Franz Mehring 19040217 Die zweijährige Dienstzeit

Franz Mehring: Die zweijährige Dienstzeit

17. Februar 1904

[ungezeichnet, Leipziger Volkszeitung Nr. 39, 17. Februar 1904. Nach Gesammelte Schriften, Band 8, S. 61-63]

Am 3. Februar erklärte der Kriegsminister v. Einem in der Budgetkommission des deutschen Reichstages: Mit einer neuen Heeresvorlage werde und müsse die Regierung eine gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit bei den Fußtruppen beantragen. Die zweijährige Dienstzeit, die seit der großen Militärvorlage von 1893 provisorisch, quasi auf Widerruf, eingeführt ist, soll demnach jetzt definitiv gemacht werden, wobei es sich ganz von selbst versteht, dass Moloch sich diese „Konzession" mit einer wesentlichen Erhöhung der Friedenspräsenzstärke bezahlen lassen wird.

Tatsächlich ist die gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit so wenig eine Konzession, dass der deutsche Militarismus heute mit einer dreijährigen Dienstpflicht kaum noch weiter bestehen könnte. Die Heereskosten, die sich in den letzten 33 Jahren um 336 Proz. vermehrt haben, würden dann eine Höhe erreicht haben, unter der das Deutsche Reich wohl oder übel hätte zusammenbrechen müssen. In Wahrheit war es weiter nichts als die Überzeugung von der finanziellen Unmöglichkeit, die dreijährige Dienstpflicht beizubehalten, die seinerzeit die Heeresverwaltung zur Einführung der verkürzten Dienstzeit veranlasste. Bloßen Vernunftgründen hätte Moloch niemals nachgegeben, und wenn er sich jetzt anschickt, das Provisorium in ein Definitivum umzuwandeln, so ist das ein sicheres Zeichen, dass er einen ganz besonders hohen Shylockpreis zu fordern im Begriffe ist.

Wer zuerst die Forderung nach der zweijährigen Dienstzeit aufstellte, das waren nicht etwa nörgelnde Zivilisten, sondern preußische Generäle, unter ihnen sogar eine Autorität vom Range eines Grolman, und tatsächlich besaß das preußische Herr seit Beginn der dreißiger Jahre die zweijährige Dienstzeit. Es blieb dem Wachtmeistersinne des Prinzen von Preußen, der sich später zum Heldengreis entwickelte, in den fünfziger Jahren vorbehalten, diesen errungenen Fortschritt wieder rückgängig zu machen, aber allgemeine Rücksichten zwangen doch, mit der Innehaltung der langen Dienstzeit nicht streng vorzugehen. So wurden die Feldzüge von 1866 und 1870 mit Fußtruppen geführt, die in der Hauptsache nur zwei Jahre gedient hatten. Schon daraus ergibt sich, wie faul das Gerede ist von der zu befürchtenden Kriegsuntüchtigkeit eines Heeres, das auf zweijähriger Dienstzeit beruht. Dass man das dritte Jahr nur verlangt, um den Soldaten dem bürgerlichen Empfinden zu entfremden und aus ihm eine menschliche Maschine zu machen, die auf Vater und Mutter schießt, das ist so weltkundig und auch offen eingestanden, dass darüber kein Wort weiter zu verlieren ist.

Der Zwiespalt, der dem kapitalistischen Heerwesen zugrunde liegt, beruht darin, dass es auf der einen Seite die Wehrkraft des Volkes darstellt, zugleich aber ein Mittel der Klassenherrschaft ist. Während früher, in den sechziger Jahren der preußischen Geschichte, mehr der erstgenannte Charakter des Heeres in den Vordergrund trat, ist er jetzt so gut wie völlig vor dem anderen geschwunden. Die Einheit Deutschlands war nur gegen den Willen des Auslandes durchzusetzen, und um diesen Widerwillen zu brechen, dazu gehört eine starke Organisation der nationalen Wehrkraft, wobei die Bourgeoisie es eine Zeitlang in der Hand hatte, die Art dieser Organisation zu bestimmen. Heute dagegen, nach errungener nationaler Selbständigkeit, hat die Bedeutung des Heeres als eines Faktors nationaler Politik fast aufgehört. Dafür ist seine Wichtigkeit im Rahmen sozialer Politik unendlich gewachsen, und zwar ist es die Klassenpolitik der Bourgeoisie, die auf das Heer großen Wert legt und die es nur dann als wertvoll anerkennt, wenn es ein sicheres Bollwerk der bürgerlichen Klassendiktatur bildet.

Obwohl also heute für die Herrschenden viel mehr Veranlassung vorläge, am dritten Dienstjahre festzuhalten, als früher, muss der Militarismus gerade jetzt das für ihn wertvolle dritte Jahr fahrenlassen, und hierin zeigt sich, dass auch Moloch, der sich für unbezwinglich hält, den Entwicklungsgesetzen der bürgerlichen Gesellschaft unterworfen ist. Tatsächlich ist jedes Heer desto besser zur Landesverteidigung brauchbar, eine je schlechtere Stütze es für die Klassenherrschaft ist, und umgekehrt, je schärfer jeder Heeresorganisation der Charakter als ein Instrument des Klassenkampfes eingeprägt ist, desto mehr verliert sie an Kriegsbrauchbarkeit. Wie sehr man in Deutschland seit einem halben Menschenalter das eine zuungunsten des andern bevorzugte und hegte, das beweisen die unaufhörlichen Uniformänderungen und ähnliche Dinge, die für die Schlagfertigkeit des Heeres gar keine, für die Heranzüchtung einer Prätorianergesinnung aber eine sehr große Bedeutung haben. Und wie herrlich weit wir es in dieser Hinsicht gebracht, das bezeugen die unausrottbaren Soldatenmisshandlungen ebenso, wie es der Prozess Bilse1 bezeugt hat.

Diese Zustände müssen sich im selben Grade verschärfen, als sich im bürgerlichen Leben die sozialen Gegensätze verschärfen. Das Geflenne der bürgerlichen Politiker über die Exklusivität des Offizierskorps macht sich sehr erhebend im Munde von Leuten, die selber den arbeitenden Klassen gegenüber sich so exklusiv verhalten. Und die Anschauungen, die in diesem sich streng reserviert haltenden Offizierskorps herrschen, sind auch heute noch nicht viel anders als zu der Zeit, wo die Heere aus dem Abhub der Menschheit zusammengeprügelt wurden und das Offizierskorps sich aus dem Lumpenproletariat des preußischen Junkertums zusammensetzte. Eine Besserung kann da nur eintreten, wenn die Soldaten mit einem ausgeprägten staatsbürgerlichen Bewusstsein ins Heer eintreten und diese „Schule" schnell genug durchmachen, um von den Anschauungen des Militarismus nicht infiziert zu werden. Haben sich doch heute schon die sozialdemokratischen Rekruten als Pioniere der Kultur innerhalb der militärischen Barbarei bewährt.

Aus diesem Grunde ist die gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit lediglich ein kleiner Schritt auf dem Wege, der den Militarismus von sich selbst befreien kann.

1 Im November 1903 wurde der Leutnant Bilse durch ein Kriegsgericht in Metz zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte unter dem Pseudonym Fritz von Kyrburg den Roman „Aus einer kleinen Garnison" veröffentlicht (Braunschweig 1903), in dem die moralische Verkommenheit des preußischen Offizierskorps und der gesellschaftlichen Kreise der Garnisonsstädte, in denen es verkehrte, dargestellt war.

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