Franz Mehring 19040307 Ein politischer General

Franz Mehring: Ein politischer General

7. März 1904

[ungezeichnet, Leipziger Volkszeitung Nr. 54, 7. März 1904. Nach Gesammelte Schriften, Band 8, S. 67-69]

Mitten in die bewegten Debatten des Reichstags über den Militäretat fällt die Nachricht vom Tode des Grafen Waldersee. Er galt als der erste Soldat des deutschen Heeres, und sein Leben bietet manche Momente, die auch von unserem Standpunkt aus einiges Interesse haben.

Die bekannte Behauptung, dass es in Preußen keine politischen Generale gebe, dass die Armee kein politisches Werkzeug sei, sondern immer nur „Mit Gott für König und Vaterland" streite, gehört zu jenen reaktionären Ammenmärchen, mit denen der biedere Untertan über den Löffel barbiert werden soll. Gerade in Preußen ist das Heer von jeher ein politisches Werkzeug gewesen, und zwar in mehr als einer Beziehung. Der preußische Kriegsminister, der dieser Tage im Reichstage erklärte, dass ihm königstreue Soldaten, die weniger gut schössen, lieber seien als intelligente und tüchtige Soldaten von sozialdemokratischer Gesinnung, reklamierte das Heer ganz offen als eine politische Waffe der besitzenden gegen die arbeitenden Klassen, aber innerhalb der besitzenden Klassen ist das Heer auch immer das Werkzeug gewesen, womit das Junkertum seine Alleinherrschaft gegen die andrängende Bourgeoisie aufrechterhielt.

Der „unbedingte Gehorsam gegen die Befehle des Kriegsherrn" hat allemal die Voraussetzung gehabt, dass die Monarchie den Befehlen des Junkertums unbedingt gehorsam ist. Immer wo sie sich dieser oft genug für sie selbst drückenden Abhängigkeit zu entwinden suchte, hat das Heer sein wirksames Veto dagegen eingelegt. Das Heer, d. h. das junkerliche Offizierskorps. In allen solchen Fällen sind sofort die politischen Generale in eine sehr aktuelle Wirksamkeit getreten, und der Schein, als ob sie nicht existierten, konnte stets nur dadurch hervorgerufen werden, dass die preußische Monarchie niemals den Entschluss gefunden hat, anders als flüchtig und vorübergehend mit dem Junkertum anzubinden. Wer die preußische Heeresgeschichte kennt, kann die politischen Generale zu Dutzenden und selbst Hunderten an den Fingern herzählen.

Insoweit tut man dem Grafen Waldersee unrecht, ihn im Sinne eines Vorwurfs einen politischen General zu nennen. Darin ist er nicht besser und nicht schlechter gewesen als seinesgleichen überhaupt, nur dass er durch seine höfischen Beziehungen mehr hervortrat. Wie wenig er in diesem Punkt ein Original war, zeigt seine Ähnlichkeit mit seinem Großvater von mütterlicher Seite, dem aus den Befreiungskriegen bekannten General v. Hünerbein. Der hatte sich auch am Hofe herauf gedient, gehörte zu den größten Prahlhänsen in der Zeit vor Jena und konnte später das Aufgebot der Massen gegen die napoleonische Fremdherrschaft nicht genug verspotten als einen Versuch, aus „jeder krätzigen Nähnadel einen Helden zu machen". Im Übrigen war er ein in seiner Art tüchtiger Landsknecht, wie sie das Junkertum zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft braucht.

Ob Graf Waldersee freilich die militärischen Fähigkeiten dieses Großvaters geerbt hatte, ist eine nicht unbestrittene Frage. Moltke schätzte ihn als seinen fähigsten Schüler, aber es ist von andrer Seite oft behauptet worden, dass Moltke dabei dem bekannten Missgeschicke genialer Köpfe unterlegen sei, sich gerade in die bare Mittelmäßigkeit zu verlieben. Jedenfalls kam es bei der einzigen nennenswerten Probe militärischer Leistungsfähigkeit, die dem Grafen Waldersee abzulegen beschieden gewesen ist, in erster Reihe auf diplomatische und höfische Gewandtheit an. Es war, als er im November 1870 den „Faiseur" beim Prinzen Friedrich Karl zu spielen hatte, jene aus der preußischen Kriegsgeschichte bekannte Rolle, in der irgendein um seiner Geburt willen an die Spitze eines Heeres gesetzter Dumm- oder Starrkopf so dirigiert werden muss, dass er den Geboten des gesunden Menschenverstands nicht allzu arg ins Gesicht schlägt. Natürlich sind die prinzlichen Dumm- oder Starrköpfe, an denen die preußische Kriegsgeschichte so reich ist, solchen „Faiseurs" nicht gerade grün, wenn sie ihnen auf die Nase gesetzt werden, und es wird von den loyalen Historikern als eine wahrhaft großartige Leistung gerühmt, dass Graf Waldersee in dieser häkligen Position sogar noch die gerührte Dankbarkeit des Prinzen Friedrich Karl erworben hat. Danach muss er in der Tat ein virtuoser Hofmann gewesen sein.

Sonst aber war er ein in der Wolle gefärbter Reaktionär, ganz wie sein Großvater Hünerbein und mit demselben Stich ins Pietistisch-Mystische hinein. Jene äußerst verfrömmelte und verjunkerte Reaktion, der selbst Bismarck noch zu liberal war, hatte ihn zu ihrem Vorkämpfer erkoren und setzte um so größere Hoffnungen auf ihn, als er durch seine Frau mit der gegenwärtigen Kaiserin verwandt war und die militärische Ausbildung des gegenwärtigen Kaisers geleitet hatte. Am eklatantesten traten diese Bestrebungen im Dezember 1888 hervor, als zu [der] Zeit, wo der alte Kaiser Wilhelm im chronischen und der damalige Kronprinz im akuten Sterben lag, die bekannte Versammlung beim Grafen Waldersee stattfand. Unter der Firma eines kirchlichen Zwecks von der äußersten Rechten veranstaltet und durch die Anwesenheit des Prinzen Wilhelm, des gegenwärtigen Kaisers, ausgezeichnet, galt sie als das Signal der Schilderhebung gegen den allmächtigen Hausmeier Bismarck, der sie mit einer wütenden Kanonade seines gesamten offiziösen Heerbanns gegen die „Stöckerei und Muckerei" beantwortete.

Wenn man jedoch sagt, dass es damals an einem seidenen Faden gehangen habe, ob Graf Waldersee das Ziel seines Ehrgeizes erreicht hätte und Reichskanzler geworden wäre, so ist diese Ansicht vollkommen falsch. Als politischer General ist Waldersee daran gescheitert, dass sein reaktionäres Programm rein utopisch war. Was nach den gegebenen historischen Bedingungen an politischer und sozialer Reaktion geleistet werden konnte, das leistete Bismarck; darüber hinaus das Rad der Geschichte rückwärts zu drehen war praktisch unmöglich. Jeder Versuch dazu musste von vornherein an seiner grotesken Lächerlichkeit scheitern; er gehörte in die Operette, nicht in die Politik.

Aber wenn es dem Grafen Waldersee misslungen ist, einen Operettenkanzler zu spielen, so gönnten ihm seine Sterne wenigstens, ein Operettengeneral zu werden.1 Seine Rolle als „Weltmarschall" mit den „Vorschusslorbeeren" und den prahlerischen Tischreden, die wiederum sehr stark an die junkerlichen Tiraden vor Jena erinnerten, ist noch zu lebhaft in der Erinnerung, als dass sie hier ausführlich dargestellt zu werden brauchten. Die satte Selbstzufriedenheit, womit sich Waldersee in diese Rolle fand, beweist am schlagendsten, dass er selbst nur vom reaktionären Standpunkt aus kein bedeutender und ernsthafter Gegner der Arbeiterklasse war.

So brauchen wir ihm keinen Fluch nachzusenden, aber freilich ebenso wenig eine Träne nachzuweinen.

1 Der frühere Chef des preußischen Generalstabs und langjährige Kommandierende General in Hamburg-Altona, Graf von Waldersee, wurde 1900, als er als Oberbefehlshaber der internationalen Interventionstruppen nach China abreiste, von Wilhelm II. theatralisch zum Feldmarschall ernannt und auf Grund seiner Aufgabe als „Weltmarschall" bezeichnet.

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