in ihm einen leeren Schwätzer sahen, wie sehr sie ihn vielmehr als einen gefährlichen Gegner fürchteten, zeigt ihr krampfhaftes Bestreben, ihn um die Ecke zu bringen, wobei sie, darin ganz ähnlich den ostelbischen Junkern, ihren eigensüchtigen Klasseninteressen das Interesse des Gemeinwesens opferten. Thukydides selbst ist zynisch genug, einzugestehen, dass sie Kleon an die Spitze der schwierigen Expedition gegen Sphakteria drängten, in der Hoffnung, dass er sich den Hals brechen werde, was aber nur zum unverwindlichen Schaden der ganzen Stadt hätte geschehen können. Diesmal entging Kleon der tückischen Falle und trug sogar den größten Erfolg davon, den Athen im Peloponnesischen Kriege errungen hat, aber bei der Expedition gegen Amphipolis erreichten sie ihr Ziel, indem sie ihm die Befehlsführung so schwierig machten, dass Kleon den Kopf verlor und einen militärischen Missgriff beging, der ihm Sieg und Leben kostete.

Sehr gut kommt bei Schulz auch der Abschnitt über Rom heraus, wobei er mit Recht den zweiten Punischen Krieg und die Kriege Cäsars in den Vordergrund schiebt. Die Schilderung der Schlacht bei Cannä ist ein kleines Meisterstück, in der Form so anschaulich wie im Inhalt zutreffend, wie denn auch Hannibal als historische Gestalt plastisch hervortritt. Cäsar ist vielleicht ein wenig idealisiert, womit jedoch gegen die sachliche Darstellung seiner Kriege nichts eingewandt werden soll.

Der zweite Band des Werkes besteht nur aus einem Teil, der in elf Kapitel zerfällt. Sie behandeln Feuerwaffen und Festungswesen, die Zeit der Landsknechte, den Dreißigjährigen Krieg, das Kriegswesen zur See, Absolutismus und Militärmonarchie, das Zeitalter der schlesischen Kriege, das Zeitalter der Französischen Revolution, die ersten Triumphe der großen Armeen, den Zusammenbruch Preußens, die Befreiungskriege und endlich Napoleons Sturz. Hier ist der Verfasser um so mehr in seinem Element, als aus allen diesen Kapiteln Streiflichter auf den heutigen Militarismus fallen, die dessen Kritik ungleich gründlicher und schärfer besorgen als alle langatmigen Predigten der bürgerlichen Friedenspfeifenraucher. An den historischen Tatsachen selbst zerstieben die Seifenblasen, die Moloch in den Lüften gaukeln lässt, die Mären von der stählenden und verjüngenden Kraft der Kriege, von der kriegerischen Überlegenheit der ländlichen über die städtische Bevölkerung, von den Vorzügen der alten kernigen Eliteheere vor den schlappen Massenheeren der heutigen Zeit, von der unfehlbaren Kraft des Drills und was sonst, namentlich auch im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte, zum militärfrommen Katechismus gehört.

Die Schlachtenschilderungen sind in dem zweiten Bande meist so vorzüglich wie im ersten: Wir heben nur die Schlachten von Breitenfeld und Lützen, von Höchstädt und Malplaquet und namentlich von Leuthen hervor, bei der nur der nicht unwichtige Umstand übersehen ist, dass der erste Stoß des preußischen Heeres auf die württembergischen Hilfstruppen fiel, von denen bekannt war, dass sie mit Wonne die erste Gelegenheit ergreifen würden, das Hasenpanier zu ergreifen oder doch – da nicht Feigheit, sondern Widerwillen gegen die österreichische Bundesgenossenschaft ihr treibender Beweggrund war – sich dem Kampfe zu entziehen, was sie denn auch schleunigst taten. Nicht so gelungen ist die Darstellung der Schlachten am Morgarten und ob Sempach, was um so mehr auffällt, als sie zuerst von unserem alten Genossen Bürkli richtig dargestellt worden sind2, wie inzwischen auch die bürgerliche Geschichtsschreibung anerkannt hat.

Doch es sei genug der Kritik! Die Fehler und Lücken, an denen es dem Buche des Genossen Schulz nicht mangelt, sind durch die Zwangsjacke verschuldet, worin er hat arbeiten müssen, und es erscheint vielleicht unbillig, sein Werk mit einem Maßstab zu messen, den er selbst in seiner bescheiden-liebenswürdigen Selbstanzeige abgelehnt hat. Aber à tout seigneur tout honneur3 – und unsere wissenschaftliche Parteiliteratur ist nicht so reich an „führenden Werken", dass man denen, die sie schreiben können, wie Genosse Schulz es auf dem Gebiet der Kriegsgeschichte unzweifelhaft kann, eine allzu große Bescheidenheit als Vorzug anrechnen dürfte. Und so wiederholen wir die Hoffnung, dass es ihm vergönnt sein möge, seine Arbeit noch einmal auf den Amboss zu legen und sie von den Spuren der äußeren Hemmnisse zu befreien, die ihr heute noch anhaften.

1 Hugo Schulz versucht in den beiden besprochenen Bänden „Blut und Eisen" eine Kriegsgeschichte vom materialistischen Standpunkt aus zu schreiben. Nach den Ratschlägen Mehrings arbeitete Schulz eine Fortsetzung seiner Kriegsgeschichte für das 19. und das 20. Jahrhundert unter dem Titel „Die Welt in Waffen" aus. Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges konnte sie nur zum Teil veröffentlicht werden. Während des ersten Weltkrieges wurde Schulz Sozialchauvinist.

2 Siehe Karl Bürkli: Der wahre Winkelried. Die Taktik der alten Urschweizer, Zürich 1886. – Karl Bürkli: Der Ursprung der Eidgenossenschaft aus der Markgenossenschaft und die Schlacht am Morgarten. Erw. Separatabdruck aus der „Züricher Post", Zürich 1891.

3 à tout seigneur tout honneur (franz.) – dem großen Herrn alle Ehre.

Kommentare